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Ärztliche Handlungen bei extrem unreifen Frühgeborenen

Rechtliche und ethische Aspekte

AutorMarkus Glöckner
VerlagSpringer-Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl344 Seiten
ISBN9783540706045
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis79,99 EUR

Umfang und Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht in der Neugeborenenmedizin sind nicht klar umrissen. Kompetenzen und Kriterien sind umstritten. Der Autor diskutiert disziplinübergreifend: klinische Praxis, verfassungsrechtliche Vorgaben, Heilauftrag, Straf- und Arzthaftungsrecht. Kritisch betrachtet er ethische Lösungsansätze und standesrechtliche Richtlinien. Er benennt Behandlungsgrenzen und zeigt den Weg aus dem Entscheidungsdilemma.

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Leseprobe

§ 5 Der strafrechtliche Schutz des Frühgeborenen (S. 129-130)

Der Arzt, der ein Frühgeborenes behandelt, greift in dessen Rechtsgüter ein. Das führt im Wege einer ex-post-Kontrolle dazu, dass der Arzt als „Täter" eines strafrechtlichen Delikts mit dem Frühgeborenen als „Opfer" in Betracht kommt, wenn dessen Rechtsgüter durch ärztliche Maßnahmen verletzt werden. Um dies zu vermeiden, dürfen seine ärztlichen Handlungspflichten nicht den strafrechtlichen Pflichten zuwiderlaufen. Dabei ist zu beachten, dass der Arzt sich nicht nur durch aktives Handeln strafbar machen kann, sondern auch durch seine Untätigkeit, weil er mit der Behandlungszusage Obhutspflichten für die Rechtsgüter des Frühgeborenen übernimmt.

Er wird zum sog. Beschützergaranten für den Säugling. Diese Garantenstellung sowie seine aus § 323c StGB folgende allgemeine Hilfspflicht sind weitere Gründe dafür, dass die ärztliche Tätigkeit strafrechtlichen Verboten und Geboten unterliegt, die seine ärztliche Handlungsfreiheit begrenzt. Wie ein Blick in die einschlägigen Gesetze zeigt, kennen indes weder das Strafgesetzbuch noch die strafrechtlichen Nebengesetze Regelungen, die sich ausdrücklich an den Arzt wenden und die medizinischen Entscheidungsprobleme im Zusammenhang mit der Behandlung extrem unreifer Frühgeborenen näher regeln.

Da der Arzt im Bereich von Krankheit und Tod tätig ist, werden jedoch die Rechtsgüter „Leben" und „körperliche Unversehrtheit" des Neugeborenen betroffen. Im folgenden Abschnitt soll deshalb ein erster Blick auf die diese Rechtsgüter schützenden Strafnormen geworfen werden. Dabei werden quasi als „Allgemeiner Teil" zunächst lediglich die gesetzlichen Vorgaben aufgezeigt. Dem schließt sich in den nachfolgenden Abschnitten ein „Besonderer Teil" an, der sich dann mit den Details der strafrechtlichen Problematik um ärztliche Handlungspflichten nach einer Frühgeburt beschäftigt.

A. Der Schutz des Lebens im Strafrecht

Die lebenserhaltende Behandlungspflicht ist korrespondierendes Gegenstück zum Tötungsverbot: Wo der Arzt diese Pflicht nicht verletzt, handelt er dem Tötungsverbot nicht zuwider.582 Historisch reicht die strafrechtliche Absicherung des 5. Gebots aus dem Dekalog: „Du sollst nicht töten!"583 bis in die Anfänge des Straf rechts und des Rechts überhaupt zurück. Tatsächlich ist der strafrechtliche Schutz des Lebens Inhalt jeder bestehenden Rechtsordnung. Das deutsche Strafgesetzbuch normiert im 16. Abschnitt die Straftaten gegen das Leben. Unterschieden wird dabei zwischen dem Lebensschutz des Geborenen und dem Lebensschutz des Ungeborenen.

I. Die Tötungsdelikte – Schutz des geborenen Lebens

Geborenes menschliches Leben wird durch die in §§ 211-216, 222 StGB normierten Tötungsdelikte strafrechtlich geschützt. Sie sind der „verlängerte Arm der Verfassung" bei der Umsetzung des grundrechtlich gebotenen Lebensschutzes.585 Strafbar sind sowohl die vorsätzliche als auch die fahrlässige Tötung. Der Schutz lässt sich insoweit als „lückenlos" bezeichnen. Tatobjekt ist der Mensch: Wo sein Leben durch einen anderen verletzt wird, kommen die Tötungsdelikte in Betracht.

Der Status als „Mensch" ist somit konstituierend für deren Anwendung. Dabei darf die Frage nach der „Mensch"-Werdung nicht falsch verstanden und verwechselt werden mit der Frage nach dem Beginn des Lebensschutzes im Strafrecht, zielt erstere Frage doch allein auf den Beginn des strafrechtlichen Schutzes durch die §§ 211ff. StGB in Abgrenzung zu §§ 218ff. StGB. Mit der Festlegung, ab wann Leben Menschenqualität erlangt, trifft das Strafrecht keine verbindliche Aussage über den Beginn des menschlichen Lebens aus ethischer oder biologischer Sicht.586 Zwar orientiert sich die strafrechtliche Bestimmung durchaus auch an den Erkenntnissen von Medizin und Naturwissenschaft und berücksichtigt ethische Aspekte wie Alltagsanschauungen.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort6
Inhaltsverzeichnis7
Abkürzungsverzeichnis15
1 Einführung18
A. Thematischer Überblick18
B. Terminologische Klärung21
Erster Teil: Klinische Situation24
2 Medizinisch-biologische Grundlagen und Begriffe26
A. Das Neugeborene26
B. Die Frühgeburt27
C. Die Fehlgeburt40
D. Das sog. schwerstgeschädigte Neugeborene43
3 Die klinische Praxis64
A. Die Entscheidungssituation64
B. Zur Phänomenologie der Probleme68
Zweiter Teil: Rechtliche und ethische Grundlagen der ärztlichen Behandlungspflicht78
4 Der verfassungsrechtliche Hintergrund81
A. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit81
B. Die Menschenwürde92
C. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten100
D. Das Elternrecht115
E. Die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit135
F. Die Berufsfreiheit des Arztes138
G. Konkurrenzen140
H. Zusammenfassung141
5 Der strafrechtliche Schutz des Frühgeborenen146
A. Der Schutz des Lebens im Strafrecht146
B. Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Strafrecht158
C. Die Einwilligung in die ärztliche Behandlung161
D. Zur Garantenstellung und Garantenpflicht des Arztes169
E. Zusammenfassung179
6 Früheuthanasie – Zur Behandlung extrem unreifer Frühgeborener182
A. Zum Begriff der Früheuthanasie183
B. Früheuthanasie und Sterbehilfe184
7 Die Indikationsstellung188
A. Die Bestimmung der medizinisch indizierten Behandlung188
B. Die Problematik bei extrem unreifen Frühgeborenen189
C. Der ärztliche Heilauftrag192
D. Entscheidungskriterien im Bereich Diagnose und Prognose241
E. Objektive Kriterien für den Abwägungsprozess264
8 Objektive Kriterien zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens288
A. Zur Erinnerung: Die Ausgangslage288
B. Welche objektiven Kriterien gibt es?291
C. Interessengerechte Sterbehilfemaßnahmen („Früheuthanasie“)296
D. Zusammenfassung310
9 Der zivilrechtliche Schutz des Frühgeborenen314
A. Die Arzthaftung314
B. Die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Neugeborenen315
C. Die ärztliche Behandlungspflicht322
D. Auswirkungen der Behandlungspflicht auf andere ärztliche Pflichten334
E. Die Entscheidung über die Behandlung –Zur praktischen Umsetzung337
F. Zusammenfassung339
10 Fazit342
Literaturverzeichnis344

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