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Ärztlich assistierter Suizid bei Demenz!?

Einstellungen zu Demenzerkrankungen und zum ärztlich assistierten Suizid bei Demenz vor dem Hintergrund von persönlicher Biographie und Sozialisation. Eine qualitative und tiefenpsychologisch angeregte Untersuchung mit Zugängen aus den integrativen Gesundheitswissenschaften.

AutorSabine Wöger
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl496 Seiten
ISBN9783748105824
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Zunehmend ziehen Menschen in der Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild Demenz einen ärztlich assistierten Suizid in Erwägung. Die Sorge, anderen zur Last zu fallen, dabei einen Verlust der Würde durch kognitive Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit von Lebensbedingungen und Strukturen zu erleben, sind hauptsächliche Beweggründe. Empirisch untersucht wurde, welche Erfahrungen und Wirklichkeitskonstruktionen jenen Menschen zugrunde liegen, die entweder zuversichtlich und vertrauensvoll oder angstvoll in eine von Ungewissheiten geprägte Zukunft blicken, in der sie an einer Demenz erkranken könnten.

Dr.in Dr.in Dr.in Sabine Wöger, MSc MSc MSc MEd, forscht, lehrt und praktiziert als Gesundheitswissenschafterin, Tiefenpsychologin und Psychotherapeutin mit einer logotherapeutischen Ausrichtung. Weitere Themen ihres beruflichen Wirkens betreffen Palliative Care und Bildungswissenschaften mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung. www.sabinewoeger.at

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Leseprobe

2. Das Forschungsvorhaben


Was mich zum Verfassen dieses Buches motivierte


Anlassgebend für die Befassung mit der Thematik des ärztlich assistierten Suizides bei Demenz waren jene Menschen, die mich in meiner psychotherapeutischen Praxis bereits bei den ersten Verdachtsmomenten bzw. nachdem bei ihnen eine Demenzerkrankung diagnostiziert wurde, aufsuchten. Sie haben um die für sie und ihre Angehörigen `richtigen Entscheidungen` gerungen, ob sie einen ärztlich assistierten Suizid in Erwägung ziehen sollten oder nicht bzw. wann für einen Vollzug des ärztlich assistierten Suizides der richtige Zeitpunkt wäre. Es dominierte die Angst vor Würdeverlust und Beschämung beispielsweise aufgrund von affektiver Inkontinenz, ebenso die Sorge, eine zunehmende oder gar unerträgliche Belastung für das familiäre und soziale Umfeld zu sein. Aufgrund von kognitiver Beeinträchtigung vollkommen abhängig von der Unterstützung und Pflege anderer, von Lebensbedingungen und Strukturen zu sein, belastete die Betroffenen enorm und bildeten hauptsächliche Beweggründe für deren Überlegungen hinsichtlich eines ärztlich assistierten Suizides.

In der psychotherapeutischen Arbeit mit diesen Klienten und Klientinnen fiel mir jedoch auf, dass manche angsterfüllt, auch panisch, in eine Zukunft mit Demenz blickten, andere hingegen zuversichtlich und vertrauensvoll: „Es kommt, wie es kommen will“ oder „es wird sich für mich dann bestimmt auch das Beste ergeben“. Mich interessierte, welche Unterschiede und Besonderheiten es in den persönlichen Biographien, in der Bindungs- und Beziehungsgestaltung zu Eltern in der frühen Kindheit und späteren Lebenspartner/-innen, ebenso in der Sozialisation meiner Patient/-innen gab, ob und wie sich diese auf die Einstellung zur Demenz und zum ärztlich assistierten Suizid bei Demenz auswirkten. Ob und wie belastende Lebenserfahrungen und -krisen die Einstellung zu Demenz und ärztlich assistierten Suizid beeinflussten, war ebenfalls von Interesse. Auch wollte ich die Wahrnehmung, dass Personen mit einem intrinsisch verankerten Glauben einer Demenzerkrankung eher zuversichtlich als ängstlich begegneten, empirisch untersuchen.

Jene Klient/-innen, welche an der Radikalität der Endlichkeit litten und dadurch den Sinn des Lebens an sich schon in Frage stellten, ebenso die Personen, welche auf die Möglichkeit eines Weiterexistierens nach dem physischen Ableben weder hoffen noch daran glauben konnten, tendierten eher zu einer aktiven Beendigung des Lebens durch ärztlich assistierten Suizid, so meine Beobachtung.

Ich konnte feststellen, dass für die Mehrzahl meiner Klient/-innen ein klares Sensorium, ein wacher Geist, einhergehend mit einem intakten Kognitionsvermögen, voraussetzend für ein würdevolles Leben war. Beschämung würden sie durch körperlichen und affektiven Kontrollverlust erfahren. Auch die Tatsache, selbst nicht mehr produktiv und handlungsfähig zu sein, belastete die Hilfesuchenden. Unerträglich wäre für sie auch der Verlust der Einsichts-, Entscheidungs- und Orientierungsfähigkeit. Diese Personen bezeichneten die Demenzerkrankung als „Horrorkrankheit“, als „absoluten Wahnsinn“, bei der sie „verblöden“ würden und „wo nur noch die tödliche Spritze, die jedes Tier bekäme“, Erlösung bringen würde und somit die einzige und logische Antwort auf eine Demenzerkrankung wäre.

Als Psychotherapeutin mit der fachlichen Ausrichtung Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor Frankl und mit Wissen und Erfahrung in Palliative Care, ist mir der leidende und nach Sinn suchende Mensch ein besonderes Anliegen. Ich möchte alles erdenklich Mögliche dazu beitragen, dass Menschen sich und ihr Leben, trotz kognitiver Beeinträchtigung und trotzdem, dass sie pflegebedürftig und in dieser Weise abhängig von Lebensbedingungen und Strukturen sind, dennoch als würdevoll und lebenswert erfahren können.

Der Schutz des Lebens, das ich als ein Schöpfungsgeschenk und somit als ein zu schützendes Gut erachte, ist mir ein normatives Lebens- und Leitprinzip. Dennoch könnte ich verstehen, wenn an Demenz erkrankte Menschen zu der Ansicht kämen, dass ein Leben unter bestimmten Bedingungen für sie nicht realisierbar wäre, etwa im Falle ausgeprägter Pflegebedürftigkeit, einhergehend mit physischer bzw. psychischer subjektiv unzureichend gelinderter Symptomlast. Demütig erinnere ich Patient/-innen wie Frau Martha: Monatelang hatte sie um einen Weg im Umgang mit ihrer schweren Erkrankung gerungen. Trotz Palliativmedizin, ganzheitlicher Betreuung und liebevoller Pflege war das Leben für sie im Gesamten nicht mehr lebbar. Ich selbst war weder in einer ähnlichen, geschweige denn in derselben Lebenslage und somit konnte ich noch nie fühlen und erleben, wo ihre Möglichkeiten und Grenzen des Aushaltbaren lagen.

Und hieraus erschließt sich der Auftrag:

Die individuelle Not der Patient/-innen tiefgehend und

umfassend wahrzunehmen und Berufsgruppen,

die diese Menschen betreuen, hierfür zu sensibilisieren, damit sie im Rahmen der verfügbaren Möglichkeiten

lebensverlängernd auf die Erkrankten einwirken können.

Ein zentraler Auftrag:

Für das Leben trotz Demenz!

Forschungsinteresse und Zielsetzungen


Untersucht wurde, welche Erfahrungen und Wirklichkeitskonstruktionen jenen Menschen zugrunde liegen, die zuversichtlich und vertrauensvoll oder besorgt und angsterfüllt in eine von Ungewissheiten geprägte Zukunft blicken, in der sie an einer Demenz erkranken könnten, einhergehend mit Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit von anderen Menschen wie auch von Lebensbedingungen und Strukturen. Von Interesse waren der Bindungsstil der Probandinnen und Probanden zu den Eltern, prägende Lebenserfahrungen, die persönliche Glaubenshaltung bzw. Spiritualität, das gegenwärtige Leben und die Möglichkeit eines Weiterexistierens nach dem physischem Tode, die Weisen des Umgangs mit Ungewissheiten, welche die Untersuchungsteilnehmer/-innen in ihrer Kindheit und im Zuge ihrer Sozialisation erlebt und geprägt haben. Weiters bestand ein Forschungsinteresse dahingehend, ob eine liebende Beziehung bzw. Bindung zu einem Partner/zu einer Partnerin im Erwachsenenleben, eine in der frühen Kindheit erfahrene unsichere, unsicher-vermeidende bzw. unsicher-ambivalente und desorganisierte Bindung der Proband/-innen, ausgleichen bzw. korrigieren könnte.

Wie diese Themenfelder die Einstellung der Proband/-innen zum Krankheitsbild Demenz und zum ärztlich assistierten Suizid bei Demenz beeinflussen, sollte empirisch untersucht werden.

Diese Studie soll Mitarbeiter/-innen interdisziplinärer Palliativteams, Hausärzt/-innen und Psychotherapeut/-innen, die Möglichkeit zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Thematik des ärztlich assistierten Suizides bei Demenz bieten. Diese fachlich geschulten Personen werden von den Erkrankten und/oder deren Angehörigen dann aufgesucht, wenn sie mit der Frage ringen, wie sie auf die Herausforderung Demenz antworten sollen, wenn sie Angst und Beschämung, Ohnmacht und Verzweiflung fühlen. Fachkräfte sollen ein Mehrverständnis dahingehend erhalten, welche Prägungen und Erfahrungen die Einstellung zu Demenz und ärztlich assistierten Suizid bei Demenz beeinflussen können, denn darin liegen zugleich die Ressourcen um einer Einstellungsmodulation in Richtung Leben den Weg zu bahnen.

Die intensive Befassung mit dem Krankheitsbild Demenz und dem Erleben der Betroffenen, eröffnet erfahrungsgemäß neue Sichtweisen. Mein Buch mit dem Titel „Demenz, Wissenswertes für Betroffene, Angehörige und Betreuende“ entstand infolge der vorliegenden Studie. Darin kommen an Demenz Erkrankte und Angehörige zu Wort, wodurch die Leser/-innen Einblicke in die Erlebens- und Gefühlswelt der Betroffenen erhalten. Auf Basis von Erfahrungsberichten wird aufgezeigt, wie Beziehung zwischen Angehörigen und Erkrankten gestaltet und erhalten werden kann, vom Beginn der Erkrankung bis hin zu fortgeschrittenen Phasen der Demenz.

Literaturanalyse


In der Literaturanalyse bilden die Themenfelder Demenz und -forschung, die innerseelische Abwehr von Angst (Freud, 1926d [1925] & 1940a [1938] & Freud, 1989) sowie ärztlich assistierter Suizid als eine Form der Sterbehilfe, thematische Schwerpunkte. Vertiefende Themenfelder bilden weiters bindungstheoretische Aspekte (Bolwby, 1999), Glaube und Spiritualität im Angesicht von Sterben und Tod sowie die Frage nach dem Lebenssinn trotz unheilbarer Krankheit.

Eine qualitative und tiefenpsychologisch angeregte Studie


Mit zehn Frauen und zehn Männern, von ihnen waren zehn Personen im Alter zwischen dem 70. und dem 96. Lebensjahr, wurden narrative Interviews nach Schütze (1977) geführt. Die Proband/-innen, alte Menschen und Angehörige von an Demenz erkrankten Personen, wurden wiederum in vier Fallgruppen unterteilt: Untersuchungsteilnehmer/-innen mittleren und hohen Lebensalters, welche noch keine direkte persönliche Erfahrung mit einer emotional nahe stehenden Person, die an...

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