Sie sind hier
E-Book

1815 - Musik zum Siegen und Tanzen

Österreichische Musikzeitschrift 01/2015

VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783990122044
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
'Der Weltkreis ruht, von Ungeheuern trächtig', schrieb Goethe nach dem Sturz Napoléons, als der Wiener Kongress Europa aus dem Geist der Ancienne Époque neu ordnete. Während am Horizont Ruhe einkehrte, wurde in der Verhandlungsstadt die Musik laut - zumal dort, wo 'sie am sinnlichsten mit dem Leben vermählt ist, im Tanze' (R. Schumann). Mit dem Walzer brach eine neue Dimension von Unterhaltungskunst an. Gestützt auf neueren Forschungsstand schreitet die ÖMZ die elysischen und martialischen Felder der Wiener Musik ab - von den repräsentativen Kalibern Beethovens, den heroischen Nachträgen Webers und Schuberts zum antinapoleonischen Krieg bis zum 'Dämon des Wiener musikalischen Volksgeistes' (R. Wagner über J. Strauß Vater) und dem, was an bramarbasierendem Ton sich bis 1914 fortpflanzte.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

THEMA


»… unsrem guten Kaiser Franz …«
Feste und Feiern rund um den Wiener Kongress als patriotische Bühne


Elisabeth Hilscher


Groß war die Freude, als nach Jahren des Krieges und der Niederlagen die Nachricht vom Sieg bei Leipzig Mitte Oktober 1813 in Wien eintraf. Diesmal schien der Sieg der Alliierten endgültig zu sein: Am 23. April 1814 wurde in Paris ein Waffenstillstand beschlossen, am 30. Mai 1814 der 1. Pariser Frieden unterzeichnet. Die Jubelstimmung kam alsbald auch in der Musik zu Ausdruck.

Fast fünfzehn Jahre lang hatte Napoléon die Landkarte Europas gleichsam »umgegraben« und Europa mit Kriegen überzogen. Gleich zweimal hatte Wien, seit der Zeit von Matthias Corvinus unbezwungen und stolz, die osmanischen Heere zweimal zurückgewiesen zu haben, die Schmach der Eroberung durch die Truppen Napoléons erleiden müssen. Die erste war am 13. November 1805 kampflos erfolgt, doch die zweite erst nach intensivem Beschuss durch die französische Artillerie im Mai 1809 – das Leben des alten Joseph Haydn, der am 31. Mai 1809 in seinem Haus in Gumpendorf starb, war also nicht »mit Trompeten und Pauken«, sondern »mit Bomben und Granaten« in tempore belli zu Ende gegangen.

Unter diesen Aspekten wird die Euphorie, mit der die Nachricht über den – wie alle hofften – nun endgültigen Sieg über Napoléon und die Aussicht auf eine Wiederherstellung der alten Ordnung aufgenommen wurde, verständlich. Und Kaiser Franz, obwohl er als Feldherr nicht in Erscheinung getreten war, wurde enthusiastisch als »unser Vater Franz« und »unser guter Kaiser Franz« zur Identifikationsfigur für die Bevölkerung des neuen, 1804 aus der Not wie den »Überresten« des Heiligen Römischen Reiches geborenen Kaisertums Österreich.

Prolog


Am 16. Juni 1814 zog Kaiser Franz von der Favoritenstraße kommend über das Kärntnertor feierlich in Wien ein. Die Triumphpforte, die die Stadt vor dem Kärntnertor errichten ließ, bildet einen Bogen zwischen antiken Vorbildern und barocker Inszenierung:

»Der Zug geht unter fortdauerndem Kanonendonner, und dem Geläute sämmtlicher Glocken der Stadt und in den Vorstädten, aus dem Theresianischen Akademie-Gebäude über die Wiedner-Hauptstrasse an das alte Kärntnerthor, an welchem Sr. Majestät der Kaiser und König, von dem Hrn. Bürgermeister und von dem gesammten Magistrate, in der zu diesem Empfange errichteten Triumphpforte, erfurchtsvoll bewillkommt werden.« Der Zug führt durch die halbe heutige Innenstadt und endet vorläufig in St. Stephan, »wo das Tedeum abgesungen wird«.

Am 19. Oktober 1813 wurde Napoléon in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Illustration aus »Sachsens neun denkwürdige Jahre von 1806 bis 1815 während Näpoleons Feldzügen in Deutschland und Russland« von Franz Lubojatzky (1853).

Danach wird der Zug nochmals durch die andere Hälfte der Stadt bis zur Hofburg geführt, wo ein feierlicher Empfang stattfindet. Eine festliche Illumination der Stadt und der Vorstädte beendet diesen großen Tag1, der als Auftakt der großen öffentlichen Inszenierungen des Wiener Kongresses gesehen werden kann.

Einen akustischen Eindruck von diesem Fest bieten zwei Kompositionen für Pianoforte:

WIENS EMPFINDUNGEN/bey der Rückkehr Seiner Majestät/Franz des Ersten/Kaiser von Oesterreich u.u./im Jahre 1814.//EINE CHARAKTERISTISCHE SONATE/für das Piano Forte/von/ IGNAZ MOSCHELES/27tes Werk/Wien bey Artaria & Comp.2

und

Das/neubeglückte Oesterreich oder Triumph des Wiedersehens/bey/Franz I./Rückkehr zu seinen Landeskindern./Ein grosses Tongemälde für das Piano-Forte/dem/Hochwohlgebornen Herrn/Stephan Edler von Wohlleben/Ritter des Königl. ungar. St. Stephan-Ordens,/k.k. nied. oest. wirklicher Regierungsrath, Beysitzer der Hofcomission in Wohl-/thätigkeits-Angelegenheiten, und Bürgermeister der Haupt- u. Residenzstadt Wien &.&./in tiefster Ergebenheit gewidmet/von/Tobias Haslinger./18tes Werk./Wien, auf Kosten des Herausgebers.3

Diese »charakteristischen Tongemälde/Sonaten für das Piano-Forte«, von denen im Laufe des Kongresses noch mehrere von hier ansässigen Komponisten produziert wurden, können als »Klangtapeten« bzw. Vorform einer »Tonkonserve« gesehen werden, in denen der Komponist versuchte, einen akustischen Eindruck des jeweiligen Festes wiederzugeben. Dementsprechend bestehen diese Stücke aus Aneinanderreihungen von unmittelbar aufeinander folgenden (kurzen) Genrestücken, deren musikalische Imaginationskraft durch Überschriften über den einzelnen Abschnitten zusätzlich gelenkt wurde wie beispielsweise im Stück Haslingers: »Das Frohlocken der Bewohner Wiens bey der Nachricht von FRANZ des Allgeliebten Rückkehr«, »Eilen und Drängen der Menge, den Vater des Vaterlandes4 zu sehen«, »Ankunft des Monarchen«, »Feyerlicher Empfang desselben«, »Glockengeläut und Kanonendonner«, »Vivatrufe des wonnetrunkenen Volkes«, »FRANZ[,] der gute Vater seines Volkes[,] begrüsst die jubelnde Menge«, »Ein zweytes Hoch lebe FRANZ«, »Eintritt des Monarchen in die Kaiserburg«, »Jubelempfang im Kreise seiner hochherzigen Gattin, der Kaiserin Maria Ludovika und seiner erhabenen Familie«, »Dank an die Allmacht für FRANZENS Wiederkehr«. Mit einer kurzen, nur wenige Takte umfassenden Paraphrase auf die »Volkshymne« endet das Stück.

Der Einzug des Kaisers in Wien diente als Auftakt der öffentlichen Inszenierungen um den Wiener Kongress. Peter Krafft: Einzug Kaiser Franz II (I.) in Wien 1814. Bild: Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft. Sammlung: Bundesmobilienverwaltung. Objektstandort: Hofburg Wien, Kaiserappartements. Foto: Fritz Simak

Ob man dieses Erinnern nun in der Kammer für sich selbst erleben wollte oder mit rezitierten Überschriften und in Verbindung mit den allerorts verkaufen Stichen »multimedial« im Salon inszenierte, blieb jedem selbst überlassen. Eines sticht jedenfalls ins Auge: Diese Kompositionen, wie auch die zahlreichen Klavierbearbeitungen der anderen »Kongress-Musiken« (z.B. zur Hofschlittenfahrt, zum großen Carroussel, die bei den Hofbällen gespielten Tänze) sind – den spieltechnischen Ansprüchen nach – offensichtlich für ein Laienpublikum gesetzt worden, das heißt, diese Literatur wurde ganz gezielt für den Bedarf eines bürgerlichen Musikmarktes produziert.

Der Kongress beginnt


Den ganzen Sommer 1814 hatten Hof und Stadt sich auf das Großereignis des Kongresses vorbereitet und die immer noch von den Schäden der Belagerung von 1809 gezeichnete Stadt auf Hochglanz gebracht, die Theater mit luxuriös dekorierten Hoflogen ausgestattet. In der Hofburg, in der Souveräne und ihre Suiten untergebracht werden mussten, wurde es nun noch enger als ohnehin bereits; Hofbedienstete wurden kurzerhand ausquartiert, und selbst die Kaiserin musste der Gäste wegen Räume abgeben, die über den Sommer hastig neu tapeziert und mit Möbeln aus diversen habsburgischen Schlössern eingerichtet wurden.

Gemeinsam mit Ferdinand Graf Palffy entwarf er das Festprogramm zur Eröffnung des Kongresses: Antonio Salieri auf einem Gemälde von Joseph Willibrod Mähler (vor 1825).

Ferdinand Graf Palffy (1774–1840), der Intendant der Hoftheater, und Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750–1825) wurden beauftragt, ein entsprechendes Festprogramm zu entwerfen, das die Dynastie und das Kaisertum (wobei offen blieb welches – das österreichische oder das heilige römische) ins rechte Licht rücken sollte. Als Devise für die geplanten »Hoffeyerlichkeiten« gab Kaiser Franz im September 1814 aus: »Als Grundsatz finde ich aufzustellen, daß alle Hoffeste sowie auch die Beköstigung und Bedienung der fremden Herrschaften und Ihres Gefolges der Würde, und dem Ansehen Meines Hofes zu entsprechen habe, und daß überall Geschmack, Eleganz und Überfluß mit pünktlicher Ordnung, genauer Kontrolle und sorgfältiger Vermeidung aller Verschwendung und Vergeudung vereinigt seyn müsse.«5 Bereits im Sommer hatte man eine Sonderdotation für »Hoffeyerlichkeitsgelder« eingerichtet (erstmals Ende Juli 1814 in den Akten erwähnt), mittels derer man versuchte, die erwarteten hohen Ausgaben wenigstens halbwegs unter Kontrolle halten zu können.

Mitte Juli war das offizielle Festprogramm6 im Wesentlichen fixiert: Den Anfang machte ein großes Feuerwerk im Prater am 29. September, das der Pyrotechniker Johann Georg Stuwer auf Wunsch des Hofes eigens auf diesen Termin verschoben hatte, dem am nächsten Tag ein Cercle im Zeremoniensaal der Hofburg folgte. Die hohen Gäste, ihre Berater und Kanzlisten waren zu diesem Zeitpunkt schon alle in Wien.

Delegierte des Wiener Kongresses auf einem zeitgenössischen Kupferstich von Jean Godefroy nach dem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.

Da eine erste Verhandlungsrunde (und der eigentliche Beginn des Kongresses) erst für 1. November 1814 geplant war, wurde der Oktober einerseits zur öffentlichen Demonstration von Einigkeit und Bündnistreue bei groß inszenierten gemeinsamen Auftritten der Alliierten (beispielsweise bei Kirchenparaden am 2. und 9. Oktober oder dem großen Praterfest am 18. Oktober 1814), andererseits zu informellen Treffen und Vorverhandlungen genützt, für die man, ganz im Stil des Ancien Régime, den intimen Rahmen von Hausbällen und Diners bevorzugte. Weitere Höhepunkte im Oktober waren ein Fest des Hoftraiteurs Jahn im Augarten (6. Oktober), eine festliche Fahrt der Gäste nach Schönbrunn mit einer Opernaufführung (François Adrien Boieldieus Johann von Paris) im...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Musik - Instrumente - Jazz - Musikwissenschaft

Jahrbuch Musikpsychologie Band 17

E-Book Jahrbuch Musikpsychologie Band 17
Musikalische Begabung und Expertise Format: PDF

Der Schwerpunkt von Band 16 ist dem Thema "Wirkungen und kognitive Verarbeitung in der Musik" gewidmet. Themen sind u.a.: Understanding the expressive performance movements of a solo pianist,…

Jahrbuch Musikpsychologie Band 17

E-Book Jahrbuch Musikpsychologie Band 17
Musikalische Begabung und Expertise Format: PDF

Der Schwerpunkt von Band 16 ist dem Thema "Wirkungen und kognitive Verarbeitung in der Musik" gewidmet. Themen sind u.a.: Understanding the expressive performance movements of a solo pianist,…

Jahrbuch Musikpsychologie Band 17

E-Book Jahrbuch Musikpsychologie Band 17
Musikalische Begabung und Expertise Format: PDF

Der Schwerpunkt von Band 16 ist dem Thema "Wirkungen und kognitive Verarbeitung in der Musik" gewidmet. Themen sind u.a.: Understanding the expressive performance movements of a solo pianist,…

Plastizität und Bewegung

E-Book Plastizität und Bewegung
Körperlichkeit in der Musik und im Musikdenken des frühen 20. Jahrhunderts Format: PDF

Musik vermag es, Körperlichkeit in neuer Weise für die Kulturwissenschaften fruchtbar zu machen. Zu oft missverstanden als klingendes Beiwerk bewegter Körper in Tanz oder szenischer…

Plastizität und Bewegung

E-Book Plastizität und Bewegung
Körperlichkeit in der Musik und im Musikdenken des frühen 20. Jahrhunderts Format: PDF

Musik vermag es, Körperlichkeit in neuer Weise für die Kulturwissenschaften fruchtbar zu machen. Zu oft missverstanden als klingendes Beiwerk bewegter Körper in Tanz oder szenischer…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

Card-Forum

Card-Forum

Card-Forum ist das marktführende Magazin im Themenbereich der kartengestützten Systeme für Zahlung und Identifikation, Telekommunikation und Kundenbindung sowie der damit verwandten und ...

caritas

caritas

mitteilungen für die Erzdiözese FreiburgUm Kindern aus armen Familien gute Perspektiven für eine eigenständige Lebensführung zu ermöglichen, muss die Kinderarmut in Deutschland nachhaltig ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

elektrobörse handel

elektrobörse handel

elektrobörse handel gibt einen facettenreichen Überblick über den Elektrogerätemarkt: Produktneuheiten und -trends, Branchennachrichten, Interviews, Messeberichte uvm.. In den monatlichen ...