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Auf den Spuren verlorener Identitäten

Sowjetische Kriegsgefangene im Stalag VII A Moosburg

AutorChristine Fößmeier, Dominik Reither, Elke Abstiens, Karl Rausch
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783746088389
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Sowjetische Kriegsgefangene hatten im 2. Weltkrieg unter deutlich schlechteren Bedingungen zu leiden als die übrigen Gefangenen. Obwohl sie die zweitgrößte Gruppe im Kriegsgefangenenlager Stalag VII A in Moosburg darstellten, sind ihre Schicksale bislang häufig nur in pauschalen Zusammenhängen betrachtet worden. Die vorliegende Publikation -Auf den Spuren verlorener Identitäten- zeigt die ideologische Situation und die prekären Lebensbedingungen der sowjetischen Kriegsgefangenen auf, ebenso aber Besonderheiten im Stalag VII A. Wie stellte sich hier die Lagerleitung gegen die berüchtigten Aussonderungen? Wie entfaltete eine Widerstandsgruppe - die B.S.W. - ausgehend vom Moosburger Lager ihre Wirkung noch über Südbayern hinaus? Neu erschlossene oder erstmals in ihren Inhalten und Aussagen gesichtete Quellen mit tausenden von Registrierungsnummern und penibel geführten Dokumenten öffnen auch den Blick auf die Einzelschicksale. Die Namen der Toten werden zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder genannt, und manches Gesicht ist nun in all seiner Individualität wieder sichtbar. Drei wissenschaftlich fundierte Beiträge von den Historikern Dr. Dominik Reither und Karl Rausch, Elke Abstiens und der Kunsthistorikerin Christine Fößmeier nähern sich dem Thema aus historischen, wie aus menschlichen Blickwinkeln an.

Geboren 1979 in Moosburg a.d. Isar studierte Dominik Reither in Regensburg und Aberdeen Jura, Geschichte und Politikwissenschaft. 2008 wurde er über ein wissenschafts-geschichtliches Thema zum Dr. phil. promoviert. Nach Referendariat in Regensburg und Absolvierung des 2. juristischen Staatsexamens ist Dominik Reither seit 2009 als Richter und Staatsanwalt in Landshut tätig. Er ist Gründungsmitglied des Vereins Stalag Moosburg e.V.

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Leseprobe

4 Sowjetische Gefangene
im Stalag VII A

Anhand der Situation sowjetischer Gefangener im Stalag VII A kann man die Lebensverhältnisse derjenigen sowjetischen Soldaten im Detail nachvollziehen, die zum Arbeitseinsatz ins Reichsgebiet gebracht worden waren. Auffällig ist, dass es in vielen Bereichen Sonderregelungen für sowjetische Gefangene gab, die teilweise in eigenen Befehlssammlungen zusammengefasst waren.172

Das Stalag VII A weist aber auch zwei Sonderaspekte auf, was die Situation der sowjetischen Gefangenen betrifft, und die dieses Lager von anderen unterscheiden. Es handelt sich um die Aussonderungen sowjetischer Gefangener und gleichzeitig um den Widerstand der Offiziere des Stalag und des Wehrkreiskommandos VII gegen diese Maßnahmen. Außerdem entstand im Bereich des Stalag VII A die B.S.W., die größte Widerstandsbewegung sowjetischer Gefangener im Reichsgebiet.

4.1 Quellenlage

Die Quellenlage ist vergleichsweise gut. Neben allgemeinen Richtlinien und Befehlen existieren im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg noch Bestände zum Kriegsgefangenenwesen im Wehrkreis VII.173 Hinzu kommen Akten im Stadtarchiv Moosburg und im Staatsarchiv München.

Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Karteikarten und weitere Unterlagen derjenigen sowjetischen Gefangenen, die in Stalag VII A verstarben oder vor ihrem Tod dort untergebracht waren. Den Karteikarten kann man zahlreiche Details zu verschiedenen Aspekten des Lebens in Stalag VII A entnehmen. Diese Materialien befinden sich im Original im Militärarchiv der Russischen Föderation und sind im Internet zugänglich.174 Die Unterlagen wurden ausgedruckt und befinden sich im Stadtarchiv Moosburg in den Beständen „verstorbene sowjetische Gefangene (Kopie Karteikarten)“, der die in Stalag VII A verstorbenen sowjetischen Gefangenen betrifft und „Todesfälle sowjetischer Gefangener außerhalb des Stalag“, der die Unterlagen derjenigen sowjetischen Gefangenen umfasst, die außerhalb des Stalag VII A, zum Beispiel während des Arbeitseinsatzes, verstarben.

Zumeist bestehen die erhaltenen Unterlagen zu den einzelnen Gefangenen aus der Personalkarte I. Auf deren Vorderseite ist die Registrierungsnummer des jeweiligen Gefangenen aufgeführt, ebenso die Personalien (Name, Vorname, Geburtstag, -ort, Religion, Vorname des Vaters, Nachname der Mutter, Staatsangehörigkeit), Dienstgrad, Truppenteil und Nummer der Einheit, Matrikelnummer des Heimatstaates (in der Regel nicht ausgefüllt), Ort und Datum der Gefangennahme und ob gesund oder krank eingeliefert. Hinzu kommen Angaben zu Größe, Haarfarbe, persönlichen Kennzeichen sowie Name und Anschrift der zu benachrichtigenden Person in der Heimat. Außerdem waren ein Platz für ein Lichtbild175 und einen Fingerabdruck (nur teilweise genommen) vorgesehen. In der Regel sind die Karten sehr sorgfältig ausgefüllt und zwar meist auf Deutsch und Russisch. Letzteres ist wahrscheinlich in der Regel erst nach dem Krieg ergänzt worden, da häufig Anmerkungen auf Russisch, datiert mit 1946 oder 1947, auf den Karten zu finden sind.176 Die Angaben bei den persönlichen Kennzeichen unterscheiden sich. Vielfach wurde diese Rubrik gar nicht ausgefüllt oder mit dem pauschalen Vermerk „Russe“177. In einigen Stalags wurde aber auf diese Angaben besonderer Wert gelegt. Herausragend sind insoweit die Karteikarte für den am 11.02.1944 verstorbenen Gefangenen Wladimir Schamowski: „Augen blau, Zähne vollständig, Gesicht rund, Gestalt mittelkräftig am rechten Daumen eine Schnittnarbe, am Rücken kleine braune Hautflecken“,178 sowie des Gefangenen Michail Bulygin, verstorben am 25.04.1944: „Gesicht lang, Augen blau, unter der Unterlippe am Kinn eine Narbe, Re in der Stirn eine kleine Narbe“179. Beide Gefangenen wurden im Stalag Luft 2 Litzmannstadt registriert.

Auf der Rückseite sind Rubriken für Charaktereigenschaften, besondere Fähigkeiten, Sprachkenntnisse und Führung des Gefangenen vorgesehen, die in der Regel nicht ausgefüllt wurden. Eine Ausnahme ist insoweit die Karteikarte des am 11.02.1944 verstorbenen Gefangenen Wladimir Schamowski: „Im Komsomol seit 1932 bis 1940, wurde wegen Saufen ausgeschieden. Guter Eindruck. Hat sich schriftlich zur Befreiungsarmee gemeldet“180 Ein anderer Gefangener wird als „tüchtig“, „Sauberkeit in Ordnung“ beschrieben.181 Außerdem war an dieser Stelle anzugeben, ob der Gefangene bestraft worden war (wann, Grund, Strafhöhe und Verbüßungsdatum), wann welche Impfungen durchgeführt worden waren, Erkrankungen und Lazarettaufenthalte (hier wurden auch Datum und Ort des Versterbens sowie die Todesursache angegeben), Datum und Grund für Versetzungen sowie Informationen zum Arbeitseinsatz (Beginn und Ende sowie Nummer und Ort des Kommandos). Auf der Personalkarte I wurden auch die Nummer der Todesmitteilung an die Wehrmachtsauskunftstelle und die Todesfalllistennummer (alle Todesfälle im Stalag wurden fortlaufend nummeriert) vermerkt, ebenso Tag und Ort der Bestattung und die Grabnummer.

Außerdem haben sich teilweise Zugangs- und Abgangsmeldungen, Leichenschauscheine, Sterbefallanzeigen, Sterbefallnachweise, Meldungen an die Wehrmachtsauskunftstelle und Lazarettkarten erhalten. Leichenschauscheine, Sterbefallanzeige, Meldung an die Wehrmachtsauskunftstelle, Sterbefallnachweise und Lazarettkarten werden im Abschnitt „Medizinische Versorgung und Tod“ beschrieben.

Die Zugangs- und Abgangsmeldungen, die bei Versetzungen und beim Tod von Gefangenen auszufüllen waren, enthielten neben persönlichen Angaben, Beruf und Anschrift der Angehörigen die Daten des Zugangs und des Abgangs zum/vom Lager, Dienstgrad und Truppenteil, Datum und Ort der Gefangennahme sowie bei Verstorbenen Todeszeit, -ort und –ursache sowie die Begräbnisstelle. Die Meldungen sind auf Deutsch und Russisch, in lateinischen und kyrillischen Buchstaben ausgefüllt. Von der Meldung konnte ein Postkartenvordruck (deutsch und russisch) zur Benachrichtigung der Angehörigen des Gefangenen über Gefangennahme und Zustand mittels vorgefertigten Textes abgetrennt werden.182

Auf der Personalkarte II, die sich bei einigen wenigen Gefangenen erhalten hat, wurden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gefangenen eingetragen. Neben den Personalien war hier vermerkt, welche Geldbeträge die Gefangenen mitgeführt hatten, oder ihnen per Post zugesandt und welche an sie ausbezahlt worden waren. Außerdem waren hier die abgenommenen Wertgegenstände aufzuführen sowie anzugeben, ob man sie an den Gefangenen herausgegeben hatte. In beiden Kategorien war die Bestätigung des Gefangenen vorgesehen. Solche Eintragungen sind jedoch selten.183 Auf der Rückseite trug man die Arbeitslöhne nach den Lohnlisten ein sowie Lazarett-, Revier- und Krankenhausbehandlungen.184

Ergänzende Informationen liefern die sogenannten „Freitagsbriefe“, Schilderungen ehemaliger sowjetischer Gefangener über ihre Zeit in deutscher Gefangenschaft. Einige dieser Briefe beschreiben auch die Zustände in Stalag VII A.185

Stalag VII A, Blick in die Lager-Hauptstraße, ca. 1940

Quelle: Digitalarchiv K. A. Bauer

Lagerplan Stalag VII A, grau markiert der abgetrennte Bereich der sowjetischen Gefangenen

Quelle: Digitalarchiv K. A. Bauer

4.2 Lebens- und Arbeitsbedingungen

4.2.1 Hintergründe

Am 04.08.1941 trafen in Moosburg die ersten sowjetischen Gefangenen aus Stalag IV H (304) Zeithain ein.186 Anfang September 1941 befanden sich bereits rund 4.000 gefangene Rotarmisten im Bereich von Stalag VII A, am 12.09.1941 rund 5.000 und am 23.09.1941 5.328.187 Es handelte sich um „russische“ Kriegsgefangene, die aus den Durchgangslagern Stalag IV H Zeithain und IV B Mühlberg an der Elbe (Wehrkreis Dresden) nach Moosburg überstellt worden waren. Ein Teil der in Moosburg untergebrachten sowjetischen Gefangenen hatte an den Kämpfen um Sewastopol von Oktober 1941 bis Juli 1942 teilgenommen.188 Teilweise wurden Gefangene auch als Zivilisten bezeichnet. Es dürfte sich um Personen gehandelt haben, die entweder als Zivilbedienstete für die Truppe tätig waren oder bereits ihre Einberufung zur Roten Armee erhalten hatten.189

In Moosburg wurden die Gefangenen entlaust und erhielten, wenn sie noch nicht in einem anderen Stalag erfasst worden waren, eine Registrierungsnummer von Stalag VII A und entsprechende Erkennungsmarken.190 Eine Registrierung erfolgte auch dann, wenn der Gefangene noch vor der vollständigen Erfassung, zum Beispiel auf dem Transport, verstorben war.191 Im Rahmen der Registrierung nahm das Stalag-Personal auch die Volkszugehörigkeit der sowjetischen Gefangenen auf (neben „Großrusse“ auch Ukrainer, Kasache, Weißrusse, Tadschike, Kirgise, Aserbaidschaner, Usbeke, Tatare und Kosake).192 In der Hauptkartei des Stalag waren auch sowjetische Gefangene tätig, was das gelegentliche Ausfüllen von...

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