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500 Jahre Reformation - wie könnte es weitergehen?

Vorschläge zur Erweiterung der Freiheit eines Christenmenschen

AutorDankwart Kirchner
VerlagPubliQation
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783745869910
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Nach Martin Luthers Zeit haben Ideen des Humanismus und der Aufklärung evangelische Theologie und Kirche veranlasst, ihre Glaubensgrundlagen zu prüfen und weiterzuentwickeln. Dabei blieben die Differenzen von Welt und Gott, Diesseits und Jenseits, Fleisch und Geist bestehen. Die vorliegenden Ausführungen wollen diese Differenzen überwinden. Denn zu ihnen gehört auch, dass das Fleisch, der natürliche Mensch, in den Bereich der Sünde geboren wird. Außerhalb der Theologie wird die Emotionalität des Menschen entwicklungspsychologisch ohne sündhafte Diskriminierung betrachtet. Es wird dargelegt, dass eine sündhaft eingeschränkte Emotionalität zu Wahrnehmungseinschränkungen führt. Da schon bei Luther eine Introspektion des natürlichen Menschen ohne Sünde zu finden ist, wird unter Bezug auf spätere Theologen diese introspektive Innerlichkeit fortgeführt. Ziel dieses Weges ist eine Auseinandersetzung mit den bisherigen göttlichen Normen und Leitungen. Durch diese Auseinandersetzungen gewinnt der Mensch Kräfte und Fähigkeiten über die hinaus, die ihm durch das reformatorische Denken und Glauben zugewachsen waren.

Dankwart Kirchner, Jahrgang 1941; 1959-1963 Studium der Musik in Leipzig; 1965-1970 Studium der Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, Promotion 1977. Seit 1975 Musik- und Gruppenpsychotherapeut an Berliner Kliniken; nach 1990 u.a. Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Gesprächstherapeut. Durch die Arbeit in Gruppen, das Erleben der ihnen innewohnenden Dynamik, wurde der Blick erweitert, um vergleichbare Vorgänge in biblischen Texten verfolgen zu können.

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Leseprobe

500 Jahre Reformation – wie könnte es weitergehen?


Glaubst du, dann hast du, glaubst du nicht, dann hast du nicht.


Martin Luther1

1. Einleitung

Im Jahre 2016 gab Martin Hein, Bischof von Kurhessen-Waldeck, auf die von ihm rhetorisch gestellte Frage, was wir in 2017 als evangelische Christen eigentlich feiern, die Antwort: Die Befreiung des Wortes Gottes, nicht die Geburt der evangelischen Kirche.2

Im Jahre 2018 kann man rückblickend fragen, ob und wenn ja, wie die Befreiung des Wortes Gottes gefeiert wurde. Ich gebe zu, keinen Überblick über die zahlreichen Veranstaltungen zu haben. Gewonnen habe ich den Eindruck, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vorwiegend sich selbst gefeiert hat. Einen Impuls abseits der Veranstaltungen, aber in einer Kirchenzeitung auf dem Titelblatt, konnte man in der Ausgabe zum Reformationsjubiläum lesen: Schluss mit Sünde.3 Schon die Überschrift des Beitrags und ihre begründenden Ausführungen forderten zur Entgegnung, ja zum entschiedenen Widerspruch heraus.4 Generell möchte ich aber allem, was auf diesen Seiten folgt, die Frage voranstellen und sie auch beantworten: Was ist Sinn und Ziel der Befreiung des Wortes Gottes: Gott oder der Mensch?

Gut, man könnte antworten: Das eine schließt das andere nicht aus, sondern ein. Das trifft zu. Fragt man aber: Wer hatte damals und wer hätte heute mehr davon, dass das Wort Gottes im Sinne der Reformation befreit wurde: der Mensch oder Gott, so ist meine Antwort: der Mensch. Das geht schon aus den Ablassthesen Luthers hervor, das wird erst recht deutlich in seiner Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen.5 So wäre auch heute zu fragen: Ist der Mensch schon frei genug?

Man könnte ja die Tatsache, dass zu viele sich von der Evangelischen Kirche abwenden, als Hinweis dafür nehmen, dass außerhalb der Kirche mehr Freiheit den Menschen erwartet.6 Wenn das Wort Gottes befreit wurde, erlaubt es uns ja, so mit Blick auf die Heilige Schrift die Frage nach der Freiheit des Menschen bzw. nach den möglichen Einschränkungen und Behinderungen seiner Freiheit zu stellen. Aus der Sicht des oben zitierten M. Hein braucht es „Fantasie“ und „Mut zur Theologie“, um eine öffentliche Debatte zur Frage nach der Befreiung des Wortes Gottes zu beginnen.7

‚Befreiung des Wortes Gottes‘ bedeutet zunächst, dass das Wort Gottes, wie es die Heilige Schrift überliefert hat, von der Tradition befreit wird, mit der es gefangen gehalten und ausgelegt wurde. ‚Befreiung des Wortes Gottes‘ bedeutet nun in der Folge Befreiung durch das Wort Gottes. Dann wäre jetzt zu fragen, durch welche Traditionen wurde der Mensch nicht nur seit der Reformation gefangen genommen, sondern auch in der Zeit davor, deren Fesseln noch nicht in den Blick gekommen sind. Zu dieser Zeit vor der Reformation gibt Otto Hermann Pesch folgende bemerkenswerte Antwort: Luthers Fragen nach dem pro me, dem pro nobis, für mich, für uns, d.h. Gottes Heilshandeln für mich, für uns, seien der scholastischen Theologie keine Fragen gewesen. Nicht weil sie solche Fragen unterdrückt hätte, sondern weil sie gar nicht im Blick gewesen seien. Gefangenschaft des Wortes Gottes würde bedeuten, dass es zuvor frei war und danach gefangen wurde. Das trifft nach O. H. Pesch nicht zu. Insofern konnte man gar nicht anders, als Luthers Ansatz zurückzuweisen.8 Diese Auffassung halte ich nicht nur für bedeutsam, sondern auch für weiterführend.

Das christliche Mittelalter hat, wenn es Theologie trieb und seine theologischen „Summen“, geistigen Kathedralen vergleichbar, „baute“, nicht an sich selbst, nicht an den Menschen gedacht, der glauben sollte und wollte. Mittelalterliche Theologie ist selbstvergessen. Nur Gott, sein Werk, seine Taten, seine Herrlichkeit stehen im Blick des gläubigen Denkers, nicht er selbst. Der Glaube und mit ihm die Theologie sind Licht und Weisheit, nicht Wagnis, Anstrengung und gar ewig neue Frage. Diese Selbstvergessenheit muß in dem Augenblick verfliegen, wo der christliche Glaube seine mittelalterliche Selbstverständlichkeit einbüßt, nicht länger die Luft ist, die man atmet. Dann nämlich muß der Mensch nach sich selbst, nach seinem Sinn und Geschick fragen, wenn er nach Gott fragt. Die Frage „Wer ist Gott?“ und die andere Frage „Wer bin ich – im Angesicht dieses Gottes?“ wachsen zusammen, werden ein und dieselbe Frage. Mögen andere vor ihm die neue Frage schon empfunden und gar ausgesprochen haben; Luther ist jedenfalls der erste, der diese Frage zur Grundsatzfrage wissenschaftlicher Theologie, ja zum methodischen Grundsatz theologischer Rede macht, an ihr die überlieferten Aussagen des christlichen Glaubens neu durchprüft und ihnen folgerichtig ein neues Sprach- und Begriffskleid, eine neue Zuordnung, ein neues „Gefälle“ gibt. Das ist die „Wende zum Ich“, die Luther in der Theologie vollzieht, zuerst nur halbbewußt, dann mit voller Entschiedenheit. „Pro me“, „pro nobis“ – „für mich“, „für uns“, das in aller Deutlichkeit mitdenken und mitsagen, wenn von Gott, von Christus und dem Werk des Heiles die Rede ist, das heißt erst wirklich glauben.9

Wie weiter unten anhand der Auseinandersetzung zwischen Luther und Erasmus über den menschlichen Willen gezeigt werden wird, vertritt Luther einerseits eine Theologie, die das mittelalterliche theologische Denken überwindet. Andererseits bleibt er befangen in einer überkommenen Ansicht, dass der Mensch keinen freien Willen habe. Wenn man bezüglich des menschlichen Willens Luther nicht folgen kann, könnte dann auch das Verständnis einer Rechtfertigung des Sünders aus Glauben allein in ein anderes Licht, in ein anderes Verständnis gerückt werden? Wäre in diesem Licht die Befreiung des Wortes Gottes noch nicht abgeschlossen?

Nach Ulrich H.J. Körtner ist die Mitte der reformatorischen Theologie die reformatorische Rechtfertigungslehre, wobei in der bedingungslosen Vorgabe des Heils (…) das spezifische Reformatorische jeder reformatorischen Rechtfertigungslehre besteht.10 Dem ist im Prinzip zuzustimmen. Der Mensch kann nichts leisten, um von Gott gerechtfertigt zu werden. Die Rechtfertigung ist Gottes Tat. Doch stellt das Wort ‚bedingungslos‘ und der damit gemeinte Sachverhalt ein Problem dar, auf das noch eingegangen wird. So viel sei aber schon angemerkt: Wenn ich als erstes glauben soll, dass ich ein Sünder bin, der von Gott gerechtfertigt werden muss, so stellt das eine Bedingung dar.

U. Körtner nennt weiter als Maßstab für eine Theologie im Geiste der Reformatoren folgendes Kriterium:

Kriterium reformatorischer Theologie ist demnach, inwieweit das gegenwärtige Glaubensbewusstsein durch die auf die Zeit angewandte Schrift bestimmt wird und nicht etwa umgekehrt die Schriftauslegung durch den allgemeinen religiösen Zeitgeist.11

Auch dem ist im Prinzip und im Geiste der Reformatoren zuzustimmen. Das biblische Heilsverständnis legt den jeweiligen Zeitgeist aus. Wenn nun aber, wie gezeigt werden wird, sowohl außerbiblisches Material, das die Reformatoren noch nicht kannten, als auch exegetische Einsichten die reformatorische Rechtfertigungslehre auf den Prüfstand stellen lassen, weil möglicherweise Fesseln im Rahmen der Freiheit eines Christenmenschen sichtbar und spürbar werden, dann wird man einigen Mut im Sinne M. Heins zusammennehmen müssen, um eine andere Auffassung zu vertreten, die sich zwar reformatorischem Denken verpflichtet fühlt, jedoch eine andere Ansicht zur Freiheit eines Christenmenschen entfaltet.

500 Jahre nach dem Ereignis der Thesenverbreitung Luthers zum Ablass werden Überlegungen vorgelegt, wie reformatorisches Denken und Glauben in unseren Tagen formuliert werden können. Da es dabei nicht darum gehen kann, bekannte Glaubensformeln mit anderen Worten zu wiederholen, soll zunächst geprüft werden, ob die besonders gut bekannten vier reformatorischen Soli noch so aktuell wie vor 500 Jahren sind.

Margot Käßmann, Botschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017, äußert sich in einem Interview nach Abschluss der Feierlichkeiten, dass die Reformation weitergehen muss. Sie lässt aber offen, an welchen Stellen grundsätzliche und weiterführende theologische Kritik angebracht wäre.12

Frage: Was würden Sie gern reformieren an der Evangelischen Kirche? Oder: Was bedarf Ihrer Meinung nach einer neuen Reformation an der Evangelischen Kirche?

M. Käßmann: Mir liegt vor allem daran, dass unsere Gottesdienste Anziehungskraft haben. Dass Menschen Sehnsucht danach haben, sie miterleben zu können, weil sie dort Kraft für den Alltag finden. Dass sie hinaus gehen und sagen: Das tat so gut, da muss ich bald wieder dabei sein, jedenfalls nicht erst wieder am Heiligen Abend.

Diese Antwort M. Käßmanns halte ich für nicht...

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