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E-Book

Amundsens letzte Reise

AutorMonica Kristensen
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl464 Seiten
ISBN9783641222826
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Am 18. Juni 1928 besteigt Roald Amundsen in Tromsö ein französisches Flugboot, eine Latham 47, mit Ziel Spitzbergen. Der Bezwinger des Südpols und norwegische Nationalheld macht sich auf, den italienischen Polarforscher Umberto Nobile zu retten, mit dem er zwei Jahre zuvor in einer spektakulären Fahrt den Nordpol angeflogen hatte. Nobiles Luftschiff ist bei einer neuerlichen Arktis-Expedition abgestürzt, seit Tagen treiben er und ein Teil seiner Mannschaft hilflos auf einer Eisscholle. Nobile wird einige Zeit später gerettet - jedoch nicht von Amundsen: Gegen 18.00 Uhr geht an jenem Tag ein Funkspruch von der Latham 47 ein - es sind die letzten Lebenszeichen Amundsens und der Crew. Bis heute fehlt jede Spur von ihnen. Was ist damals tatsächlich passiert? Warum musste ein Mann sterben, der als besonnen und überaus gründlich galt? Wusste er, welches Risiko er einging?

Basierend auf zum Teil bisher unveröffentlichten Quellen zeichnet die norwegische Polarforscherin und Schriftstellerin Monica Kristensen ein ebenso bewegendes wie scharfsichtiges Porträt Amundsens und erzählt zugleich eine höchst dramatische und unglaubliche Geschichte aus dem ewigen Eis.

Monica Kristensen ist eine der bekanntesten norwegischen Polarforscherinnen, sie leitete zahlreiche Expeditionen in arktische und antarktische Gebiete. Von 1998-2003 war sie Direktorin der Kings Bay GmbH, der Kohlebergwerkgesellschaft in Ny-Ålesund auf Spitzbergen. Darüber hinaus promovierte sie an der Universität von Cambridge in Glaziologie. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie mehrere bedeutende wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter die Goldmedaille der Royal Geographical Society. 'Die Suche' ist ihr erster Roman, der auf Deutsch erscheint. Gegenwärtig schreibt sie an ihrem vierten Krimi aus Spitzbergen.

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Leseprobe

PROLOG



Tromsø, 18. Juni 1928


Das Zimmer lag still im Halbdunkel, trotz des grellen, klaren Tageslichts draußen vor den Fenstern. Das Haus, eine prächtige, dreistöckige Villa im Schweizer Stil, lag zentral an der Storgata, die die Stadt Tromsø durchquerte. Hier hatten der weltberühmte Polarforscher Roald Amundsen und der norwegische Pilot Leif Dietrichson frühmorgens am Montag, dem 18. Juni 1928, Zuflucht gesucht. Auf dem Kai wie auch vor dem Haus, dessen Erdgeschoss vollständig von der Apotheke Nordstjernen eingenommen wurde, hatten sich nach und nach Menschengruppen eingefunden, die aufgeregt miteinander diskutierten. Der alte Polarheld war endlich in der Stadt eingetroffen.

Das französische Flugboot Latham 47-II war kurz nach sechs Uhr morgens auf dem Tromsøsund gelandet. Das Flugzeug wurde am Ostufer der Bucht vertäut, beim Lager der Vestlandske Petroleumskompani, und die Besatzung, vier Franzosen und zwei Norweger, wurden in einem Ruderboot an Land gebracht. Gleichzeitig kam ein Wachmann, der von der Gemeinde Tromsø eingestellt worden war, an Bord. Er sollte auf dem Flugboot bleiben, solange die Mannschaft sich in der Stadt ausruhte.

Beide Chefpiloten, René Guilbaud und Leif Dietrichson, waren berühmte Männer in ihrem Metier, bekannt für ihre Pionierleistungen und ihre Tüchtigkeit. Aber trotzdem war es Roald Amundsens Anwesenheit, die die Begeisterung unter den Menschen weckte und die Schlagzeilen in den Zeitungen beherrschte. Der Fußweg vom Kai, wo sie an Land gegangen waren, bis hoch ins Zentrum von Tromsø war nicht lang, doch selbst in diesen frühen Morgenstunden hatten sich bereits Menschen entlang der Straßen eingefunden, um zumindest einen kurzen Blick auf den berühmten Polarfahrer zu erhaschen.

Roald Amundsen war diese Begeisterung gewohnt, derartige Aufmerksamkeit war seit mehr als zwanzig Jahren Teil seines Lebens. Er lächelte freundlich, versuchte so schnell wie möglich sein Ziel zu erreichen, blieb nicht stehen, um etwaige Fragen zu beantworten. Am Tag zuvor hatte er sich in Bergen interviewen lassen, das musste genügen. In Tromsø war die Zeit knapp, und er wollte nicht gestört werden. Das genaue Ziel der nächsten Etappe seines Flugs Richtung Norden stand noch nicht endgültig fest. Wichtige Entscheidungen mussten getroffen werden.

Aber nicht alle konnten einfach ignoriert werden. Zumindest Helmer Hanssen nicht, Roald Amundsens alter Freund und Teilnehmer an drei seiner größten Expeditionen. Nach mehreren Streitigkeiten zwischen ihnen auf der sieben Jahre dauernden »Maud«-Expedition im Nordpolarmeer hatte es sich gezeigt, dass die früher so enge Freundschaft nur schwer wieder zu kitten war. Jetzt war Helmer Hanssen gekommen, um Roald Amundsen in Tromsø willkommen zu heißen. Ein versöhnlicher, schöner Zug, wie viele meinten. Was Amundsen selbst dachte, war unmöglich zu erkennen. Er blieb stehen und begrüßte den ehemaligen Freund, wechselte einige Worte mit ihm. Doch der Besitzer des stattlichen Hauses in der Storgata, Fritz Gottlieb Zapffe, sorgte entschlossen dafür, dass der Polarfahrer und Leif Dietrichson ins sichere Hausinnere gelangten. Helmer Hanssen wurde nicht eingeladen, ihnen zu folgen.

Die vier Franzosen wurden im alten, ehrwürdigen Grand Hotel einquartiert, nur zwei Häuser von Zapffes Villa entfernt. Dort legten sie sich für ein paar Stunden schlafen. Der Flug von Caudebec in Frankreich war lang gewesen. Das Wetter über der Nordsee hatte sich als schwierig erwiesen, mit Sturm und Hagelschauern auf weiten Teilen der Strecke. In Bergen waren sie zwischengelandet, um Amundsen und Dietrichson an Bord zu nehmen. Kein Mitglied der Besatzung hatte auf dem Weiterflug nach Tromsø viel geschlafen. Und die nächste Strecke nach Spitzbergen sollte eine neue, weitaus größere Herausforderung werden. Von den Franzosen hatte keiner Erfahrungen mit arktischen Verhältnissen. Ihre Erfolge mit der Latham hatten sich weiter im Süden, über dem Mittelmeer, abgespielt.

Zapffe und Amundsen saßen allein im Wohnzimmer und sprachen vertraulich miteinander. Ab und zu wurden sie von Dietrichson unterbrochen, der mit den neuesten Nachrichten hereinplatzte und mit entsprechenden Antworten wieder davoneilte. Er war in Kontakt mit dem Geofysisk Institutt gewesen und berichtete von ungünstigen Wetterverhältnissen, die sich möglicherweise im Laufe des Tages bessern könnten. Amundsen hatte bereits gefrühstückt und ein Bad genommen, schlafen wollte er jedoch nicht. Es sah so aus, als grübelte er über einem Problem, wie abwesend antwortete er auf einen ganzen Schwall von Fragen Dietrichsons.

Die internationale Suche nach dem italienischen Luftschiff »Italia«, das auf seinem Rückweg vom Nordpol verschwunden war, schien zur größten Rettungsaktion zu werden, die jemals in dieser Region stattgefunden hatte. Die Latham war im letzten Moment zur Suche dazugestoßen, aber es war diese Expedition, an die die Menschen in Norwegen die größten Hoffnungen knüpften. Wenn jemand die Mannschaft des italienischen Luftschiffs finden und retten konnte, dann Roald Amundsen.

Ferne Geräusche waren von der Straße her zu hören. Es schien, als stehe die Zeit still. Aber irgendwo im Haus schlug eine Uhr zur halben Stunde, leise und dunkel.

Der Apotheker machte sich Sorgen. Er hätte seinen verschlossenen Gast so gern mit ein paar freundlichen Worten aufgemuntert. Natürlich freute er sich für Roald Amundsen, dass dieser endlich auf dem Weg nach Spitzbergen war, um nach dem italienischen Luftschiff zu suchen. Aber was konnte Zapffe sagen, das den Polarfahrer nicht in irgendeiner Weise irritieren oder verärgern würde? Am besten, er hielt sich an praktische Details. Ausrüstung und Treibstoff, die an Bord der Latham gebracht werden sollten, Proviant, der verstaut werden musste. Die Maschine war schwer gewesen, als sie in Bergen aufbrach. Von Tromsø aus würde sie aufgrund des zusätzlichen Flugzeugbenzins, das Dietrichson mit an Bord nehmen wollte, noch schwerer sein.

Fritz Zapffe kannte nur zu gut Roald Amundsens fast unmögliche Forderung nach Loyalität. Im Laufe der Jahre hatte er mitansehen müssen, wie viele der Freunde und Kollegen des alten Polarforschers beiseitegeschoben wurden. Ihm selbst war es gelungen, mehr als fünfundzwanzig Jahre lang Amundsens Freund und Vertrauter zu sein.

1901 war ein junger, unerfahrener Polarfahrer nach Tromsø gekommen, um ein eigenes Schiff zu kaufen und auszurüsten, mit dem er die Nordwestpassage durchfahren wollte. Gerüchte schwirrten durch die Hafenstadt am Europäischen Nordmeer. Und da Fritz Zapffe damals auch als Korrespondent für das Morgenbladet arbeitete, ging er hinunter zum Kai, um den jungen Mann zu treffen. Hier erfuhr er, dass Roald Amundsen auf der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug für seine Expedition war. Der Apotheker war ein bekannter Mann in der Stadt und verfügte über viele Kontakte. Er konnte ihm mehrere Polarschiffe empfehlen, die sich der junge Polarforscher daraufhin anschaute.

Die Wahl fiel auf eine alte, heruntergekommene Yacht, die Amundsen schließlich sehr günstig von dem Polarmeerskipper Hans Christian Johannesen1 kaufte. Die »Gjøa« war ein ehemaliger Fischkutter mit unerwartet bescheidenen Dimensionen für eine so strapaziöse und langwierige Fahrt. Das Schiff war 70 Fuß lang und 20 Fuß breit, mit einer Ladekapazität von 45 Nettotonnen, gebaut 1872 auf der Rosendal Bootswerft. Dann gab Amundsen der Tromsø Skipsverft den Auftrag, das Schiff umzubauen und zu verstärken. Diese erste Begegnung mit dem drei Jahre älteren Apotheker Zapffe wurde der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

Roald Amundsen, der auf Wunsch seiner Eltern zuerst ein Medizinstudium begonnen hatte, hatte bereits seit Teenagerjahren ein Leben als Entdecker und Forscher geplant und sich darauf vorbereitet. Es war für ihn ganz selbstverständlich gewesen, Rat und Unterstützung bei dem elf Jahre älteren Fridtjof Nansen zu suchen, der nach seiner Expedition mit dem fast ebenso berühmten Polarschiff »Fram« über das Nordpolarmeer bereits als weltberühmter Polarforscher angesehen wurde. Die Beziehung zwischen Amundsen und Nansen glich eher der zwischen Lehrling und Meister. Nansens Hilfe vor der Abreise mit der »Gjøa« 1903 war notwendig gewesen, damit die Expedition überhaupt hatte starten können. Während der Vorbereitungen hatte Amundsen hohe Schulden aufgenommen, und nur Nansens Einfluss war es zu verdanken, dass die Gläubiger nicht das Polarschiff als Pfand beschlagnahmten.

Nach dieser ersten geglückten Fahrt durch die Nordwestpassage war Zapffe stets im Hintergrund dabei gewesen – als vertrauter Freund, als eifriger Sammler von Geld und kostenlosen Produkten für die Expeditionen, als Planer, Materialverwalter und munterer Mittelpunkt unter den Teilnehmern. Mehr als jeder andere, vielleicht mit Ausnahme von Oscar Wisting, hatte Zapffe Roald Amundsen unterstützt – die ganzen langen Jahre voller Entbehrungen, Enttäuschungen und Widerstand – die nur unterbrochen wurden von kurzen Perioden mit Feiern und Anerkennung nach jeder geglückten Aufgabe.

Peter Wessel Zapffe, der Sohn des Apothekers, der 1928 neunundzwanzig Jahre alt war und sein Leben lang die unerschütterliche Bewunderung seines Vaters für Roald Amundsen miterlebt hatte, schrieb später in einem Essay, dass es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vier große Möglichkeiten für Entdeckungen von geographischer Bedeutung in den Polargebieten gab: Die Nordwestpassage, der Südpol, die Nordostpassage und der Nordpol.2 Zwanzig Jahre später, 1920, hatte Roald Amundsen als erster Polarforscher drei von ihnen erreicht. Nur der Nordpol fehlte, auch wenn Amundsen in den meisten Zusammenhängen immer wieder betonte, dass es...

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