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E-Book

Amerikas ungeschriebene Geschichte

Die Schattenseiten der Weltmacht

AutorOliver Stone, Peter Kuznick
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783843711708
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
WORUM GEHT ES? Amerikas Aufstieg zur Supermacht wird gemeinhin als heroische Geschichte erzählt. Im Mittelpunkt dieses Buches, das der amerikanische Filmregisseur Oliver Stone zusammen mit dem Historiker Peter Kuznick geschrieben hat, stehen die Schattenseiten dieses Aufstiegs: blutige Eroberungskriege, die Kolonisierung Lateinamerikas durch Großkonzerne, der Aufstieg von Großbanken als Kriegsgewinnler, Rassismus und Antisemitismus, der Abwurf von Atombomben ohne militärischen Nutzen, die brutale Kriegführung in Vietnam, Afghanistan und im Irak, die Inszenierung von Militärputschen in Lateinamerika und Afrika, Mord, Folter, Menschenrechtsverletzungen. Ein umfassendes Sündenregister, ein Schwarzbuch Amerika, eine Chronik der Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung. WAS IST BESONDERS? Kompetent und fundiert liefern Stone und Kuznick rechtzeitig zum kommenden Präsidentschaftswahlkampf eine kritische Bilanz der Schattenseiten von Amerikas Aufstieg zur Weltmacht. WER LIEST? • Alle, die Amerikas Rolle als Weltmacht kritisch sehen • Leser der Bücher von Peter Scholl-Latour, George Packer und Michael Moore

Oliver Stone, geboren 1946, zählt zu den renommiertesten Filmregisseuren und Drehbuchautoren der USA. Er erhielt drei Oscars (für Midnight Express, Platoon und Geboren am 4. Juli). Seine Filme widmen sich überwiegend der amerikanischen Zeitgeschichte, u.a. dem Vietnamkrieg und den Präsidentschaften Kennedys und Nixons. Sie entfachten heftige politische Kontroversen. 2016 kommt Stones Film über Edward Snowden, den er als Held bezeichnet, in die Kinos.

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Leseprobe

1


Aufbruch eines Imperiums –
von Kuba nach Versailles

Die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 zwischen George Bush und Al Gore stellte das amerikanische Volk vor die schwierige Entscheidung, zwischen zwei grundverschiedenen Zukunftsvisionen zu wählen. Nur wenige erinnern sich, dass genau hundert Jahre zuvor das amerikanische Volk schon einmal vor einer ähnlichen Wahl stand. Es musste darüber entscheiden, ob die Vereinigten Staaten eine Republik bleiben oder ein Imperium werden sollten.

Für den Amtsinhaber, den republikanischen Präsidenten William McKinley, lag die Zukunft Amerikas im »Freihandel« und im Aufbau eines weltumspannenden Imperiums. Sein Herausforderer, der Demokrat William Jennings Bryan, war dagegen ein überzeugter Antiimperialist. Kaum jemand nahm von dem dritten Kandidaten Notiz – dem Sozialisten Eugene V. Debs. Die sozialistische Bewegung repräsentierte die neue Arbeiterklasse, und für sie bedeutete ein Imperium nur eines: Ausbeutung.

Dem Wahlkampf McKinleys gaben die boomende Wirtschaft und der Sieg über Spanien im Krieg von 1898 Rückenwind. Für ihn war klar: Wollte Amerika überleben, dann musste es expandieren. Bryan, ein Populist aus Nebraska mit dem Beinamen »the Great Commoner«, war ein erklärter Feind der Industriebarone und Banken und zitierte gerne Thomas Jefferson: »Wenn es ein Prinzip gibt, das tief im Verstand eines jeden Amerikaners verwurzelt ist, dann dass wir nichts mit Eroberung zu tun haben sollten.«1

Nachdem sie in Übersee mehrere Kolonien – die Philippinen, Guam, Pago Pago, die Wake- und die Midway-Inseln, Hawaii und Puerto Rico – annektiert und die Kontrolle über Kuba übernommen hatten, waren die Vereinigten Staaten auf dem besten Wege, ihr kostbarstes Geschenk an die Menschheit zu verraten.

Während die meisten Amerikaner glaubten, mit der Ausbreitung über Nordamerika hätte die Nation ihre »Manifest Destiny«, ihre offensichtliche Bestimmung, erfüllt, entwarf William Henry Seward, Außenminister unter Abraham Lincoln wie auch unter Andrew Johnson, eine überaus bombastische Vision von einem amerikanischen Imperium und fasste die Aneignung von Hawaii, Kanada, Alaska, den Jungfern- und den Midway-Inseln sowie Gebieten in der Dominikanischen Republik, Haiti und Kolumbien ins Auge. Sewards Traum sollte zu großen Teilen wahr werden.

Während Seward noch träumte, handelten die Europäer, allen voran Großbritannien, das seinem Weltreich in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Territorien von insgesamt 10,3 Millionen Quadratkilometern einverleibte, eine Fläche deutlich größer als die Vereinigten Staaten. Wie die alten Römer glaubten die Briten, dass es ihre Mission sei, der Menschheit die Zivilisation zu bringen. Frankreich schnappte sich 7,7 Millionen Quadratkilometer und der Nachzügler Deutschland immerhin noch 2,6 Millionen Quadratkilometer. Allein das spanische Weltreich befand sich im Niedergang. 1878 kontrollierten die europäischen Imperien und ihre früheren Kolonien 67 Prozent der Landoberfläche der Erde, 1914 waren es atemberaubende 84 Prozent. Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Europäer 90 Prozent des afrikanischen Kontinents unter sich aufgeteilt, wobei der Löwenanteil auf Belgien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland entfiel.

Die Vereinigten Staaten waren bestrebt, die verlorene Zeit wettzumachen. Obwohl die Amerikaner als ein Volk von Einwanderern der Vorstellung von einem Imperium ablehnend gegenüberstanden, war die Zeit um 1900 auch die Ära der »Robber Barons«, also der skrupellosen Kapitalisten und insbesondere der als die »400« bekannten Elite mit ihren riesigen Ländereien, Privatarmeen und Heerscharen von Arbeitern und Angestellten. Männer wie J. P. Morgan, John D. Rockefeller und William Randolph Hearst hielten eine enorme Macht in Händen. Die kapitalistische Klasse, heimgesucht von den Bildern der revolutionären Arbeiter, die 1871 die Pariser Kommune ausgerufen hatten, beschwor ähnliche Schreckensszenarien herauf, in denen Radikale die USA ins Chaos stürzten. Schon ein knappes halbes Jahrhundert vor der Russischen Revolution von 1917 wurden diese Radikalen oder Kommunarden auch als Kommunisten bezeichnet. Jay Gould, Herr über ein 24 000 Kilometer langes Eisenbahnnetz, verkörperte den kapitalistischen Raubritter in seiner schlimmsten Ausprägung. Gould, der sich einmal brüstete, er könne »die eine Hälfte der Arbeiterklasse anheuern, um die andere Hälfte umzubringen«, dürfte der meistgehasste Mann in Amerika gewesen sein.2

Als die »Panik von 1893« am ersten »Schwarzen Freitag« die Wall Street erfasste, begann die bis heute schlimmste Wirtschaftskrise in der US-Geschichte. Im ganzen Land schlossen zahlreiche Stahlwerke, Fabriken, Hochöfen und Minen, vier Millionen Menschen wurden entlassen, und die Arbeitslosigkeit schnellte auf 20 Prozent. Die American Railway Union unter Gewerkschaftsführer Eugene Debs reagierte auf Entlassungen und Lohnkürzungen durch George Pullmans Palace Car Company mit Streiks und legte die Eisenbahnen des Landes lahm. Soldaten wurden auf Seiten der Eisenbahnbarone gegen die Streikenden ausgesandt, Dutzende Arbeiter erschossen und Debs für ein halbes Jahr hinter Gitter gesteckt.

Für die amerikanischen Sozialisten, Gewerkschafter und Reformer gab es keinen Zweifel, dass die zyklischen Krisen des kapitalistischen Systems eine Folge der zu geringen Kaufkraft der Arbeiterklasse waren. Jacob Riis, der in seinen erschütternden Fotografien das Elend der Armen in New York festhielt, schockierte mit seinen Bildern die Nation. Arbeiterführer forderten die Umverteilung des Reichtums im Land, damit die arbeitenden Menschen die Güter kaufen konnten, die sie in den Fabriken und auf den Farmen des Landes produzierten.

Aber die »400« – die amerikanischen Oligarchen – lehnten das als eine bloße Spielart des Sozialismus ab. Stattdessen, sagten sie, könnte es einen größeren Kuchen für alle geben, doch dafür müssten die USA mit anderen Imperien konkurrieren und den Welthandel dominieren, so dass die Ausländer die wachsenden Überschüsse der amerikanischen Wirtschaft abnahmen. Vor allem jenseits der eigenen Grenzen lockte der Profit – in Form von Handel, billiger Arbeit und günstigen Rohstoffen.

Besonders lockte China, der große Preis in diesem Spiel. Wollten die USA diesen gigantischen Markt erschließen, benötigten sie eine moderne, mit Dampf angetriebene Seestreitmacht und Stützpunkte rund um die Welt. Nur so würde man dem Britischen Empire mit seinem wichtigen Hafen Hongkong Paroli bieten können – ganz abgesehen davon, dass auch Russland, Japan, Frankreich und Deutschland mit Macht nach China drängten. Amerikanische Unternehmer forderten den Bau eines Kanals durch Mittelamerika, der helfen sollte, die Tür nach Asien aufzustoßen. In diesem Klima globaler Konkurrenz annektierten die USA 1898 Hawaii. Beinahe ein Jahrhundert später entschuldigte sich der US-Kongress in einer Resolution bei den »eingeborenen Hawaiianern« dafür, dass ihnen das Recht auf Selbstbestimmung genommen worden war.

Auf Kuba, nur 150 Kilometer vor Florida gelegen, war ein Aufstand gegen die korrupte spanische Herrschaft ausgebrochen, woraufhin die Spanier einen guten Teil der Bevölkerung in Konzentrationslager sperrten, in denen 95 000 Menschen von Krankheiten dahingerafft wurden. Als die Kämpfe an Intensität zunahmen, forderten einflussreiche Bankiers und Unternehmer wie Morgan und Rockefeller, die viele Millionen Dollar auf Kuba investiert hatten, den Präsidenten zum Handeln auf – er sollte ihre Interessen schützen. Als Signal an die Spanier, dass die USA die amerikanischen Interessen zu wahren gedachten, entsandte Präsident McKinley die USS Maine in den Hafen von Havanna. In einer tropisch heißen Nacht im Februar 1898, das Thermometer zeigte über 38 Grad an, explodierte die USS Maine, 261 von 355 Besatzungsmitgliedern kamen ums Leben. Sogleich vermutete man einen spanischen Sabotageakt. Angeführt von Randolph Hearsts New York Journal und Joseph Pulitzers New York World überschlug sich die amerikanische Sensationspresse in Schuldvorwürfen gegen die Spanier und schuf ein Klima, in dem die Forderungen nach Vergeltung immer lauter wurden: »Remember the Maine, To Hell With Spain!« – »Denkt an die Maine, schickt Spanien zur Hölle!« wurde zum populären Schlachtruf. Millionen Amerikaner lasen die Artikel und gewannen die feste Überzeugung, dass Spanien, diese bröckelnde katholische Kolonialmacht, zu jeder Schandtat bereit war, um sein Reich zu bewahren. Als McKinley Spanien den Krieg erklärte, schrieb sich Hearst das auf die Fahne. »Wie gefällt euch der Krieg des Journal?«, fragte er.3

Der Spanisch-Amerikanische Krieg, bei dem viele Amerikaner an Teddy Roosevelts Angriff mit den »Rough Riders« auf den San-Juan-Hügel denken, war nach drei Monaten vorüber. US-Außenminister John Hay sprach von einem »glänzenden kleinen Krieg«. Von knapp 550 Toten auf amerikanischer Seite waren weniger als 400 im Kampf...

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