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Ästhetische Dimensionen im Bibliodrama

Musik, Klang und Stimme als neue Wege hermeneutischer Erschließung biblischer Texte

AutorGerlinde Braun
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl69 Seiten
ISBN9783638830089
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Theologie - Praktische Theologie, Note: 1,0, Evangelische Hochschule Berlin, 32 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Durch seine gesamte Geschichte hindurch ist Bibliodrama stets experimentell und aufgeschlossen für Neues geblieben. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Zentrierung auf den biblischen Text hat es sich Zugangsversuchen von den verschiedensten Seiten geöffnet und ist dadurch selbst farbiger, eindrücklicher und als Form der Religionsausübung lebensnaher und lebendiger geworden. Gleiches gilt auch für den Diskurs über die Formen seiner Praxis und die Wege seiner Gestaltung, der über die einzelnen Bibliodrama-'Schulen' und inzwischen etablierte, auf nationaler Ebene organisierte Bibliodrama-Gesellschaften hinweg im Rahmen eines offenen internationalen Netzwerkes auch im interreligiösen Dialog geführt werden soll. Genau in diesem Kontext bewegt sich diese Arbeit. Sie versucht einen durchaus 'klingenden' Beitrag in dem Diskurs zu leisten, der heute mit ausgeprägter Bereitschaft zum Experimentieren von den 'BibliodramatikerInnen' und 'BibliodramaturgInnen' geführt wird. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht die Frage nach der grundsätzlichen Legitimität eines wesentlich musikalisch geprägten Zuganges zum Bibliodrama sowie nach den Möglichkeiten und Varianten der Nutzung musikalischer Ausdrucksformen als ästhetischen, und damit an die körperliche Wahrnehmung gebundenen hermeneutischen Zugängen zum biblischen Text. Exemplarisch für die mögliche Vielzahl ästhetischer Ausdrucksformen konzentriert sich die Arbeit somit auf den Bereich der Musik, der Klänge im weiteren und engeren Sinne sowie auf den musikalischen Gebrauch der Stimme. Der Exkurs der Arbeit vollzieht sich in kritischer Würdigung bereits vorliegender Theorieansätze über die Suche nach neuen philosophischen, hermeneutischen, tiefenpsychologischen, und musikpraktischen Zugängen zu einer musikalisch geprägten bibliodramatischen Arbeit und mündet konsequenter Weise immer wieder in ersten Anregungen und Ideen für eine praktische Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse.

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Leseprobe

3  Und das Wort wurde sinnlich - Eine philosophische Annäherung an das musikalisch geprägte Bibliodrama


 

3.1  Dem „Geheimnis“ auf der Spur – Was ereignet sich nach Pasquay im Bibliodrama?


 

Ist das Bibliodrama eine geheime Welt, die nur Insidern oder besonders spirituell veranlagten Menschen zugänglich ist? Was geschieht im Bibliodrama, in bibliodramatischen Prozessen? Welche besondere Art von Zugang zum biblischen Text bietet das Bibliodrama? Was fange ich an mit einem Satz wie ‚ES hat mich berührt!’, mit dem SeminarteilnehmerInnen ihre konkreten Erfahrungen und Erlebnisse von etwas offensichtlich Unaussprechbarem manchmal zusammenfassen? Dieses Berührt–, Geöffnet– und Bewegtwerden wird gespürt, erahnt, erlebt, erfahren und gilt als höchstes und schützenswertes Gut. Der Gemeindepfarrer und 2. Vorsitzende der Gesellschaft für Bibliodrama e.V. Andreas Pasquay beschreibt dieses ‚ES’ als etwas, sich jedem rationalen Zugriff Entziehendes:

 

„Ausgesprochen, analysiert oder gar in einen rechten Rahmen gerückt würde ES – das Geheimnis im Bibliodrama – sich selber verflüchtigen. Es wird sich dann entziehen – mit der gleichen Eindeutigkeit, mit der es im Prozess wirkte, die Teilnehmenden ‚berührte, erfüllte und bewegte’ [Hervorhebung durch G.B.].“ (Pasquay: TEXTRAUM 19/03: 4)

 

Dieses Geheimnis ist nach Pasquay zugleich notwendig und unabdingbar mit dem Bibliodrama verbunden, weil es dessen innere Antriebskraft und Motor ist.[5] In bibliodramatischen Prozessen werden Bereiche angestoßen, die sonst offensichtlich nur schwer zugänglich sind: angefangen bei erahnten ‚inneren Räumen’ bis hin zu bekennender ‚tiefer Spiritualität’.

 

Während eines solchen Prozesses geht es darum, das eigene Gespür für diese inneren Räume zu öffnen, sich berühren zu lassen, denn weil es nicht wirklich greifbar, verfügbar ist, „bleibt [das Geheimnis, G.B.] im Zwischen von Gruppe, Leitung und Text.“ (Pasquay: TEXTRAUM 19/03:  6).

 

Pasquays Ausführungen und seine Begriffswahl im zitierten Artikel des ‚TEXTRAUM’ (19,03) offenbaren viel von der Wirkung des Unaussprechlichen auf ihn selbst. Sie sind dem emotionalen Raum verpflichtet und bleiben als solche doch ‚nur’ Schilderungen unmittelbaren Erlebens. Reichen aber begeisternde, poetische, vielleicht sogar mystifizierende Umschreibungen da aus, wo es, wie im Bibliodrama, um dynamische Prozesse geht, die von Leitenden und Teilnehmenden aktiv beeinflusst werden? Ist die Frage danach, wie und auf welchem Wege dies geschieht, nicht legitim und sei es auch ‚nur’ unter ethischem Aspekt, umsomehr als eine vom Zeitgeist ‚beseelte’ und immer manipulativer agierende Gesellschaft den kontextuellen Hintergrund und rauen Gegenwind für das Bibliodrama als Form religiösen Lebens bildet? Reicht es aus, in beinahe regredierendem Zurückschrecken, einen Schleier lieber nicht zu lüften? Was kann sich schon Desillusionierendes hinter ihm verbergen? Ist das Geheimnis wirklich in Gefahr? - Ganz sicher nicht, wie sich im folgenden erweisen wird!  Das Unverfügbare wird unverfügbar bleiben, denn alles Erkannte muss der Unendlichkeit des Nichterkannten unterliegen! Doch mit dem wissenschaftlichen Exkurs auf das Bibliodrama zu vervielfachen sich die Dimensionen seiner Entfaltung und die Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung für den Menschen. Und das bestätigt schließlich Pasquay selbst:

 

„Die Erfahrung zeigt, dass sich das ES [das Geheimnis, G.B.] vorrangig auf der Ebene der Ästhetik und der Atmosphäre eines Bibliodramas äußert. Ästhetik – nicht einschränkend als Wiedergabe des Schönen gemeint, sondern als Form, das Unsagbare in Form und in kommunizierbare Äußerungen zu bringen.“ (Pasquay: TEXTRAUM 19/03: 6)

 

Ich werde nun in diesem Kapitel einen Weg der Erklärung untersuchen, der es ermöglicht, sich dem Geheimnis soweit anzunähern, dass es sich im Sinne Pasquays nicht verflüchtigt, und dennoch neue Zugänge zu sich selbst offenbart.

 

3.2  Der Atmosphärebegriff des Philosophen Gernot Böhme


 

3.2.1  Die Notwendigkeit einer neuen Ästhetik als Aisthetik


 

Obwohl der Philosoph Gernot Böhme seinen Atmosphärebegriff nicht mit Bezug auf das Bibliodrama entwickelt hat, wird er von prominenten Vertretern der Bibliodramabewegung, als ein geeignetes theoretisches Modell herangezogen, zumindest annähernd das zu beschreiben, was sich an Geheimnisvollem im Bibliodrama ereignet. So verknüpft zum Beispiel der Gemeindepfarrer und Privatdozent für Praktische Theologie, Dr. Heiner Aldebert seine Vorannahme, dass bibliodramatische Prozesse ästhetischer Natur sind, mit Böhmes Theorie einer „Neuen Ästhetik“ und schlussfolgert, dass wir „mit Hilfe der Ästhetik tiefer ins Innere bibliodramatischer Prozesse [blicken] als ohne“, und dass der ästhetische Charakter bibliodramatischer Prozesse uns einen besonderen Zugang zum „Inneren biblischer Texte“ ermöglicht „wenn viele seiner Vollzüge ästhetischer Natur sind.“ (vgl. Aldebert 2001: 192f).

 

Im Kontext dieser Arbeit liegt es daher nahe, zunächst den Weg Böhmes in Grundzügen nachzuvollziehen, auf dessen einzelnen Etappen sich jeweils konkrete Schlüsse auf das Wirken ästhetischer Dimensionen im Bibliodrama ergeben:

 

Böhme beginnt bei der kritischen Analyse der traditionellen Ästhetik als einer auf die Kunst und den ästhetischen Diskurs beschränkten, primär urteilenden, beurteilenden bzw. einordnenden Theorie. Dieser sei es hauptsächlich um die Betrachtung von Kunstwerken im Sinne von Kunstkritik gegangen. Die traditionelle Ästhetik habe sich also dem Erkenntnisgegenstand primär von der intellektuellen Seite genähert (vgl. Böhme 1995: 7/15).

 

In der Folge voranschreitender gesellschaftlicher Entwicklung sieht Böhme die traditionelle Ästhetik in zweierlei Hinsicht einem äußeren Druck ausgesetzt, der sie zwingt, diesen eingeengten Raum zu verlassen und sich zu transformieren: Erstens konstatiert er einen Prozess, den er als Progressive Ästhetisierung der Realität bezeichnet und als eine nahezu durchgängige Ästhetisierung des Alltags, der Wirtschaft und der Politik beschreibt[6].

 

Bezogen auf die religiöse Sphäre bedeutet dieser Prozess: Infolge fortschreitender Selbstentfremdung des Menschen durch ökonomische, politische und naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen gerät dieser unter wachsenden psychischen Druck, sein Dilemma zwischen Identitätsverlust und immanentem Drang zur Selbstverwirklichung zu lösen. Da die ‚Auswege’, die der moderne Kapitalismus bietet, nur tiefer in das Dilemma hineinführen, obwohl sie gerade durch Ästhetisierung der Realität das Gegenteil suggerieren, bleibt einer wachsenden Zahl von Menschen als Alternative zur Unterwerfung durch Anpassung nur die Flucht in die spirituelle Sphäre. 

 

Die spirituelle und religiöse Sphäre der Gesellschaft ist jedoch von der Tendenz der „progressiven Ästhetisierung der Realität“ nicht abgekoppelt, sondern, weil es ihr – da, wo sie nicht pseudoreligiös gefärbt ist - im allgemeinsten Sinne um Wiederherstellung von Nähe zur eigenen Empfindung und Sinnlichkeit als Vorraussetzung für Gottesnähe geht, davon besonders betroffen. So wächst hier mehr als anderswo die Notwendigkeit zum verantwortlichen Umgang mit ästhetischen Mitteln und Methoden, um der Tendenz zum Abgleiten in ein rein manipulatives Ästhetisieren, das den Menschen in seiner Folge entmündigen kann, konsequent entgegenzuwirken.[7]

 

Zweitens unterliegt die Ästhetik dem Druck einer völlig neuen Qualität globaler ökologischer Herausforderungen, die ihrerseits den Menschen in den existentiellen Zwang stellen, sein Verhältnis zur Natur zu überdenken und zu verändern (vgl. Böhme 1995: 7).[8]

 

„Mit dieser Erfahrung wurde plötzlich deutlich, daß der Mensch nicht allein oder primär ein Vernunftwesen ist, sondern daß er ein leibliches Wesen ist.“ (Böhme 1995: 14)

 

Böhme sieht das Umweltproblem vorrangig deshalb als ein Problem der menschlichen Leiblichkeit, weil der Mensch die durch ihn selbst verursachten Auswirkungen durch die Zerstörung der Natur am eigenen Leib zu spüren bekommt (vgl. Böhme 1995: 14). Folgerichtig ist der Mensch, unabhängig von seinem Wollen und Wünschen zu einer Reflexion dieses unmittelbaren Leib-Bezuges gezwungen, da seine Verdrängung sich existenzbedrohend gegen ihn selbst kehren würde.

 

„[...] deshalb [ist] das Umweltproblem [...] primär eine Frage der Beziehung des Menschen zu sich selbst. Es stellt die Aufgabe, die Natur, die wir selbst sind, d. h. den menschlichen Leib in unser Selbstbewußtsein zu integrieren.“ (Böhme 1995: 14)

 

Erneut auf die religiöse Sphäre projiziert, in der sich Bibliodrama ereignet, ergibt sich folgendes Bild: Das gegenwärtige Verhältnis des Menschen zur Natur ist durch die nachaufklärerische Subjekt-Objekt Dichotomie bestimmt[9]. Damit fällt der Mensch aus der Einheit der Schöpfung heraus, die im voraufklärerischen Denkmodell der Einheit mit Gott und seiner Schöpfung gegeben war....

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