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E-Book

Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien

AutorChristian Alt, Christian Schiffer
VerlagCarl Hanser Verlag München
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783446261396
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Die BRD existiert nicht. Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Und Chemtrails sollen uns vergiften. Deutschland ist verrückt geworden. Christian Alt und Christian Schiffer zeigen, wie es so weit kommen konnte. Auf ihrer Reise durch ein paranoides Land treffen sie Verschwörungstheoretiker, Aussteiger und Opfer. Sie decken die psychologischen Mechanismen auf, die zu Verschwörungstheorien führen, erklären, warum das Internet nur zum Teil Schuld hat und tragen 23 goldene Regeln zusammen, mit denen wir den Wahnsinn endlich aufhalten können. Ein aufklärerisches Manifest und ein furioser Road Trip - auf dem sie dann aber einen großen Fehler machen: Sie erfinden eine eigene Verschwörungstheorie.

Christian Alt, Jahrgang 1988, studierte Germanistik und Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2010 schreibt er für verschiedene Medien über Pop-und Netzkultur. Inzwischen arbeitet er beim Bayerischen Rundfunk vor allem für das Szenemagazin 'Zündfunk'. Er ist Kolumnist für PULS und Feature-Autor für verschiedene ARD-Anstalten. Für den BR entwickelt er ebenfalls Podcasts, unter anderem den Storytelling-Podcast 'Einfach machen', den er auch moderiert. Seine Arbeit wurde mit dem Robert Geisendörfer Preis und Bildungspreis der Telekom Stiftung ausgezeichnet.

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Leseprobe

Warum die 90er für dieses Buch verantwortlich sind


Wir haben viel gelacht über die Ewiggestrigen, über die, die wollen, dass alles wieder so wird wie früher. Die sich in eine Zeit zurückwünschen, in der Deutschland noch BRD hieß. In der man noch mit D-Mark bezahlt und man nach Feierabend ein Herrengedeck runtergekippt hat, statt einen Vanille-Latte mit Sojamilch. Eine Zeit, in der Zigeunerschnitzel noch Zigeunerschnitzel heißen durfte, Fips Asmussen das Fernsehen dominierte und Kneipen noch diesen einmalig prickelnden Teppich aus kaltem Rauch, abgestandenem Bier und Urin hatten, der sich beim Betreten auf der Zunge ausrollt.

Aber wenn wir ganz ehrlich sind, werden auch wir öfter nostalgisch. Besonders dann, wenn wir an die 90er denken. Denn die waren die goldene Zeit harmloser Verschwörungstheorien in der Popkultur.

Wir ertappen uns beim Schreiben dieses Buchs immer wieder dabei, wie wir uns in diese magische Verschwörungszeit zurückflüchten. Denn Verschwörungstheorien haben damals noch Spaß gemacht. Es gab keine Chemtrails, keine flache Erde, sogar die jüdische Weltverschwörung hat für zehn süße Jahre mal nicht herumverschwört. Stattdessen sahen wir Scully und Mulder auf unserem Röhrenfernseher dabei zu, wie sie bei Akte X einer gigantischen Verschwörung auf der Spur waren. Wir wussten: Die Wahrheit, die ist irgendwo draußen. Weit draußen. Es ging um Außerirdische, um medizinische Experimente und um eine ganze Menge Schwachsinn. Wir haben mitgefiebert, als in Staffel 2 eine Teenagerin versuchte, den brutalen satanistischen Ritualen ihres Lehrers zu entkommen. Oder als in Staffel 3 ein Killer seine Opfer durch Telepathie zum Selbstmord trieb. Oder als sich in Staffel 1 das Monster Eugene Tooms durch enge Schächte quetschte, um die Leber von nichts ahnenden Büroangestellten zu fressen. Wir waren von Anfang an dabei, die eine Hand in der Flipstüte, die andere an der Kinnlade, die sich einfach nicht mehr schließen wollte. ProSieben, der Sender, auf dem damals Akte X lief, arrangierte sein ganzes Programm rund um Akte X. Der Montag wurde plötzlich zum »Mystery-Montag« umgebaut, nach Akte X lief Outer Limits, wo es auch um Aliens, geheime Regierungsprogramme und jede Menge anderen Quatsch ging.

Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, dass ProSieben alleine für den Genre-Begriff der »Mystery« verantwortlich ist. Akte X trat damals eine beispiellose Welle an Mystery-Geschichten los. Plötzlich mussten überall Aliens vorkommen oder verrückte Wissenschaftler. SAT.1 produzierte damals eine 25-teilige (!) Fernsehserie mit Erich von Däniken: Auf den Spuren der All-Mächtigen. Und genau wie bei Akte X saßen wir auch hier gebannt vor der Glotze. Was von Däniken damals behauptete, war für uns nicht etwa Bullshit, es war spannendes Geheimwissen. Es war eine Zeit, in der wir zwei Geschichtslehrer hatten: den in der Schule, der uns langweilige Dinge über die Goldene Bulle, den Augsburger Religionsfrieden oder den Untergang der Römischen Republik erzählte (wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge). Und dann Erich von Däniken. Er erzählte uns von Prä-Astronauten, von Aliens, die die Erde besucht haben und sich mit Menschenaffen gepaart haben, was die ersten Menschen hervorbrachte, nicht etwa die Evolution. Mit den Millionen, die von Däniken in diesen Jahren verdient hat, wird er später einen Mystery-Freizeitpark bauen – der leider nach drei Jahren wieder schließen muss.

Erich von Däniken war für uns damals ein Held. Genau wie Mulder oder Scully. Wir haben alles geglaubt. Alles. Quer über alle Sender hinweg hat sich bei uns damals der Eindruck verfestigt: Es gibt mehr in der Welt, als uns gesagt wird. Die Theorie konnte noch so bekloppt sein, wir dachten (und es sollte vielleicht betont werden, dass wir damals noch sehr, sehr jung waren): »Wer weiß, vielleicht ist da ja was dran? Mit dem Mauerfall hat ja auch niemand gerechnet, dann gehen ein paar Leute montags spazieren, jemand verspricht sich bei einer Pressekonferenz, und zack, haben wir an Weihnachten eine merkwürdige Verwandte unterm Baum sitzen.«

Es waren nicht nur Aliens oder Prä-Astronauten, die uns begeistert haben. Wir waren auch fest davon überzeugt, dass die CIA jede Menge Dreck am Stecken hat. Und zum Beispiel auch für den Mord an JFK verantwortlich war. Dass Lee Harvey Oswald gar nicht der einzige Schütze gewesen sein kann, beweist uns Oliver Stone in seinem Film »JFK – Tatort Dallas«, der 1992 in die Kinos kommt: drei Schüsse in 15 Sekunden? Aus einem spitzen Winkel? Mit einem Baum dazwischen? Also, bitte!

Verschwörungstheorien hatten etwas Spielerisches. Wie beim Quartett haben wir uns auf dem Schulhof auszustechen versucht. »Die CIA hat JFK umgebracht« schlägt »Nazis sind auf der dunklen Seite des Monds« und wird wiederum von »Die Mondlandung war gefakt« geschlagen. Die Erde ist flach, Stich!

Die 90er waren eine naive Zeit, in der man Spaß haben wollte: zunächst am Mystery-Montag und danach in seiner Kuhfleckenhose beim Raven. Die 90er sind die logische Fortführung der 60er – das Individuum stand über allem. 50 Jahre Kalter Krieg mitsamt ideologischer Lagerbildung waren über Nacht verpufft. Anything goes. Verschwörungstheorien gehörten zum cool-ironischen Großstadtleben genauso dazu wie der Golf III in der Bon-Jovi-Edition.

Schützenhilfe für dieses neue geile und freie Leben kam damals ausgerechnet von den Universitäten. In den 90ern haben sich die französischen Philosophen der Postmoderne flächendeckend durchgesetzt. Keine WG-Küche kam mehr ohne Poster von Michel Foucault aus. Der glatzköpfige Superphilosoph stand an der vordersten Front einer ganzen Philosophie-Bewegung, deren Ziel es war, alles überkommene Wissen zu zerlegen und wieder neu zusammenzusetzen. Die postmodernen Philosophen haben – genau wie ihre Kollegen aus der Aufklärung – mit vielem vermutlich recht gehabt: Die Zeit der großen Erzählungen ist vorbei, Menschen sind nicht rational. Aber: Ihre Denkschule hat auch die Schleusen für jeden möglichen Quatsch geöffnet. So sagte Jean Baudrillard, die Nummer zwei der postmodernen Philosophen, dass »Wahrheit kaum existiert«. Sie sei ein Produkt, das von gesellschaftlichen Akteuren hergestellt wird: Und Wissenschaftler, Journalisten, Augenzeugen sind nie wirklich objektiv. Sie alle schleppen eine ganze Menge an persönlichen Vorurteilen und Vorannahmen mit sich rum, die zu jeder Zeit durchschlagen. Deswegen gibt es DIE Wahrheit nicht, sondern nur viele verschiedene Wahrheiten. Das ist alles schön und gut und funktioniert, solange wir uns als Gesellschaft trotzdem auf bestimmte Wahrheiten einigen können. Ein Baum hat ja trotzdem grüne Blätter, auch wenn der Biologe, der ihn betrachtet, farbenblind ist. Aber was wir gerade erleben, ist, dass sich Leute wie Steve Bannon schamlos und mit fataler Wirkung aus dem postmodernen Werkzeugköfferchen bedienen: Sie werfen mit alternativen Fakten um sich und betonen, dass Narrative viel wichtiger seien als die schnöde Wahrheit.

Dass unser verklärter Blick auf die 90er falsch ist, fällt uns erst bei unseren Recherchen auf. Denn während wir in den 90ern absurde Verschwörungstheorien abgefeiert haben wie die neue CD von Weezer, wächst irgendwo in der Verschwörungsmelange ein großes Problem heran. Gerade in den 90ern kippen Verschwörungstheorien von etwas Harmlosem zu etwas Gefährlichem – und schuld sind mal wieder die Illuminaten.

Man kennt das Klischee aus Filmen: Der Aluhut steht in seiner Wohnung vor einer riesigen Wand, voll mit ausgeschnittenen Zeitungsberichten, Fotos, Karten usw. Dann erklärt er dem Helden seine abgefahrene Theorie, mit einem roten Faden hat er die einzelnen Punkte verbunden; während er spricht, zittert sein rechtes Auge. »Behold a Pale Horse« von Bill Cooper ist das Buch-Äquivalent zu dieser Kino-Verschwörungswand: als hätte die Putzfrau eines Tages die Schnauze voll gehabt, alle Reißnägel entfernt und sämtliche Fotos und Artikel auf einen Stapel geworfen. Das aus dem Stapel entstandene Buch ist »Behold a Pale Horse«, eine obskure Sammlung an allem möglichen Quatsch. Aber als es 1991 erscheint, sorgt es für Furore. Es trifft einen Nerv. Und zwar aus mehreren Gründen. Da wäre zum einen die Geschichte, die Cooper erzählt. Die liest sich heute wie die direkte Inspiration zu Akte X. Bill Cooper berichtet aus seiner Zeit in der Navy: Irgendwann sieht er, stationiert auf einem Boot im Pazifik, plötzlich ein riesiges Ufo. Ein Ufo so groß wie ein Flugzeugträger. Er erstattet seinem Vorgesetzten Bericht, der Cooper sagt, er soll den kompletten Vorfall vergessen. Und weil er diesem Befehl folgt, wird er als Belohnung in die ganze Geschichte eingeweiht: 1947 legte ein außerirdisches Ufo in New Mexico eine Bruchlandung hin. Es wird nicht das letzte gewesen sein, in den 50ern stürzten noch einige mehr ab, bevor die Aliens irgendwann formalen Kontakt mit dem US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower aufnahmen. Und Überraschung: Es war nicht nur eine Alien-Rasse, die hier landete, sondern gleich zwei! Und sie hassten sich. Eisenhower machte einen Deal und erlaubte den Aliens, in New Mexico eine geheime Alienbasis zu bauen. Finanziert wurde der Bau durch – wie sollte es auch anders sein – den Drogenhandel der CIA. Der US-Präsident, der beim Erscheinen des Buchs das Weiße Haus bewohnte, George...

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