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1000 Tage im KZ

Ein Erlebnisbericht aus den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen

AutorErwin Gostner
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl218 Seiten
ISBN9783706557726
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Im März 1938 wird der Innsbrucker Erwin Gostner als politischer Gegner des Nazi-Regimes von SA-Angehörigen verhaftet. Bis 1941 ist er in den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen interniert, wird schließlich entlassen und noch im selben Jahr zur Wehrmacht eingezogen. 1947 veröffentlicht Gostner seine Erlebnisse als KZ-Häftling erstmals in Buchform und erregt mit seinem Bericht über die Haft in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten weltweit Aufmerksamkeit. Gostner berichtet in nüchterner Sprache, ohne jede Übertreibung oder Verharmlosung, und bietet dem Leser so einen tiefen, erschütternden Einblick in das SS-System. Von europäischen Zeitschriften und bekannten Persönlichkeiten als eines der besten Zeitdokumente anerkannt hat 1.000 Tage im KZ nichts von seiner Aktualität verloren - und ist bis heute ein wichtiger Beitrag gegen das Vergessen.

Erwin Gostner, geb. 1914 in Innsbruck, gest. 1990 in Axams. Gostner, überzeugter Katholik, lehnt das nationalsozialistische Deutschland entschieden ab. Geht als Mitarbeiter des politischen Referates der Sicherheitsdirektion Tirol gegen illegale Nationalsozialisten vor, wird nach dem Anschluss im März 1938 von der SA umgehend verhaftet. Bis 1941 Internierung in den KZ Dachau, Mauthausen und Gusen. Kriegsdienst ab 1941, wird aber vom Frontdienst befreit. Aufgrund eines schweren Magenleidens, das er sich während seiner KZ-Haft zugezogen hat, mehrere Monate im Lazarett. Nach Kriegsende Dienst in der Sicherheitsdirektion, den er nach einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen quittiert. Danach als Journalist und Detektiv in Innsbruck tätig.

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Leseprobe

1. KAPITEL


Meine Verhaftung


„Achtung, Gostner hat eine Pistole DABEIIIIIII! Bei dem geringsten Zeichen von Widerstand sofort schießen!“

Ich stehe im Schlafanzug hinter der Wohnungstür und höre erschreckt diese geflüsterten Worte. Durch ein kleines Fenster erspähe ich in dem vom Schein einer trüben Lampe erhellten Hausflur mehrere Zivilisten. Sie tragen Hakenkreuzarmbinden und halten schußbereite Pistolen in den Händen. Einer schlägt mit der Faust gegen die Türe: „Aufmachen!“

Es ist der 12. März 1938, wenige Stunden nach den Abschiedsworten des Bundeskanzlers Schuschnigg. Er muß der Gewalt, die ihm der Deutsche Reichskanzler und Führer der Nationalsozialisten entgegensetzt, weichen. Es gibt kein unabhängiges Österreich mehr. Die illegalen Parteigänger Hitlers haben freie Bahn. Sie veranstalten ihre „Nacht der langen Messer“, von der so mancher SA.-Mann seit langem träumte. Und SA.-Männer von dieser Sorte stehen in diesem Augenblick vor meiner Türe. Sie suchen mich.

Gehetzt flüchte ich durch die Wohnung in das Schlafzimmer meines Freundes Zimmermann, der mich seitWochen bei sich in Hall aufgenommen hat. Er ist noch wach und sofort im Bilde. „Ich werde ihnen sagen, daß du schon fort bist“, sagt er und drängt mich hinter einen Eckschrank.

Schwere Schuhe poltern gegen die Türfüllung. Zimmermann geht entschlossen nach vorn und öffnet. Die Verfolger drängen herein. „Wo ist Gostner?“ Zimmermann erklärt mutig, ich hätte die Wohnung schon am frühen Abend verlassen und sei in die Berge gegangen. Man glaubt ihm nicht. Ein SA.-Mann befühlt meine Liegestatt und spürt noch die Körperwärme in den soeben erst verlassenen Kissen und Decken. Nun lachen sie hohnvoll und beginnen eine gründliche Durchsuchung. Es hilft nichts, ich muß mich stellen. Ich verlasse mein Versteck und bin sofort umringt. Acht drohende Pistolenmündungen sind auf mich gerichtet. Ich blicke in mir zum Teil bekannte, wuterhitzte Gesichter. Es sind die SA.-Männer Gerstgrasser, Pichler, B., J., St. und die Brüder M.*. Einer bleibt mir unbekannt. Sie tasten mich nach Waffen ab und fragen nach meiner Pistole. Aber die habe ich rechtzeitig ins Ofenrohr gesteckt. Das rettet mir jetzt mein Leben, denn die SA. glaubt, gesetzfreies Handeln zu haben. Die Illegalen wollen sich einmal gründlich austoben und an den vaterländisch Gesinnten Rache üben. Das ist ihre Revolution. Mein Leben hängt in diesen Minuten nur an einem Faden. Ich werde beschimpft und geschlagen. Einer stößt mich die Treppe hinunter. Ich zerschlage mir dabei Hände und Knie. Unten empfangen mich zwei weitere SA.-Männer, die hier Wache stehen. Sie bringen mich ins Polizeigefängnis. Vorbei an traurig brennenden Straßenlaternen geht der Weg. Sie gleichen erlöschenden Sternen. Dann fällt eine Türe hinter mir zu. Ich bin ein Gefangener.

In dieser Nacht wurden in Hall noch Graf Stolberg zu Stolberg, Magistratsdirektor Ernst von Verdroß, Polizeiinspektor Corazza. Stadtarzt Dr. Schumacher und andere verhaftet. Ich hatte eine solche Aktion der SA. nach Lage der Dinge befürchtet, aber eine schwere Kiefervereiterung lähmte meine Entschlußkraft. Auch jetzt noch fühle ich das Fieber in meinen Pulsen rasen und eine starke Benommenheit. Trotzdem habe ich einen Schock bekommen, als ich vor dem Gefängnis den Gendarmeriekommandanten von Hall mit der Hakenkreuzarmbinde sah. Er hatte die Meldung von meiner Verhaftung erhalten, mich jedoch keines Blickes gewürdigt. Dieser Mensch kennt als einziger meine Tätigkeit als Erhebungsbeamter der Sicherheitsdirektion. Nun können keine Ausreden mehr helfen. — Im Laufe der nächsten Stunden habe ich Gelegenheit, meine Situation gründlich zu überdenken. Wie bin ich in diese Lage geraten, und was habe ich zu erwarten?

So gut es bei meinem angegriffenen Zustand gehen will, forme ich mir ein Bild von den Ereignissen der letzten Zeit. Seit den Berchtesgadener Besprechungen zwischen Hitler und Schuschnigg befand sich Österreich in einem politisch stark zerrissenen Zustand. Seitdem Hitlers Wille, den Anschluß mit Gewalt in kurzer Frist durchzuführen, offen zu Tage getreten war, wurden die illegalen Nationalsozialisten immer dreister. Eine Flut von Agenten und Propagandamaterial ergoß sich über die Grenzen. Auch Waffen wurden eingeschmuggelt. Es hagelte Angriffe gegen die Staatsgewalt, in deren Dienst ich stand und für die ich als vaterländisch gesinnter Österreicher und Antinationalsozialist meine Pflicht tat. Ich war der Überzeugung, daß dieser Anschluß Österreichs nur Unheil über mein Vaterland bringen konnte und stand deshalb als Beamter des politischen Referates der Sicherheitsdirektion an maßgeblicher Stelle im Abwehrkampf gegen den illegalen Nationalsozialismus. Ich hatte Sprengstoffanschläge auf Brücken verhindert und aufklären helfen. Das Land litt schwer unter der Wühlarbeit der Illegalen, deren wahnwitzige Taten jeden guten Österreicher empörten. So die verbrecherischen Anschläge auf die Trisannabrücke bei Landeck in Tirol und den kurz darauf passierenden D-Zug und auf die Geleise bei Rattenberg, der Mord an Polizeihauptmann Hickl, der am 25. Juli 1934 in Innsbruck von einem Nationalsozialisten erschossen wurde, oder die Fememorde der Legionäre an einem Professor in Kufstein und einer Wienerin. Bei Kufstein hatte auch ein SA.-Mann, der mit Propagandaschriften über den Inn geschwommen war, zwei diensttuende Heimwehrpolizisten erschossen. An seiner Verfolgung hatte ich mich beteiligt. War ich deswegen verhaftet worden? — Dann hatte ich bestimmt nichts Gutes zu erwarten! Ich wußte, mitwelcher Brutalität man gegen politische Gegner vorging. Vor kurzem erst war ein ehemaliger Legionär, der, nachdem er sich eines Besseren besonnen hatte, aus dem Reich zurück nach Österreich geflüchtet war, von den Illegalen in seiner Innsbrucker Wohnung überfallen worden. Man hatte ihn chloroformiert und in einem Auto in Richtung Reutte verschleppt. Unterwegs muß er seinen Entführern unter den Händen verstorben sein. Er hatte wohl zuviel abbekommen! — Man fand ihn später am Wege auf. Er war aus dem fahrenden Wagen geworfen worden. Die Täter entkamen über die Grenze.

Ich selbst war bis zu meiner Verhaftung dreimal einem Überfall ausgesetzt. Zuletzt hatte mich ein SA.-Mann beim Skifahren abgepaßt und angeschossen. Der SA.-Mann Gerstgrasser, der auch jetzt bei meiner Verhaftung dabei gewesen war und, mit meiner Verfolgung beauftragt, zu diesem Zwecke mit einer Pistole ausgerüstet wurde, hatte mich in der Wohnung meines Freundes Zimmermann, dessen Familie ihm bekannt war, ausfindig gemacht. Er und ein Kaminkehrer, ebenfalls ein Illegaler, der mich bei Zimmermann sah, hatten meine Verhaftung veranlaßt. Ach, hätte ich doch nur meinen gestern gefaßten Fluchtplan verwirklicht! Aber angesichts einer Kiefervereiterung und der rasenden Schmerzen, die ich erlitt, verschob ich die rettende Flucht auf den nächsten Tag. Das war mein Verhängnis. — So kam ich in die Gewalt der Nationalsozialisten!

Mit gemischten Gefühlen höre ich die Heilrufe in meine Zelle dringen, mit denen die irregeleitete Bevölkerung das neue Regime begrüßt. Ich hoffe auf das Eingreifen einer ausländischen Macht. Denn das ist mir klar: nur Gewalt kann dieses gewalttätige Vorgehen gegen Österreich abstoppen. Doch diese Hoffnung sollte trügen. Jene Großmächte, die hätten eingreifen können, warteten einen geeigneteren Zeitpunkt ab. Das österreichische Volk aber stand machtlos diesem Ansturm der Nationalsozialisten gegenüber. Es fanden sich viele Mitläufer, deren Patriotismus für eine Sache mißbraucht wurde, welche die Allgemeinheit bald in namenloses Unglück stürzen sollte. Aber ich erfahre auch, daß es aufrechte Männer gibt, die in diesem Taumel politischer Leidenschaften ihren gesunden Menschenverstand behalten.

Schon seit einiger Zeit beobachte ich, daß sich jemand an meinem ebenerdig gelegenen Gitterfenster zu schaffen macht. Es liegt an der Straßenfront, und ich hoffe auf Hilfe. Da fällt ein Päckchen Zigaretten herein. Ich hebe es schnell auf und finde darin neben den kostbaren Zigaretten einen Zettel, auf dem mir Zimmermann mitteilt, daß er mir gegen Abend, im Schutze der Dunkelheit, zwei Stahlblätter zuschmuggeln will. Ich soll damit die Gitter an meinem Fenster zersägen. Zimmermann selbst ist mit Drohungen der SA. davongekommen. Ich kneife mich in den Arm vor Freude, doch ich habe Pech. Gegen 18 Uhr holen mich zwei SA.-Männer und ein Gendarmeriebeamter ab. Sie bringen mich in das Bezirksgefängnis. Nun wird Zimmermann vergeblich auf mein Zeichen warten.

Auf dem Weg in dieses Gefängnis werde ich von aufgehetzten Passanten beschimpft und angespuckt. Am nächsten Tag steht in der Lokalzeitung eine kurze Notiz:...

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