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Bekenntnisse einer Yoga-Lehrerin

AutorKristin Rübesamen
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783827078520
Altersgruppe12 – 70
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Hund, Kobra, Fisch - jeden Tag schlängeln sich Menschen erwartungsvoll in Haltungen, die Tiernamen haben und gegen alles helfen sollen: Bluthochdruck, Depressionen, Impotenz ... Aber kann Yoga uns wirklich retten? Yoga hat Kristin Rübesamen gelehrt, genau hinzuschauen.Es hat ihre Aufmerksamkeit geschärft, ihr Disziplin beigebracht und Kraft gegeben, und davon erzählt sie mit Witz und entwaffnender Offenheit. Yoga kann nicht alles, aber tatsächlich sehr viel.

Kristin Rübesamen, geboren in München, studierte deutsche und russische Literatur und arbeitete für Spiegel-TV und ZDF. Nach einem Jahrzehnt in New York und London lebt sie nun mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Berlin. Sie schreibt für die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, veröffentlichte zwei Romane und zuletzt zusammen mit Angelika Taschen Great Yoga Retreats. Sie unterrichtet Yoga in Berlin und auf der ganzen Welt.

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Leseprobe

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Es ist lange her, seit ich angefangen habe, täglich zu üben. So lange her, dass es mir schwerfällt, mich an die Zeit davor anders zu erinnern als an einen Film mit einer Hauptfigur, deren Charaktersprünge als Temperament abgetan werden. Ein langer Film, in dem sich die Hauptfigur verliebt, eine Familie gründet, gerne ein Klavier besäße, das Land verlässt, sich streitet und wieder versöhnt, die Spülmaschine anschaltet, die Zeitung liest.

Als ich angefangen habe zu üben, war ich noch jung, aber keine junge Frau mehr. Ich hatte zwei Kinder geboren, war niemals jemand, der mehr als ein Paar abgelaufene Sportschuhe besaß, und fand, Apfelschorle war ein hässliches Wort. Ich hielt mich für relativ gelenkig, nicht unsportlich, für jemanden, der Ausdauer besaß. Jedenfalls dachte ich das, bevor ich anfing.

In den ersten Monaten, in denen ich ein- oder zweimal in der Woche übte, stellte sich eine nervöse Unruhe ein, die mich ebenso verwirrte wie beschwingte, es war, als ginge ich die zwei Blocks auf der 6th Avenue hinauf zur 14th Street zu einem heimlichen Rendezvous, aufgeregt, in der Hoffnung, eine gute Figur zu machen. Vor allem aber erleichtert, wenn mich niemand sah. Weil ich immer spät dran war, lief ich in meinen Yogaklamotten zum Center mit dem Gefühl, mein Hintern sei größer als die »New York Times«, mit der Überschrift: »Hat keinen Job«. Meine Beine fühlten sich an wie Zement, darüber ebenjener Hintern, ein undefinierbarer Mitteltrakt, ein albernes Doppelkinn und ein Haarschnitt, der Entschlossenheit suggerieren sollte: wie eine Baustelle, die einen neuen Investor sucht. Na gut, das ist stark übertrieben, so würde ich es in einer Frauenzeitschrift schreiben, aber ich habe Freundinnen, vernünftige, kluge Frauen, die ihren Körper so einschätzen. Ich dagegen war in Bezug auf meinen Körper noch nie sonderlich neurotisch. Dafür war ich durch und durch Realistin, machte mir viel zu viele Gedanken über die Komplexität der Dinge, bin alles in allem bis heute jemand, der unter seiner ständigen Selbstbeobachtung leidet und dem als Erlösung jedes Mittel recht wäre.

Zum ersten Mal in meinem Leben arbeitete ich freiberuflich. Das heißt, ich hatte sehr wohl einen Job, aber ich hatte kein Büro, ich musste also das Haus nicht verlassen, wenn ich nicht wollte. Dadurch stellte sich die Frage, wie ich mich fit halten würde. Denn ich musste mich bewegen, sonst bestünde die Gefahr, dass ich an einem recht niedrigen Blutdruck leidend am Schreibtisch einschlafen würde. Leute, die ein Büro haben, müssen in meiner Vorstellung ständig aufstehen und zum Kopierer gehen, zum Kaffeeautomaten und, weil sie in ihren Meetings zu lange reden, zu den anschließenden Meetings rennen. Ich hatte aber keinen Kopierer und auch keine Meetings, nicht mal Arbeitszeiten, im Gegenteil, ich konnte mir meine Zeit einteilen, wie ich wollte.

Ohne Yoga hätte ich Probleme mit dieser Option gehabt, aber so liegt bis heute der größte Vorteil, den ich mir vor Augen halte, wenn ich mal wieder meine Freunde beneide, die »einen Job haben« als Angestellte, darin, dass ich jederzeit Yoga üben kann. Wann immer ich will. Ich kann eine Vormittagsstunde nehmen und habe dann den Abend frei, ich kann mit Aussicht auf eine wunderbare einstündige Mittagsstunde mein Arbeitspensum am Vormittag steigern, ich kann am frühen Abend üben, ich kann mich entscheiden, fünf Vormittage hintereinander bei einem Koreaner, der Stöckelschuhe trägt, eine Fortbildung zu machen. Ich habe maximale Freiheit, mir auszusuchen, wann ich übe, solange ich nur übe. Denn ohne Yoga könnte ich schwer schreiben.

Die Tatsache, dass ich diesen niedrigen Blutdruck hatte, einen Mann mit Festanstellung und in einer Stadt lebte, in der Kinderbetreuung schon für die Kleinsten selbstverständlich war, half. Ich übte und übte, ohne zu wissen, dass dieses Üben mein Leben einschneidend verändern würde.

Neben Bewegung gab es aber noch ein weiteres Motiv, das mir allerdings erst später als solches klar geworden ist. Obwohl es die richtige Entscheidung gewesen war, Hamburg zu verlassen und damit meine Karriere beim Fernsehen an den Nagel zu hängen, war dadurch noch lange nichts geklärt. Ich hatte vom ersten Tag an in New York immer Arbeit als Journalistin, aber ich hatte keine Aufgabe. Möglicherweise ist die eine große, sinnvolle Aufgabe im Leben, die wir alle suchen, überschätzt. Der Kontext bestimmt schließlich im Wesentlichen, ob wir finden, etwas Befriedigendes hinbekommen zu haben als Schreiner, Sachbearbeiter, Dirigent oder nicht, und sei es die erfolgreiche Zustellung eines Pakets trotz mühsamer Suche nach dem Adressaten. Und in dieser Hinsicht war ich durchaus zufrieden. Die Illusion dagegen, einen Sinn herzustellen, der über die eigenen kleinen Sorgen hinauswächst, ist etwas anderes. Diese Illusion war mir in New York verloren gegangen, und deswegen, ohne dass mir das klar war, suchte ich wohl nach einer Aufgabe. Damit ist nicht der heute so gern eingeforderte »Ausgleich zur Karriere« gemeint. Ich zum Beispiel hatte alles, was man Karriere hätte nennen können, in Hamburg gelassen.

Ich kann nicht sagen, dass ich Yoga so ohne weiteres als meine Aufgabe erkannt hätte, im Gegenteil. Neben der Disziplin und Routine gefiel mir vor allem das Gefühl, wenn es vorbei war. Ich ging erst einmal in der Woche, dann zweimal, schließlich dreimal und nach wenigen Monaten jeden Tag. Das Leben da draußen, wie wir sagen, wurde dadurch nicht weniger kompliziert, es wurde erst mal komplizierter, denn ich handelte mir eine Menge kleiner Aufgaben ein, die ich nur schwer bewältigen konnte.

Morgens oder abends saß ich nun auf einer zusammengerollten Decke, die nackten Füße gekreuzt, die Augen halb geschlossen, und versuchte zu verstehen, was damit gemeint war: die Wirbelsäule aufrichten.

Etwas gut machen zu wollen, von dem man keine Ahnung hat, bringt einen schnell an den Rand der Verlegenheit, ein Gefühl, das sich damals zu dem Unvermögen gesellte, die Wirbelsäule zu finden, auf dem Kopf zu stehen, auf einem Bein zu stehen, auf beiden Beinen zu stehen, einfach nur so. Manchmal schwankte ich so heftig, selbst mit beiden Füßen fest am Boden, dass ich fast umgefallen wäre.

Die Stunde ging los. Tadasana, der Berg. Alle stellten sich vorne an den Rand der Matte, Füße geschlossen, Beine gestreckt, Rücken gerade, Finger aktiv, den Blick leicht nach innen gerichtet, das ganze Programm. Durch die Fußsohlen saugten wir Energie ein bis ganz nach oben zum Scheitel, nur ich saugte die falsche Energie ein, irgendetwas mit Rum, und musste alle Kraft aufwenden, um mich gerade zu halten. Ich lernte dann, dass es die falschen Gedanken waren, die mich daran hinderten, wie ein Berg zu stehen. Vielleicht hielt ich zu krampfhaft fest, an den Kindern, meiner ungezwungenen Art, der Aussicht, im Sommer zwei Wochen nach Griechenland zu fahren? Ich strich Griechenland von der Liste, strich die Liste von der Liste, fühlte die Energie durch die Kanalisation die zwei Stockwerke nach oben drängen, stetig, unerbittlich, und stand schließlich da wie eine Eins.

Bevor ich verstand, worum es ging im Yoga, wollte ich gut darin sein. Der Wunsch, Erfolg zu haben, trieb mich aus dem Haus. Was auch sonst? Über die Jahre nehmen sie dir im Yoga deine Motive so auseinander, dass du dich schlecht fühlst, wenn du etwas gut machen willst. Erfolg, Leistung, Disziplin, überhaupt vorankommen zu wollen: alles schlecht, nichts ist ihnen gut genug. Dir bleibt irgendwann nichts anderes übrig, als so zu tun, als wäre es dir schnuppe, ob du einen Kopfstand hinbekommst oder nicht, weil du damit rechnest, dass wenn du nur höflich genug wartest, sich der Kopfstand gnädig von allein einstellt. Bescheidenheit lernst du auf die Weise, wird dir versichert. Das hörst du gerne, denn das, soweit du informiert bist, ist ein entscheidender Wesenszug des Yogis, der du so brennend gerne wärst.

»Schick deine Aufmerksamkeit in den Platz zwischen deinen Schulterblättern.«

Es war mir neu, dass ich etwas schicken konnte, was doch eigentlich wunderbar ohne mich funktionierte. Überhaupt, dieser permanente Imperativ! Ich war jedoch Gast im Land und entschlossen, alle Möglichkeiten voll auszuschöpfen, auch die sprachlichen. Den Übergriff, den diese Art von suggestiver Psychosprache darstellt, denn es waren ja all jene neuen Wörter, die sich in den Kopf stahlen, hätte ich in Deutschland, da bin ich mir fast sicher, nicht so ohne weiteres geduldet.

Doch es war schwer. Was war denn meine Aufmerksamkeit? Ich nahm das Gelb einer M&M-Packung wahr, die schwarz umrandeten schönen Augen in einem teigigen Gesicht, Staub, eine dramatisch schief hängende Schere, die Hoffnung in den Bücherregalen. Das Gehirn arbeitete rund um die Uhr, warum Überstunden machen? Weil Lippy, die Lehrerin, es sagte. Also schickte ich meine Aufmerksamkeit in Gestalt eines nicht übermäßig motivierten Wachpersonals los, die Art von Gurkentruppe, die sich von einem gutmütigen Hund nachts durch Fabrikgebäude ziehen lässt. Schickte meine Konzentration in das Dickicht hinter meinem Herzen auf der Suche nach der Wirbelsäule, dieser Autobahn, auf der die Energie angeblich auf und ab rast. Nicht, dass ich verstanden hätte, woraus Energie oder Prana, wie man dazu sagte, bestand. Sehr abstrakt, das Ganze, aber lustig.

Einmal machten wir mit der Schule meiner Tochter einen Ausflug zu einem völlig verwilderten hügeligen Gartengrundstück an der Houston Street, und ein Stadthistoriker und Biologe erklärte uns, dass Manhattan früher überall so ausgesehen hatte. Wir standen mit Kaffeebechern im Dreck und trauten...

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