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Die Mühen der Ebenen

Brecht und die DDR

AutorWerner Hecht
VerlagAufbau Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl362 Seiten
ISBN9783841207432
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Staatsdichter Brecht? Neue Dokumente erzählen von Brechts listigem Widerstand gegen die SED-Bürokratie. Er und Helene Weigel mussten um die Gründung des Berliner Ensembles kämpfen, der Herrnburger Bericht und die Oper Lukullus wurden verboten. Wie Werner Hechts Buch belegt, ließ sich Brecht auch durch die Faustus-Debatte und nach dem 17. Juni 1953 nicht auf SED-Linie bringen. Er kritisierte die von Partei- und Staatsfunktionären ausgeübte Zensur und plädierte für die Eigenverantwortung der Künstler.

Werner Hecht, geb. 1926 in Leipzig, studierte bei Hans Mayer und wurde 1959 von Helene Weigel als Mitarbeiter für Regie und Dramaturgie ans Berliner Ensemble engagiert, wo er bis 1974 tätig war. Im Suhrkamp Verlag und im Aufbau-Verlag gab er Brechts Schriften zum Theater, 1973 die Journale heraus. Die Editionstätigkeit fand ihren Abschluss in der 30-bändigen Großen Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Bertolt Brechts, die er als einer der Hauptherausgeber von 1985 bis 2000 betreut hat. Von 1976 bis 1991 hat er das Brecht-Zentrum Berlin geleitet, zahlreiche Brecht-Veranstaltungen durchgeführt, eine Schriftenreihe und das Nachrichtenblatt notate herausgegeben. Er veröffentlichte in den letzten Jahren die große Brecht-Chronik (1997, 2007 ergänzt), eine Kleine Brecht-Chronik (2012) sowie die Monographien Helene Weigel. Eine große Frau des 20. Jahrhunderts (2000) und Brechts Leben in schwierigen Zeiten (2007).

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Leseprobe

Vorwort


Bertolt Brecht hat die Literatur und das Theater des 20. Jahrhunderts wesentlich beeinflusst und verändert.

Er erlebte das Kaiserreich und den Ersten Weltkrieg. In dieser Zeit trieben ihn die Verhältnisse in Opposition zum Bürgertum, aus dem er stammte. Durch die politischen Veränderungen nach dem Krieg gelangte er an die Seite des revolutionären Proletariats. Er sympathisierte mit den politisch links orientierten Kräften und setzte seine Hoffnungen auf eine antikapitalistische Gesellschaft. Obwohl er sich bemühte, seine Position als unabhängiger Schriftsteller zu behalten, sorgte die Bourgeoisie dafür, dass er den Ruf eines radikalen Linken bekam.

Aus Deutschland musste Brecht im Februar 1933 fliehen: Die Nazis entzogen ihm wegen »niedriger Gesinnung« die Staatsbürgerschaft. Er bekam die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges in vielen Staaten Europas und in den USA zu spüren. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die den Privatbesitz an Produktionsmitteln verteidigte, hielt er für die eigentliche Ursache des Nationalsozialismus und seiner barbarischen Auswüchse. Eine bessere Zukunft schien eine sozialistische Gesellschaft zu ermöglichen, wie sie sich in dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat Sowjetunion zu entwickeln begann. Aber die Säuberungen und die Schauprozesse in Moskau, die Bevormundungen und Terrormaßnahmen der Stalinisten und ihrer Vasallen erschütterten seine Zuversicht in diesen Weg.

Brecht wollte in jeder Hinsicht unabhängig sein. Er versuchte, diese Unabhängigkeit durchzusetzen in seinem Leben, in seinem Denken und in seinem Werk. Das waren die Mühen der Gebirge. Sie forderten viel Kraft, viel Geschick und Einfallsreichtum. Dazu war es nach seiner Ansicht hilfreich, eine bestimmte Art von Kunst zu entwickeln, durch die man das Leben meistern kann.

Vor einer US-amerikanischen Regierungskommission erklärte Brecht wahrheitsgemäß, dass er niemals einer kommunistischen Partei angehört hatte. Ihm gelang auch der strategische Schachzug, seine für die Arbeiterklasse geschriebenen Werke (wie Die Maßnahme) als missverständlich zu deklarieren, weil sie falsch übersetzt worden seien. Er hat aber in den Jahren der Observation durch das FBI begriffen, dass er in den USA nicht erwünscht war.

Brecht kehrte 1947 nach Europa zurück. Er hatte nicht die Absicht, sich im besetzten Deutschland niederzulassen. Er wollte weiterhin unabhängig bleiben und sich mit seinem Werk an alle Deutschen wenden. Dies schien ihm nicht möglich, wenn er sich für einen Teil des Landes entscheiden würde, da die Spannungen zwischen den Siegermächten eine feindselige Entwicklung vorprogrammierten. Die Schweiz, wo er 1947 bis 1949 lebte, war daran interessiert, ihn so bald als möglich wieder loszuwerden. Brecht hatte keinen Pass und wurde regelrecht aus dem Land hinauskomplimentiert. Mit der Unterstützung von Freunden erlangten er und Helene Weigel die österreichische Staatsbürgerschaft. Aber die ihm geholfen hatten, waren so großen Repressalien ausgesetzt, dass auch Österreich als neuer Wohnsitz für ihn wegfiel. So nahm er schließlich die Einladung des Deutschen Theaters in Ost-Berlin an, die er schon 1946 erhalten hatte. Es war das einzige Arbeitsangebot, das ihm aus Deutschland gemacht wurde.

Noch immer hatte er große Skrupel, sich in Deutschland anzusiedeln. Er nutzte die Einladung für ein Angebot, mit ihm und Helene Weigel in Ost-Berlin ein neues Theater zu etablieren. Anfang 1949 hatte Mutter Courage und ihre Kinder mit Helene Weigel Premiere. Mit dieser Inszenierung schuf Brecht ein Theaterereignis, das bald als das bedeutendste der Nachkriegszeit galt. Ein großer Teil der Kunstsachverständigen war nach dem Riesenerfolg der Courage daran interessiert, Brecht dauerhaft an Ost-Berlin zu binden. Andererseits hatten nicht wenige Funktionäre der im sowjetischen Sektor und in der sowjetischen Zone Deutschlands eingesetzten Sozialistischen Einheitspartei schwerwiegende Bedenken gegen seine Art, Theater zu spielen. Dennoch gelang es, das Theaterprojekt durchzusetzen.

In dieses neue Berliner Ensemble, das den behördlichen Status eines »besonderen Ensembles« erhielt, brachte Brecht all seine politischen und künstlerischen Erfahrungen und Kenntnisse, sein Genie und seine Lebenskunst ein. Das Berliner Ensemble wurde bald national wie international bekannt und geschätzt. Trotz des Erfolgs war es in der DDR Anfeindungen ausgesetzt. Brecht war auch deshalb in den sowjetisch besetzten Sektor von Berlin, die spätere DDR-Hauptstadt, gegangen, weil dort neue Verhältnisse geschaffen oder geplant wurden: Enteignung der kapitalistischen Unternehmen und der Großgrundbesitzer, Aufbau einer antifaschistischen und demokratischen Ordnung, eine Art »befohlener Sozialismus« nach Maßgabe der sowjetischen Besatzungsmacht. Brechts fester Plan, unter diesen Bedingungen unabhängig zu arbeiten und zu leben, erwies sich als schwer zu realisieren. Seine Befürchtungen, in seinem Schaffen von den Interessen des Staates beeinträchtigt zu werden, waren berechtigt. In dem Gedicht Wahrnehmung (aus dem Jahre 1949) hatte er seine Bedenken in folgenden Versen ausgedrückt:

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns
Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.1

In anderen Gedichten mit der Metapher vom Aufstieg auf Berge nennt er die Mühen auch »Schwierigkeit der Ebenen«2 oder »Aufregungen der Ebenen«3.

Von Brechts Mühen, Schwierigkeiten und Aufregungen in der DDR berichtet dieses Buch. Es stützt sich sowohl auf Dokumente, die im Bertolt-Brecht-Archiv und im Archiv der Akademie der Künste aufbewahrt werden, als auch auf die mit preußischer Gründlichkeit angelegten Akten der SED, der Massenorganisationen und Verwaltungsorgane der DDR. Letztere sind seit Anfang der 90er-Jahre im Bundesarchiv Berlin und in anderen Archiven zugänglich. Sie geben detailliert Aufschluss über interne Auseinandersetzungen in den Partei- und Staatsorganen und die Einmischungen der SED (und der SMAD) in alle Belange des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in der DDR. In den Verordnungen, Ratschlägen, Weisungen, Verboten manifestieren sich individuelles Urteilsvermögen, Unverfrorenheit und inhumaner Umgang mit den eigenen Genossen.

Im Falle des behördlichen Umgangs mit Brecht kann an einigen markanten Beispielen gezeigt werden, wie versucht wurde, ihn auf die Linie der SED einzuschwören. Da dies nicht gelang, mussten andere Maßnahmen, Strategien und Winkelzüge probiert werden. Die Spitzenfunktionäre waren bestrebt, die Wirkung seiner Arbeit durch Verbot oder Zensur seiner Bücher und zum Teil auch seiner Inszenierungen zu behindern oder zumindest einzuschränken. Brecht konnte sich gegenüber dem Machtapparat in vielen Fällen durchsetzen. Ein Reiz des Buches besteht darin, zu zeigen, wie er den »Apparatschiks« gegenübertrat und seine Erfolge verteidigte: Er setzte sich im Fall des Herrnburger Berichts für Busch gegen Honecker mit bissiger Ironie ein. Beim Lukullus-Skandal trickste er die Partei- und Staatsführung aus und brachte eine bereits verbotene Aufführung mit Riesenerfolg durch. Die Akademie der Künste nutzte er als »höchstes Gremium der Kunst«, um gegen die administrativen Maßnahmen der Staatlichen Kunstkommission mit äußerst scharfer (interner) Kritik vorzugehen. Den Aufstand am 17. Juni 1953 empfand er als »Tragödie«. Er bot der Regierung an, mit Künstlern des Berliner Ensembles über den Rundfunk Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen. Er unterlag dem Trugschluss, dies könnte eine Wirkung auf die Demonstranten haben. Der Einsatz wurde abgelehnt. Der DDR-Rundfunk ignorierte am 16. und 17. Juni den Aufstand. Der Unwille und das Unvermögen der Regierung, die »große Aussprache mit den Massen« in Gang zu bringen, enttäuschten Brecht außerordentlich.

Die Dokumente dieses Buches könnten durch viele weitere ergänzt werden. Sie zeigen die Praxis der SED-Diktatur: Hilfeleistung als Vorwand für Anordnung, geheuchelte Anerkennung trotz massiver Vorurteile, Versprechen von Änderungen, die nie eingeleitet werden sollten. Immer wieder wird die vorgegebene Parteilinie durchgeboxt. Vermeintliche »kameradschaftliche Auseinandersetzungen« dienten weniger der Klärung von Problemen unter »Gleichgesinnten« als der Stärkung oder Schwächung von Machtpositionen einzelner Personen.

Brecht konnte wegen seiner hohen künstlerischen Kompetenz manches »gegen den Strich« durchsetzen: Er vertrat selbst aus Überzeugung Ziele der DDR-Führung, z. B. das Engagement für den Frieden, den Kampf gegen das Erstarken des Militarismus (Aufrüstung), das Tolerieren verschiedener Gesellschaftsordnungen, das Bemühen um die deutsche Einheit. Er hat auf nationalen und internationalen Konferenzen und Tagungen sowie bei anderen Gelegenheiten entsprechende Erklärungen und Mahnungen abgegeben. 1954 verlieh ihm ein internationales Komitee den Stalin-Friedenspreis. Und im gleichen Jahr brachte er seine schönste Inszenierung im Berliner Ensemble heraus, den Kaukasischen Kreidekreis, der ein Jahr später in Paris zum aufsehenerregenden internationalen Erfolg führte. Die Parteiführung änderte 1955 ihre Strategie: Sie lobte die Arbeiten des Stückeschreibers und Regisseurs und stellte dessen Auslandserfolge auch als Erfolge der DDR-Kulturpolitik aus. Am 14. August 1956 starb Brecht. Parteichef Ulbricht erklärte in seinem Nachruf, dass Brecht und sein Werk der DDR gehöre und von ihr gepflegt werde. Das war ein parteiamtlicher Friedensschluss mit dem sehr unbequemen, aber erfolgreichen Dichter.

Dass Brecht die »Murxisten« in der DDR nüchtern und real eingeschätzt hat, das belegen auch Stöße von Akten...

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