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Als ich auszog, das Fürchten zu verlernen

Memoiren einer Angsthäsin

AutorJutta Michelbach
VerlagMorawa Lesezirkel
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl Seiten
ISBN9783990700099
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Es gibt zahlreiche packende Berichte herausragender Bergsteiger und Abenteurer, die von ihren halsbrecherischen Erstbesteigungen und Weltumrundungen erzählen. Man kann darüber leicht vergessen, dass Abermillionen einfache Menschen sich auch auf den Weg machen, das Wunder 'Welt' auf bescheidenere, doch deshalb nicht weniger anspruchsvolle Weise für sich und ihr individuelles Weltbild zu erobern. Ich möchte mit diesem Buch nicht so draufgängerischen Mitmenschen Mut machen, vom überhandnehmenden, konsumbetonten Massentourismus zu persönlich selbst gestalteten Urlauben - ohne All-Inclusive und eingezäunte Hotelressorts mit Animateuren - eine Brücke zu schlagen.

Jutta Michelbach geb. Krupitz kam im Februar 1944 als Zwillings-Schwester und letztes von fünf Kindern in einer Arztfamilie in Wien zur Welt. Die Mutter starb elf Tage nach der Geburt und die Neugeborenen kamen in ein Säuglingsheim dessen Belegschaft sich damals ständig auf der Flucht befand, und die Großmutter flüchtete mit den drei anderen Kindern in die damalige Tschechoslowakei. Die Kriegswirren und traumatischen Erlebnisse jener Zeit machten Jutta - sehr im Gegensatz zu ihrer stark extrovertierten Zwillingsschwester - sehr in sich gekehrt, ängstlich und verschlossen. Erst in der Schule fand sie mit dem Lesen- und Schreiben-Lernen eine für sie passendere Ausdrucksform und Kommunikationsmöglichkeit als mit dem Reden. Sie kultivierte und praktizierte ihre musischen Begabungen - u.a. das Schreiben von Kurzgeschichten, Gedichten und Tagebüchern zeit ihres Lebens in ihrer Freizeit. Das Schreiben zum Beruf zu machen vermied sie, um in der Abgeschiedenheit des Arbeitens nicht in Einsamkeit abzudriften. Nach der Matura 1962 arbeitete sie in der Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft als Sekretärin bis zu ihrer Eheschließung 1966. Sie brachte zwei Töchter und einen Sohn zur Welt. Nach dem Tod ihres Sohnes knapp nach seiner Geburt 1972 ließ sie sich scheiden. Als Alleinverdienerin um ein stabiles Einkommen bemüht arbeitete sie dann als Fremdsprachensekretärin für sowjetische Klassik-Künstler. In der Zeit machte sie auch ihr Fußpflege-Diplom mit entsprechend später anschließender Meisterprüfung und eröffnete 1988 ihre eigene Praxis, in der sie bis zu ihrer Pensionierung 2004 sehr erfolgreich arbeitete. Nach interfamiliärer Alten- und Krankenbetreuung für ihre Stiefmutter (2005) und Zwillingsschwester (2015) findet sie nach deren Ableben endlich Zeit ihre künstlerischen Ambitionen auszuloten und weiterzuentwickeln.

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Leseprobe

LIEBESBRIEF AN EINE TOCHTER


Juli 1992

Was für ein Entschluss – gemeinsam in die Berge zu gehen! Wir haben das ganze Jahr über so wenig Zeit füreinander – wenn wir uns hin und wieder doch sehen, dann mutet es mehr wie ein Blitzbesuch an. Kurzer Informationsaustausch, vielleicht mal ein gemeinsamer Kinobesuch, oder eine trocknet die Tränen der anderen. Dann reissen uns die Pflichten und unterschiedlichen Arbeitswelten gleich wieder auseinander. Du weißt schon fast nicht mehr wie deine Mutter sich befindet, und ich kenne meine Tochter kaum mehr, da wir uns ständig weiterentwickeln, verändern und älter – hoffentlich zum Teil auch klüger – werden. Wie schön, dass die Sehnsucht, einmal wirklich ein paar Tage für einander da zu sein, uns ins Matratzenlager vom Sadnig-Haus geführt hat!

Fr., 24. Juli 1992


Ich versuche, den Rucksack für unsere Bergwoche zu packen. Völlig erschöpft von der Arbeit und ein wenig unsicher, was ich eigentlich wirklich einpacken und mitnehmen soll. Ich habe mir einen neuen Rucksack gekauft, neuen Regenanorak, Jeans, Pullover und Sonnenbrille, denn ich will unbedingt, dass du eine schicke, attraktive Mutter als Bergkameradin hast. Du sollst nicht denken „wie schaut denn die schon wieder aus…“ – Ängstlichkeit der älteren Generation! Ich räume die Kästen aus und wieder ein, sortiere hin und wieder her und bin heilfroh, dass „Rudi der Starke“ mich noch zum Abendessen entführt und damit meine Wankelmütigkeit, was ich mitnehmen soll oder nicht, auf ein Minimum reduziert. Außerdem ist das Gefühl sehr hübsch, dass da jemand ist, dem es nicht gleichgültig ist, ob ich eine Woche von Wien fort bin, oder nicht.

Sa., 25. Juli 1992


Ich stehe zielstrebig wie immer um vier Uhr früh auf, dass ich trotz restlicher Vorbereitungen pünktlich bei dir in der Karolinengasse aufkreuze, denn wir wollen zeitig wegfahren. Mein dahingehender Vorschlag lautet: sieben Uhr. Du plädierst für acht – das reiche aus. Mein „ausschweifendes Nachtleben“ vom Vorabend schlägt mir ein Schnippchen: Ich bin in meiner Wohnung von außen eingesperrt, der Schlüssel dreht im Schloss durch und greift nicht und ich muss mich erst von Freund Rudi wieder befreien lassen. Armer, armer „starker Mann“ muss zu nachtschlafender Zeit durch die halbe Stadt zu mir düsen, um mit seinem Gegenschlüssel die Sperre wieder aufzuheben. Mir raubt dieses Missgeschick und der Zeitverzug die disziplinierte Selbstbeherrschung – nicht weil ich mich schämen würde, sondern aus Ärger, dass ich dich warten lassen muss. Deine Frage: „Genügt es, wenn ich meine Sachen nur in den Rucksack stopfe?“ färbt auf mich ab, und ich „stopfe“ ebenfalls und komme mit einer vollen Stunde Verspätung und zitternden Nerven bei dir an. „Schatz, ich bin verdammt nervös geworden!“ „Ich auch!“ „Macht nichts, wenn wir erst einmal auf der Autobahn sind, wird sich alles in Wohlgefallen auflösen!“

Und so ist es dann ja wohl auch.

Irgendwo hinter dem Semmering - ich bin mittlerweile schon urlaubsmäßig ohne Zeit- und Weg-Maß – machen wir Kaffeepause und die ersten Dokumentarfotos. Mutter und Tochter – wer ist wer – haben sich auf den Weg gemacht, die Welt zu erobern. Geta-Oma wird entsetzt sein, dass wir unsere strahlenden Gesichter hinter Sonnenbrillen verstecken, denn das ist ihrer Meinung nach nicht fotogen.

Wie himmlisch angenehm, dir zur Weiterfahrt die Autoschlüssel einfach in die Pfoten drücken zu können und auf dem Beifahrersitz seelenruhig bis Klagenfurt versäumten Schlaf nachholen zu dürfen. Übrigens, lieb von dir, dass du mir beim Kaffeetrinken gesagt hast, dass du mit meinem Aussehen zufrieden bist und ich dir gefalle. Auch wenn dieses Kompliment „nur“ von meiner Tochter kommt, lege ich auf solch eine Feststellung deinerseits ungemein viel Wert! Mit diesem zufriedenen Gefühl und heiser gesungener Stimme knickt mir der Kopf auf die Seite. Tiefschlaf – unterbrochen von Kaffee und Klaräpfeln in Villach. Du fährst und fährst und fährst, und ich vergesse vollständig, dass auch du einmal müde wirst. Welcher Egoismus! Rollentausch, Platzwechsel. Die Luft ist schwül und gewittrig und wir atmen auf als es zu regnen anfängt. Doch richtig hellwach werden wir beide erst wieder, als wir ins Asten-Tal einbiegen und die Bergstraße mit sechzehn Prozent Steigung im ersten Gang hinaufkurven. Wenn auch das Sadnig-Haus neu sein soll, die Straße ist alt und geflickt genug, dass sie auch in Gerta-Oma‘ s Uralt-Wanderkarten eingezeichnet sein müsste. Mir bangt, wann immer uns ein Fahrzeug entgegen kommt, vor einem Sturz in die Tiefe. Sagenhaft hoch geht‘s da hinauf! Sinnigerweise singt Reinhard May im Autoradio „…über den Wol-ken…“ – wir stecken noch im Gewitter-Dunst. Doch plötzlich steht das „Neue Sadnig-Haus“ vor unserer Nase, wo ich wohlorganisiert ein Doppelzimmer mit Warm- und Kalt- Fließwasser vorbestellt habe. Vom 25. Juli bis 2. August, hundertdreißig Schilling pro Bett und Nase. Doch du spielst „Gunda-Sparefroh“, weil du bist ein Alpenvereinsmitglied und „Jugendliche“! Sogar Anspruch auf heißes Teewasser kannst du geltend machen.

Wir steigen erst einmal aus dem Auto, vertreten uns die von der langen Fahrt steif gewordenen Beine und melden uns bei der Hüttenwirtin. Die mimt „ganz erstaunt“, dass wir schon da sind, weil sie die Kalendertage verwechselt hat: „Jo Zimma han I hiaz kaans frei, erscht murgn wieda!“

Da das Matratzenlager völlig unbelegt ist, halten wir dort Einzug und beschließen einmütig, dass es uns in dieser „Reitschule“ so gut gefällt, dass wir gar kein Zimmer brauchen. Und dass ich Luxus-Mutter am nächsten Tag allein übersiedle kommt gar nicht erst in Frage, denn ich will ja mit dir zusammen sein. Dies ist eine andere Art von Urlaub als unsere Bildungs-Reise die Romantische Straße entlang vor ein paar Jahren. Außerdem bin ich clever und vorausschauend genug gewesen, unter dem Aspekt „Auto ist geduldig“ auch noch meinen Daunenschlafsack in den Kofferraum zu „stopfen“. Nach reiflicher Überlegung wähle ich das Stockbett beim Fenster „zu ebener Erde“, denn ich muss während der Nacht sicher mindestens einmal hinaus. Schlaftrunken im Finstern Leitern klettern ist mir zu umständlich und risikoreich. Wozu steht in der Waschbecken-Ecke ein Kübel voll Wasser? Beim Abend-Tee mit Tauchsieder funktioniert der Wasserhahn jedoch problemlos. Beim Zubettgehen macht meine Nackenwirbelsäule unliebsame Erfahrung mit dem Oberbett. Wenn ich nicht zur Buckligen von Notre Dame werden will, muss ich wohl vorsichtiger sein! Beim Lesen im Bett lutschen wir jeder noch ein halbes, vertrocknetes, runzliges Frankfurter Würstchen. Ich merke nicht einmal mehr als du auch ins Bett kletterst und dich in die braunen, hauseigenen Kotzen wickelst. Ich schlafe um acht Uhr schon wie ein Murmeltier. Wie gut ich mich doch kenne: um ein Uhr früh tapse ich mit meiner Bleistift-Taschenlampe aus der Praxis zweckentfremdet aufs zugige Klosett und sehe dabei Sternenhimmel und bedrohliches Wetterleuchten durchs offene „Häusl-Fenster“.

So., 26. Juli 1992


Um sechs Uhr morgens schrecke ich hoch, weil die Türe quietscht und zwei Männer von der Bergwacht mit einem riesigen Bernhardiner-Wolfshund hereinkommen und sich auch schlafen legen wollen. Der gigantische Hundeschädel beugt sich über mein Gesicht, um mich liebevoll wach zu schlabbern. Ich wälze mich panisch ein Bett weiter. Gott sei Dank suchen sich die Drei doch noch eine andere Bleibe und lassen uns rücksichtsvoll weiterschlafen. Erst um halb neun registriere ich, dass die Sonne, die mir seit einer Stunde ins Gesicht scheint, die Kopfschmerzen verursachen muss. Nach zwölf Stunden Scheintod bin ich endlich munter.

Löskaffee! Merde – der Tauchsieder bleibt kalt! Ich soll ohne heißen Kaffee Morgentoilette machen? Ein Ding der Unmöglichkeit! Aber es kommt noch dicker: Zähne putzen geht gerade noch, dann versiegt das Fließwasser zur Gänze. Ich knurre „australisch“ mit zusammengebissenen Zähnen und finde mich mit meinem misslichen Schicksal insofern ab, dass ich ungewaschen, ungeschminkt, mangelhaft gestriegelt in den Gastraum hinunterwanke und als „sus montanum“ frühstücke, sonst werde ich grantig. Das „Berg-Ferkel“ ist geboren. Die Gefahr, meine gute Laune zu verlieren, war gewaltig! Um elf Uhr sind wir dann so weit, dass wir einen „kur-zen“ Bergtag beginnen.

„Mutti, du hast aber liebe, schnuckelige Schisocken…“ – „Nimm dir das eine Paar gleich, dann erwirbst du dir im Laufe dieser Woche ein Gewohnheitsrecht darauf!“ – Ich will, dass meine Tochter auf anderen Touren mit ihren Freunden damit an unsere Bergwoche erinnert wird.

Beim Frühstückstisch habe ich Leute reden gehört, dass es einen...

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