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E-Book

Biographien

Lesen - erforschen - erzählen

AutorThomas Etzemüller
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl195 Seiten
ISBN9783593418193
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Biographien werden von Historikern erforscht, geschrieben oder als Quellen benutzt. Thomas Etzemüller unternimmt einen Streifzug durch die historische, soziologische und literaturwissenschaftliche Biographieforschung. Dabei macht er deutlich, dass die Lebensgeschichte eines Menschen ein komplexes Konstrukt ist. Hinzu kommt ein »biographisches Paradox«: Philosophen und Soziologen beschreiben den Menschen als fragmentiertes Wesen, das Genre der Biographie aber erfordert die narrative Einheit eines Lebenslaufs von der Geburt bis zum Tod. Wie Historiker mit diesem Widerspruch umgehen können, ist ein zentrales Thema dieser Einführung.

Thomas Etzemüller, Dr. phil., ist außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Oldenburg

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Leseprobe
1. Einleitung

1.1. Ein überraschend komplexes Genre

Es gibt eine eigene Wissenschaft, die sich mit Biographien beschäftigt, die Biographieforschung. Sie ist mittlerweile derart ausdifferenziert, dass es unmöglich ist, einen auch nur halbwegs umfassenden Überblick über diesen Forschungszweig zu geben. Um das zu begreifen, reicht ein Blick in das Inhaltsverzeichnis einer der jüngsten Publikationen zu diesem Thema, das 2009 erschienene Handbuch Biographie (Klein 2009). Auf knapp 500 zweispaltigen Seiten werden 59 Themenfelder in knappen Artikeln skizziert, etwa die Begriffsbestimmung, die Frage, ob die Biographie eine Gattung sei, das Problem der Fiktionalität, die Biographiewürdigkeit oder gar Rechtsfragen der biographischen Arbeit. Das Handbuch macht deutlich, dass sich Biographien in der Antike, im Mittelalter oder der Neuzeit signifikant unterscheiden, dass es unterschiedliche nationale Traditionen biographischen Schreibens gibt, dass die wissenschaftlichen Disziplinen ihre eigenen biographischen Methoden und Fragestellungen entwickelt haben, dass Institutionen ihre ganz eigentümlichen biographischen Texte generieren oder dass schließlich biographisches Erzählen in Medien, Kunst, Alltag, Wissenschaft oder Literatur unterschiedliche Formen annimmt und verschiedenen Zwecken dient. Spätestens nach der Lektüre dieses Standardwerkes macht es keinen Sinn mehr, von der Biographie zu sprechen. Die Biographie gibt es nicht - doch ist sie ein jahrhundertealtes Genre, das sich hinreichend scharf gegen andere Textgattungen abgrenzen lässt. Und dieses Genre zeichnet sich durch Eigentümlichkeiten und bestimmte Probleme aus. Ich werde mit dieser Einführung nicht versuchen, das Handbuch Biographie (und die übrige Forschungsliteratur) zusammenzufassen oder gar zu ersetzen. Vielmehr werde ich aus der Perspektive des Historikers und gestützt auf die jüngere Biographieforschung einen Einblick in die Vielfalt und Charakteristika des Genres geben.

Ich selber habe nie eine Biographie geschrieben. Aber ich habe in mehreren Forschungsprojekten die biographische Methode genutzt, sei es, um wissenschaftssoziologisch und mikrohistorisch, wie in einer Laborstudie, den Arbeitsprozess von Historikern zu beschreiben, sei es, um das social engineering im europäischen 20. Jahrhundert zu untersuchen. Der biographische Zugriff dient mir als »Sonde«, um das Funktionieren der Gesellschaft zu verstehen. Dabei ist mir immer deutlicher geworden, dass Biographien erstaunlich komplexe Textformen sein können. Sie informieren nicht einfach möglichst vollständig und wahrhaftig über das Leben einer Person - auch wenn das viele Biographen und Leser glauben mögen -, sondern sie werden durch ihre Autoren und deren Leser gestaltet. Sie basieren zwar auf Quellen, können Historikern aber selbst als Quelle dienen. Sie sollen nicht immer die Neugierde von Lesern befriedigen, sondern oft nur persönlichen oder administrativen Zwecken dienen. Sie beschreiben nicht allein einen Ausschnitt der Welt, sondern können durchaus eine prägende Wirkung auf die Welt ausüben. Außerdem vermögen sie es, allzu einfache Vorstellungen von der Realität infrage zu stellen. In dieser Einleitung umreiße ich den Gegenstand und seine fortdauernde Attraktivität und nehme eine provisorische Begriffsklärung vor. Dann soll die Problematik in sechs Kapiteln aufgefächert werden. In Kapitel 2 werden sechs Biographien beispielhaft vorgestellt, die narrativ unterschiedlich aufgebaut sind und den Lesern ihren Gegenstand auf divergierende Weise und mit unterschiedlichen Absichten präsentieren. Kapitel 3 behandelt die Frage, welche gesellschaftlichen Institutionen als »Biographiegeneratoren « wirken und wie die von ihnen produzierten biographischen Texte mit ihren Objekten, den Menschen, umgehen. Im Mittelpunkt werden der Unterschied zwischen »Lebenslauf« und »Biographie« sowie Subjektivierungsprozesse stehen. In Kapitel 4 wird es dann um die »Performanz« der Quellenproduktion gehen, durch die Lebensläufe in Biographien transformiert werden. Die Quellen werden nicht einfach in der Realität vorgefunden, sondern, beispielsweise im Falle der Nachlassbildung, von Zeitzeugeninterviews, Bildern oder Ego-Dokumenten, in sozialen Prozessen produziert; die Art ihrer Entstehung hat Einfluss darauf, wie eine Biographie geschrieben wird. Im Anschluss daran führt Kapitel 5 aus, warum man die durchaus verbreitete Annahme aufgeben sollte, man müsse nur Quellen auswerten, Fakten erheben und könne dann das Leben eines Menschen nachzeichnen. Auch biographische Texte werden konstruiert, und zwar durch biographische Modelle und Traditionen, spezifische Narrative sowie Leerstellen. Es wird deutlich werden, dass weder Leben sich einfach vollziehen noch Texte diese Leben bloß abbilden, dass vielmehr die Genese eines Subjekts sich in Leben und Text parallel vollzieht. Zwischen Lebenslauf und Biographie besteht ein zirkulärer Konnex. Kapitel 6 spürt deshalb den Wirkungen nach, die Biographien auf die soziale Ordnung der Gesellschaft haben können. Über den Unterhaltungswert hinaus haben sie beispielsweise das Potenzial, Hierarchien und Geschlechterverhältnisse festzuschreiben. Damit ist zugleich ein zentrales Problem der Biographie berührt, das in Kapitel 7 schließlich untersucht wird, nämlich das der Einheit eines Genres und der Differenz ihres Objektes: Wie passen eine Textform, die auf die unhinterfragbare Einheit eines Individuums setzen muss, und aktuelle Theorieansätze, die gerade von einer weitgehenden Fragmentierung aller Individuen ausgehen, zusammen? Wenn Subjektivität und Körper im Extremfall künftig aus frei wählbaren Versatzstücken und gar technischen Ersatzteilen bestehen sollten, wäre das nicht das Ende eines Genres, das seit dem 18. Jahrhundert prinzipiell darauf angewiesen ist, kohärente Lebenswege von Individuen nachzuzeichnen, die von der Geburt bis zum Tod psychisch und physisch eine Einheit bilden? Lässt sich eine mögliche Fragmentierung des Menschen durch ein auf die Konstruktion von Kohärenz angelegtes Medium erfassen?

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