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E-Book

Ambulante und stationäre Palliativpflege

AutorKaren Widemann, Margret Flieder, Marion Großklaus-Seidel
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl184 Seiten
ISBN9783170238619
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
In diesem Band werden anhand von Fallszenen aus der palliativen Pflegepraxis in Hospiz, Pflegeheim, Krankenhaus und ambulanter Pflege neueste Erkenntnisse vorgestellt und mit unterschiedlichen Komplexitätsniveaus verknüpft. Dabei geht es neben Faktenwissen vor allem um die Entwicklung der Kompetenz, die Betreuung wissensbasiert und fallverstehend praktizieren zu können. Das Buch ermutigt Pflegefachkräfte und kooperierende Berufsgruppen zur Ausbalancierung fachlich fundierter und individuell passender Lösungen.

Prof. Dr. Marion Großklaus-Seidel, M.A., Professorin für Ethik und Erwachsenenbildung, Pfarrerin und Pädagogin, langjährige Erfahrung in Lehre und Forschung zu Palliative Care. Prof. Dr. Margret Flieder, Professorin für Pflegewissenschaft und Pflegepraxis, Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe, Beraterin für Kollegiale Beratung, langjährige Erfahrung in Lehre und Forschung zu Palliative Care. Dipl.-Soz.-Päd. Karen Widemann, Krankenschwester, Lehrerin für Pflegeberufe, langjährige Leiterin einer Krankenpflegeschule, palliative Expertise u. a. durch Berufserfahrung in einem stationären Hospiz sowie durch Lehre im Kontext von Palliative Care.

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Leseprobe

2          »Eine frustrierende Erfahrung« – Der Umgang mit Tod und Sterben


Expertise

Sterben findet – ungeachtet der zu würdigenden Entwicklungen und Leistungen der ambulanten Hospizarbeit und der Pflegedienste – weiterhin meist in den Institutionen Krankenhaus und Pflegeheim statt. Von den Menschen, die beruflich häufig mit Tod und Sterben zu tun haben, wird erwartet, dass sie im Laufe ihrer Berufssozialisation zu Experten im Umgang mit Sterbenden und ihren Angehörigen geworden sind. Die Bereitschaft zu einer persönlichen Auseinandersetzung und eine gezielte Vorbereitung durch Fachkräfte mit einschlägiger Expertise und mit langjähriger Erfahrung sind hilfreiche Elemente für die Bewältigung von schwierigen Situationen um Tod und Sterben. Dabei sind insbesondere Pflegefachkräfte gefragt, ihre Expertise zu entwickeln und Auszubildende gut anzuleiten und zu begleiten. Doch gerade die Begleitung von Auszubildenden ist oft nicht optimal und problematische eigene Erfahrungen werden unreflektiert an die jungen Berufsanfänger weitergegeben. In der folgenden Falldarstellung steht die erste Begegnung einer Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege mit dem Tod einer Patientin im Vordergrund. Dabei wird die Diskrepanz aufgezeigt zwischen Zielen der Ausbildung im Unterricht und dem, was sie in der Praxis erlebt.

2.1       Sterben und Tod im Wandel der Zeit


Der Umgang mit Tod und Sterben ist gesellschaftlich heute nicht mehr allen Menschen vertraut. Das war in früheren Zeiten anders. Der Tod fand in der vormodernen Gesellschaft im Kreis der Familie, Nachbarn und Freude auf dem Totenbett im privaten Wohnraum statt und wurde vom sozialen Umfeld miterlebt. Die einzigen »Professionellen«, die Umgang mit den Sterbenden bzw. Toten hatten, waren Schreiner, Totengräber und Pfarrer. Der Tod gehörte zum alltäglichen Leben und es herrschte ein tiefes Einverständnis und eine allgemeine Akzeptanz. Es starb ein »Mitglied« der Gesellschaft und die Angehörigen wurden in ihrer Trauer gestützt. Rituale zum Umgang mit Sterben, Tod und Trauer waren bekannt und wurden praktiziert (vgl. Ariès 1991).

Veränderungen im Umgang mit Tod und Sterben

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderten sich die gesellschaftlichen Lebensbedingungen grundlegend und beeinflussten den Umgang mit Tod und Sterben. Die Menschen wurden durch medizinische Fortschritte/Hygiene älter und die Kindersterblichkeit ging zurück, d. h. der Tod war im Alltag nicht mehr so gegenwärtig wie früher. Die Krankenhäuser wurden zum Ort der Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod und Sterben. Mit der allgemeinen Landflucht und dem Zuzug in die Städte ging das Totenbrauchtum zurück. Sterben und Tod waren nicht länger ein soziales Ereignis, sondern wurden in einem Subjektivierungsprozess zu einer Angelegenheit des Individuums. Eine Auseinandersetzung fand häufig nur dann statt, wenn es sich um nahe Angehörige handelte. Verlustschmerz in der Trauerphase wurde in der Öffentlichkeit verborgen. Friedhöfe und Leichenhallen wurden kommerzialisiert und es fand eine Bürokratisierung des Friedhofswesens statt. Berufe im Umgang mit Toten etablierten sich. Tod und Sterben wurden distanziert betrachtet zur Provokation für das aufgeklärte Bewusstsein, denn Autonomie und Individualität wurden nun hoch eingeschätzt.

2.2       Krankenhäuser und Altenpflegeheime als Orte des Sterbens


Seit den 1950er Jahren ist der Tod im Krankhaus bzw. im Altenheim üblich geworden. Durch den Verlust an Öffentlichkeit hat er seinen Status als Alltagsphänomen verloren, sodass der Umgang mit Tod und Sterben nicht mehr eingeübt werden kann und kein üblicher Bestandteil der Sozialisation mehr ist. Die Auslagerung des Todes in die Institutionen Krankenhaus und Altenheim geht einher mit einer sachgemäßen Pflege und Behandlung des Sterbenden unter medizinisch-technischen Erwägungen.

Problematisch wird der Umstand, dass

•  die Arbeit von Pflegefachkräften und weiteren Berufsgruppen des Versorgungssystems primär an der Krankheit und/oder Versorgungsbedürftigkeit ausgerichtet ist, ohne dass eine Bezugsperson für die Bewältigungsarbeit des Patienten mit seiner Situation vorhanden ist;

•  Angehörige in diesem Kontext als nachrangig wichtig erscheinen und keinen Ort in der Sterbebegleitung haben;

•  Begleitung und Gefühle als »Dienstleistung« im Rahmen der regulären Versorgung in betriebswirtschaftlich arbeitenden Institutionen nicht angeboten werden können.

Probleme

Als zentrale Probleme für Pflegende im Umgang mit Tod und Sterben werden häufig diskutiert:

•  In der Ausbildung wird unzureichend auf die Problematik vorbereitet.

•  Der Umgang mit Tod und Sterben gehört zur Tradition in der Pflege (z. B. bei den Diakonissen), steht heute aber nicht mehr im Mittelpunkt der beruflichen Identität.

•  Personal- und Zeitmangel führt zu Verteilungsproblemen.

•  Mit Tod und Sterben sind Schwierigkeiten in der Kooperation unterschiedlicher Berufsgruppen verbunden (Pflege/Medizin).

•  Die emotionalen Äußerungen der Sterbenden und der Angehörigen erzeugen Betroffenheit und machen hilflos.

•  Die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und Todesproblematik kommt auch für Fachkräfte oft unvorbereitet und bleibt unbear-beitet.

2.2.1      Schwierigkeiten bei der Vorbereitung/Begleitung in pflegebezogenen Ausbildungen


Ausbildungs- und Prüfungsverordnung

Das Thema »Umgang mit Schwerkranken, Sterbenden und Versorgung eines Verstorbenen« ist Bestandteil der pflegebezogenen Ausbildungen sowohl in der Alten- als auch in der Gesundheits- und Krankenpflege bzw. der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Im Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Gesundheits- und Krankenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege) ist unter § 3 »Ausbildungsziel« vermerkt: »Die Pflege […] ist dabei unter Einbeziehung präventiver, rehabilitativer und palliativer Maßnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der zu pflegenden Menschen auszurichten. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lebensphasen und die Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Menschen zu berücksichtigen« (Ausbildungs- und Prüfungsverordnung Krankenpflege 2003, § 35). Das Thema wird je nach Curriculum und Schwerpunktsetzung der Schule im ersten, zweiten oder dritten Ausbildungsjahr platziert. Viele Ausbildungsstätten gehen inzwischen dazu über, dieses Thema weniger als klassische Unterrichtsveranstaltung, sondern als spezielles Seminar in anderer Umgebung durchzuführen, z. B. in den Räumen einer Familienbildungsstätte oder Kirchengemeinde und in Kooperation mit weiteren Fachkräften der Disziplinen Psychologie, Psychoonkologie, Theologie oder Palliativmedizin. Eine solche Umgebung und die interdisziplinäre Vermittlung der entsprechenden Inhalte ermöglicht eine fachübergreifende Form der Bearbeitung und Reflexion dieses für die erfolgreiche Arbeit in einem Pflegeberuf zentralen Themas.

Richtiger Zeitpunkt in der Ausbildung

Problematisch kann es in der Ausbildung vor allem dann werden, wenn Auszubildende bereits in einem der ersten Praxiseinsätze mit dem Sterben konfrontiert sind, ohne dass dies zuvor im Unterricht thematisiert wurde oder dass auf der Station vorbereitende Gespräche stattgefunden haben (vgl. Steinbach 2007). Den richtigen Zeitpunkt für dieses anspruchsvolle Thema zu finden ist nicht leicht und es gibt keine ideale Lösung, sondern unterschiedlich gelagerte Erfahrungen und Wünsche. Das Anliegen vor allem von Seiten der Praxis nach einer Vorbereitung auf dieses anspruchsvolle Thema möglichst zu Beginn der Pflegeausbildungen ist gut verstehbar. Wer in einen Praxiseinsatz geht, sollte stets darauf gefasst sein, mit schwerkranken und sterbenden Menschen in Kontakt zu kommen. Diese Begegnungen sind nur bedingt planbar. Aber wie allgemein oder intensiv kann die schulische oder praktische Vorbereitung sein, um den Befürchtungen nach zu wenig Information entgegen zu wirken und gleichzeitig weder überfordernd oder abschreckend für die Arbeit im Beruf zu sein? Zu unterscheiden ist hierbei zum einen zwischen dem Thema der prozesshaften Begleitung bzw. dem Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden und zum anderen den in der Praxis erforderlichen Handlungsschritten der Versorgung eines Verstorbenen und den verwaltungsbezogenen Elementen der Abwicklung.

Vorbereitung...

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