Eine einzelne Lehrkraft[1] kann den Unterschied machen. Fast jeder weiß von einer Lehrerin oder einem Lehrer zu berichten, dessen Unterricht das Interesse an einem Fach geweckt oder sogar die eigene berufliche Entscheidung beeinflusst hat. Die Hattie-Studie zeigte beispielsweise, dass der Bildungserfolg zumeist von den Lehrkräften abhängt (Hattie, 2009). Auf der Basis einer Synthese von über 800 Metaanalysen kommt der Schulforscher John Hattie zu dem Schluss, dass weniger schulische Faktoren oder Rahmenbedingungen wie die Klassengröße den Lernerfolg und die Leistungen der Schüler_innen vorhersagen können als vielmehr die professionelle Kompetenz des einzelnen Pädagogen. Dabei ist eine Definition von gutem Unterricht nicht so einfach, da eine Vielzahl von Faktoren ineinander greifen. Für den Soziologen Andy Hargreaves spielt die Persönlichkeit der Lehrkräfte eine zentrale Rolle:
Good teaching is charged with positive emotion. It is not just a matter of knowing one’s subject, being efficient, having the correct competences, or learning all the right techniques. Good teachers are not just well-oiled machines. They are emotional, passionate beings who connect with their students and fill their work and their classes with pleasure, creativity, challenge and joy. (Hargreaves, 1998, S. 835)
Nicht wenige Lehrkräfte scheitern an dem Ideal, dass andere und oft auch sie selbst an sich anlegen. In dem oft wenig kooperativen Klima an Schulen (Stegmann, 2008) ist zwar in der Regel bekannt, welche Lehrkraft ihre Schüler_innen im Griff hat und in welcher Klasse es sich manchmal so anhört, als wäre keine Lehrkraft im Zimmer; Unterstützungsangebote gibt es jedoch kaum. Van Dick (2006) postulierte, dass Lehrer_innen nicht selten zwischen „Horrorjob und Erfüllung“ oszillieren.
Das gesellschaftliche Ansehen von Lehrkräften ist zwar hoch und auch die Lehrkräfte selbst urteilen überwiegend positiv über ihren Beruf: 71 Prozent gaben in einer für Deutschland repräsentativen Studie an, dass ihnen ihr Beruf überwiegend Freude mache (Vodafone Stiftung, 2012). Im gleichen Atemzug berichteten sie jedoch auch von der steigenden Stressbelastung durch schwierige Schüler, sich ständig ändernden Vorgaben oder aussichtslosen Reformbemühungen (ebd.).
Der Lehrerberuf gilt spätestens seit dem Buch „Halbtagsjobber“ von Schaarschmidt (2005) als einer der Berufe mit der größten psychischen Beanspruchung. In diesem Buch wurde auf anschauliche Weise demonstriert, dass Lehrkräfte häufiger gesundheitliche Risikomuster aufweisen als andere Berufsgruppen. Lehrer_innen wurden besonders häufig einem Burnout-Muster (Risikomuster B) zugeordnet, das durch geringe Widerstandskräfte gegenüber Belastungen des Berufsalltages in Kombination mit niedrigem Engagement gekennzeichnet ist. Die Vorgehensweise von Schaarschmidt und Kollegen wurde zwar kritisiert, da ihre Stichprobe nicht repräsentativ ausgewählt wurde und die Vergleichsgruppen etwas willkürlich gewählt erschienen (Rothland, 2013b). Es sprechen aber auch andere Befunde für ein spezifisches Beanspruchungsprofil von Lehrer_innen.
In einer repräsentativen Erwerbstätigenbefragung (N=20.000) des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) wurden die Beschwerden von Erwerbstätigen erhoben. Lehr (2012) wertete diese Daten getrennt für Lehrkräfte (N=707) im Vergleich zum Durchschnitt der Erwerbstätigen aus. Lehrkräfte litten häufiger unter Beschwerden, die auch für affektive Störungen wie Depressionen charakteristisch sind. Hierzu zählen Erschöpfung, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Hörverschlechterungen. Mit Ausnahme von Kopfschmerzen wiesen Lehrkräfte hingegen seltener körperliche Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen auf. Lehr (ebd.) schlussfolgerte daraus, dass die Art der Beanspruchung mit der Art der Belastung in Verbindung steht. Im Vergleich zu anderen Erwerbstätigengruppen sind Lehrkräfte eher psychischen als körperlichen Belastungsfaktoren ausgesetzt.
Insofern verwundert es kaum, dass das vorzeitige Ausscheiden aus dem Lehrerberuf häufig in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen steht. Der Anteil der in den Ruhestand gehenden Lehrkräfte, die aufgrund von Dienstunfähigkeit frühpensioniert wurden, sank zwar zwischen 2001 und 2011, seit der Einführung von Versorgungsabschlägen, von etwa der Hälfte auf ein Rekordtief von 19 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2011). Die Dienstunfähigkeit scheint jedoch mehrheitlich auf psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen zurückzuführen zu sein. Das Bundes-ministerium des Innern (2005) gab beispielsweise an, dass 56 Prozent der aufgrund von Arbeitsunfähigkeit frühpensionierten verbeamteten Lehrkräfte wegen psychischen Erkrankungen oder Verhaltensstörungen ausscheiden. In einer 1999 stattfindenden Totalerhebung unter bayrischen arbeitsunfähigen Lehrkräften waren es 52 Prozent (Weber, 2004).
Auch wenn konkrete Zahlen nicht vorliegen, ist von einem hohen Anteil an Lehrer_innen auszugehen, die in ihrer Berufslaufbahn in eine Krise geraten, die als Burnout, Depression oder Angststörung in zumeist psychosomatischen Kliniken behandelt wird. Das Lebenszeitrisiko für psychische Erkrankungen in Deutschland liegt nach Analysen der Bundesgesundheits-Survey derzeit bei 38,5 Prozent (neue Bundesländer) und 44 Prozent (alte Bundesländer) (Jacobi, Hoyer & Wittchen, 2004). In der Allgemeinbevölkerung ist mittlerweile also mehr als jede_r Dritte mindestens einmal im Leben von einer psychischen Störung, in den meisten Fällen von Depression, betroffen. Die Kosten dieser Erkrankungen werden für Europa auf 108,6 Billionen Euro geschätzt. Mehr als 70 Prozent davon entfallen auf indirekte Kosten, die zum Beispiel durch verminderte Leistungsfähigkeit entstehen (Andlin-Sobocki, Rehnberg & Jonsson, 2005). Hinzu kommt der damit oft verbundene Leidensweg, den beruflichen und privaten Anforderungen nicht mehr gewachsen und einer starken Einschränkung des persönlichen Wohlbefindens ausgesetzt zu sein.
Ausgebrannte Lehrer_innen haben wenige Möglichkeiten, eine andere Tätigkeit als das Unterrichten vor der Klasse auszuüben. Im Sinne der Lehrkraft und im Sinne der Schüler_innen, die ein Recht auf gute Bildung haben, ist es daher notwendig, nach Wegen zu suchen, wie Lehrkräfte unterstützt werden können und wie sie in diesem potenziell erfüllenden und gesellschaftlich hoch bedeutsamen Beruf ihre Ressourcen so einsetzen können, dass sie gesund bleiben, sich weiter entwickeln und eine gute Lehrkraft für ihre Schüler_innen sein können.
Kyriacou forderte schon 2001, dass Interventionen zur Reduktion von Lehrerstress auf ihre Effektivität überprüft werden sollten. Bislang wurden nur wenige Interventionen entwickelt und evaluiert, die das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von (angehenden) Lehrer_innen stärken sollen (Kolbe & Combe, 2008). Selbst wenn Trainings entwickelt und evaluiert wurden, schafften sie es selten über die Pilotierung hinaus. In Deutschland wurden z. B. ein klassisches Stressbewältigungstraining für Lehrkräfte und Referen-dar_innen adaptiert (Arold, 2005), ein lehrerspezifisches Präventionsprogramm für Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf (AGIL) entwickelt (Hillert, 2012) und das Training emotionaler Kompetenzen (TEK) (Berking, 2010) um lehrerspezifische Elemente ergänzt (TEK-L) (Eckert, Ebert & Sieland, 2012). Im Vergleich zu der nahezu unüberschaubaren Vielzahl von Forschungsarbeiten zu den Belastungsfaktoren und der Beanspruchungssituation von Lehrkräften verwundert der geringe Stellenwert, den die Entwicklung, Evaluierung und Verstetigung solcher Trainingsangebote einzunehmen scheinen.
Hinzukommt, dass so gut wie keine der Evaluationsstudien untersuchen, ob die im Rahmen der Lehrerweiterbildung angebotenen Fortbildungsmaßnahmen, nicht nur das Lehrerwohlbefinden, sondern auch die professionelle Kompetenz effektiv und nachhaltig stärken. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die Förderung der Lehrergesundheit in der Praxis nicht den Stellenwert erhält, den die Kultusministerkonferenz (2004) ihr einräumt (vgl. 2.1.3).
Achtsamkeitstrainings, wie das standardisierte MBSR-Training (Mindfulness-Based Stress Reduction-Training), haben sich als Stressbewältigungsmethode und Komplemtentärbehandlung in der klinischen Forschung etabliert (Berking, 2012). Sie wurden in der Vergangenheit erfolgreich in der (komplementären) Behandlung von Depressionen (Teasdale et al., 2000) und Angststörungen (Hofmann, Sawyer, Witt & Oh, 2010), in der letzten Zeit auch verstärkt bei gesunden Menschen zur Stressreduktion eingesetzt (Chiesa & Serretti, 2009). In der Lehrerbildung steht eine Evaluierung des standardisierten Trainings noch aus. Auch fehlen Erkenntnisse dazu, welche Wirkungen ein Achtsamkeits-training auf die professionelle Kompetenz, wie beispielsweise das Unterrichts-handeln, hat.
Hier will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten und erstens untersuchen, wie effektiv und nachhaltig ein achtsamkeitsbasiertes Stressbewältigungs-training das Wohlbefinden und die Selbstregulation von Lehrkräften stärkt. Das zweite Ziel der Arbeit ist es, die Trainingseffekte auf die Unterrichtsqualität zu untersuchen.
Da die Arbeit in unterschiedliche, zum Teil sehr umfängliche Forschungsbereiche wie die Lehrergesundheitsforschung, die pädagogische...