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E-Book

Als ich mit dem Papst U-Bahn fuhr

Jorge Bergoglio aus Buenos Aires

AutorErika Rosenberg
VerlagHerbig
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783776682113
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Jetzt haben Sie alles für das Buch. Ich glaube, jetzt sind Sie damit fertig ...' ('Bueno, ahora tiene usted todo para el libro. Pienso que ahora ya lo termina.') - nein, hier lobt nicht das Lektorat, diese Worte richtete der Papst an die Autorin. Erika Rosenberg ist Franziskus mehrere Male begegnet, schon als dieser noch Erzbischof von Buenos Aires war. Neben Jorge Mario Bergoglios Engagement für die Armen und Unterdrückten hat sie als Jüdin insbesondere sein Einsatz für den interreligiösen Dialog fasziniert. Und so hat sie sich auf den Weg gemacht, in Südamerika ebenso wie in Rom und im Vatikan, um Gespräche mit Familienangehörigen, Freunden, Weggefährten und Mitarbeitern zu führen. Verwoben mit ihren Begegnungen und vielen Hintergrundinformationen ist daraus ein ganz persönliches Porträt dieses so ungewöhnlichen Mannes auf dem Stuhl Petri entstanden.

Erika Rosenberg, 1951 in Buenos Aires geboren, ist Journalistin und Autorin und hat als Dozentin am Goethe-Institut, im Argentinischen Auswärtigen Amt und an der Katholischen Universität zu Buenos Aires gearbeitet. Sie ist Übersetzerin und Dolmetscherin. Im Jahr 2014 wurde ihr das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland am Bande verliehen.

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Leseprobe

Vatikanische Impressionen: Audienzen, Umarmungen, Rosengrüße

»Jetzt haben Sie alles für das Buch. Ich glaube, jetzt sind Sie damit fertig.«

FRANZISKUS BEI DER AUDIENZ

Letzter Sonntag im August, zugleich der letzte Tag des Monats in diesem Jahr 2014. Es dämmerte in Rom. Ich saß auf der Couch eines kleinen Apartments am Piazzale Ammiraglio Bergamini unweit des Vatikan, wo mein Mann José und ich während unseres Aufenthalts in der Ewigen Stadt Quartier genommen hatten, und fasste meine ersten Eindrücke zusammen.

Von hier aus gesehen war meine Heimatstadt Buenos Aires unendlich weit entfernt, nur ein winziger Punkt auf der Landkarte. Obwohl seit gerade acht Tagen in Europa, kam es mir vor, als wäre ich nie weggewesen. In gewisser Weise bin ich wie viele, deren Familien durch den Nationalsozialismus entwurzelt wurden, ein Wanderer zwischen den Welten. Oder, um es positiver auszudrücken, in mehreren Welten zu Hause.

Noch aber dachte ich mit schwerem Herzen an unsere in Argentinien zurückgebliebenen Lieben, die wir für ein paar Monate nicht sehen würden. Unseren Sohn Eric und seine Familie: Myriam sowie Facundo und Matthias. Und nicht zuletzt an unsere vierbeinigen Gefährten, die Pudel Axel und Daphne, die uns den Abschied jedes Mal unendlich schwer machen, weil sie nicht begreifen, warum wir sie verlassen, und die sich durch nichts und niemanden in ihrer Trauer trösten lassen.

Für mich hingegen kam der diesjährigen Europareise eine besondere Bedeutung zu.

Zum einen war meine Tätigkeit für das argentinische Außenministerium, wo ich lange Jahre angehende Diplomaten unterrichtet hatte, beendet, sodass ich mein Leben künftig frei von beruflichen Zwängen gestalten konnte – und zum anderen war ich hier, um Gespräche für dieses Buch zu führen. Vor einem Jahr hatte ich in Rom, in dem gleichen Apartment, erste Überlegungen zu Papier gebracht, jetzt wollte ich hier letzte Hand anlegen. Es erschien mir als gutes Omen.

Die Fertigstellung eines Manuskripts hat für mich immer etwas von einer Geburt: nie ganz vorhersehbar und bis zur letzten Minute spannend.

Rosen für den Heiligen Vater

Höhepunkt meines Besuchs in dieser wundervollen Stadt, der Wiege der Zivilisation, in der man an jeder Ecke auf stumme Zeugen einer mehr als zweitausendjährigen Geschichte trifft, würde natürlich meine Audienz bei Papst Franziskus sein. Meinem Landsmann. Pater Jorge, dem ich in der U-Bahn von Buenos Aires als ganz normalem Fahrgast begegnet war und der, obwohl kirchlicher Würdenträger, ein schlichtes schwarzes Priesterhabit trug. Natürlich erhoffte ich mir, ihn jetzt in Rom nicht nur zu sehen, sondern ein paar Worte mit ihm wechseln zu können, denn vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich ihm während einer Generalaudienz kurz von meinem Vorhaben berichtet.

»Adelante«, sagte er damals mit einem sanften Lächeln, »machen Sie weiter und beten Sie für mich.«

Inzwischen war er mir durch die vielen Gespräche und Interviews, die ich im Zuge meiner Spurensuche geführt hatte, so vertraut, als würde ich ihn bereits ein Leben lang kennen. Dieses Gefühl verstärkte sich dadurch, dass viele Menschen mir aufgetragen hatten, ihm Grüße auszurichten. Einen Papst grüßen! Und seine Nichten María Inés und Virna baten mich sogar, »dem Onkel« in ihrem Namen rote Rosen zu überreichen. Was sich im Übrigen als gar nicht so einfach herausstellte.

Da bis Ende August in Italien Ferien sind, bleiben viele Läden chiusi, geschlossen. Jedenfalls fanden mein Mann José und ich trotz ausgedehnter Suche kein geöffnetes Floristikgeschäft. Touristen kaufen in der Regel keine Blumen. Zum Glück kannte eine Passantin, an die ich mich Hilfe suchend wandte, eine Adresse, und dort erstand ich zwei wunderschöne, langstielige rote Rosen.

Si, si, si, sie würden ganz gewiss bis morgen halten, kein Problem, versicherte mir die Verkäuferin, als ich ihr erzählte, für wen sie bestimmt waren. Wer weiß, vielleicht hat sie mir ja deshalb ganz frische Exemplare gegeben. Italiener sind schließlich strenggläubige Katholiken und Patrioten obendrein, die den argentinischen Papst aufgrund seiner piemontesischen Wurzeln großzügig zu einem der ihren gemacht haben.

Vor verschlossenen Toren

Dann war der große Tag, der 27. August, da. Mit vor Freude und Aufregung klopfendem Herzen stand ich, meine in Zellophan verpackten Rosen in der Hand, überpünktlich gegen acht Uhr morgens an der Porta Sant’Anna, dem Haupttor zur Vatikanstadt. Wir sollten die Reisepässe mitbringen – die Passierscheine bekämen wir von den Schweizergardisten, hatte man uns zuvor mitgeteilt. Vor dem Tor wartete bereits eine lange Schlange, vielleicht hundertfünfzig Personen, und ein Carabiniere wies uns unseren Platz zu, nämlich ganz hinten. Mir kamen Bedenken, ob das bei diesem Andrang alles so funktionieren würde wie geplant.

Tat es natürlich nicht.

Zwar sah ich eine halbe Stunde später, als die Schlange, die zunehmend länger geworden war, sich zu bewegen begann, mein Ziel, den Vatikan, die Audienz, die Begegnung mit dem Papst, immer näher rücken, doch an der Pforte zum Himmel auf Erden war zunächst Schluss.

Wir standen nicht auf der Liste.

Ich war wie erstarrt. Listen konnten über Wohl und Wehe entscheiden, das war mir durch meine Beschäftigung mit dem Ehepaar Schindler und der inzwischen weltberühmten Liste sehr wohl bewusst. Wenngleich es hier nicht um Leben und Tod ging, war es für mich durchaus eine Frage von existenzieller Bedeutung, ob ich nun reingelassen würde oder nicht.

Jedenfalls erklärte uns der Wachposten, eine personifizierte Widerlegung des Klischees vom freundlichen Italiener, da eher ein Höllenhund denn ein gütiger Hüter der Himmelspforte, er fände unsere Namen nicht und wir dürften nicht passieren. Basta!

Nichts wollte helfen. Kein Reden mit Engelszungen – ich spreche fließend Italienisch –, kein Protestieren. Nicht einmal die E-Mail von Monsignore Guillermo Karcher, mit dem ich mehrmals wegen des Buches in Kontakt gestanden hatte und von dem ich eine Bestätigung meiner Einladung zur Audienz in Händen hielt.

Natürlich gab ich nicht auf.

Unter den misstrauischen Blicken des selbstherrlichen Herrn der Liste griff ich zu meinem Handy und wählte Karcher an. Zum Glück war er erreichbar, wie mir sein promptes »Pronto« verriet. Ich ratterte in Windeseile meine Probleme und meinen Frust herunter und drückte dann dem überraschten Torwächter triumphierend mein Mobiltelefon in die Hand.

Wie du mir, so ich dir, dachte ich.

Wenngleich er den Monsignore nur hören und nicht sehen konnte, schien er plötzlich ein paar Zentimeter kleiner zu werden. Sein Pech, mein Glück. Erleichtert atmete ich auf. Die erste Hürde war geschafft, und wir durften vatikanisches Territorium betreten.

Die Audienz

Ein Schweizergardist geleitete José und mich zu den anderen Argentiniern, schätzungsweise vierzig Leuten, die sich um Monsignore Karcher scharten. Schon von Weitem winkte er uns zu, damit wir uns beeilten und er seine Pilgerschar komplett hatte. Rasch stellte er mich der Gruppe vor – ich sei Autorin eines Buches über Franziskus respektive Pater Jorge, wie er in Argentinien nach wie vor genannt wird – und führte uns zu den Plätzen rechts vom Petersdom. Die meisten versuchten einen Stuhl in der ersten Reihe zu ergattern. Natürlich, denn von dort aus konnte man später am besten die Hände nach dem Papst ausstrecken.

Ich weiß nicht, wie viele Tausend in dem großen Rund versammelt waren – jedenfalls hatte ich noch nie hautnah eine solche Ansammlung von Menschen erlebt. Später erzählte mir die Mitarbeiterin des Fotostudios, die dort Bilder schießt, dass sich die Zahl der Pilger seit den Zeiten Benedikts um das Mehrfache gesteigert habe. Ein weiteres Indiz, dass dieser neue Papst etwas von einem »Menschenfischer« an sich hat und sich damit als würdiger Nachfolger Petri erweist, der laut Überlieferung von Jesus ebendiesen Auftrag erhielt.

Mit seiner Integrationskraft scheint er jedenfalls alle Konfessionen, alle Kulturen zu erreichen und mit seinem Versöhnungswillen Brücken über Gräben zu bauen, die sich über die Jahrzehnte, wenn nicht die Jahrhunderte in den Köpfen aufgetan haben. Er bewegt vieles, weil man ihn nicht nur akzeptiert, sondern auch liebt. Und weil man ihm glaubt, wenn er sagt, dass für ihn alle Menschen als Kinder Gottes gleich sind.

Eine Weile mussten wir uns noch damit begnügen, der hektischen Betriebsamkeit rund um uns herum zuzuschauen, bis Punkt zehn Uhr das Papamobil auf die Piazza San Pietro rollte, mal hier und mal da anhielt, damit Franziskus Hände schütteln, kleine Kinder küssen und Kranke segnen konnte … Mitten durch die Menge im offenen Wagen, der blanke Horror für seine Sicherheitsleute.

Anschließend sprach er von einem Podium aus zu den versammelten Pilgern. Mahnte sie, Gefühle wie Neid, Eifersucht und üble Nachrede zu vermeiden, und erzählte von einer Frau, die fünfzig Jahre Dienst in einer Pfarrei geleistet habe, ohne je ein böses Wort über einen Mitmenschen zu verlieren. Menschlich möge es ja sein, über andere schlecht zu reden, aber nicht christlich. Und deshalb müssten Menschen wie diese Frau heiliggesprochen werden.

Und das meinte er genauso, wie er es sagte.

Eine Eigenschaft, die mir bereits früher bei ihm aufgefallen war. Wenn er etwa im Rahmen seines unermüdlichen Einsatzes für die Ärmsten der Armen, die Ausgestoßenen und Marginalisierten Barmherzigkeit und Nächstenliebe einforderte, so hatte das keine Alibifunktion, sondern...

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