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Ach, Österreich!

Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik

AutorArmin Thurnher
VerlagPaul Zsolnay Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783552058330
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Ist es zum Fürchten um Europa, besteht noch Hoffnung? Die 'New York Times' illustriert den Aufstieg rechter Kräfte in den Ländern der EU graphisch: Den kräftigsten roten Balken erhält Österreich. Jetzt muss aufgrund bürokratischer Schlamperei die Wahl des künftigen Bundespräsidenten wiederholt werden. Im Mai erhielt der Kandidat einer Partei, die fundamentale europäische Werte in Frage stellt, fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Ist es Orbánisierung? Jörg Haiders Erbe? Oder nur ein besonderer Fall von Verkommenheit? Es ist, als spürte die krisengeschüttelte EU, dass Österreich wieder einmal die kleine Welt ist, in der die große ihre Probe hält. In seinem fulminanten Essay zeigt Armin Thurnher, was es mit der Europaverdrossenheit auf sich hat und was man der Rechten in der Politik entgegensetzen sollte.

Armin Thurnher, geboren 1949 in Bregenz. Mitbegründer, Miteigentümer und Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Preis des österreichischen Buchhandels für Toleranz und Otto-Brenner Preis für seinen Einsatz für ein soziales Europa. Bei Zsolnay erschienen u.a. der Roman Der Übergänger (2009), Republik ohne Würde (2013) und der Essay Ach, Österreich! Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik, das zu den 2016 empfohlenen Büchern für die Shortlist des Preises 'Das politische Buch' der Friedrich-Ebert-Stiftung gehört.

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Leseprobe

III. Wahl und Wahn


Erste Runde. Gute Unterhaltung!


 

Es endete als europäische Schicksalswahl mit ungeahnten Weiterungen. Aber es fing recht harmlos an, trug sogar kabarettistische Züge. Zuerst kam wieder einmal die Posse, dann die Tragödie. Für die Posse sorgte die ÖVP. Sie hatte von Anfang an auf Erwin Pröll gesetzt. Der mächtige Landeshauptmann von Niederösterreich hatte seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten seine Ambitionen auf das höchste Amt im Staat erkennen lassen und gleich dazu auch, dass er dieses Amt anders interpretieren würde als die bisherigen Amtsinhaber, kräftiger, eingreifender, was der Verfassung nach möglich ist. Kurz vor Weihnachten 2015 sagte Pröll seinem Parteichef ab und verblüffte mit dieser Entscheidung die gesamte Partei. Er wisse, wo er hingehöre, nämlich nach Niederösterreich.

Die Erkenntnis kam spät und schürte Gerüchte einer Provinzintrige. Schließlich zog die ÖVP als Verlegenheitskandidaten Andreas Khol, den Obmann des Seniorenbundes, aus dem Ärmel. Die SPÖ hatte sich schon längst für ihren Sozialminister Rudolf Hundstorfer entschieden, fixierte die Sache aber auch erst Anfang Jänner 2016.

Als Erste zeigte sich eine unabhängige Kandidatin, die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Irmgard Griss, eine parteilose, ausgezeichnete Juristin, eher liberal-konservativ eingeschätzt, aber politisch nicht besonders konturiert. Sie gab im Dezember 2015 ihre Kandidatur bekannt.

Die Grünen hatten ihren ehemaligen Bundessprecher (welch schön verlogenes Wort für Parteichef!) Alexander Van der Bellen jahrelang bekniet, sich zur Verfügung zu stellen, aber der Professor, wie man ihn nennt, zierte sich.

Die FPÖ kokettierte mit Ursula Stenzel, einer Überläuferin aus der ÖVP und ehemaligen TV-Sprecherin, die weniger aufgrund politischer Meriten als ihrer medialen Bekanntheit wegen Österreich im EU-Parlament vertreten und anschließend als Vorsteherin des Ersten Wiener Gemeindebezirks ihr leicht näselndes Wienerisch als Inbegriff des politischen Bürgertums vorführen hatte dürfen. Als die ÖVP sie nicht mehr kandidieren ließ, wechselte sie die Partei, wurde aber dennoch nicht wiedergewählt. Straches hölzerne Handküsse für Stenzel empfand dieser vermutlich als Inbegriff von Galanterie; sie erwiesen sich aber als Ablenkungsmanöver. Schließlich setzte sich Norbert Hofer durch. Zuerst gab sich der dritte Nationalratspräsident bescheiden und zögerte mit dem Argument, er fühle sich »zu jung«. Mag sein, dass er das wirklich dachte. Nach allem, was wir über die FPÖ wissen, kann es genauso gut sein, dass er damit auf freundlich-verschlagene Weise die Karte der Altersdiskriminierung zückte und die anderen Kandidaten aufgrund physischer Voraussetzungen von Anfang an schlechter aussehen lassen wollte.

Denn der erste öffentliche Reflex auf die Kandidatur von Andreas Khol (74) als Präsidentschaftskandidat der ÖVP war Häme über Erwin Prölls Absage gewesen. Der zweite: Der Mann ist alt. Dann, nach einer Schrecksekunde: Van der Bellen (72) ist kaum jünger, Irmgard Griss (69) ist kein Teenager mehr, und selbst Rudolf Hundstorfer (64) steht an der Schwelle des gesetzlichen Pensionsalters.

Gerontophobie gehört zu den dümmsten Reflexen unserer an dummen Reflexen überreichen sogenannten Öffentlichkeit. Alter ist keine politische Kategorie, außer dort, wo schwachsinnige Amtsinhaber trotz ihres Schwachsinns nicht aus dem Amt entfernt werden können. Und dieser Schwachsinn ist völlig altersunabhängig. John Kerry ist 73, als US-Außenminister scheint er voll funktionstauglich. Hillary Clinton ist 68, Donald Trump 69. Die zehn führenden Mitglieder des House of Representatives weisen ein Durchschnittsalter von 77 auf. Das Alter dieser Leute hat die USA nicht daran gehindert, ihre Position als militanter Welthegemon zu behaupten.

Dennoch gelang es der FPÖ, unauffällig die Jugend ihres Kandidaten hervorzuheben. Die junge Rechte trat gegen das in jeder Hinsicht alte »System« an. Sozialminister Hundstorfer schien zwar durchaus populär, was man von seiner Partei und deren Kanzler nicht mehr behaupten konnte; zugleich war klar, Hundstorfer war kein Mann öffentlicher Auftritte. Als Beamter und Ex-Gewerkschaftspräsident war er geübt im Dialog hinter den Kulissen, nicht in offener Konfrontation.

Andreas Khol war als Mann fürs Grobe in Wolfgang Schüssels schwarz-blauer Regierung abgestempelt. Als Nationalratspräsident tat er über Mikrofon im Parlament seine Begeisterung für den Redner Karl-Heinz Grasser kund; als Klubobmann umarmte er ostentativ rechte Scharfmacher wie den damaligen FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler.

Die beiden einst großen Parteien hatten also Männer aus der zweiten Reihe aufgestellt und offenbar nicht daran gedacht, die tatsächlich bestgeeigneten und attraktivsten Leute zu nominieren. Khol bemühte sich um Jovialität, er war zwar als Universitätsprofessor und Verfassungsjurist und aufgrund seiner Erfahrung als Nationalratspräsident der am besten qualifizierte der Kandidaten, machte diesen Ausweis aber durch seine belehrende und besserwisserische Art zunichte.

Für die ÖVP-Führung kam es nicht in Frage, ihren Ex-EU-Kommissar Franz Fischler zu nominieren; er galt als zu eigenständig und zu kritisch. In der SPÖ machte sich Altkanzler Franz Vranitzky stets durch gemessene Statements öffentlich bemerkbar. Beide sind Staatsmänner und wären als solche gute Kandidaten gewesen; hätte man sie aufgestellt, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen.

Beide Regierungsparteien demonstrierten mit ihrem Verhalten, dass ihnen die Bedeutung dieser Wahl nicht klar war. Sie wollten offenbar nicht sehen, dass sie gemeinsam bei Umfragen nicht einmal mehr in die Nähe einer einfachen parlamentarischen Mehrheit kamen und dass Straches FPÖ weit vor ihnen lag, dass die FPÖ bei allen Regionalwahlen spektakulär dazugewonnen hatte und dass sie auch diese Wahl nutzen würde, die Welle ihres Erfolgs weiter anschwellen zu lassen.

Zu den fünf Kandidaten trat noch der Baumeister Richard Lugner. Unerklärlich blieb, warum der ORF ausgerechnet diesen Spaßkandidaten vorerst von Sendungen ausschloss. Er war der Einzige, der das polit-mediale Konzept vollkommen verstand und konsequenterweise völlig unpolitisch nutzte, nämlich – abgesehen von reaktionärem Gebrabbel – als unverschämte Gratiswerbung für sein Unternehmen.

Lugner spielte insofern eine Rolle, als er bei diversen öffentlichen Debatten dann doch teilnehmen und so das Ganze mit einer burlesken Note versehen durfte. Die Szene, als in der ORF-Sendung nach der Wahl die beiden Verlierer Khol und Hundstorfer mit ihren je elf Prozent neben Lugner standen, der zwei Prozent erreicht hatte, schmerzte und amüsierte in all ihrer Peinlichkeit. Während links die Kandidaten der Stichwahl ihre Interviews gaben, duckten sich drei abgestrafte Außenseiter in der Ecke der lustigen Loser zusammen, zwei davon Vertreter der Regierungsparteien. Sie sahen aus wie ein Trio verlegener Deix-Figuren. Weit war es gekommen mit der Herrlichkeit der österreichischen Großkoalitionäre, die beide den Anspruch hatten, den Staat zu regieren, am liebsten allein.

Die österreichische Medienunart, ohne Not Interesse für Politik mit allerlei unterhaltsamen Formaten zu generieren, zeigte Folgen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk inszenierte unter dem Titel »Die 2 im Gespräch« Kurzduelle, in denen jeder gegen jeden antreten durfte; nach ein paar Minuten zog eine Journalistenrunde jeweils ein Blitzresümee. In einem Format namens »Wahlfahrt« fuhr ein Journalist mit den Kandidaten in einem alten Mercedes spazieren, ließ sie zeigen, wie sie winken würden, und über Details aus ihrem Privatleben plaudern.

Das dient dazu, die menschliche Seite der Politik zu zeigen, gewiss. Es dient aber auch dazu, Politik zu entsachlichen, sie auf intime Art zu personalisieren, wenn nicht zu verkasperln. Als Politiker will man kein Frosch sein, man muss mittun, wenngleich auf den Gesichtern der tapferen Mitmacher sich Skepsis darüber ausdrückt, ob sie alles mitmachen müssen und was dieses Mitmachen aus ihnen macht. Ich weiß, solche Bedenken gelten als humorlos, und wer sich zum Affen machen lässt, beweist in jeder Hinsicht Humor. Dennoch ziehe ich es vor, ernsthafte Politiker zu wählen und keine lachenden Affen.

Personalisierung hieße doch, von einem Menschen, der sich um ein Amt bewirbt, zu erfahren, was für politische Ansichten ihn dafür qualifizieren. Das Urteil, wie und ob er menschlich für das Amt geeignet ist, kann weder ihm selbst noch dem Reporter überlassen werden; so etwas will recherchiert und nachgeprüft sein. Der Niedergang der Politik ist immer auch einer der Öffentlichkeit. Die beinahe alles umfassende Privatisierung des Fernsehens, gerade auch des öffentlich-rechtlichen, ist Ursache und Wirkung zugleich. Die Wahlwerbenden passen sich in allerlei Spiel-und-Sketchformen ein. Wichtiges bleibt dabei auf der Strecke.

Nehmen wir eine kurze Szene aus »Die 2 im Gespräch« zwischen Hofer und Rudolf Hundstorfer.

Dieser fragt Hofer: »Sind Sie jetzt wirklich bereit, sich von Ihrer Burschenschaft zu distanzieren, die in ihrer Festschrift drinnenstehen hat: ›Die Nation Österreich ist eine Fiktion.‹«

Hofer antwortet nicht, er lacht nur.

Hundstorfer ist empört: »Ist Ihnen das ein Lachen wert? Wirklich? Für mich ist die Nation Österreich keine Fiktion. Und ich würde Sie dringlich bitten, da auch etwas klarzustellen.«

Hofer: »Sie sind heute derartig verzweifelt und deprimiert. Als ich Sie gesehen habe vor sechs Wochen, waren Sie noch ein fröhlicher Mensch, und heute sind Sie derartig verbissen und deprimiert (…) Es steht in den Statuten überhaupt nichts davon, dass Österreich keine Nation ist. Und ich...

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