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Ästhetik zur Einführung

AutorStefan Majetschak
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783960600503
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Ästhetik' als philosophische Teildisziplin entsteht in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als man die menschlichen Sinnesvermögen und die Kunst auf eine neue Weise zu sehen beginnt, die in der philosophischen Tradition so kein Vorbild hat: als etwas, in dem eine eigene, vernunftanaloge Art von Gesetzlichkeit herrscht, die mit den begriffs- und aussagenlogisch verfassten Vernunft- und Verstandesgesetzen einer diskursiven Rationalität nicht gleichgesetzt werden kann. Diese Eigengesetzlichkeit der sinnlichen Anschauung und der Kunst zu analysieren und in ihrer Relevanz für die menschliche Weltorientierung herauszustellen ist das Programm, dem sich Ästhetik seither verschreibt. Das Buch führt zunächst in Grundfiguren der philosophischen Ästhetik bei Baumgarten, Kant und Hegel ein und zeichnet dann Positionen der Ästhetik im Zeitalter der modernen Kunst u.a. bei Fiedler, Heidegger, Adorno, Wittgenstein, Goodman und Danto nach.

Stefan Majetschak ist Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Ästhetik und Kunsttheorie an der Universität Kassel.

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Leseprobe

1. Einleitung


Ästhetik als philosophische Disziplin


Als »Philosophische Ästhetik« im weiten und vagen Sinne lässt sich jegliche Form des philosophischen Nachdenkens über das Schöne und die Kunst bezeichnen. In einem engeren Sinne versteht man darunter jene Art des systematischen Philosophierens über die ästhetischen Kompetenzen des Menschen und über die Kunst, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts als eine eigenständige Teildisziplin der Philosophie entstand. Ihr Geburtsdatum im engen Sinne lässt sich genau bestimmen. Exakt in der Mitte des Jahrhunderts, im Jahre 1750, veröffentlicht Alexander Gottlieb Baumgarten den ersten Band seiner Aesthetica, deren zweiter 1758 erscheint. Bereits zwei Jahre zuvor hatte ein Schüler Baumgartens, Georg Friedrich Meier, die Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften (Bd. 1, Halle 1748) zu veröffentlichen begonnen. Doch berief er sich zur Begründung seines philosophischen Ansatzes auf seinen Lehrer, dessen Aesthetica der neuen Wissenschaft den Namen gab und der man deshalb zu Recht nachsagt, die Geburtsurkunde aller künftigen Ästhetik darzustellen. Obgleich Baumgarten – damals wie heute – wenig gelesen wurde, traf der Titel seines Buches offenbar den Nerv des Zeitalters. Denn kaum mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte Jean Paul am Anfang der Vorrede zur ersten Ausgabe seiner Vorschule der Ästhetik (1804) bereits konstatieren: »Von nichts wimmelt unsere Zeit so sehr als von Ästhetikern.«

Im vagen und weiten Sinne der obigen Namenserklärung, sie sei die philosophische Erörterung des Schönen und der Kunst, hat es »Ästhetik« natürlich auch schon vor Baumgarten – im Grunde seit den antiken Anfängen der Philosophie – gegeben. Der Begriff »Ästhetik« stammt dem Wortsinn nach von dem griechischen Wort aisthesis ab, das sich als »Sinneswahrnehmung« übersetzen lässt, und über diese im Allgemeinen sowie über die Wahrnehmung des Schönen und der Künste im Besonderen wurde zu allen Zeiten philosophisch nachgedacht, wenn auch zumeist nicht hauptthematisch, sondern im Kontext übergeordneter metaphysischer Fragestellungen, und auch nicht unter dem expliziten, modernen Titel einer »Ästhetik«. In diesem weiten Sinne hätte dann schon Platon »Ästhetik« betrieben, wenn er Sokrates und seinen Gesprächspartner Hippias im Dialog Hippias Maior »über das Schöne selbst, was es ist« (286d), debattieren und nach einer Definition des Wesens jenes Schönen suchen lässt, das »alles« besondere »Schöne« »schön« (287c) mache. Und in diesem vagen Sinne könnte man natürlich auch sagen, dass seine Überlegungen zum ontologischen Status der Künste im zehnten Buch der Politeia, die ihn veranlassen, den Künstlern in einem idealen Staatsgebilde eine Heimstatt zu verweigern, als ein – wenn auch kritischer – Beitrag zur Kunstphilosophie zu werten seien. Ebenso ließen sich die dichtungstheoretischen Überlegungen der Poetik des Aristoteles als ein früher Beitrag zur »Ästhetik« verstehen. Und tatsächlich sind solche und andere Gedankenmotive, die in klassischen Texten der Antike formuliert wurden, oftmals wichtig geworden für das, was Ästhetik im 18. Jahrhundert schließlich werden sollte, weil man auf solche Texte immer wieder als Quellen zurückgriff.

Was seit der Antike über das Schöne und die Kunst gedacht und geschrieben wurde, hat man deshalb gelegentlich unter dem Namen einer antiken oder mittelalterlichen »Ästhetik« zu rekonstruieren versucht (vgl. z.B. Perpeet 1977 u. 1988). Und solche Darstellungen können durchaus sehr erhellend sein; jedenfalls dann, wenn bewusst bleibt, dass es sich um Rekonstruktionen aus einer post-baumgartenschen Perspektive handelt, die eine spätere Denkfigur in die Vergangenheit rückprojizieren. Denn – dies zu betonen, ist wichtig – der Antike und dem Mittelalter, ja noch der Frühen Neuzeit sind »eine separate Kunstphilosophie, etwa im Sinne einer Regionaldisziplin ›Ästhetik‹« im heutigen Sinne, an sich »fremd« (Kreuzer 2005, 37). Wohl gibt es – neben der Thematisierung der Schönheit des göttlichen Einen oder der Schöpfungsordnung im Rahmen spätantiker und christlicher Metaphysikentwürfe (vgl. ebd.) – seit der Antike ein reiches, bis zur Gegenwart oft neuediertes Schrifttum zu Rhetorik und Dichtungstheorie (vgl. z.B. [Pseudo-]Longinus 1988; Quintilian 1995) sowie eine umfangreiche Fachliteratur für Architekten und Maler (vgl. Schneider 1996, 10f.; Heinemann 2005, 20f.), für die z.B. Vitruvs Architekturtraktat (1. Jh. n.u.Z., Vitruv 1996) als ein antikes oder Albertis Schrift über die Malkunst von 1435/36 (Alberti 2000) als ein frühneuzeitliches Beispiel dienen können. Zudem sind aus der Zeit vor dem 18. Jahrhundert einige Schriften überkommen, die mit enzyklopädischem (Plinius d.Ä. 1997) oder biographischem (Vasari 2004) Zugriff auf ihren Gegenstand das jeweilige zeitgenössische Wissen über einzelne Künste zusammenzutragen versuchen. Diese Schriften hat noch heute zu konsultieren, wer Verständigung über deren je zeitgenössische Deutung sucht. Doch ein systematisches philosophisches Nachdenken über die ästhetischen Urteilskompetenzen des Menschen und über die Kunst, wie wir es seit Baumgarten kennen und in einem engeren Sinne als »Ästhetik« bezeichnen, findet sich vor Mitte des 18. Jahrhunderts nicht.

In diesem engeren Sinne entsteht »Ästhetik« erst in dem Moment, in dem man die menschlichen Sinnesvermögen sowie die Kunst auf eine neue Weise zu sehen beginnt, die in der Tradition der europäischen Philosophie vor Baumgarten so kein Vorbild hat: als etwas, in dem eine je eigene, gleichsam »vernunftanaloge« Art von Gesetzlichkeit herrscht, die mit den begriffs- und aussagenlogisch verfassten Vernunft- und Verstandesgesetzen, welche dasjenige definieren, was wir traditionellerweise als »Rationalität« bezeichnen, nicht gleichgesetzt werden kann. Diese Eigengesetzlichkeit der sinnlichen Anschauung und der Kunst zu analysieren, zu beschreiben und in ihrer von diskursiver Rationalität unabhängigen Relevanz für die menschliche Weltorientierung herauszustellen, dies ist das Programm, dem sich philosophische Ästhetik seither verschreibt. Über die geschichtlich späte Etablierung einer unter diesem Gesichtspunkt antretenden philosophischen Disziplin mag man überrascht sein. Die Gründe dafür lassen sich hier, im Rahmen einer Einführung in Denkfiguren philosophischer Ästhetik, freilich kaum mehr als andeuten, nicht zuletzt, weil sie das philosophisch Begründbare aufs Soziologische und Kunsthistorische hin überschreiten.

Zum einen dürften die in diesem Zusammenhang in Frage stehenden Gründe mit der spezifischen philosophischen Situation im 18. Jahrhundert zu tun haben, genauer gesagt: mit dem seinerzeit dominanten philosophischen Rationalismus, der ausschließlich begriffliches Wissen als wahres Wissen anerkannte und gegen dessen damit einhergehende Verkennung der in den Sinnesvermögen gelegenen vernunftanalogen Kompetenzen des Menschen Baumgartens Aesthetica rebellierte. Diese Rebellion gegen den aus seiner Sicht verengten Erkenntnisbegriff des Rationalismus führte Baumgarten – philosophiehistorisch gesehen erstmals – dazu, die Eigengesetzlichkeit und Erkenntnisfähigkeit der Sinnesvermögen des Menschen explizit zu thematisieren. Über Baumgartens Entdeckung der Gesetze der menschlichen Sinnesvermögen hinaus dürfte die späte Erfindung der Ästhetik zum anderen aber auch damit zu erklären sein, dass im Zuge der – wie der Kunsthistoriker Oskar Bätschmann es nannte – »Revolution des sozialen Systems Kunst« (Bätschmann 1997, 11) in der Mitte des 18. Jahrhunderts so etwas wie eine wirklich freie Kunst, die das Interesse der Philosophie auf sich ziehen kann, überhaupt erst entsteht. Erst eine autonome, nicht mehr wie ehedem auf ein vorgegebenes, seitens kirchlicher oder höfischer Auftraggeber bestimmtes und im Blick auf akzeptierte Gattungen, Gehalte usw. weithin kanonisiertes Sinnsystem verpflichtete, sondern ihre eigenen Sinnkonzepte verfolgende Kunst konnte ja hinsichtlich ihres Sinns, ihrer Funktion sowie ihrer Gehalte und Formstrukturen allererst philosophisch fragwürdig, ja einer philosophischen Interpretation gar bedürftig werden. Denn jetzt, da sie nicht mehr an einen übergeordneten Logos gebunden erscheint, musste sich die Frage nach ihren autonomen Sinnpotenzialen, die die philosophische Ästhetik im engeren Sinne auszeichnet, nachdrücklich stellen.

Die Perspektive dieser Einführung


Was immer aber philosophische Ästhetik im modernen Sinne auf den Weg gebracht haben mag: Seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert lässt sie sich als das Projekt kennzeichnen, die einer autonomen Kunst, der ästhetischen Anschauung und dem ästhetischen Urteil einwohnende, nicht begriffs- und...

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