Erste Stärke:
Wahrnehmen, was ist
Krisen erkennen
Eine Krise zu erleben geht meist mit tiefer Unzufriedenheit, emotionaler Unausgeglichenheit, tiefgehender Verunsicherung und heftigen Gefühlsausbrüchen einher. Doch Krise ist nicht gleich Krise. Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Krisen: kleine, große, harmlose, bedrohliche … Manche haben mit Veränderungen in den Existenz- und Lebensbedingungen zu tun oder mit den Übergängen zwischen verschiedenen Lebensphasen, manche mit der persönlichen Entwicklung, mit dem Erwerbsleben, der Karriere, den Beziehungen zum Partner, zur Familie und dem Freundeskreis, wieder andere brechen völlig unvorhergesehen über uns herein.
Grob lassen sich zwei unterschiedliche Formen von Krisen unterscheiden: Entwicklungs- und Veränderungskrisen, die sich durch Vorboten oder Warnzeichen ankündigen und plötzlich auftretende Krisen, denen ein Schockerlebnis vorausgeht.
Entwicklungskrisen
Entwicklungskrisen kann man als »normale« Krisen betrachten. Sie können entwicklungsbedingte Übergänge begleiten, beziehen sich also auf Situationen, die in der Regel zum Leben gehören. Manchmal werden diese Übergänge auch als positiv erlebt; genauso gut ist es aber möglich, dass sie unser Potenzial zur Problembewältigung überfordern.
Beispiele: Pubertät, Verlassen des Elternhauses, erster Job, Schwangerschaft, Geburt von Kindern, Wechseljahre, Älterwerden, Auszug der Kinder, das Ausscheiden aus dem Berufsleben, Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit usw.
Veränderungskrisen
Dies sind Krisen, die sich durch bestimmte Indizien oder Warnzeichen ankündigen. Sie können sich auf Veränderungen in uns selbst beziehen aber auch auf unsere Lebensumstände oder unsere Beziehungen zu anderen Menschen.
Beispiele: Krankheiten, berufliche Veränderungen, Verlust des Arbeitsplatzes, soziale Ausgrenzung, Umzüge, finanzielle Notlagen, anhaltender Streit und Konflikte in der Familie, Trennungen, Scheidung, usw.
Mögliche Vorboten und Warnzeichen
Veränderungen in den Existenz- und Lebensbedingungen bahnen sich über einen längeren Zeitraum an, meist über Wochen oder auch Monate hinweg. Sie haben immer eine Vorgeschichte. Oft sind körperliche Symptome die ersten Indizien, wie häufige kleinere Erkrankungen, ständig wiederkehrende Spannungskopfschmerzen, Schwindelgefühle, Rückenschmerzen und auch Magen- oder Verdauungsstörungen.
Doch nicht nur der Körper, auch die Psyche gibt uns oft Hinweise darauf, dass etwas außer Balance gerät: Da gibt es beispielsweise kleine Konflikte, die sich nach und nach summieren oder vor sich hin schwelen und so immer größer werden. Oder wir sind nervöser, reizbarer oder auch vergesslicher, als wir es sonst von uns kennen, erleben diffuse Angstgefühle oder sind schnell erschöpft – lauter Zeichen einer latenten Überforderung, die weder durch ein verlängertes Wochenende noch durch gezielte Entspannung verschwinden. Auch Schlafstörungen oder anhaltende Müdigkeit sind deutliche Hinweise darauf, dass etwas in unserem Leben nicht stimmig ist.
Häufige Niedergeschlagenheit und miese Stimmung
sollten Sie ernst nehmen!
Wenn Sie häufig schlecht gelaunt sind und den Spaß an Dingen verlieren, die Ihnen sonst Freude gemacht haben, dann sollten Sie dies ernst nehmen. Auch wenn Ihre Leistungsfähigkeit nachlässt, Sie sich beispielsweise schwerer konzentrieren können, wichtige Dinge vergessen, mehr Fehler machen als sonst, oder wenn Ihnen die Ideen ausgehen und Routinearbeiten Sie plötzlich anstrengen, können das Hinweise sein, dass sich etwas anbahnt. Weitere Indizien sind ständig wiederkehrende Gedanken, die immer um dasselbe Problem oder um einen bestimmten Konflikt kreisen, ohne dass Sie zu einer Lösung kommen oder auch diffuse Ängste, die sich auf nichts Bestimmtes zu beziehen scheinen.
Treten solche Signale vereinzelt auf, kann es dafür natürlich auch andere Gründe geben, die nichts mit einer persönlichen Krise zu tun haben. Doch wenn die Phänomene sich häufen oder wenn sie über längere Zeit hinweg anhalten, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Vorboten einer Krise sind. Sie einfach zu übergehen und zu glauben, das würde schon »alles irgendwann wieder aufhören« ist eine untaugliche Strategie.
Das Krisen-Dilemma
Je früher Sie eine sich anbahnende Krise erkennen, desto besser können Sie darauf reagieren. Doch oft ist genau das so schwer: Wir nehmen die entsprechenden Signale im aktuellen Geschehen einfach nicht zur Kenntnis – oder wir wollen uns nicht damit auseinandersetzen. Warum ist das so?
Wenn sich Krisen ankündigen, ist dies meist mit starken und unangenehmen Gedanken und Gefühlen verbunden, mit Ängsten, Konflikten, Selbstzweifeln, Ratund Hilflosigkeit. Dem setzt sich niemand gerne aus. Damit wollen wir uns nicht beschäftigen und ziehen es daher – bewusst oder unbewusst – vor, Warnsignale auszublenden oder mit einem beruhigenden »Das wird schon wieder« zu übergehen, weil eben »nicht sein kann was nicht sein darf«.
Je deutlicher aber spürbar wird, dass etwas schief läuft, desto größer wird auch der Leidensdruck – innerer ebenso wie oft auch äußerer Druck – und dementsprechend wächst der Zwang zur Veränderung. Genau dies ist es aber ja, was man vermeiden möchte: Sich der Situation stellen, Klarheit schaffen, Konsequenzen ziehen, Entscheidungen treffen müssen. Druck auszuhalten ist jedoch eine sehr erschöpfende Angelegenheit, daher wächst gleichzeitig und genauso stark auch das Verlangen nach Entspannung, das Bedürfnis danach, das Unangenehme zu ignorieren, auszublenden, es einfach vergessen zu wollen. Eine echte Zwickmühle.
Nur allzu bereitwillig lenken wir uns dann ab und geben uns besagter Illusion hin, es werde alles von selbst wieder in Ordnung kommen. Doch wenn wir aus den Signalen nicht frühzeitig die richtigen Konsequenzen ziehen, spitzt sich das Ganze in aller Regel weiter zu. Das gilt für Konflikte am Arbeitsplatz ebenso wie für Gesundheitsprobleme, Beziehungskrisen, finanzielle Engpässe oder Selbstwertkonflikte. Leider wird uns der Zusammenhang zwischen diesen Phänomenen des Wegschiebens und der späteren Eskalation oft erst im Nachhinein bewusst. Dann ist man, wenn die Zeichen auf Sturm stehen, schon zu überarbeitet, gesundheitlich zu angeschlagen oder einfach zu erschöpft, um zu spüren, was genau in einem selbst vor sich geht, oder um zu ergründen, wo es im Verhältnis zum Chef, zum Partner, zur Familie usw. eigentlich hakt und nachzuvollziehen, wie es zu dem Desaster hat kommen können.
Fassen Sie also Mut, die Zeichen zu beachten und sich rechtzeitig bewusst zu werden, dass Sie auf eine Krise zusteuern. Dann können Sie handeln, das Ruder herumreißen und verhindern, dass es zum Schlimmsten kommt.
Schock ohne Vorwarnung
Manchmal jedoch ereilt uns eine Krise ohne jede Vorwarnung über Nacht, so dass das Leben auf einmal schlagartig eine Richtung bekommt, die völlig abwegig erscheint. Mit diesen Schicksalsschlägen aus heiterem Himmel kommen wir sehr schwer klar.
Plötzliche Krisen sind unerwartet auftretende schmerzliche Situationen, die die physische und psychische Existenz, die soziale Identität und Sicherheit bedrohen können, wie beispielsweise Todesfälle in der Familie oder im Freundeskreis, schwere Erkrankung, plötzliche Invalidität, Brände usw.
Solche Krisen zwingen dazu, wahrgenommen zu werden. Sie können nicht ignoriert werden, denn von jetzt auf gleich ist nichts mehr so, wie es war. Trotzdem ist gerade hier die Realitätsverweigerung eine häufige Reaktion. »Es kann doch einfach nicht sein, dass der geliebte Partner nie mehr den Arm um mich legen wird.« Oder: »Völlig ausgeschlossen, dass ausgerechnet ich Krebs haben soll.« Wir begreifen nicht, was passiert ist, fühlen uns wie betäubt oder verlieren uns in ziellosen Aktivitäten.
Schicksalsschläge bewirken oft, dass wir uns zunächst völlig hilflos und handlungsunfähig fühlen. Wir sind niedergedrückt, haben keine Energie, jede Bewegung ist ein Kraftakt. Es braucht seine Zeit, sich mit dem Geschehenen zu arrangieren. Manche Menschen finden relativ rasch wieder aus diesem Schockzustand heraus, andere brauchen länger. Je nachdem, wie gravierend das Ereignis ist und über welche psychischen Bewältigungsstrategien wir verfügen, kann sich eine Krise nach einem Schockerlebnis auf unterschiedliche Weise äußern:
- Erhöhte Anspannung, Nervosität
- Schlafstörungen
- Allgemeine Verunsicherung, Irritation
- Furcht, Schreckhaftigkeit
- Zorn, Aggressivität, erhöhte Gewaltbereitschaft
- Niedergeschlagenheit, Depression
- Verwirrtheit, Benommenheit
- Ausgeprägtes Rückzugsbedürfnis
- Ungewohntes, oft auch unangemessenes Verhalten
- Ablösung von der Realität, Gefühle der Unwirklichkeit
Das alles kann, muss aber nicht so sein. In der Regel sind Krisen mit überwältigend heftigen Emotionen der Angst, des Zorns oder der Trauer verbunden, manchmal ist es aber auch so, als säßen wir hinter einer Art Nebelwand, so dass uns nichts mehr wirklich erreicht oder berührt. Jeder hat seine persönliche Art zu reagieren.
Die Art und Weise, wie wir das, was geschehen ist, bewältigen, ist ausschlaggebend dafür, welchen Weg wir künftig einschlagen. Doch dies...