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Analyse der Pro-Immigrationsdiskurse in Barcelona - Soziale und diskursive Praktiken im Kontext von Immigration und Integration

Soziale und diskursive Praktiken im Kontext von Immigration und Integration

AutorSilvia Schönenberger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783638479899
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Lizentiatsarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Ethnologie / Volkskunde, Note: noch nicht benotet, Universität Zürich (Ethnologisches Institut), 117 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Definieren des Forschungsziels Diese Forschungsarbeit soll einen Beitrag für einen verständnisvolleren Umgang mit dem Immigrationsphänomen leisten. Es geht um die Erfassung der Sichtweisen und Problemwahrnehmungen der ansässigen spanischen Bevölkerung auf das noch relativ neuartige Einwanderungsphänomen. Der Fokus wird dabei auf den Teil der Bevölkerung gelegt, der sich durch seine 'offene' Haltung gegenüber den ImmigrantInnen charakterisiert. Über die Erforschung der sozialen Praktiken und diskursiven Handlungen im Feld der Immigrations- und Integrationsdebatte soll dieser Beitrag die vorhandenen Potentiale der engagierten Akteure erfassen. Der Zugang zu diesem Forschungsgegenstand kann am besten über qualitative Forschungsmethoden erlangt werden, da es sich um eine mehr oder weniger klar abgegrenzte Akteursgruppe handelt. Konkret soll hier der Pro-Immigrationsdiskurs1 erfasst und analysiert werden. Räumlich schränkt sich diese Forschung auf eine Stadt (Barcelona), und zeitlich auf eine Periode von mehr oder weniger einem Jahr ein. Die Annahme, dass Diskurse sowohl sozial konstituiert, aber gleichzeitig auch sozial konstitutiv sind, bedeutet, dass die Beteiligung an einem Diskurs einer sozialen Handlung gleichkommt (Fairclaugh/ Wodak 1997). Indem Menschen diskursiv handeln, formen sie ihren Kontext mit. Dieses Verständnis von diskursivem Handeln ist zentral, um die Macht oder den Einfluss des Diskurses zu verstehen, die er auf die Umgebung ausüben kann. Für diese Untersuchung ist dies insofern von Bedeutung, als dass im Pro-Immigrationsdiskurs ein Potential für eine alternative, positivere Umgangsweise mit dem Thema Immigration gesehen wird. So lassen sich aus den Diskursen Handlungsbedarf und Forderungen der Akteure nach einem sozialen Wandel ableiten. Neben der Erfassung der sozialen Handlungen, der Aktionen und Programme der engagierten Akteure und Institutionen, erlaubt die Ergänzung durch eine Analyse des Diskurses rund um diese Praktiken, hinter die blossen Taten zu sehen und zu erfahren, welche ideologischen Denkmuster vorhanden sind, und wie die Akteure über ihre soziale Umwelt denken. Wie sich dieser hier fokussierte Subdiskurs in die diskursive Ordnung eingliedert, unter welchen Machtverhältnissen er steht und welches Potential von ihm ausgeht, sind Fragen, die diese Studie ebenfalls zu beantworten versucht (siehe dazu Fairclough 1992, Bourdieu 1984; 1991).

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Leseprobe

2.  THEORETISCHER RAHMEN

 

2.1.      Theoretische Hintergründe der Diskursanalyse

 

Zu Beginn sollen die wegleitenden Ansätze der Diskursanalyse vorgestellt werden, um die theoretische Basis dieser Forschung zu skizzieren. Dabei wird auf Theorien der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit, sowie der sozialen und diskursiven Handlung eingegangen. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit den konkreten Anwendungsmöglichkeiten der Diskursanalyse in verschiedenen Forschungen und Disziplinen.

 

2.1.1.   Soziale Konstruktion von Wirklichkeit

 

Diese Arbeit stützt sich auf das Paradigma des sozialen Konstruktionismus, der die soziale Eingebundenheit allen Wissens und Erfahrung in den Mittelpunkt des Interessens stellt. Beeinflusst von der amerikanischen postmodernen Kulturanthropologie, welche durch Diskursanalyse untersuchte, wie unterschiedliche Diskursgemeinschaften soziale Wirklichkeit herstellen und Sinn gemeinsam aushandeln, wird dieses Paradigma von Kenneth J. Gergen (2002) für die Psychologie übernommen. Er ist vielleicht der prominenteste Autor der Linie des sozialen Konstruktionismus.

 

Das Hauptargument, dass Wirklichkeit durch Interaktion und Kommunikation sozial konstruiert wird, geht auf die Phänomenologen und Sozialkonstruktivisten Berger und Luckmann (1968) zurück. Ihr Interesse liegt auf der Alltagswelt der Menschen, auf der Erfahrung und dem Wissen, das von den Menschen im alltäglichen Leben gesammelt und angewandt wird. Die beiden Soziologen betonen, dass die Wirklichkeit, die im Alltag als solche wahrgenommen wird, nur eine unter vielen konstruierten Wirklichkeiten ist. In anderen Worten: Wirklichkeit ist relativ und ist in einen zeitlichen und räumlichen Kontext eingebettet (Berger/ Luckmann 1968:44). Im Gegensatz zum konstruktivistischen Ansatz, der davon ausgeht, dass sich jedes Individuum seine eigene Wirklichkeit und seinen eigenen Sinn konstruiert, vertreten Gergen und die Sozialkonstruktionisten die These, dass die verschiedenen Realitäten sozial, also in der Gesellschaft oder in der Gruppe ausgehandelt werden. Dabei spielen die Interaktion und der sprachliche Austausch für die kollektive Sinngebung eine zentrale Rolle[6]

 

2.1.2.   Soziale Handlung und speach act

 

Wirklichkeit wird durch soziale Handlung konstituiert. Die Theorie der sozialen Handlung ist einerseits durch die philosophische Phänomenologie von Edmund Husserl (1973) und Max Scheler (1960), und anderseits durch die Soziologie des Handelns und Verstehens von Max Weber (1995) beeinflusst. Der pragmatische Ansatz des englischen Philosophen John Austin (1980; 2002) weitet die Theorie der sozialen Handlung weiter auf die sprachliche Interaktion aus. Seine Theorie des speach act verbindet Sprechen und Handeln in dem Sinne, dass jede verbale Aussage einen wörtlichen und proportionalen Sinn hat, sowie eine beabsichtigte, vorsätzliche Intension und einen Effekt im Zuhörer auslöst. Austin unterscheidet zwischen Feststellungen (konstativen Aussagen: z.B. „es regnet“) und „Wirklichkeits- formenden Aussagen“ (z.B. „ich verspreche dir morgen das Geld zu geben“). Durch einen einfachen sprachlichen Akt (speach act) wird nicht nur ein Versprechen „gesagt“, sondern ein Versprechen „gemacht“, so dass die Aussage eine konkrete Konsequenz auf die erfahrbare Wirklichkeit hat. Sprache hat somit nicht lediglich eine deskriptiv-repräsentative Funktion, sondern auch eine performative Aufgabe. Austins Theorie des speach act ist Ausgangspunkt für die diversen Diskurstheorien.

 

2.1.3.   Diskurs als soziale Handlung

 

Fairclough (1992:73) erstellt ein dreidimensionales Modell des Diskurses[7]: Auf der untersten Ebene steht der Text, welcher in die Dimension des diskursiven Handelns eingebettet ist, welche ihrerseits in der Dimension des sozialen Handelns liegt.

 

 

Abb.2: Dreidimensionales Modell nach Fairclough (1992:73)

 

Wenn also der Diskurs als soziale Handlung verstanden wird, muss die dialektische Beziehung zwischen dem konkreten diskursiven Akt und der Situation, der Institution und der Sozialstruktur, in die er eingebettet ist, betrachtet werden. Der Kontext (situativ, institutionell und strukturell) gibt dem diskursiven Akt seine Form, zur selben Zeit wie dieser den Kontext gestaltet (Fairclough/ Wodak 1997:258). Damit sagen die Autoren, dass der Diskurs sozial konstitutiv wie auch sozial konstituierend ist. Dieses Verständnis ist zentraler Ausgangspunkt für die Diskursanalyse[8].  

 

Diskursive Handlung umfasst Prozesse der Produktion, Distribution, Konsumation und Auslegung von Texten, die je nach sozialen Akteuren variieren (Fairclough 1992:78).

 

Auch Van Dijk (2000) versteht den Diskurs als eine menschliche Handlungsweise, die kontrolliert und beabsichtigt ist. Durch den Gebrauch von Sprache und Text gehen die Menschen eine sozial oder politisch beabsichtigte Handlung ein (ebd.:28). Wenn die Sprache als Indikator einer sozialen Wirklichkeit aufgefasst wird, können durch die Analyse dieses Sprachgebrauchs oder Diskurses Rückschlüsse auf diese Wirklichkeit gezogen werden.

 

2.1.4.   Verschiedene Ansätze der Diskursforschung

 

Die Diskursanalyse (DA) bzw. die kritische Diskursanalyse (KDA) sind als Forschungsperspektiven zu verstehen, welche Forschungsprogramme erarbeitet haben, aber keine eigentlichen Methoden sind, wie man aus dem Begriff entnehmen könnte. Die DA und die KDA sind Perspektiven, die auf verschiedenen Theorien und Disziplinen aufbauen[9]. Die sozialwissenschaftliche Diskursforschung interessiert sich für Aussagen und Praktiken als Manifestationen gesellschaftlicher Wissensressourcen in Diskursen. Sie untersucht Prozesse der sozialen Konstruktion und Kommunikation symbolischer Ordnung in institutionellen Feldern der Gesellschaft (Keller 2004:65).

 

Der Ursprung der Diskurstheorien geht auf die Linguistik von Ferdinand de Saussure zurückgeht. Mit Claude Lévi-Strauss fand die so genannte „linguistische Wende“[10] Einzug in die Ethnologie und Kulturanthropologie, und generell in die Sozialtheorie. Die Bedeutung des Sprachgebrauchs in der Erforschung der sozialen Interaktion wuchs seither in allen Disziplinen stetig an.

 

Während der Strukturalismus Diskurse als abstrakte und objektive Regelstrukturen begreift und untersucht, wendet sich der Poststrukturalismus stärker den Wechselwirkungen zwischen (abstrakten) symbolischen Ordnungen und dem konkreten Sprach- und Zeichengebrauch zu, d.h. eben dem Verhältnis zwischen Strukturen und Ereignissen (Keller 2004:15). Der renommierteste Vertreter der strukturalistischen und später poststrukturalistischen Diskurstheorie ist zweifellos der französische Philosoph Michel Foucault (z.B.1974, 1988, 1996), der die diskursiven Praktiken mit der Performativität der Sozialstruktur verband. In seinem Werk Archäologie des Wissens (1988) skizziert er ein umfassendes sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm, das die gesellschaftliche Herstellung und Ordnung von Praktiken, Objekten, Ideen, und Realitätszusammenhängen untersucht[11]. Der Begriff „Diskurs“ bezeichnet nach Foucault eine Menge von an unterschiedlichen Stellen erscheinenden Aussagen, die nach demselben Muster gebildet worden sind, deshalb ein- und demselben Diskurs zugerechnet werden können und ihre Gegenstände konstituieren (Keller 2004:44).

 

Die postmarxistische Diskurstheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1995) knüpft an Foucaults und Althussers Ideologietheorie und an Gramscis Hegemoniekonzept an. Sie sehen Diskurse als Sinnkonstituierung, als Systeme von Differenzbildungen an, die verschiedene individuelle und kollektive Identitäten abgrenzen. So entstehen z.B. hegemoniale Diskurse, die umfassende Weltbilder entwickeln, in denen alle sozialen Beziehungen in eine Gesamtstruktur eingeordnet werden.

 

2.2.      Kritische Diskursanalyse

 

Die Beziehung zwischen Machtstrukturen, Ideologien, sozialer Kontrolle, sozialer Ungleichheit, deren Legitimation einerseits und den diskursiven Praktiken andererseits interessierte diejenigen Forscher, die sich der kritischen Diskursanalyse (KDA) zuwandten. Der englische Sprachwissenschafter Norman Fairclough (1989, 1992, 1997, 1998, 2000), die österreichische Linguistin Ruth Wodak (1996, 2000, 2003), die spanische Linguistin Luisa Martin Rojo (1998, 2003), und der niederländische Linguist Teun van Dijk (1993, 1996, 2000 2003a/b/c, 2004) sind prominente VertreterInnen dieser Richtung. Im deutschsprachigen Raum hat Siegfried Jäger (1997, 1999, 2003) am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung DISS einen eigenständigen Ansatz der Kritischen Diskursanalyse entwickelt. Es geht in der KDA um eine besondere Perspektive auf soziale Probleme, da davon ausgegangen wird, dass soziale Probleme in hohem Masse durch Diskurse konstituiert, d.h. behandelt und ausdiskutiert werden (Scollon 2003). Nach der Annahme, dass jeder Diskurs zeitlich-räumlich determiniert ist, ist die Einbeziehung des Kontextes in die Analyse in diesem Forschungsansatz ausschlaggebend. Die KDA interpretiert den Diskurs – den Sprachgebrauch beim Sprechen und...

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