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Amerikas letzte Chance

Warum sich die Weltmacht neu erfinden muss

AutorChristian Wernicke, Reymer Klüver
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783827075253
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Nach drei Jahren unter Barack Obama sind die Vereinigten Staaten zerrissener denn je. Neben der anhaltenden schweren Wirtschaftskrise kämpft das Land mit den Altlasten der Vergangenheit: Armut, Rassismus, Kriege ohne Ende. Obendrein stehen sich die politischen Lager so unversöhnlich gegenüber wie seit langem nicht. Fort ist der Wunderglaube, der den wortgewaltigen Demokraten Ende 2008 ins Weiße Haus katapultierte. Die letzte verbliebene Supermacht scheint die Hoffnung auf einen Aufbruch aus eigener Kraft verloren zu haben. Die SZ-Korrespondenten Reymer Klüver und Christian Wernicke erleben und schildern die politische wie soziale Krise Amerikas aus nächster Nähe. Sie ziehen eine schonungslose Bilanz der Präsidentschaft Obamas und benennen die herkulischen Aufgaben, vor denen er und eine Weltmacht im Niedergang stehen. Sie zeigen aber zugleich, warum Obama mit vielen seiner Reformvorhaben scheitern musste - und warum doch allein seine Wiederwahl Amerika eine letzte Chance zur eigenen Erneuerung als westlicher Führungsmacht eröffnen könnte.

Reymer Klüver berichtet seit 2005 als politischer Korrespondent der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus den Vereinigten Staaten. Zuvor war er als SZ-Korrespondent in Berlin und Hamburg tätig. Jahrelang widmete er sich als Reisekorrespondent entwicklungspolitischen Themen und arbeitete im SZ-Reportage-Ressort »Die Seite Drei«. Klüver ist Autor mehrerer Bücher und Träger des Medienpreises Entwicklungspolitik.

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EINLEITUNG

Warum sich die Weltmacht neu erfinden muss

»Amerikas letzte Chance«? Das klingt anmaßend. Und es ist, in den Augen mancher unserer amerikanischen Freunde, mal wieder typisch für Europäer, die gern auf dieses Land jenseits des Ozeans herabschauen gerade in diesen Jahren, da die Weltmacht erkennbar angeschlagen ist. »Letzte Chance« als stünden die Vereinigten Staaten vor dem Untergang? Das wäre natürlich Unsinn. Noch immer ist New York eine der vibrierendsten Städte auf dem Erdball, im kalifornischen Silicon Valley sind nach wie vor die cleversten Computerfreaks der Welt zu Hause und in Harvard die schärfsten Denker. In Washingtons Think-Tanks sind brillante Kenner der internationalen Politik zu finden, und Hollywood produziert noch immer Filme, die die Welt bewegen. Amerika ist auf so vielen, so verschiedenen Gebieten nach wie vor führend politisch, wirtschaftlich, militärisch, kulturell, technologisch , dass der Titel dieses Buches reichlich kühn anmuten mag.

Und doch, auch in den Vereinigten Staaten sind immer mehr Stimmen zu vernehmen, die Amerika auf einer abschüssigen Bahn sehen, vor einer gewaltigen Wegscheide, an der sich herausstellt, ob die erste Demokratie der modernen Welt auch in diesem, nun nicht mehr ganz jungen Jahrhundert unbestrittene Führungsmacht bleibt. Oder ob Amerika, wie viele fürchten und manche hoffen, nach dem Ende des American Century in die Zweitrangigkeit absteigt oder gar, im schlimmsten Fall, sich selbst verliert. Das Land scheint nicht zu wissen, in welche Richtung es gehen will.

Thomas Friedman, der scharfzüngige linke Kolumnist der New York Times, und sein Koautor, der kluge Politikwissenschaftler Michael Mandelbaum, konstatieren kurz und knapp in ihrem jüngsten Buch That Used to Be Us (»Das waren einmal wir«): Wenn die Amerikaner die Herausforderungen, vor denen das Land steht, nicht meistern, dann riskieren sie »ein mieses 21. Jahrhundert«. Und Peggy Noonan, eine nachdenkliche konservative Kommentatorin, schreibt im Wall Street Journal: »Die Menschen fürchten zunehmend die Verwerfungen im Inneren, sie fürchten sogar, dass unser Land auseinanderbrechen könnte. Reich/arm, schwarz/weiß, jung/alt, rot/blau (also: republikanisch/demokratisch): Die Dinge, die uns trennen, sind nicht neu; und doch gibt es jetzt ein Gefühl, dass der Klebstoff, der uns für mehr als zwei Jahrhunderte zusammengehalten hat, sich abgenutzt hat und mit den Jahren rissig geworden ist.« Das Land hat seine alte, uramerikanische Zuversicht verloren, es bröckelt die Hoffnung auf einen Aufbruch aus eigener Kraft. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg warnte vor der Gefahr sozialer Unruhen in den Straßen amerikanischer Städte, noch ehe die Occupy-Wall-Street-Bewegung in Erscheinung trat.

Wie anders war es fast vier Jahre zuvor. Eine neue Ära schien anzubrechen nach acht langen Jahren erbitterten politischen Streits unter Präsident George W. Bush. »Change has come to America!«, verkündete Barack Obama vor Hunderttausenden in Chicagos Grant Park in einer Novembernacht, die Geschichte machte: Gerade hatten ihn die Amerikaner an diesem 4. November 2008 zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt: der erste Schwarze im Weißen Haus. Die Nation glaubte tatsächlich, sich neu erfinden zu können. Das Land bebte vor Zuversicht.

Die Demokraten sahen in ihm einen großen Präsidenten, noch ehe Obama sein Amt überhaupt angetreten hatte. Sie verglichen ihn mit ihren politischen Ikonen des 20. Jahrhunderts, dem noch immer verehrten John F. Kennedy oder dem großen Reformer und Weltkriegspräsidenten Franklin D. Roosevelt. Die Wechselwähler, die sich in ihrer Mehrzahl für ihn entschieden hatten, erblickten in dem schlanken, hochgewachsenen Senator einen Mann, der das Land mit sich selbst versöhnen und endlich wieder Zivilität in den politischen Diskurs bringen würde. Sogar Republikaner entdeckten in ihm eine Persönlichkeit von historischem Rang. Auch sie hatte Obama (zumindest vorübergehend) mit Stolz auf ihr Land erfüllt: Allein durch die Wahl eines Afroamerikaners hatte die Nation bewiesen, dass sie zu innerer Reform in der Lage war. So schien es jedenfalls. Und Obama versprach allen Großes: die Modernisierung des Landes und die Versöhnung der zersplitterten Gesellschaft. Da keimte der Traum eines neuen amerikanischen Zeitalters in Frieden und Wohlstand.

Wahre Herkulesaufgaben erwarteten den jungen Präsidenten. Die gewaltigste Wirtschaftsmisere seit der Großen Depression: Bankenkrise, Autokrise, Immobilienkrise, Jobkrise. Zwei blutige Endloskriege. Angesichts dieser Erblast ist Obama Wichtiges gelungen: Er verhinderte den Wirtschaftskollaps, setzte eine seit Jahrzehnten verschleppte Gesundheitsreform durch und verschrieb der mächtigen Wall Street eine neue Finanzmarktordnung. Er holte die Truppen heim aus dem Irak und begann den Abzug aus Afghanistan, dezimierte al-Qaida und stellte Amerikas ramponiertes Ansehen in der Welt wieder her.

Und doch reicht das alles irgendwie nicht. Wirklich zufriedengestellt hat Barack Obama niemanden. Die Linken im Lande nicht, für die er nicht genug Reformeifer bewies. Die Rechten nicht, denen die ganze Richtung nicht passte. Und die in der Mitte (ver-)zweifeln, weil die politische Selbstblockade in Washington seit Obamas Wahl nicht wie versprochen ab-, sondern nur noch zugenommen hat. Obama ist nicht der Halbgott, zu dem ihn seine Anhänger unter seiner tatkräftigen Mitwirkung stilisiert hatten. Der Nation ist der Wunderglaube an ihren Präsidenten abhandengekommen. Im vierten Jahr der Präsidentschaft Obamas sind die Vereinigten Staaten innerlich zerrissener denn je.

Wir spüren diesen Verwerfungen nach und haben bei unseren Reisen und Recherchen als Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung ein gestresstes Land kennengelernt. Ein Land, das von Altlasten der Vergangenheit niedergezogen wird und dessen Zukunft in der Gegenwart zu zerfallen droht. Im Hafen von Philadelphia haben wir einen ausgeschlachteten, alten Ozeanriesen entdeckt, der einst Stolz der Nation war, nicht zuletzt weil er ihren Namen trug: United States. Eine Gruppe engagierter Bürger versucht das rostige Staatsschiff zu retten, doch die Aufgabe droht sie zu überwältigen. Es ist eine Parabel auf den Zustand dieses Landes und den fast verzweifelten Wunsch, einen Ausweg aus der Misere zu finden.

In Nahaufnahmen schildern wir Amerika so zwiespältig, wie es heute ist, und berichten von Menschen, denen wir auf Reportagereisen quer durchs ganze Land begegnet sind. Wir durchwachen die Nacht vor einer Schulturnhalle in den Appalachen mit Menschen, die für einen Besuch in einer mobilen Gesundheitsklinik anstehen, weil sie so arm sind, dass sie sich einen Doktor nicht leisten können. Wir besuchen eine Familie, die ihr Haus in einem der vielen konturlosen Vororte der Hauptstadt Washington verliert, weil sie die Hypothekenraten nicht mehr zahlen kann so wie es Millionen Amerikanern inzwischen ergangen ist. Wir reisen den Ol Man River hinab, den Mississippi, und erleben, wie drückend das Erbe des Rassismus auch in der Ära Obama noch ist. Sind unterwegs im Rostgürtel von Ohio, wo die Männer von einem anderen Land träumen, in dem es noch Jobs und eine Zukunft für sie gab ehe die Globalisierung über die USA kam. Hoch oben im Norden, am Flughafen von Bangor in Maine, treffen wir eine Rentnertruppe, die als »Troop Greeters« und gute Patrioten Amerikas Soldaten bei der letzten Zwischenlandung vor dem Krieg alles Glück dieser Welt wünschen, obwohl sie selbst längst nicht mehr an den Sinn der Waffengänge glauben. Und wir erzählen von einem jungen Kriegsheimkehrer aus dem Irak, der, zurückgezogen in einem Kleinstädtchen an der kanadischen Grenze, nun aus Uniformen Papier macht und doch die Last der Kriege nicht loswird so wie das ganze Land.

Wir beobachten, wie wenig sich Amerika für die Zukunft fit macht, wie es heute auf Kosten von morgen spart. Wie die Straßen und Brücken bröckeln, die Schulen verkommen und das Land die Energiewende verpasst, die es noch vor vier Jahren anzugehen schien. Wie wenig die Menschen, befördert durch polarisierende Medien, noch bereit sind, Andersdenkenden zuzuhören. Wir haben Tea-Party-Freunde im Vorortidyll von Nashville aufgesucht und linke Aktivisten in San Francisco interviewt und festgestellt, dass sich das Land immer mehr nach der Gesinnung organisiert: Konservative und Linke bleiben jeweils unter sich. Überall entdecken wir dasselbe Phänomen eine tiefe Spaltung des Landes. Amerika driftet auseinander: wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial, politisch. Und nichts scheint diese Polarisierung aufhalten zu können auch nicht jener Präsident, von dem sich so viele eine innere Versöhnung erhofft hatten.

Dies ist kein Insiderbuch aus Washington, recherchiert auf den Korridoren des Kongresses oder in den Hinterzimmern von Ministerien. Es ist ein Buch über Obamas Land nicht über Obama und seine Gegenspieler. Wir wollen Anschauung liefern aus einem zerfasernden Land. Es sind Beobachtungen aus mehr als einem halben Jahrzehnt, in dem wir als Korrespondenten in den USA unterwegs waren. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit wie auch, in diesem so riesigen, so vielfältigen Land? Wohl aber glauben wir, dass wir ein neues amerikanisches Lebensgefühl eingefangen haben: das Gefühl kollektiver Verunsicherung und Bedrückung.

Amerika hat sich gewaltig verändert, seitdem wir es...

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