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Alt, arm und abgezockt

Der Crash der privaten Altersvorsorge und wie Sie sich darauf vorbereiten können

AutorSven Enger
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783843717236
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Fast alle Menschen verlassen sich bei ihrer Altersvorsorge auf ihre Lebensversicherung. Lebensversicherer müssen ihre Kapitalanlagen in sichere festverzinsliche Bundesanleihen anlegen. Doch die niedrigen Zinsen verhindern die notwendige Rendite, sodass die Altzusagen an die Versicherten nicht bedient werden können. Schon jetzt wissen zahlreiche Versicherer nicht mehr, wie sie ihr Kapital investieren sollen. Der Chef der Finanzaufsicht warnt vor einer Krise der Lebensversicherer und pocht auf eine deutliche Senkung des Garantiezinses. Vor unseren Augen werden die ersten Auffanggesellschaften gegründet. Das Geschäftsmodell Lebensversicherung kollabiert. Die meisten der 93 Millionen laufenden Lebensversicherungsverträge werden nicht wie versprochen ausgezahlt. Sven Enger, der selbst als CEO in der Versicherungsbranche gearbeitet hat, erklärt, warum die Politik Angst vor der Wahrheit hat und welche Auswege es aus dem Crash-Szenario geben könnte.

Sven Enger (*1965) war nach dem Studium der Wirtschaftspsychologie und Betriebswirtschaft viele Jahre in Vorstandspositionen der Finanzbranche tätig. Unter anderem für die Unternehmensgruppe Deutscher Ring, die Delta Lloyd und die Skandia Lebensversicherung AG. Zuletzt war Sven Enger Deutschland-CEO des britischen Versicherers Standard Life. Er ist Geschäftsführer des Verlags Zukunft & Gesellschaft und Associate Partner am Hamburger Weltwirtschaftsinstitut

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Leseprobe

EINLEITUNG


Die Deutschen werden immer älter. Heute Fünfzigjährige können damit rechnen, weit über 80 Jahre alt zu werden – und wer jünger ist, hat eine noch höhere Lebenserwartung.1 Das ist schön und eigentlich eine gute Nachricht. Weniger schön sind jedoch die erschwerten Bedingungen, unter denen viele Ältere zukünftig werden leben müssen. Denn ihnen droht ein Alter in Armut. Für jeden einzelnen betroffenen Menschen ist das dramatisch. Wird Altersarmut gar zum Massenphänomen, rüttelt dies an den Grundfesten unserer Gesellschaft. Ein Problem, über das die Politik zwar hin und wieder redet, jedoch keinerlei Anstalten unternimmt, es durch eine grundlegende Reform der Altersvorsorge zu lösen.

Diese düstere Prognose habe ich mir nicht selbst ausgedacht, immer wieder weisen Untersuchungen auf die Gefahr der Altersarmut hin, exemplarisch sei hier eine aktuelle Studie2 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung genannt. Deren Vorstandsvorsitzender Aart De Geus schlussfolgerte: »Wir brauchen weitere Reformen für den Ruhestand: Wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht, könnte es zu einem bösen Erwachen kommen.«3 Denn Altersarmut wird kein Randphänomen sein. Das zeigt die Entwicklung der Altersstruktur unserer Gesellschaft: Die Babyboomer, das sind in Deutschland die zwischen Mitte der 1950er- und Ende der 1960er-Jahre Geborenen, erreichen bald das Rentenalter. Ältere werden bald über ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, Tendenz steigend.

Ich bin der Meinung, dass die alarmierenden Vorhersagen noch viel zu positiv sind. Sie betonen, dass vor allem die Marginalisierten – Bildungsferne, Langzeitarbeitslose und alleinstehende Frauen – von Altersarmut betroffen sein werden. Das verschiebt die Problemlage weg von der Mitte der Gesellschaft hin zu den Rändern. Doch Altersarmut kann uns alle treffen, auch Menschen, die durchgehend gearbeitet haben, und vor allem auch jene, die zusätzlich auf eigene Initiative hin vorgesorgt haben – etwa mit einer Kapitallebensversicherung, das in Deutschland mit Abstand beliebteste Produkt für die private Altersvorsorge.

Die Experten haben nämlich bei ihren Untersuchungen einen enorm wichtigen Faktor nicht bedacht. Sie gehen davon aus, dass die private Altersvorsorge – als Ergänzung zur gesetzlichen Rente und zur Betriebsrente heute für viele Menschen essentiell – funktioniert. Doch ist sie in ihrer Existenz bedroht. Die wichtigste Form der privaten Absicherung von Millionen Deutschen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in Rente gehen, ist die »klassische« Lebensversicherung, im Fachjargon »kapitalbildende Lebensversicherung auf den Todes- und den Erlebensfall« genannt. Sie steht heute auf der Kippe. Etliche Versicherungsunternehmen lagern die entsprechenden Policen bereits an fremde Firmen aus, weil sie die Ansprüche ihrer Kunden nicht mehr bedienen können, anderen droht der Kollaps – und den Versicherten damit der Verlust eines beträchtlichen Teils ihres Vermögens.

Es handelt sich um eine Gefahr, die die Versicherungsunternehmen aus gutem Grund verschweigen. Eine Gefahr, die der Staat und seine Institutionen schon seit langem kennen – doch niemand möchte die schlechte Botschaft überbringen, denn es droht nicht nur die Abstrafung bei der nächsten Wahl, sondern Panik im Land. Und daran haben weder die Vorsorgeindustrie noch die Politiker ein Interesse. Das Schweigen hat System, eine Haltung, die unsere Gesellschaft in Sicherheit wiegt, uns aber unvorbereitet lässt, wenn es dann tatsächlich zu einem Crash kommt. Es ist eine Gefahr, über die auch nur sehr wenig in Zeitungen, Zeitschriften oder Rundfunk und TV berichtet wird. Eine Gefahr, die in der Medienlandschaft, wo sonst jede kleine Verfehlung sicher aufgespürt und garantiert zum Skandal hochgejazzt wird, fast unsichtbar geblieben ist.

Dabei ist der Tod der Lebensversicherung keine Schwarzmalerei, der Patient liegt bereits auf der Intensivstation. Die Ursachen und Folgen des absehbaren Zusammenbruchs möchte ich in diesem Buch näher beschreiben. Mich treibt dabei keineswegs eine morbide Lust am Untergang. Ich selbst habe einige Jahrzehnte in Führungspositionen der Versicherungswirtschaft gearbeitet und fühle mich ihr und ihrem ursprünglichen gesellschaftlichen Auftrag nach wie vor in vielerlei Hinsicht verbunden. Ich musste jedoch erkennen und konnte es auch in Leitungsfunktionen nicht verhindern, dass das Gründungs- und Grundprinzip der Branche, eine Solidar- und Schutzgemeinschaft der Versicherten zu sein, von einer überbordenden Vertriebsmaschinerie zermalmt wurde und zunehmend einer reinen Umsatzorientierung gewichen ist, die nun den Bestand des Geschäfts bedroht und damit die private Altersvorsorge. Das heißt, die Ursachen für den absehbaren Kollaps sind zu einem guten Teil – aber nicht ausschließlich – hausgemacht.

Schockwellen


Warum spitzt sich gerade jetzt die Lage für die Lebensversicherungsbranche und damit für ihre Kunden zu? Vor allem drei Faktoren kommen gegenwärtig zusammen, die jeder für sich gefährlich genug wären, die aber in ihrer Kombination kaum zu bewältigen sein werden.

Erstens: Nachdem das Bundesverfassungsgericht im März 2002 die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen hatte, den Mangel zu beheben, trat am 1. Januar 2005 das Alterseinkünftegesetz in Kraft. Darin wurde das so genannte Steuerprivileg von Kapitallebensversicherungen verändert. Alle Zahlungen aus Verträgen, die nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen wurden, waren nun steuerpflichtig. Seitdem muss bei Einmalauszahlungen die Hälfte der Erträge aus Kapitallebensversicherungen – diese Erträge sind die Differenz zwischen eingezahltem und ausgezahltem Betrag – versteuert werden, sofern die Auszahlung nach Vollendung des 62. Lebensjahrs erfolgt und der Vertrag eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren hat. Als diese gesetzlichen Vorgaben bekannt wurden, schwärmten die für mein damaliges Unternehmen tätigen Vertreter und Vermittler aus und brachten wäschekörbeweise Neuverträge mit, die wir auf extra herbeigeschafften Tapeziertischen bearbeiteten. Vor allem von Juli 2004, als das Gesetz verabschiedet wurde, bis Ende Dezember 2004 war der Andrang der Steuersparwilligen riesig. Jeder wollte noch schnell dem Fiskus ein Schnippchen schlagen. Da eine Mindestlaufzeit von zwölf Jahren auch bei Altverträgen die Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist, kamen die Versicherer nach Ablauf dieser Frist in eine erste prekäre Phase. Ende 2016 wurden die ersten der damals geschlossenen Policen fällig, die Unternehmen mussten die Ansprüche ihrer Kunden bedienen, was sie gehörig unter Druck setzte. Und da viele Verträge erst noch zur Auszahlung kommen, müssen die Versicherer in den nächsten Jahren in großem Umfang liquide Mittel vorhalten. Um die Liquidität zu sichern, wurden bereits umfangreiche Sparmaßnahmen ergriffen und tausende Mitarbeiter entlassen.

Zweitens: Dieser Liquiditätsbedarf ist in einer Phase anhaltend niedriger Zinsen problematisch. Derzeit Jahren laufen viele noch hochverzinste, langlaufende Bundesanleihen aus den 1990er-Jahren aus und lassen sich durch keine auch nur annähernd rentablen Papiere ersetzen. Denn seit 2000 ist das Zinsniveau kontinuierlich gesunken und befindet sich derzeit auf einem Rekordtief. Zudem müssen die Versicherer laut gesetzlicher Vorgabe rund 80 Prozent ihrer Kapitalanlagen – also das Geld ihrer Kunden – in scheinbar sichere, festverzinsliche Wertpapiere anlegen. Mit ihren Anlagen erzielen die Unternehmen eine Rendite, die noch unter der liegt, die an die Kunden ausgezahlt werden muss. Wenn einige Versicherer nun zusätzlich Wertpapiere und Beteiligungen, die noch eine nennenswerte Verzinsung aufweisen, veräußern müssen, um den aktuellen Kapitalbedarf zu decken, werden sie hierfür künftig keinen adäquaten Ersatz mehr finden. Ohne Zinserträge aber ist ihr Geschäftsmodell praktisch perdu.

Drittens: Der Liquiditätsbedarf wird in den kommenden Jahren sogar noch steigen, wenn die Babyboomer in die Auszahlungsphase kommen. Es dürften Millionen Policen fällig werden. In gewisser Weise ist das eine Ironie der Geschichte: Jahrelang haben die Versicherer ihre Altersvorsorgeprodukte mit dem Argument beworben und verkauft, dass man sich wegen der demographischen Entwicklung gegen Versorgungslücken im Alter wappnen müsse, jetzt sitzen sie selbst in der Demographiefalle. Eine große Zahl von Leistungsberechtigten wartet auf Auszahlung, während immer weniger Beitragszahler hinzukommen.

Wie schon erwähnt, kommt jede dieser drei Besonderheiten für sich schon einem realen Stresstest für die Versicherer gleich. Aber so sehr die Risk Manager und Aktuare – das sind die vom Vorstand bestellten Versicherungsmathematiker, die unter anderem die für die Zukunft erforderlichen Deckungsrückstellungen kalkulieren – auch rechnen werden, für einige Unternehmen wird der Absturz nicht abzuwenden sein. Ich werde beschreiben, warum das so ist und welche Szenarien dann realistisch sind.

Systemversagen


Der Kollaps, der hier droht, ist kein unvorhergesehener, plötzlicher und »unverschuldeter« Zusammenbruch eines an sich gesunden Systems. Nein, Lebensversicherer steuern vielmehr seit Jahren sehenden Auges auf einen Abgrund zu. Fehlentwicklungen werden beharrlich beschwiegen und mit teuren Marketingmaßnahmen übertüncht, bestenfalls missdeutet; ein enormer Verkaufsdruck hat die Beratungsqualität erodieren lassen; die Chancen der Digitalisierung bleiben bislang weitgehend ungenutzt; die Volatilität eines Marktes, der im Wesentlichen...

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