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E-Book

100 Tipps für die Validation

AutorBarbara Messer
VerlagSchlütersche
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783842688599
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
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Leseprobe

EINLEITUNG


DIE SONNE WECKEN


»In den alten Kulturen hatte jeder seine eigene Aufgabe, die ihm selbst Sinn und Bedeutung gab. So erhielt der Älteste des Stammes, wenn er zu alt und zu gebrechlich war, um noch andere Arbeiten zu verrichten, die verantwortungsvollste Aufgabe, nämlich jeden Morgen vor Sonnenaufgang die Sonne mit seinem Gesang und seiner Trommel zu veranlassen, auch tatsächlich aufzugehen. Ohne sein Ritual würde die Sonne verborgen bleiben und damit würde die Welt auch nicht weiter bestehen können …«

Diese Geschichte hörte ich 2002 von Dr. Henning Alberts, der sie wiederum von einem ihm bekannten Schamanen hatte, der sie von einem indianischen Freund aus dem Mittleren Westen der USA hörte, dessen Großvater dieses Ritual noch vollzogen hatte. So ist das eben bei der mündlichen Tradition. Ein bisschen stille Post.

Es ist aber eine Geschichte, die so ganz gegensätzlich ist zu dem, was ich vor meiner Begegnung mit der Validation in der Altenpflege erlebte.

Es ist eine Geschichte, die den alten Menschen in einen ganz anderen Rahmen setzt, als wir ihm gemeinhin in unserer Gesellschaft zubilligen. Diese Geschichte erzählt von der Achtung vor dem Alter, von der Bedeutung der Rolle und der Kompetenz alter Menschen.

Validation, für manche fast ein »Unwort«, passt in diesen Rahmen hinein. Für mich definiere ich Validation als Anerkennung dessen, was ist. »Ein Mensch kann vier Wochen lang ohne Nahrung überleben. Aber er verkümmert sofort, wenn er nicht täglich eine Dosis Aufmerksamkeit erhält.«1 Um diese Aufmerksamkeit geht es in der Validation und in diesem Buch. Menschen, vor allem Helferinnen und Pflegende, die mit Validation arbeiten, versuchen nicht, einen alten Menschen, der in seiner Orientierung eingeschränkt ist, zu ändern. Sie lassen ihn einfach so, wie er ist, und finden einen Weg, mit ihm in einen echten Kontakt zu kommen! Das ist ihr Können!

Hinweis

Wenn ich das Wort Validation verwende, dann im Sinne der Validation nach Feil, ergänzt durch mein Verständnis des systemischen Denkens. Deshalb finden Sie auch ab und an den Begriff der »systemischen Validation«.

Validieren ist keine Arbeit, keine Methode im eigentlichen Sinne. Es ist vielmehr eine Grundhaltung, die spürbar beim anderen ankommt; eine Haltung der liebevollen und fokussierten Aufmerksamkeit, geprägt von tiefer Empathie und Toleranz, aber auch von bewusst eingesetzten Interventionen und Formen der Kommunikation.

Dieses Buch ist als ein kleiner Alltagsratgeber gedacht, der Sie in ihrem beruflichen Alltag inspirieren und begleiten soll. Für mich begann die Validation 1994, als ich zum ersten Mal Naomi Feil kennen lernte und tief berührt war von ihrer ganzen Art und ihrer großen Fähigkeit, Echtheit in Begegnungen zu leben.


WAS VALIDATION TUN KANN


Was Validation tun kann, möchte ich Ihnen an einem kurzen Beispiel erklären:

Berlin-Charlottenburg (für die Nichtberliner/innen: ein recht vornehmer Stadtteil von Berlin), Karfreitag: Eine 84-jährige Dame im Pflegeheim ruft uns Pflegekräfte laut und dringend herbei. Sie erzählt uns, dass sie nun ein Baby bekäme und die Geburt nunmehr kurz bevorstünde.

Wir Pflegekräfte sind vorerst verwirrt, entscheiden uns dann, einen Arzt zu rufen. Wir haben Glück, es kommt eine verständnisvolle Ärztin vom ärztlichen Notdienst.

Sie spricht allein mit der alten Dame und berichtet uns anschließend, dass die Bewohnerin seit ein paar Tagen nicht mehr abgeführt habe und sich nun im Bauchraum »voll« anfühle.

Erst nach Ostern ermöglicht mir die alte Frau ein Gespräch. Ich bin in ihrem Zimmer und räume nach der morgendlichen Körperpflege noch ein wenig auf, als sie auf einmal meine Hand fasst und zu erzählen beginnt: »Als ich 17 Jahre alt war, da gab es einen jungen Mann. Meine Eltern wussten nichts davon, auch nicht, dass ich schwanger wurde. Keinem konnte ich es erzählen, das tat man damals nicht. Mit der Schwangerschaft gab es Komplikationen, es war eine Eileiterschwangerschaft. Ich vertraute mich einem Krankenhaus an, danach konnte ich nie wieder schwanger werden.«

Ich sehe sie an, ihre Augen sind voller Tränen, sie atmet hastig und erzählt weiter: »Als mein damaliger Freund davon erfuhr, ließ er mich sitzen. Ich habe ihn schmerzlich vermisst und noch oft an damals gedacht. Auch als ich Jahre später verheiratet war. Meine Eltern haben es nie erfahren.«

Mittlerweile haben wir uns hingesetzt, mir sind die Beine schwer geworden, denn ich bin im sechsten Monat schwanger. Was bleibt uns anderes übrig, als gemeinsam zu weinen. Über ihr verlorenes Kind, die ersehnten und nie geborenen Kinder, die Scham, die womöglich erfahrene oder erinnerte Demütigung bei der Operation, den schmerzhaften Verlust, die vermisste Liebe, die fehlende Geborgenheit der Eltern.

Dieses Miteinander-Sitzen und -Weinen ist bereits Validation, ohne dass ich als Pflegende etwas Besonderes tue. Meine Aufgabe besteht schlicht und einfach darin, mich für den Schmerz und ihr Thema oder auch Anliegen zu öffnen. Ich spreche hier von einem Mitfühlen, ohne mitzuleiden. Dies geschieht nahezu automatisch, wenn ich eine professionelle empathische Grundhaltung einnehme.

In der Auseinsetzung mit dieser besonderen Haltung der systemischen Validation ist es auch von besonderer Bedeutung, nicht mehr zu werten. Eine Wertung, die uns Menschen doch recht zu eigen ist, unterteilt schnell in Aspekte wie gut oder schlecht, »Das tut man nicht!«, etc. Wir urteilen, vielleicht sogar um uns zu distanzieren und nicht zu sehr einlassen zu müssen. Stattdessen sollten wir in unserem Alltag, in der Pflege von Menschen und in unserem eigenen Leben, sensibel und achtsam sein. Ich weiß, der Begriff der Achtsamkeit beginnt derzeit gerade »auszuleiern«, inflationär zu werden. Für mich steht Achtsamkeit für: Wir sind sensibel, haben feine Antennen, wissen, was wir fühlen, was uns beschäftigt, was wir ausstrahlen; kurzum: Wir sind uns unserer selbst bewusst (soweit das überhaupt geht) und sind so auch gut für Andere. In diesem Falle für die alten Menschen, die manchmal verwirrt oder orientierungslos sind. Denn dann fällt uns die Annahme und Akzeptanz der Lebenswelt des Anderen, das Validieren, leicht.

Sind wir selber innerlich blockiert oder einfach mal schlechter Laune, kann es gut sein, dass wir die Bedürfnisse des Gegenübers, des alten Menschen, nicht spüren können oder wollen. Dann führt selbst eine gut ausgeführte klassische Validationstechnik nicht zum erwünschten Erfolg. Es fehlt das Gespür und die rechte innere Haltung. Wir sind dann mit uns selbst beschäftigt.

So ist es auch mit Humor. Zum Teil löst ein Lachen, ein auf den ersten Blick albern anmutendes Winken eines Patienten oder einer Bewohnerin, Verwirrung bei dem einen oder anderen Pflegenden aus. Mit einer entsprechenden inneren Haltung baut es aber eine Brücke zwischen zwei Menschen und genau darum geht es bei der Validation: Brücken bauen von Menschen zu Mensch.


WAS GENAU IST NUN VALIDATION?


Lassen Sie mich einige Aussagen zur Validation exemplarisch vorstellen, um Ihnen verschiedene Aspekte dieser Art zu arbeiten deutlich zu machen:

1. Validation ist eine Methode aus der Sozialen Arbeit

»Die Validation ist eine Methode aus der Sozialen Arbeit, mit alten, an einer Demenz erkrankten Menschen zu kommunizieren.«2 Auf der sehr aussagekräftigen Internetseite der European Validation Association heißt es weiter: »Validation bedeutet: Glauben schenken, anerkennen. Es ist eine Methode, die von Naomi Feil entwickelt worden ist und die Er-Lebensqualität von nicht-orientierten Menschen verbessern möchte.«

Eine weitere Definition, die mir sehr gut gefällt, besagt: »Validation – eine Methode, sich in die Realität Dementierender hineinzudenken und deren momentane Befindlichkeit zu akzeptieren.«3 Wobei ich den Begriff »Dementierender« nicht schätze. Nach wie vor plädiere ich für eine Bezeichnung wie »Der alte Mensch mit Demenz«. Es ist in erster Linie ein Mensch, in zweiter Linie ist er vielleicht nicht mehr orientiert.

2. Validation ist eine Methode der Kommunikation

»Validation ist eine Methode, um mit desorientierten, sehr alten Menschen zu kommunizieren. Diese Technik hilft Streß abzubauen und ermöglicht diesem Personenkreis, Würde und Glück wiederzuerlangen. Validation basiert auf einem empathischen Ansatz und einer ganzheitlichen Erfassung des Individuums. Indem man »in die Schuhe« eines anderen Menschen schlüpft und »mit seinen Augen sieht«, kann man in die Welt der sehr alten, desorientierten Menschen vordringen und die Gründe für ihr manchmal seltsames Verhalten enträtseln.«4

3. Validation erzeugt Verständnis

»Die Validations-Theorie hilft uns zu verstehen, daß viele sehr alte, desorientierte Menschen mit der Diagnose Demenz vom Typus Alzheimer sich im Endstadium ihres Lebens befinden und danach streben, unerledigte Aufgaben aufzuarbeiten, um in Frieden zu sterben. Diese letzten...

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