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E-Book

Amerika der Länge nach

Meine Reise auf der Panamericana

AutorRobert Jacobi
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783492977197
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Als alle Zeichen auf berufliche Karriere stehen, packt Robert Jacobi die Sehnsucht nach dem ganz großen Abenteuer: der Panamericana. Allein und mit knappem Budget macht er sich auf den Weg vom nördlichsten zum südlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents. Es sind die überraschenden Begegnungen am Wegesrand, die seine achtmonatige Reise unverwechselbar machen: die romantische Nacht in Nome mit der Aussteigerin Kim und ihren 17 Huskies im Nebenzimmer; die korrupten Polizisten in Lima, die Jacobi eine Menge Ärger und einen Auftritt im peruanischen Fernsehen einbringen; die Besteigung des knapp 6000 Meter hohen Cotopaxi (Ecuador) mit einer spontan zusammengewürfelten Backpackergruppe ... Ein mitreißender Reisebericht und eine Einladung, selbst aufzubrechen.

Robert Jacobi, 30, hat die Deutsche Journalistenschule absolviert und Fotografie in Harvard/USA studiert. Seit seiner Jugend reist Jacobi, wann immer er Zeit dafür findet. Dabei helfen ihm fünf Sprachen, die er fließend beherrscht. Für die Süddeutsche Zeitung und das SZ-Magazin arbeitete er mehrere Jahre lang als Autor und Korrespondent. In dieser Zeit berichtete er über Weltwirtschaftsgipfel, die Terroranschläge in New York und arbeitslose Jugendliche in Ostdeutschland. Über seine Reise entlang der Panamericana berichtete er online für die Süddeutsche Zeitung. Für seine Reportagen und Leitartikel erhielt er den Alexander-Rhomberg-Preis der Gesellschaft für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis und den deutsch-amerikanischen Arthur F. Burns-Journalistenpreis. Im Herbst 2008 erschien bei MALIK NATIONAL GEOGRAPHIC seine Reiseerzählung »Amerika der Länge nach«.

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Leseprobe

1


Mein Leben aus dem Rucksack

Als ich am Ufer der Beringsee bei zehn Grad Celsius mein Zelt aufbaute, fiel eiskalter Regen. Im dumpfen Licht schienen das Meer und die Wolken am Horizont ineinanderzufließen. Dort hinten lag Sibirien, nur eine Flugstunde entfernt.

Neben mir deckten bärtige Männer seltsame Geräte ab, mit denen sie gerade noch den Sand gewaschen hatten, um Gold herauszufiltern – ganz so, als lebten wir in den Zeiten von Wyatt Earp, der vor hundert Jahren hier in Nome, Alaska, als Goldgräber sein Glück versucht hatte. Im Juli und August ist die Saison seiner Nachfolger, die von den hohen Preisen auf dem Weltmarkt profitieren.

Der Wind peitschte die Gischt über den Strand in mein langsam erstarrendes Gesicht. Kaum hatte ich das Zelt aufgestellt, verzog ich mich in mein neues, kleines Heim aus gelben Planen. Ungefähr ein Drittel des Platzes belegte mein schwarzer Rucksack, daneben rollte ich meine Isomatte und den Allwetterschlafsack, den ich kurz vor dem Abflug in Boston gekauft hatte.

So werde ich also die nächsten Monate zubringen, dachte ich, während ich versuchte, meinen Campingkocher in Gang zu bringen, um Wasser für einen Tee zu erhitzen. Nach einer Weile gelang es mir, unter Zuhilfenahme der Gebrauchsanleitung. Eine heiße Blechtasse in der Hand haltend, sinnierte ich darüber, warum ich mich auf diesen weiten Weg begeben hatte und welche Erlebnisse vor mir liegen würden.

Auf der Küstenstraße lärmte ein Lastwagen vorbei, wohl auf dem Weg zu einer der Goldminen in der Gegend. Mein Außenzelt flatterte so stark im Wind, dass ich fürchtete, es könnte davonfliegen. Sicherheitshalber steckte ich zwei weitere Heringe in den Sand, zog noch einen Pullover an und kroch in meinen Schlafsack, obwohl es erst fünf Uhr nachmittags war. Langsam breitete sich Wärme aus.

 

Einige Monate zuvor hatte ich in einem griechischen Imbiss in Cambridge, einem Vorort von Boston, vor einem Teller Gyros gesessen. Ich unterhielt mich mit Paz, einer Kommilitonin aus Spanien. Wir sprachen über unsere Pläne für den Sommer nach den letzten Seminararbeiten und Klausuren.

»Ich würde gern nach Alaska fliegen, da wollte ich schon als kleiner Junge hin«, sagte ich. »Danach, mal sehen. Vielleicht Freunde in Argentinien besuchen.«

Damals hatte ich schon entschieden, erst im darauf folgenden Jahr wieder zu arbeiten und bis dahin durch die Welt zu reisen, mit den Ersparnissen aus der Zeit vor dem Master-Studium in Internationaler Wirtschaft und Politik in Harvard, die ich als Zeitungsjournalist in Berlin zugebracht hatte.

»Das liegt ziemlich weit auseinander, Alaska und Argentinien«, sagte Paz.

»Stimmt schon«, antwortete ich, »aber ich habe auch ziemlich viel Zeit.«

In diesem Moment kam mir der entscheidende Gedanke: Warum nicht beide Ziele miteinander verbinden? Warum nicht nach Alaska fliegen und die ganze Strecke bis nach Patagonien auf dem Landweg zurücklegen? Das sollte in sechs oder sieben Monaten zu schaffen sein, dachte ich.

Die Pause zwischen zwei Kursen war vorbei, Paz und ich gingen zu unserem backsteinfarbenen Universitätsgebäude zurück. Im Hörsaal schrieb ich mechanisch die makroökonomischen Formeln von der Tafel, ohne dem Professor zuzuhören. Ich ahnte, dass sie die Welt nicht wirklich erklärten, und dachte nur noch an meinen Trip, an dem ich fortan keine Sekunde mehr zweifeln sollte.

»So etwas wollte ich auch immer machen, aber ich habe es nie geschafft«, war einer der vielen, ähnlich lautenden Sätze, die ich in den Wochen meiner Reisevorbereitungen hörte. »Aber allein, ist das nicht zu langweilig?« Ich antwortete ausweichend: »Es gibt sonst niemanden, der so viel Zeit hat.« Und ich berichtete von meinem Plan, auf der Strecke immer wieder Freunde zu treffen, um mich nicht in der Einsamkeit zu verlieren.

In Wirklichkeit war es eine bewusste Entscheidung, mich ohne Begleitung auf den Weg zu machen. Ich wollte mich treiben lassen, ohne dabei Rücksicht auf die Wünsche anderer Menschen nehmen zu müssen. Damals war ich Single, was die Angelegenheit erleichterte.

Aus meinem Rough-Guide-Reiseführer für Alaska suchte ich mir Nome als erstes Ziel aus, einen Ort, der nur hundertfünfzig Kilometer südlich des Polarkreises liegt. »Zu Zeiten des Goldrauschs die lebhafteste Stadt im Norden Alaskas, leben hier heute viertausend Menschen, die Hälfte von ihnen Eskimos, in einer Art subarktischem Wilden Westen«, las ich. »Die Straßen sind staubig, die Restaurants abweisend und die wackligen Häuser sehen aus, als hätten sie so manchen harten Winter erlebt. Im Sommer wird es dort nie ganz dunkel.«

Genau da wollte ich hin.

An einem Dienstag im Juli flog ich von Boston über Chicago nach Seattle. Dort stieg ich in eine Boeing der Alaska Airlines, an deren Heckruder ein Eskimo mit Fellmütze aufgemalt war. Die Maschine sollte mich in den hohen Norden bringen, nach Anchorage.

Es war früher Nachmittag, nur vereinzelt hingen Wolken am kalten, tiefblauen Sommerhimmel. Die Motoren begannen zu lärmen, wir hoben ab, drehten eine Schleife über den Pazifik und gingen auf Kurs in nordwestliche Richtung. »Willkommen auf Ihrem Alaska-Airlines-Flug nach Anchorage. Die Flugzeit beträgt zwei Stunden und vierzig Minuten«, verkündete eine der Flugbegleiterinnen über Lautsprecher. »Bitte lehnen Sie sich zurück, und fühlen Sie sich wohl an Bord.«

Ich schaute hinaus. Weit unten rollten dunkelgrüne Berge zum Meer und zerfielen in kleine Inseln. Von hier oben sahen sie aus wie Steine, die ein Kind in eine riesige Pfütze geworfen hatte. Ich hörte über meinen iPod Klaviermusik von Bach, die meine Gefühlsmischung aus Vorfreude und Ehrfurcht vor meiner schätzungsweise 25 000 Kilometer langen Unternehmung verstärkte. Die Maschine wackelte, und ich schüttete mir heißen Kaffee über die Hose.

Mehr als ein halbes Jahr ohne Büros und Bibliotheken, ohne Telefon und Termine lagen vor mir. So frei würde ich mich lange nicht mehr fühlen, das war klar.

Während ich meinen Gedanken nachhing, veränderte sich die Landschaft unter dem rechten Flügel. Im Pazifik schwammen keine Inseln mehr, sondern weiße Eisblöcke, die sich von den Gletschern gelöst hatten, deren graustichige Zungen wie achtspurige Autobahnen aus dem Küstengebirge hinunterbrachen. Vereinzelt waren Schiffe zu erkennen, scheinbar regungslos. Nur die Wellen, die sie im blaugrünen Wasser hinter sich herzogen, zeigten, dass sie sich vorwärtsbewegten.

Der Flug nach Anchorage war meine vorletzte Etappe an diesem Tag. Noch einmal musste ich dort umsteigen. Jetzt standen überall auf dem Rollfeld die Flugzeuge der Alaska Airlines mit dem Eskimogesicht auf dem Ruder. Ich stellte meine Uhr um vier Stunden zurück. Eigentlich liegt Anchorage sieben Zeitzonen westlich von Boston – um aber Alaska nicht zu weit von der Wirtschaft im übrigen Land abzukoppeln, hat die amerikanische Regierung den zeitlichen Abstand einfach gekürzt. Merkt sowieso keiner: Im Winter ist es meistens dunkel, im Sommer ziemlich lange hell.

Im Flugzeug nach Nome gab es nur zehn Sitzreihen, der Rest des Rumpfs war mit einer Wand abgetrennt, um Raum für Lebensmittel und andere Transportgüter zu schaffen. Ich fühlte mich wie auf einer Expedition. Nach Nome führen keine Straßen. Im Sommer ist der Ort auch mit dem Frachtschiff erreichbar, im Winter wegen des Eises nur mit dem Flugzeug oder für Abenteurer auf Schlittenhunden: Einmal im Jahr zieht sich der Iditarod, das längste Schlittenhunderennen der Welt, von Anchorage circa 1150 Kilometer durch die verschneite Landschaft hierher.

Nach einer Zwischenlandung in Kotzebue flogen wir noch eine halbe Stunde über die sommerliche Tundra, eine braungrüne, hügelige Landschaft, in der kein einziger Baum stand, bevor wir auf der kurzen und schmalen Landebahn von Nome aufsetzten. Der Pilot bremste scharf.

Das Flughafengebäude war eine Holzbaracke, in der es nicht einmal ein Gepäckband gab. Zwei kräftige Männer luden die prall gefüllten Koffer und riesigen, blauen Plastiksäcke von einem kleinen Wagen über eine Rampe in den Warteraum. Ganze Familien schleppten die Säcke davon, in die sie ihre Einkäufe aus Anchorage verpackt hatten: Shopping mit dem Flugzeug, weil es in Nome nicht viel gibt. Als vorletztes Gepäckstück landete mein schwerer Rucksack dumpf auf dem grauen Linoleumboden der Baracke.

»Entschuldigung, aber wie komme ich denn von hier in die Stadt?«, fragte ich einen dicklichen Schalterangestellten der Alaska Airlines, der eine grün-blaue Uniform trug. »Da müssen Sie selbst schauen«, antwortete er brummig.

In Nome gibt es keine Busse und keine Taxis, das hatte ich vorher gelesen, und ich stellte mich darauf ein, meine ersten fünf Kilometer in Alaska zu Fuß gehen zu müssen.

Sicherheitshalber schaute ich mich fröstelnd auf dem Parkplatz um, aber fast jeder Pick-up füllte sich mit Plastiksäcken und mindestens drei Passagieren, die sich neben den Fahrer in die Kabine zwängten. Als der Parkplatz schon fast leer und nur graubraune Pfützen zurückgeblieben waren, entdeckte ich einen bärtigen Mann im braunen Anorak, der alleine zu seinem Chevrolet-Truck ging.

»Könnten Sie mich in die Stadt mitnehmen?«, fragte ich.

»Kein Problem«, antwortete er, und schon hatte er meinen Rucksack auf die Ladefläche geworfen, die dabei ziemlich schepperte.

»Ich bin Hank. Spring auf!«

»Danke, Hank.«

Schlamm spritzte in die Luft, erst drehten die Reifen durch, danach quietschten sie, und schließlich...

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