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Ambivalenz und Beratung

Struktur von Ambivalenz und mediationsanaloges Bearbeiten

AutorMaik Bäumerich
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783743120846
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Aufdecken, was bereits da ist, nutzen, was bereits gelingt. So lassen sich zwei Grundsätze der systemischen Beratung benennen. Doch was geschieht, wenn Beratung nicht mit dem Mangel, sondern mit dem Überangebot von Möglichkeiten konfrontiert wird? Wenn sich nicht die Leere, sondern die Fülle als Schwierigkeit zeigt? Ambivalenz ist eine strukturelle Herausforderung für jede Beratung, weil in ihr zwei Dinge gegenübergestellt sind, die gleich bewertet werden. Gleichheit und Unterschiedlichkeit treffen so aufeinander. Systemische Methoden können dabei unterstützen, eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten herbeizuführen. Diese Entscheidung ist aber immer mit dem Aufgeben einer Option verbunden. Das mediationsanaloge Bearbeiten kann dabei helfen, verbindende Möglichkeiten zu erarbeiten und allen Anliegen gerecht zu werden.

Studium der Rechtswissenschaft in Köln, Studium der Systemischen Beratung in Kaiserslautern.

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Leseprobe

VERÄNDERUNG UND AMBIVALENZ


Die einfache Grundstruktur der Ambivalenz, der aufgehobene Unterschied, erklärt, weshalb sie thematisch nicht begrenzt ist. Sie kann in jedem Arbeits- und Beratungsbereich Thema sein oder werden. In dieser Grundform ist Ambivalenz unproblematisch. Mehr noch, in dieser Form kann sie als grundsätzliche Offenheit42 oder gleichschwebende Aufmerksamkeit43 wertgeschätzt werden.

Doch dieses positive Bild von Ambivalenz entspricht häufig weder der allgemeinen Lebenserfahrung noch den Erfahrungen in Beratungssituationen. Diese Ablehnung ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn ein weiteres Merkmal hinzukommt, das Ambivalenz erst als problematisch erleben lässt.

Eben daran schließt sich die Frage an, was die Situationen ausmacht, in denen diese problematisch erlebte Ambivalenz auftritt. Wenn sich auch hier eine Grundform bilden lässt, dann kann das helfen, den Umgang mit problematisch erlebter Ambivalenz besser zu gestalten und sich von ihrem Auftreten nicht überraschen zu lassen. Wann wird Ambivalenz problematisch erlebt und was ist ihre „typische Umwelt“?

A. „The problem is choice“

Ein aufgehobener Unterschied ist zwar die notwendige Bedingung für Ambivalenz. Er alleine führt aber noch nicht zu einer als problematisch erlebten Ambivalenz.44 Es muss eine weitere Bedingung hinzukommen: die Notwendigkeit der Entscheidung.45

Erst wenn die Notwendigkeit besteht, zwischen beiden Objekten zu wählen, sich für eines von beiden zu entscheiden, wird Ambivalenz problematisch. Denn auf der Objektebene ist der Unterschied deutlich zu sehen. Auf der Bewertungsebene hingegen gibt es gerade keinen Unterschied. Damit fehlen die Merkmale, eine Entscheidung treffen zu können.

Wird dennoch eine Entscheidung getroffen, dann zieht – bildlich gesprochen – die abgelehnte Seite mit der gleichen Stärke in die Gegenrichtung, wie es die gewählte Seite tut. Wird aber die Entscheidung aufgeschoben oder verweigert, dann wird das wiederum der Notwendigkeit zur Entscheidung nicht gerecht. Keine Entscheidung, auch die Nichtentscheidung, kann dieser mit der Entscheidungsnotwendigkeit versehenen Ambivalenz vollständig gerecht werden. Und darin zeigt sich ein weiteres Merkmal dieser Form von Ambivalenz: das Streben der Alternativen nach Gleichzeitigkeit.46

B. Ambivalenz und Entscheidung

Von der Grundform der Ambivalenz ausgehend liegt es nun nahe anzunehmen, dass Situationen, in denen sich entscheidungsnotwendige Ambivalenz häufig bildet, durch das Vorhandensein von Unterschieden gekennzeichnet sind. Das ist aber deutlich zu weit gegriffen. Unterschiede in Gestalt von Objekten, Personen, Möglichkeiten gibt es in jeder Situation. Zudem müssen in einer Situation alle Elemente zumindest angelegt sein oder aber sich bilden können, um auch die Möglichkeit der entscheidungsnotwendigen Ambivalenz zu beinhalten.

Wenn nicht allein das Vorhandensein von Unterschieden für solche Situationen kennzeichnend ist, dann könnte es die Notwendigkeit der Entscheidung sein. Eine Entscheidung führt jedenfalls gedanklich immer zwei Möglichkeiten mit sich. Sie kann nur zwischen zwei Alternativen getroffen werden. Diese Alternativen können wiederum „Das“ und „Nicht-Das“ sein und entsprechen somit einem Unterschied.

In der Notwendigkeit zur Entscheidung ist somit auch ein Unterschied zumindest als Möglichkeit angelegt. Damit beinhaltet sie alle Merkmale, um entscheidungsnotwendige Ambivalenz zu ermöglichen.47 Einzig muss noch die Bewertung der Gleichwertigkeit durch den Handelnden hinzukommen.

C. Situationen mit Veränderung

Von diesem Merkmal aus ist es nun einfach festzustellen, in welchen Situationen sich entscheidungsnotwendige Ambivalenz häufig bildet. In diesen muss nur die Notwendigkeit zu einer Entscheidung angelegt sein. Und das ist kennzeichnend für Veränderungsprozesse.48

In Veränderungsprozessen sind als Entscheidungsalternativen jedenfalls „das Alte“ und „das Neue“ angelegt.49 Im Rahmen einer Unternehmensberatung kann beispielsweise zur Auswahl stehen, an den alten und bekannten Abläufen festzuhalten oder aber sie gegen neue Abläufe auszutauschen.50 Die Notwendigkeit, sich zwischen diesen Alternativen zu entscheiden, folgt häufig aus den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Veränderungen der Umwelt, in denen die alten Abläufe des Unternehmens weniger passend erscheinen.

In dem eingangs erwähnten Beispiel der Trauerbegleitung ist die Notwendigkeit zur Entscheidung durch den Verlust des Verstorbenen angelegt. Die Hinterbliebenen müssen entscheiden, wie sie mit diesem Verlust umgehen, was oder wer die Lücke füllen kann.51

In einer Therapie zeigt sich regelmäßig, dass das als störend oder krankhaft definierte Verhalten auch positive Auswirkungen hat. Es stellt sich daher regelmäßig die Frage, was an seine Stelle tritt, wenn es aufgegeben wird; und ob vor diesem Hintergrund die Bereitschaft genügend groß ist, es aufzugeben.52

Ob die Tendenz, an dem Alten festzuhalten im Zweifel größer ist als der Schritt hin zur Veränderung,53 lässt sich nicht allgemeingültig feststellen. Einerseits steht das Alte für eine bekannte und vertraute Situation. Andererseits können der Wunsch, der Wille und die Notwendigkeit zur Veränderung leicht größer sein als die vermeintliche Sicherheit des Alten. Naheliegend ist, dass im Fall einer systemischen Beratung der Wunsch zur Veränderung gerade der ausschlaggebende Punkt ist, einen Berater aufzusuchen. Allerdings bleibt auch dabei das Alte ein Punkt, gegen den sich die Veränderung behaupten muss.

Ein Veränderungsprozess ist damit die Grundform der Situation, in der entscheidungsnotwendige Ambivalenz regelmäßig auftritt. Das wiederum hat Folgen für die systemische Beratung.

D. Exkurs: Lebensübergänge und existenzielle Ambivalenz

Bevor der Zusammenhang von systemischer Beratung, Veränderung und Ambivalenz näher betrachtet wird, soll noch ein Aspekt hervorgehoben werden: Die vorstehend genannten Beispiele lassen die Vermutung zu, für Veränderungen seien oftmals von außen kommende, einzelne Ereignisse verantwortlich, wie veränderte Marktsituationen oder der Tod eines anderen Menschen. Daraus könnte die Vorstellung folgen, diese einzelnen Ereignisse müssten nur überwunden werden, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren und wie bisher weitermachen zu können.

Eine solche Vorstellung lässt außer Acht, dass hinter diesen einzelnen Ereignissen regelmäßig größere Entwicklungsaufgaben stehen, die ein „Zurück-zumAnfang“ unmöglich machen. Solche Ereignisse sind kennzeichnend für einen Entwicklungsprozess des Menschen, der sich über das gesamte Leben erstreckt.54 Jedes Lebensalter hat – zeitlich betrachtet – seine eigenen Aufgaben und jeder Lebensbereich hat – räumlich betrachtet – seine eigenen Herausforderungen.55

Diese Lebensaufgaben zeigen sich besonders deutlich an Lebensübergängen. Mit dem Übergang vom Kinder- zum Jugendalter56 sind herausfordernde Aufgaben verbunden, ebenso wie vom Jugend- zum Erwachsenenalter57, im Übergang von der Einzelperson zur Familie58, vom Erwerbsleben in den Ruhestand59 oder an unvorhersehbaren Wendepunkten60, um nur wenige zu nennen. Solche Übergänge sind geprägt von einer Phase des Abschieds und des Loslassens, von einer Zwischenphase des Stillstandes, von der folgenden Neuorientierung und der Gestaltung der Zukunft.61

Ein wesentliches Merkmal der Lebensübergänge ist, dass „das Alte“ – gemeint sind zum Beispiel bisherige Verhaltensweisen – als nicht mehr passend, „das Neue“ aber noch als unbekannt oder unsicher erlebt wird.62 Lebensübergänge vereinen somit im Sinn einer existenziellen Ambivalenz das Alte und das Neue.

Die Bewältigungsstrategien reichen von dem augenblicklichen, intuitiven Gelingen, über das Herangehen mittels Hilfe durch Beratung oder Therapie63 bis zu dem Versuch, die anstehenden Aufgaben zu verzögern oder völlig zu verneinen; bei letzterem spielen Suchtmittel häufig eine bedeutende Rolle64. Aber auch anderes als krankhaft beschriebenes Verhalten kann als Versuch verstanden werden, zum Beispiel wegen Loyalitätskonflikten die eigene Entwicklung zu verzögern.65

Ambivalenz ist somit keineswegs auf kleine Ereignisse und Fragestellungen begrenzt. Vielmehr begleitet sie den Menschen sein gesamtes Leben lang und muss ausreichend Würdigung erfahren, damit Übergangsprozesse gelingen können.

E. Das Paradoxon systemischer Beratung

Für den Zusammenhang von systemischer Beratung, Veränderung und Ambivalenz kommt es auf eine Abgrenzung von anderen Beratungsformen, insbesondere von der...

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