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Als Paar getrennt - Als Eltern zusammen

Wie eine gemeinsame Erziehung nach der Trennung gelingt

AutorBrigit Appeldoorn, Jos Willems, Maaike Goyens
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783843606134
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Wenn Eltern sich trennen, leiden die Kinder oft am meisten. In vielen Fällen geht die intensive Beziehung zu einem Elternteil verloren, dabei brauchen Kinder eine vertrauensvolle Bindung an beide Eltern, auch während und nach einer Trennung. Doch wie kann das - praktisch und emotional - gelingen? In diesem umfassenden Ratgeber stellen die Autoren verschiedene Wege vor, wie zwei Menschen, die als Paar getrennt sind, dennoch als Eltern zusammenbleiben können. Viele Fallbeispiele aus der Praxis machen deutlich, dass es auch jenseits der gängigen Sorgerechtsmodelle Lösungen gibt, die sich jede Familie individuell erarbeiten kann. Ein wertvolles Buch für alle Eltern in Trennung und Scheidung.

Jos Willems war Rechtsanwalt und Hochschuldirektor in Gent. Er ist Vorsitzender des Vereins 'Eine neue Familie', die sich für Stiefeltern beziehungsweise 'Pluseltern', wie es im Niederländischen heißt, engagiert. Er ist Vater in einer Patchworkfamilie. Brigit Appeldoorn ist Beziehungsberaterin und Patchwork-Coach. Sie vermittelt zwischen Eltern während und nach einer Trennung und hilft bei der Gestaltung einer neu zusammengestellten Familie mit besonderem Augenmerk auf das Wohl der Kinder. Sie hat zwei Söhne und praktiziert mit ihrem geschiedenen Mann ein gut funktionierendes Modell einer gemeinsamen Erziehung. Maaike Goyens war Anwältin für Familienrecht und ist jetzt Vermittlerin bei Scheidungen und Familienangelegenheiten. Auch sie stellt dabei das Wohl der Kinder in den Mittelpunkt. Sie ist selbst Mutter in einer Patchworkfamilie.

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Leseprobe

1. Die neue Familie sucht ihren Weg


Die Familie ist der Grundpfeiler der Gesellschaft, so wurde es uns beigebracht. Was unter Familie hier verstanden wurde, war das seit dem 19. Jh. bestehende Standardmodell einer aus Vater, Mutter und Kindern bestehenden Kernfamilie*. Im Kielwasser dieses Familienmodells galt die Ehe lange Zeit als die einzig achtbare Lebensform außerhalb des Klosters. Und da nun mal die Ehe dem Zweck diente, Kinder zu zeugen, war die Familie, die daraus hervorging, die Norm.

Das hat sich natürlich völlig verändert. Niemand wird in Frage stellen, dass die Kernfamilie ein wichtiges Familienmodell ist, das allen Respekt verdient. Doch es gilt längst nicht mehr als allein selig machend. Es ist nur noch ein Modell neben anderen, ein Modell, das in einem bestimmten historischen Kontext den Lebensumständen und dem Zeitgeist wohl perfekt entsprochen hat. Heute, in einem wesentlich anderen Kontext, hat es wenig Sinn, diesem Modell nachzutrauern. Familie, Ehe und Scheidung sind nun mal Kinder ihrer Zeit.

Schon in vergangenen Zeiten fußte die Familie nicht allein auf der ehelichen Bindung. Sie hatte ihre eigene Dynamik, die in erster Linie von den ökonomischen und sozialen Lebensverhältnissen abhing. Das galt vor allem für den ärmeren Teil der Bevölkerung. In den wohlhabenderen und besonders in den adligen Kreisen passte sich die Form der Familie dem jeweiligen Status an.

Im Allgemeinen kam der Großfamilie im Laufe der Geschichte eine bedeutendere Rolle zu als der Kernfamilie. Diese löste sich erst in der Zeit der Industrialisierung (um 1900) aus dem größeren Familienverband heraus, als viele Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Städte drängten, wo der zur Verfügung stehende Lebensraum wesentlich begrenzter war.

Bei den Römern war die Großfamilie die prägende Lebensform. An ihrer Spitze stand der pater familias. Er hatte unbegrenzte Macht über seine Frau, seine Kinder, seine Diener und Sklaven und besaß sogar das Recht, sie zu töten. Wovon er glücklicherweise selten Gebrauch machte, zumindest verschonte er in aller Regel seine Kinder. Drohten diese jedoch den Familienbesitz zu gefährden, konnte es durchaus vorkommen, dass sie als Findelkinder ausgesetzt wurden. Zu diesem Mittel griffen auch die Bedürftigen, wenn Armut und Not sie dazu zwangen. Liebe oder Zuneigung zwischen Eltern und Kindern waren damals kaum ein Thema und Privatsphäre innerhalb der Familie noch viel weniger.

Über die Entwicklung der Kleinfamilie in unseren Breiten gibt es bis ins 17. Jahrhundert so gut wie kein gesichertes Wissen. Vielleicht gab es Kleinfamilien, die mit der späteren Kernfamilie vergleichbar sind. Da Überleben und Sicherheit allerdings im Vordergrund standen, lebte die ländliche Bevölkerung überwiegend in unterschiedlich zusammengesetzten größeren Gruppen. Für sie war es am wichtigsten, so viel Arbeitskräfte wie möglich aufzubieten. Kinder wurden ab dem siebten Lebensjahr zur Arbeit herangezogen, Mädchen heirateten oft mit zwölf Jahren und wurden damit Teil ihrer neuen Großfamilie.

Im 18. Jahrhundert veränderte sich das Gesellschaftsbild grundlegend. Mit der Entstehung des Bürgertums und seinem Aufstieg im 19. und 20. Jahrhundert wurde auch die bürgerliche Familie das vorherrschende Modell. Die romantische Vorstellung der Kernfamilie und das damit einhergehende Bild der Mutterschaft wurden geboren – oder besser gesagt: vom aufkommenden Bürgertum glorifiziert. Hierbei hielt sich der bürgerliche Mann voller Begeisterung an den von der Kirche vorgegebenen Weg, der alles verdammte, was nicht in dieses Modell passte. Er war stolz darauf, dass seine Frau es nicht nötig hatte zu arbeiten, und sprach ihr daher nur allzu gerne einen mütterlichen Instinkt zu, der sie an Haus und Herd fesselte und ihm genug Raum ließ, seiner eigenen Wege zu gehen.

Zwei Weltkriege innerhalb von vierzig Jahren trugen dazu bei, dieses Familienbild zu zementieren. Die schmerzliche Sehnsucht nach der Familie oder der Verlust von Mann, Frau oder Kindern in den Kriegswirren verfestigten die romantische Vorstellung einer glücklichen Kleinfamilie, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine Generation lang Bestand hatte.

Spätestens seit Anfang der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts stellte der sprunghafte Anstieg an Scheidungen die Unantastbarkeit der Kernfamilie in Frage; deren Rolle als dominante Lebensform wurde nun zunehmend in Zweifel gezogen.

Aufgrund der deutlichen Zunahme an Scheidungen – in Deutschland zerbricht fast jede zweite Ehe – wird die traditionelle Familie immer stärker von neuen Familienformen abgelöst. Die beiden wichtigsten sind die Einelternfamilie und die Patchworkfamilie*. Nach jüngsten Untersuchungen liegt der Prozentsatz der Einelternfamilien in Deutschland zurzeit bei etwa 23 Prozent1, der der Patchworkfamilien bei etwa 10 Prozent2. Ungefähr jedes fünfte Kind lebt heute in einer Familie, die nicht mehr der traditionellen Form entspricht. Die Lebenswelt dieser Familien unterscheidet sich wesentlich von der intakter Familien*. Beide haben eine eigene Dynamik – mit jeweiligen Vor- und Nachteilen.

Die Einelternfamilie


Die meisten Paare, die auseinandergehen, wohnen oft schon während ihres Scheidungsprozesses, zumindest aber unmittelbar danach getrennt. Wenn ein Paar Kinder hat, entstehen so logischerweise Einelternfamilien. Diese können sehr unterschiedlich aussehen.

Oft entscheiden sich beide Eltern, zumindest vorläufig, für eine Form der Einelternfamilie. Manche Kinder können dann ebenso häufig bei ihrem Vater wie bei ihrer Mutter sein (Paritätsmodell), die meisten wohnen jedoch überwiegend bei einem Elternteil.

Höchstwahrscheinlich wird nach einer gewissen Zeit wenigstens einer von beiden Elternteilen eine neue Beziehung eingehen, so dass das Kind eine weitere Familienform kennenlernt: die Patchwork­familie. Sie beeinflusst unvermeidlich auch das Leben der Einelternfamilie, in der der andere Partner lebt.

Wir orientieren uns hier an der typischen Einelternfamilie, in der die Kinder fast ständig bei einem Elternteil leben. In neun von zehn Fällen sind das die Mütter. Die Väter haben in diesen Fällen nur ein Umgangsrecht. Obwohl diese Lösung am ehesten dem entspricht, was in den vergangenen Jahrzehnten üblich war und uns heute altmodisch erscheint, hat diese Lebensform für Kinder einen unverkennbaren Vorteil – vor allem wenn die Kinder in der ursprünglichen elterlichen Wohnung bleiben können. Dann nämlich bewirkt die Trennung der Eltern im Alltag der Kinder keine großen Veränderungen. Oftmals war ihr Vater an Werktagen ohnehin weniger zu Hause. Und da ihre Mutter weiterhin wie gewohnt für sie sorgt, bildet sie ein stabiles Element im Leben der Kinder. Der »Besuch« ihres Vaters wirft die Kinder weniger aus der Bahn als ein allwöchentlicher Umzug in eine andere Wohnung. Sie müssen weder ihren Kram für die ganze Woche hin- und herschleppen noch auf ihre Freunde und ihre alltäglichen Gewohnheiten verzichten. Da die Eltern nur noch wenig Kontakt zueinander haben, haben sie auch kaum noch Gelegenheiten sich zu streiten. Für die Kinder ist das eine große Erleichterung.

Manche Autoren wie M. F. Delfos3 sehen in einer solchen stabilen häuslichen Situation mit flexibel gestalteten Kontaktmöglichkeiten zu dem anderen Elternteil sogar die bestmögliche Form für die Entwicklung von Scheidungskindern.

Doch mit diesem Modell sind auch einige Nachteile verbunden.

Das eingeschränkte Besuchsrecht (oft ein Wochenende innerhalb von 14 Tagen) führt nicht selten dazu, dass ein Elternteil, vielfach der Vater, den Kontakt zu den Kindern einschlafen lässt oder abbricht. Das ist vor allem bei Eltern zu beobachten, die eine neue Ehe oder eine feste, dauerhafte Beziehung eingehen, weniger bei denen, die mit ihrem neuen Partner nicht zusammenwohnen. Diese Tendenz verstärkt sich noch dadurch, dass sich die Kinder von dem Elternteil, der nicht mehr bei ihnen wohnt, oft im Stich gelassen fühlen. Sie empfinden ihm gegenüber Wut und Enttäuschung, und sie werden darin häufig noch von dem Elternteil, bei dem sie leben, bestärkt.

Andere Väter tendieren dazu, ihre Kinder in den wenigen Tagen, in denen sie bei ihnen wohnen, zu sehr zu verwöhnen. Auch manche Mütter können dieser Versuchung nicht widerstehen. Ob sie nun vernachlässigt oder zu sehr verwöhnt werden, für die Kinder ist beides ungünstig.

Außerdem unterschätzen viele die finanziellen Einbußen einer Einelternfamilie, in der sich das Familienbudget oft drastisch reduziert. Manchmal werden die Probleme sogar so groß, dass die Familien an der Armutsgrenze leben. Für viele gestaltet es sich auch schwierig, nun auf einmal alles alleine regeln zu müssen. Daher sind Depressionen bei Alleinerziehenden in dieser Situation keine Seltenheit.

Sylvie: »Wenn Freya mal mit ihren Freunden etwas unternehmen will, versuche ich Möglichkeiten zu finden, die nichts kosten, etwa einen Ausflug in den Park oder zu einem Spielplatz in der Nähe. Das macht ihnen auch Spaß. Ab und zu belohne ich sie mit einer Kleinigkeit. Sie liebt es, mit mir einen Hamburger essen zu gehen, aber ich mache ihr klar, dass das nur selten möglich ist.

Ich bin schon sehr froh, dass wir in unserer Wohnung bleiben konnten. Sie hat hier in der Nachbarschaft ihre Schule und ihre Freunde. Sogar unsere Verwandten wohnen ganz in der Nähe. Hätten wir umziehen müssen, wäre alles viel schwieriger gewesen.«

Diese finanziellen Probleme können manchmal weitreichende...

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