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American Bloomsbury

Ein Leben zwischen Liebe, Inspiration und Natursehnsucht. Henry David Thoreau, Louisa May. Alcott, Ralph Waldo Emerson, Margaret Fuller und Nathaniel Hawthorne

AutorSusan Cheever
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl287 Seiten
ISBN9783458752264
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR

Concord in Neuengland, Mitte des 19. Jahrhunderts: ein Eldorado für Freidenker. Schriftsteller um Henry David Thoreau schreiben dort ihre wichtigsten Werke und revolutionieren neben der amerikanischen Literatur auch den amerikanischen Lebensstil: ungezwungen, kreativ und naturverbunden.

Durch ein Erbe frühzeitig an Geld gelangt, lädt Ralph Waldo Emerson von ihm bewunderte Schriftsteller nach Concord. Was hier entsteht, wird nicht nur die Bewohner der Kleinstadt, sondern die Geschichte der amerikanischen Kultur in Aufruhr bringen. Die Transzendentalisten, wie die Gruppierung um Henry David Thoreau genannt wird, brechen mit allen Anstandsregeln: Nathaniel Hawthorne und Ralph Waldo Emerson verlieben sich gleichzeitig in die exzentrische Margaret Fuller, Louisa May Alcott schwärmt für ihren viel älteren Lehrer Thoreau, sie diskutieren, lesen sich gegenseitig Manuskripte vor, ernähren sich vegetarisch, ersinnen feministische Ideen und unternehmen Streifzüge durch die Wälder Neuenglands. American Bloomsbury ist das faszinierende Zeugnis dieser amourösen und intellektuellen Begegnungen. Es ist die Geschichte von Idealisten, die ihrer Zeit weit voraus waren.



<p>Susan Cheever wurde 1943 geboren. Sie hat zahlreiche Romane und Sachbücher verfasst und in Zeitungen und Zeitschriften wie dem New Yorker, der New York Times und Newsweek veröffentlicht. Derzeit lehrt Cheever an der New School und lebt in New York.</p>

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Leseprobe

1

Concord, Massachusetts

Wo die sumpfigen Wiesen unterhalb des Cambridge Turnpike steil zur Lexington Avenue aufsteigen, liegt eine Kreuzung, die aussieht wie jede andere Kreuzung in Neuengland; sie ist umringt von Ahornbäumen, im Sommer wird sie von üppigem Gras, im Winter von zusammengeschobenen Schneehaufen gesäumt. Etwas oberhalb der Kreuzung stehen zwei Holzhäuser und auf der Straßenseite gegenüber, von einer weiten Rasenfläche umgeben, ein weißes Haus mit säulenbestandenem Eingang. Es ist eine jener Villen des neunzehnten Jahrhunderts, die ein Kaufmann erbaut und bewohnt haben könnte. Doch diese Kreuzung ist nicht wie jede andere.

In den drei Häusern wohnten zu unterschiedlichen Zeiten Ralph Waldo Emerson mit Familie, Henry David Thoreau, Bronson Alcott und seine Tochter Louisa May, Nathaniel Hawthorne sowie Margaret Fuller. Ihre Nachbarn waren Henry James und sein Vater, Emily Dickinson, Oliver Wendell Holmes, Henry Wadsworth Longfellow und Horace Mann; ihre Freunde und Kollegen Walt Whitman, Herman Melville, Henry Ward Beecher und Edgar Allan Poe. Fast alle amerikanischen Meisterwerke des neunzehnten Jahrhunderts – Walden, Der scharlachrote Buchstabe, Moby-Dick und Betty und ihre Schwestern, um nur einige zu nennen – entsprangen diesem Freundeskreis und der Landschaft um das Städtchen Concord, viele Gedanken über die Rolle von Männern und Frauen, über Natur, Erziehung, Ehe und Literatur, die unsere Welt bis heute prägen, nahmen hier ihren Anfang.

Wir mögen diese Männer und Frauen als starre Daguerreotypien sehen, tatsächlich aber verliebten sie sich ineinander und entliebten sich wieder, quälten einander in leidenschaftlichen Dreiecksbeziehungen, lasen untereinander ihre Texte und redigierten sie, diskutierten nächtelang und spazierten Arm in Arm unter Concords hohen Ulmen. Sie kämpften sich mit Pferd und Wagen durch den Frühjahrsmorast, schwammen im Sommer im Concord River, pflückten im Herbst zusammen Äpfel. Sie alle trauerten, als die Emersons ihren fünfjährigen Sohn verloren, sie freuten sich, als Anna Alcott John Pratt heiratete.

Gemeinsam kämpften sie für Abstinenz und gegen Sklaverei, ihre Vorlesungen hielten sie in Concords Lyzeum, so benannt nach Aristoteles’ Lehranstalt am Rande Athens. Damit drückten sie ihre Bewunderung für das antike Griechenland aus, außerdem lernten und lasen sie Griechisch, schmückten ihre Salons und Arbeitszimmer mit Plato- und Sokratesbüsten, bevorzugten die Architektur des Greek Revival.

Sie kauften und verkauften alles Mögliche untereinander; gelegentlich wurde hart verhandelt, andere Male zwischen Geschenk und Kauf nicht klar unterschieden. Thoreau überredete Hawthorne, ihm das Boot Musketaquid abzukaufen, das er selbst gebaut hatte. Die Hawthornes kauften von Bronson Alcott eine ehemalige Schweinefarm, die dieser selbst von Grund auf renoviert und umgebaut hatte, Alcott zog mit seiner Familie in eine halbe Ruine auf dem Nachbargrundstück. Dafür lieh Emerson ihm Geld, Emerson lieh immer allen Geld. Wenn Hawthornes Frau ihre Schwester besuchte und er mit dem fünfjährigen Sohn Julian allein war, kam Herman Melville vorbei, um ihm zu helfen.

Louisa May Alcott verliebte sich erst in Thoreau, der ihr Flötenständchen brachte, dann in Emerson. Dieser Yankee-Platon, wie Alcott ihn nannte, lieh ihr Romane über junge, verführerische Mädchen und ihre älteren Lehrer, aus dem Deutschen übersetzt von seiner engen Freundin Margaret Fuller. Emerson seinerseits schrieb sich Liebesbriefe mit Margaret Fuller, die als Gast in seinem Haus logierte. Fuller kam bei einem Schiffsunglück vor Fire Island, New York, ums Leben, was Louisa May Alcott in einem Roman thematisiert. Moods, so dessen Titel, handelt von einer jungen Frau namens Sylvia, die in zwei Männer zugleich verliebt ist: in einen Intellektuellen, der an Emerson erinnert, und einen zweiten, der wie Thoreau in der Natur zu Hause ist. Als Moods erschien, verfasste Henry James eine negative Rezension. Später diente ihm die ebenso liebenswerte wie eigensinnige Jo March in Louisa May Alcotts Betty und ihre Schwestern als Vorbild für die Figur der forschen und unabhängigen Amerikanerin Isabel Archer in seinem Roman Bildnis einer Dame.

Als Emerson nach Europa reiste, gab er seinen Haushalt samt Ehefrau und Kindern in Thoreaus Obhut, als er zurückkam, war das Haus zu klein für alle. Darum lieh Thoreau am Waldensee ein Stück Land, das Emerson gehörte, und baute sich eine kleine Hütte. Sie alle liebten Concord; Hawthorne nannte es »Eden«. Emerson schrieb, er habe dort seine besten Tage verbracht, Louisa May Alcott sagte, ihre Zeit in Concord sei »die glücklichste meines Lebens« gewesen. Henry James nannte Concord »die größte Kleinstadt Amerikas«.

Warum kam es um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in einem abgeschiedenen Städtchen westlich von Boston zu einer solchen Eruption schöpferischen Genies? Lag es an der politischen Situation, die so erhitzt war, dass die Wahlbeteiligung achtzig Prozent betrug? Lag es daran, dass kaum einer aus dieser Gruppe Alkohol trank, dass sie sich karg und vegetarisch ernährten und notorisch Geldsorgen hatten? War es ihr starker Familiensinn? War es schlicht der Zeitgeist?

Concord liegt etwas oberhalb der Stelle, wo Sudbury und Assabet zusammenfließen und den Concord River bilden, der Ort ist seit 1635 besiedelt. Er bestand damals im Wesentlichen aus Farmen und Weideland und zählte etwa 2000 Einwohner, viele von ihnen stolze Nachfahren jener Männer, die, in Emersons Worten, »den Schuss abfeuerten, den die ganze Welt hörte«, womit er jenen Schuss meinte, der am 19. April 1775 zum Unabhängigkeitskrieg gegen England führte.

Seit dem antiken Rom gibt es Theorien, wie es dazu kommt, dass mehrere geniale Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zusammenfinden. Der Philosoph Velleius, der über Platon, Aristoteles, Aischylos, Aristophanes, Euripides und Sophokles schrieb, meinte, Genie wecke Neid und das ziehe aus zweierlei Gründen junge Männer an: Sie kommen, um zu lernen, und sie kommen in der Hoffnung, wie ihre Lehrer zu werden und diese schließlich zu übertreffen. Forschungen der letzten Jahre haben ergeben, dass äußere Umstände, politische Gegebenheiten, das geographische Umfeld und soziale Kräfte mitunter auf eine Weise zusammenwirken, die eine ungewöhnliche Talentdichte zur Folge hat. »Eine Häufung genialer Menschen ist vermutlich nicht zufällig, denn ein genial Begabter zieht weitere genial Begabte an«, meinte William Foege und dachte dabei an eine andere Gruppe außergewöhnlicher Männer: Amerikas Gründungsväter Washington, Madison, Jefferson und Franklin.

Wenn diese vier die Väter der amerikanischen Politik waren, waren die Männer und Frauen von Concord fraglos die Väter und Mütter der amerikanischen Literatur, sie bildeten Amerikas ersten literarischen Zirkel. Auf sie gehen unsere Gedanken zu Umwelt- und Tierschutz zurück, sie betonten als Erste die immense Bedeutung des Individuums. Sie glaubten an Gefühle. »Die Unitarier dachten, der Mensch sei seinem Wesen nach vortrefflich«, schrieb Paul Brooks in The People of Concord. »Die Transzendentalisten hielten ihn für göttlich.« Sie waren die ersten Berufsschriftsteller des Landes, sie ersannen mit dem nicht-belletristischen Memoir eine neue Literaturgattung und schufen eine neue Art von Roman, der sich um Frauen und deren häusliches Leben drehte.

Sie lebten und arbeiteten unter Bedingungen, die für uns heute nahezu unvorstellbar sind. Seit der Kolonialzeit war der Alltag im Großen und Ganzen unverändert geblieben, erst im frühen neunzehnten Jahrhundert tauchten binnen kurzer Zeit viele jener Annehmlichkeiten und Hilfsmittel auf, die uns heute selbstverständlich erscheinen. Eine Welt ohne Elektrizität und wirksame medizinische Behandlung, eine Welt, in der es normal war, dass Kinder starben und die meisten Menschen nicht alt wurden, eine Welt ohne Empfängnisverhütung, Narkose, Impfungen, Zentralheizung, Klimaanlage und Telefon – in einer solchen Welt hatte Zeit eine andere Qualität. Die Menschen waren der Natur notgedrungen näher, als wir es jemals sein werden; sie verließen sich auf Freunde und Nachbarn, weil sie keine andere Wahl hatten.

Sie waren vielen körperlichen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, was zu einem Idealismus beigetragen haben mag, der mitunter so fanatisch wurde, dass er den gesunden Menschenverstand beeinträchtigte. Sie waren Intellektuelle mit hohen moralischen Ansprüchen, Männer und Frauen, die – zumindest meist – nach Prinzipien lebten, in deren Mittelpunkt etwas anderes stand als Wärme im Winter und regelmäßige Mahlzeiten. Doch ihr Kampf um das, woran sie glaubten, war so kompromisslos, dass sie am Ende ihre eigenen Ideale verrieten. Als der Bürgerkrieg näher rückte, war der intellektuelle Zirkel desorientiert und zerstritten. Ihre hohe Moral wandelte sich in Selbstgerechtigkeit, sie ließen sich durch die angemaßte Autorität eines John Brown und anderer Männer wie er blenden. Sie wurden zum Opfer ihrer eigenen Arglosigkeit.

Diese Geschichte beginnt 1840 mit der Ankunft der Alcotts in Concord. Die Kapitel folgen dem Leben von Louisa May Alcott, Emerson und Thoreau, Hawthorne und Margaret Fuller. So wird beispielsweise die Rede davon sein, wie sich Louisa May Alcott, krank und wütend, 1868 hinsetzte und ein Buch für junge Mädchen schrieb, das zu einem der erfolgreichsten Romane aller Zeiten werden sollte. Mein Buch endet im Jahre 1882 mit Ralph Waldo Emersons Tod....

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