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Völkermord an den Armeniern

Erstmals mit Dokumenten aus dem päpstlichen Geheimarchiv über das größe Verbrechen des Ersten Weltkriegs

AutorMichael Hesemann
VerlagHerbig
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783776682137
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Mit einer Razzia begann der unfassbare Leidensweg der wohl ältesten christlichen Nation am 24. April 1915. Nach Einschätzung moderner Historiker fielen dem Armenozid rund 1,5 Millionen Menschen zum Opfer. Unter dem Vorwand einer angeblichen Verschwörung der Armenier gegen das Osmanische Reich setzte die Regierung der Jungtürken mit ungeheurer Grausamkeit ihre 'Vision' eines rein muslimischen Staates in die Tat um. Der gegenwärtige türkische Staat leugnet diesen Genozid bis zum heutigen Tag, spricht allenfalls von einem 'bedauerlichen Massaker'. Doch die Dokumentation der Ereignisse, erstmals unter Verwendung bislang unveröffentlichter Quellen aus dem päpstlichen Geheimarchiv, belegt auf erschütternde Weise dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Michael Hesemann, Jahrgang 1964, studierte Geschichte, Kulturanthropologie und Journalistik an der Universität Göttingen. Er ist ein international erfolgreicher Autor und Fachjournalist für kirchengeschichtliche Themen. Seine Bücher sind weltweite Bestseller. Sie erschienen in 14 Sprachen in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren.

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Leseprobe

Einleitung: »Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?«

Das Treffen fand unter höchster Geheimhaltung statt; es war so geheim, dass selbst die Geladenen erst in letzter Minute erfuhren, was Sache war. Am 21. August 1939 wurden die vierzig ranghöchsten Generäle und kommandierenden Offiziere der deutschen Streitkräfte zunächst nach München geflogen, wo man sie in verschiedenen Hotels einquartierte. Auf eine Registrierung bei der Rezeption oder den Eintrag in einen Meldeschein wurde dabei zu ihrer Überraschung verzichtet. Ihre einzige Anweisung lautete, sich am nächsten Morgen pünktlich um 9.00 Uhr früh in Zivilkleidung an der jeweils verabredeten Stelle einzufinden, wo bereits ein Wagen auf sie wartete. Erst, als sie darin Platz genommen hatten, erfuhren sie, wohin die Fahrt ging: »Auf den Obersalzberg«.

Dort, im Schatten des geheimnisvollen Untersberges, begrüßte sie zunächst Reichsmarschall Hermann Göring, der ebenfalls keine Uniform, sondern ein pompöses Jagdgewand trug. Er führte sie in einen länglichen Saal, in dem nur ein Schreibtisch, ein Flügel mit einer Büste Richard Wagners und zwei Reihen Stühle standen. Durch ein riesiges Panoramafenster war die Bergkulisse im strahlenden Sonnenlicht zu sehen. Es handelte sich um das Arbeitszimmer Adolf Hitlers.

Der »Führer« ließ sie, wie es seine Gewohnheit war, zunächst einmal warten. Dann betrat er, als Einziger die braune Parteiuniform tragend, forsch den Saal, in dem ein donnerndes »Heil Hitler« erscholl, das dieser mit einer zackigen Geste erwiderte. Nach einem knappen »Setzen Sie sich, meine Herren«, erklärte er bedeutungsschwer: »Ich habe Sie zusammengerufen, um Ihnen ein Bild der politischen Lage zu geben, damit Sie einen Einblick tun können in die einzelnen Elemente, auf die sich mein Entschluss, zu handeln, aufbaut, und um Ihr Vertrauen zu stärken. Danach werden wir die militärischen Einzelheiten besprechen.«[2]

Was folgte, war ein vierstündiger Monolog, einzig unterbrochen durch den einstündigen Mittagsimbiss, der auf der lichtdurchfluteten Terrasse des Berghofes eingenommen wurde. Doch obwohl es ein warmer Sommertag war, muss einigen der Beteiligten zu diesem Zeitpunkt längst das Blut in den Adern gefroren sein. Denn Hitler hatte diese höchst geheime Zusammenkunft einberufen, um die Heeresspitze auf seine Kriegspläne einzuschwören. Er hatte beschlossen, in Polen einzumarschieren und das Land erbarmungslos zu zerschlagen, um den schon in Mein Kampf beschworenen »Lebensraum im Osten« zu schaffen.

Hitler sprach frei, ein offizielles Protokoll oder gar eine Bandaufzeichnung gab es nicht, wohl aber Mitschriften einiger der Anwesenden. Einer von ihnen war Admiral Wilhelm Canaris, der Chef der Abwehr, des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht. Er hatte sich schon zwei Jahre zuvor, angewidert von der Brutalität und Skrupellosigkeit der Nazis, innerlich von Hitler abgewendet und sich im Vorjahr einer Gruppe hitlerkritischer Offiziere rund um den zum Rücktritt gezwungenen ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, angeschlossen. Jetzt aber bestand für ihn kein Zweifel mehr, dass der Führer ein Verbrecher war, der Deutschland und Europa ins Verderben stürzen würde.

»Gleich am nächsten Tag las er (Canaris, d. Verf.) uns die wichtigsten Stellen (seiner Aufzeichnungen von der Hitler-Rede, d. Verf.) vor«, erinnerte sich Hans Bernd Gisevius, ein Mitglied der Widerstandsgruppe. »Er war noch immer voller Entsetzen. Seine Stimme zitterte. Er fühlte, Zeuge von etwas Ungeheuerlichem gewesen zu sein.«[3] Die Welt musste von den Plänen des Wahnsinnigen erfahren.

So übergab Admiral Canaris seine Aufzeichnungen seinem Freund und Ergänzungsoffizier Oberst Hans Oster, der daraus einen inhaltlich korrekten, sprachlich aber dramatisierten Text erstellte, den ein anderes Mitglied der Widerstandsgruppe dem in Berlin akkreditierten amerikanischen Journalisten Louis P. Lochner von der Associated Press übergab. Lochner übermittelte das brisante Dokument noch vor dem 25. August 1939 der britischen Botschaft in Berlin.

Wie weit sein Wortlaut tatsächlich Hitlers freier Rede vom 22. August entsprach, ist allerdings unter Historikern umstritten.[4] Ein Augenzeuge, Generaladmiral a.D. Hermann Boehm, hielt ihn 1971, also 32 Jahre später, für eine »blutrünstige und unwahre Darstellung«[5], bestritt aber auch die – zweifelsfrei belegte – Präsenz von Admiral Canaris in der Runde. Doch auch in Boehms Aufzeichnungen findet sich die Notiz, Hitler habe gesagt, die Glaubwürdigkeit einer Kriegserklärung sei gleichgültig, im Sieg liege das Recht. Ein weiterer Zeuge, Generalstabschef Franz Halder, fasst dagegen den strittigen Absatz in seinem Kriegstagebuch mit den Worten »Ziel: Vernichtung Polens – Beseitigung seiner lebendigen Kraft. Es handelt sich nicht um Erreichen einer bestimmten Linie oder einer neuen Grenze, sondern um Vernichtung des Feindes, die auf immer neuen Wegen angestrebt werden muss«[6] zusammen. So hält etwa der Historiker Christoph Bergner die »Lochner-Version« der Hitler-Ansprache für glaubwürdig, der Politologe und Zeitgeschichtler Richard Albrecht sogar für »jene Version«, die »am wahrscheinlichsten zusammenfasst und ausdrückt, was Hitler sagte«[7]. Jedenfalls zitiert sie ihn mit diesen Worten:

»Unsere Stärke ist unsere Schnelligkeit und unsere Brutalität. Dschingis Khan hat Millionen Frauen und Kinder in den Tod gejagt, bewusst und fröhlichen Herzens. Die Geschichte sieht in ihm nur den großen Staatengründer. Was die schwache westeuropäische Zivilisation über mich behauptet, ist gleichgültig. Ich habe den Befehl gegeben und ich lasse jeden füsilieren, der auch nur ein Wort der Kritik äußert, dass das Kriegsziel nicht im Erreichen von bestimmten Linien, sondern in der physischen Vernichtung des Gegners besteht. So habe ich, einstweilen nur im Osten, meine Totenkopfverbände bereitgestellt mit dem Befehl, unbarmherzig und mitleidslos Mann, Weib und Kind polnischer Abstammung und Sprache in den Tod zu schicken. Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?«[8]

Diese Aussage Hitlers, apokryph oder nicht, ist der Schlüssel zum Verständnis dieses Buches. Denn sie verdeutlicht nur zu gut, weshalb der Völkermord von 1915 nie mehr verschwiegen und geleugnet, vor allem aber: nie vergessen werden darf.

Der Genozid an den Armeniern, kurz »Armenozid« genannt, ist die Mutter aller Völkermorde und damit ebenso untrennbar mit der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«, dem Ersten Weltkrieg, verbunden wie der Holocaust, der Völkermord an den Juden, mit dem Zweiten Weltkrieg. Er diente nicht nur dem Vernichtungsschlag der Deutschen gegen die Polen, sondern, viel offensichtlicher, der »Endlösung der Judenfrage« als Vorbild, auch wenn Hitler seine Generäle an jenem Augusttag des Jahres 1939 in diesen Plan noch nicht einweihen wollte. So sprach kein Geringerer als der Friedensnobelpreisträger von 1986, der Auschwitz-Überlebende Elie Wiesel, schon vor 65 Jahren in einer auf Jiddisch verfassten Broschüre vom »Holocaust vor dem Holocaust« und wies damit als Erster auf den Zusammenhang von Armenozid und Schoah hin.

Nach dem Vorbild des Völkermords an den Armeniern wurden auch die anderen Völkermorde des 20. Jahrhunderts begangen, nicht nur die Massaker der Türken an den christlichen Aramäern (Assyrern) mit etwa 300 000 Opfern (1915–1917) oder die Vertreibung der Griechen aus Kleinasien und dem Pontos durch die Türken, als bis zu 500 000 Menschen auf Zwangsmärschen durch das karge Hochland von Anatolien, durch gezielte Massaker und Massenexekutionen ums Leben kamen. Sondern auch etwa der Völkermord der Hutu an den Tutsi in Burundi (1972, 250 000 Opfer) oder dessen »Vergeltung«, der Völkermord der Tutsi an den Hutu in Ruanda (1994, bis zu einer Million Opfer). Ja, die Chronik des Grauens endete auch nicht mit der Jahrtausendwende. Vielleicht kein Völkermord, aber eine systematische Vertreibung von Christen wurde nach der »Befreiung« des Irak durch die Amerikaner gemeldet. Dort sank die Zahl der Christen im Irak in einem Jahrzehnt von etwa 1,5 Millionen auf unter 300 000; so jedenfalls die Zahl zu Anfang des Jahres 2014, bevor die Terrormilizen des Islamischen Staates das Werk zu vollenden drohten. Sind schon bei den zerstrittenen Konfessionen des Islam, bei Sunniten und Schiiten, »Ungläubige« (und als solche definiert der Qur’an alle Nichtmuslime) unerwünscht, so weitete der salafistische ISIS die Verfolgung und den Völkermord auch auf Schiiten, Alewiten, Kurden und Jeziden aus.

Begonnen hat er seine Terrorherrschaft ausgerechnet in Syrien, das als eine der Wiegen des Christentums gilt; schon zum Zeitpunkt der Bekehrung des heiligen Paulus, also drei Jahre nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu, gab es in Damaskus eine blühende Gemeinde, die wahrscheinlich unmittelbar nach dem Pfingstereignis gegründet worden war. Unter dem laizistischen Assad-Regime lebten die ca. 2,2 Millionen Christen, etwa 10 % der Gesamtbevölkerung, in völliger Gleichberechtigung. Christen stellten Mitglieder der Regierung und des Parlamentes. Sie brauchten sich nicht in ihren Kirchen zu verstecken, sondern führten etwa Prozessionen auf offener Straße durch. Das änderte sich freilich, als im März 2011, im Zuge des »Arabischen Frühlings«, der zum Winter für die...

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