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E-Book

In Anführungszeichen

Glanz und Elend der Political Correctness

AutorMatthias Dusini, Thomas Edlinger
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783518761502
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR


<p>Matthias Dusini, geboren 1967 in Meran, ist Kunstkritiker bei der Zeitschrift <em>Falter</em> in Wien.</p>

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Leseprobe

Vorwort

 

Sie heben die Hände in die Höhe und biegen Zeige- und Mittelfingerspitzen synchron zweimal nach unten. Mitte der neunziger Jahre kommen die ersten europäischen Austauschstudenten mit einer Körpergeste aus den USA zurück, die rasch in das Ausdrucksrepertoire der linksliberalen Mittelschicht einfließt: die in die Luft gemalten Anführungszeichen.

Man kann diese Geste als doppeltes Victory-Zeichen interpretieren, denn die anglophilen AkademikerInnen signalisieren den Siegeszug einer Interpunktion. Wie Efeu überwuchern Anführungszeichen* die Abhandlungen über Literatur, Geschichte und Politik. Auch die Neger und Weiber von Schiller und Mark Twain wollte man nicht mehr einfach so im Raum stehen lassen. Ein tauber Beobachter könnte die gewunkenen Gänsefüßchen dahingehend interpretieren, dass sich der Sprecher von sich selber distanzieren möchte: Ich, das sogenannte.

Neben heute schon zu Quarantäne-Klassikern verkommenen Begriffen wie »Dritte Welt«, »Ostblock« oder »Behinderte« sind es auch hierzulande bislang unbelastete Begriffe, über die eine semantische Käseglocke gestülpt wird: »Amerika« kann als Übergriff der europäischen Eroberer auf jene interpretiert werden, die vor ihnen da waren. »Israel« ist eine Konstruktion, die jene ausschließt, die lieber Palästina zu ihrer Heimat sagen wollen. Wenn eine Hand mit dem Halten eines Getränks beschäftigt ist, machen Redner vor kontaminierten Begriffen eine kurze Pause. »Ich begrüße besonders unsere … ausländischen Gäste.« Die Anderen sind so anders wie die Anführungszeichen, in denen sie stehen.

Neben der geschlechtsneutralen Schreibweise sind die Anführungszeichen das Markenzeichen der Politischen Korrektheit. In den siebziger Jahren begann ein bis heute andauernder Angriff auf die sprachlichen Gewissheiten der Disziplinen, dessen schriftliches Signal die an den oberen Buchstabenrand gehängten Banner der Distanznahme sind. Kein Kulturwissenschaftler wagt es mehr, von »der« Wirklichkeit zu sprechen. Weiß doch jeder, dass diese bloß ein behelfsmäßiger Begriff für die sie konstruierenden Diskurse ist! »Gefühle«, sagt die Dekonstruktion, die Atemluft stoßartig durch die Nase blasend, »sind doch nur Effekte einer Rhetorik der Leidenschaften.«

Zu den Topoi der sogenannten Essentialismuskritik gehört der Hinweis, dass es nicht »den« Künstler oder »die« Wissenschaftlerin gäbe: ab in die Anführungszeichen-Strafkolonie mit ihnen! In den postkolonialen Studien ist vom »Anderen« die Rede: Damit soll das sogenannte othering vermieden werden, das einer Muslima oder einem Sinto unmenschlich fremde Züge zuschreibt.

In kulturwissenschaftlichen Texten, Kunstkritiken oder politischen Kommentaren haben Gänsefüßchen Hochkonjunktur, denn mit ihnen kann die Natur der Dinge in Zweifel gezogen werden. »So wie die Adjektive ›natürlich‹ und ›sozial‹ Repräsentationen des Kollektivs bezeichnen, das nichts Natürliches und Soziales an sich hat, liefern die Worte ›lokal‹ und ›global‹ Gesichtspunkte von Netzen, die von Natur aus weder lokal noch global sind«, schreibt der Wissenschaftstheoretiker Bruno Latour.1 »Strenggenommen kann man nicht sagen, dass die ›Frau‹ existiert«, sagt die Literaturwissenschaftlerin Julia Kristeva.2 Und die Philosophin Judith Butler sieht in der »wirklichen Frau« eine zwanghafte gesellschaftliche Fiktion.3

Oder ein Beispiel aus dem paranoischen Jargon der Parawissenschaften: »Wenn man aus Männern, Frauen, Kindern, Arbeitern und Arbeiterinnen, Angestellten, KulturproduzentInnen und vielen anderen mehr die allgemeine Vorstellung ›Ausländer‹ bildet, und – mehr noch – wenn ich mir einbilde, dass die aus den wirklichen Individuen gewonnene, abstrakte Vorstellung ›Ausländer‹ ein existierendes Wesen ist, vielleicht sogar ›das wahre Wesen‹ all dieser Individuen, dann erklärt man damit diese Vorstellung zur Essenz von diesen Männern, Frauen, Kindern, ArbeiterInnen, Angestellten usw.«4 Erklärungsbedürftig erscheint uns die Tatsache, dass die gänsefüßchengestützte Antiwesensrhetorik mit Gefühlen von Betroffenheit und Empörung einhergeht, die auf eine tiefe Erschütterung der Sprechenden schließen lassen. Warum ist ihr Selbst – ihr wahres Wesen – nicht dekonstruiert genug, um gegen solche altbackenen »Essenzen« immun zu sein?

Im Mainstream der Printmedien springen die Gänsefüßchen dem Leser nicht so gehäuft ins Auge. Hier zeigen sie wie Seismographen an, wo gerade die tektonischen Verwerfungen von Politik und Gesellschaft stattfinden. Im deutschsprachigen Raum steht die NS-Zeit am Anfang einer sprachlichen Besinnung. In den siebziger Jahren galt die Aufmerksamkeit dem Schicksal psychisch »Kranker«, dann wurde der »Ausländer« zum Thema. Die Ungewissheit über das, was ein »Volk« oder eine »Rasse« sei, ging in die Debatte über die Definition von Geschlechtern über. Um die Wörter herumkrabbelnde Gänsefüßchen zeigen an, wo es die Gesellschaft juckt. Das »Kopftuchmädchen« oder »bildungsfern« haben das Potential, in Zukunft unter Anführungszeichen-Aufsicht gestellt zu werden; zu viele Menschen fühlen sich dadurch in ihrer Würde verletzt.

Was aber tun, wenn einem das Wort für etwas fehlt, das man ausdrücken möchte? Der Bergrücken hätte eigentlich einen eigenen Namen verdient. Ein mit einem Elektromotor ausgestattetes Fahrrad ist noch kein Motorrad. »Ich heiße Bravo und ich habe keinen Schwanz«, beginnt ein Roman des italienischen Schriftstellers Giorgio Faletti. Bevor sich der Fachbegriff Transgender durchgesetzt hat, war dieser Mann ein »Mann«.

1985 veröffentlichte die US-amerikanische Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway das »Manifest für Cyborgs«. Die Science-Fiction-Romane von William Gibson waren in aller Munde, die Industriearbeiter wurden durch Automaten ersetzt; da propagierte die Feministin das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine. Cyborgs lösten den Unterschied zwischen Mann und Frau auf, erläutert Haraway. In ihrer Utopie, die ironisch mit den bauch- und naturbezogenen Texten des 70er-Jahre-Feminismus bricht, prophezeit die Autorin sogar »den Abschied von Bisexualität und präödipaler Symbiose«. Cyborgs seien Geschöpfe in einer transhumanen Post-Gender-Welt. So überwindet Haraway den Skeptizismus der Gänsefüßchen und propagiert optimistisch einen neuen Menschen – ohne Gänsefüßchen. Bevor das totale Glück der präödipalen Symbiose durch außerordentliche Züchtungen überwunden ist, werden Individuen aber voraussichtlich weiterhin ihre narzisstischen Wunden mit Gänsefüßchen behandeln. Die Nachfrage nach Gänsefüßchensalbe wird sogar größer, denn der Wert der Kapitalsorte Selbstachtung steigt und steigt.

»Wir setzen natürlich alles unter Anführungszeichen«, sagte unlängst ein Wiener Museumsdirektor. (In Österreich wird nicht »in«, sondern »unter« Anführungszeichen gesetzt.) Der Museumsmann war gerade dabei, eine Ausstellung über den Afrikaner Angelo Soliman vorzubereiten, der im 18. Jahrhundert als sogenannter Hofmohr nach Wien kam. Er machte in der Hocharistokratie eine Karriere als Kammerdiener und Erzieher, heiratete eine Einheimische und verkehrte in derselben Freimaurerloge wie Mozart. Dieses hohe gesellschaftliche Ansehen konnte nicht verhindern, dass er nach seinem Tod in den Rang eines Naturwesens zurückgestuft wurde. Seine Haut wurde ausgestopft. Im Naturalienkabinett stand Soliman nun als Vertreter der Spezies Mensch.

Auch wenn Schwarze in Wien heute nicht mehr riskieren, nach ihrem Tod vom Tierpräparator abgeholt zu werden, erleben sie zahlreiche Diskriminierungen. Sie werden als Drogendealer und Asylbetrüger diffamiert und als Neger beschimpft. Die Figur des zu seiner Zeit berühmten Soliman lebte auch in den Resten der Alt Wiener Konsumkultur nach. Figurinen des Augarten-Porzellans tragen niedliche Mohrenköpfe. Man erkennt in ihnen die drollige und exotische Figur des »Hofmohren« wieder. Der »Mohr im Hemd« ist eine mit schwarzer Schokolade getränkte Mehlspeise, die ebenfalls als diskriminierend empfunden werden kann. Eine Firma mit dem wenig korrekten Namen Eskimo wollte sie vor wenigen Jahren als Fertigprodukt auf den Markt bringen. In dem von den Grünen regierten siebten Wiener Gemeindebezirk verschwand die Speise jedoch von den meisten Speisekarten.

Traumatisiert von alltäglichen Erlebnissen des Rassismus, möchten afrowiener Aktivisten die sprachliche Säuberung ausweiten, empfinden auch Begriffe wie Schwarzfahren und Schwarzgeld als diskriminierend. Wird damit die Grenze vom berechtigten Einwand gegen historisch belastete Begriffe überschritten und das Stadium eines paranoiden Angstsystems erreicht, in dem die semantische Umgebung fortwährend gefährliche Signale sendet? Sind...

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