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E-Book

Angst

Erkennen - Verstehen - Überwinden

AutorGeorg Psota, Michael Horowitz
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783701745920
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Angst ist ein Grundgefühl des Menschen, doch sie sollte nicht über den Menschen bestimmen. Jeder empfindet sie zeitweise: Angst. Dieses Urgefühl kann unser Leben dominieren. Nichts ist so bestimmend wie psychische Beklommenheit. Angst lähmt uns. Macht uns krank. Treibt uns aber auch zu Höchstleistungen an. Angst öffnet die Tore der menschlichen Psyche für viele Irritationen des Seelenlebens: Panik, Phobien und persönliche Sorgen, Depressionen, Zwangsstörungen und Süchte. Was ist das Wesen der Angst? Welche Funktion hat sie? Wie kann man Angst nutzen oder überwinden? Woraus erklärt sich die Lust an der Angst, die Menschen bei Horror-Thrillern oder Extremsportarten empfinden? All diese Fragen beantworten Georg Psota und Michael Horowitz in ihrem neuen Buch und zeigen Wege aus der Angst.

Georg Psota, geboren 1958, Medizinstudium in Wien und Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Seit 2010 Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, seit 2013 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und Mitglied des Beirates für psychische Gesundheit. Zuletzt erschienen: 'Das weite Land der Seele' (2016). Michael Horowitz,geboren 1950 in Wien. Fotograf, Journalist, Schriftsteller und Verleger. Autor von Biografien über Heimito von Doderer, Egon Erwin Kisch und Karl Kraus sowie H. C. Artmann, Otto Schenk und Helmut Qualtinger. Gründer des 'Kurier'-Magazins freizeit. Mehrere Auszeichnungen, darunter das 'Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse'. Zuletzt bei Residenz erschienen: 'Das weite Land der Seele' (2016).

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Leseprobe

FIGHT – FLIGHT – FREEZE


ANGST BIOLOGISCH


Die Angst steckt in jedem Menschen,
aber die schwere Aufgabe besteht darin,
sie zuzulassen und richtig mit ihr umzugehen
.

Sören Kierkegaard

Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das bei der Wahrnehmung von Gefahr entsteht. Ob diese Wahrnehmung richtig, im Sinne von zutreffend, ist oder nicht, ist dabei sekundär. In der biologischen Forschung steht das Gefühl der Angst jeweils am Beginn einer Stressreaktion. Im Laufe der Entwicklung der Menschheit – also über einen Zeitraum von Millionen Jahren – hat sich ein vielschichtiges und sehr stark verschaltetes System von Warnung und Entwarnung beim Menschen entwickelt. Damit muss vorweg eines sehr klar festgestellt werden: Angst an sich ist keine Krankheit, sondern ein aktivierendes Gefühl und in vielfacher Weise wichtig. Teilweise sogar lebenswichtig.

Das System von Warnung/Entwarnung ist kompliziert aufgebaut und miteinander verbunden. Das ist gut und wichtig, denn das Ergebnis des Prozesses in diesen Verbindungen bestimmt unsere Antwort auf einen angstauslösenden Stimulus. In modernen integrativen Stresstheorien geht es meist um dreiteilige Stressmodelle, die mit dem Stressstimulus, also dem Angstauslöser, beginnen. Im zweiten Teil folgt das stressbewertende oder -verarbeitende System, und im dritten Teil folgt die Stressantwort.

Letztlich wiederholt sich dieser dreiteilige Prozess laufend, und wenn es um eine bewältigbare Gefährdungs- und Angstsituation geht, sollte es irgendwann Entwarnung geben. Dieser Ablauf vom Stressstimulus bis zur Entwarnung entspricht zwar nicht ganz genau dem, was der experimentelle Medizinforscher Hans Selye bereits vor siebzig Jahren als Eustress bezeichnet hat – also als einen nicht nur unschädlichen, sondern sogar gesunden Stress –, aber es ähnelt diesem Konzept stark. Kritisch wird es für den Menschen erst, wenn das Stress bewertende und verarbeitende System über einen langen Zeitraum keine erfolgreiche Bewältigung rückmelden kann, und es daher zu keinem relevanten Abklingen des Stressimpulses kommt.

Im Tierreich hin bis zu den Kaltblütern und bei allen höheren Tieren, den Säugetieren und auch den Menschen gibt es im Wesentlichen bei akuter Gefahr und daher auch bei Angst nur drei mögliche Reaktionen: Fight – Flight – Freeze. Kampf – Flucht – Totstellen. Wobei das Verstecken, sich sogar optisch Verwandeln, was manche Tiere können, im Grunde auch eine Form der Flucht ist. Wir alle tragen das über mehrere Millionen Jahre entwickelte und gleichsam unbewusst in uns gespeicherte Wissen mit uns, dass die richtige Entscheidung zwischen diesen drei Reaktionsformen unter Umständen entscheidend für unser Überleben sein kann. Oder auch für das Überleben unserer Familie, also gleichsam unserer Gene. Oder für das Überleben unserer Gruppe oder größerer Gruppen generell. Die Reaktionen, die bei dieser Entscheidungswahl in uns ablaufen – es macht keinen Sinn, hier zwischen psychischen und körperlichen Reaktionen zu unterscheiden, denn sie sind miteinander verwoben –, entsprechen in der heutigen zivilisierten Welt allerdings häufig nicht dem Anlass.

Die Notwendigkeit für Urmenschen vor 500 000 Jahren, so schnell wie möglich davonzulaufen, wenn man sich in der Savanne von einem sich rasch ausbreitenden Feuer akut bedroht fühlte, oder die rasche Reaktionsnotwendigkeit vor 5000 Jahren, wenn ein Rudel wilder Tiere eine kleine Gruppe Menschen bedrohte, gibt es heutzutage kaum mehr. Dieser Druck zu reagieren war ein anderer als in den meisten Bedrohungsszenarien in der heutigen Zeit. Wir tragen aber diese Reaktionsbildungen, ihre Abläufe und Geschwindigkeit – von vielen Generationen ererbt – in uns, und gelegentlich kann es jedem passieren, in Relation zum Stressstimulus eine Überreaktion zu zeigen. Auch das ist noch lange keine Krankheit. Zumindest wenn es nicht regelhaft und oft der Fall ist.

Gelegentlich brauchen wir jedoch auch heute diese Form der Reaktion auf eine akute Gefahr, nur sind die Situationen anders als zu Urzeiten. Abgesehen von Kriegen und kriegsähnlichen Handlungen wie Terrorattacken – wobei Letzteres in Wirklichkeit selten ist – oder Umweltkatastrophen ist beispielsweise folgendes Szenario heutzutage durchaus möglich und gar nicht so selten: Sie fahren in Ihrem Auto spätabends auf einer Landstraße entlang einem Wald und plötzlich springen Wildtiere auf die Straße. Manchmal ist das gerade im Oktober ein Duo von Wildtieren, nämlich eine flüchtende Hirschkuh und ein brunftiger Hirsch im Liebestaumel, der keinerlei Vorsicht kennt. Wenn er mit seinem Geweih durch das Glas Ihres Autos kracht, wird er Sie aufspießen. Wenn er sehr groß ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er Ihr Auto von der Straße bugsiert. Es genügt aber auch, dass Sie ihn frontal nehmen, die Frontscheibe zersplittert, Sie von der Straße abkommen und in den nächsten Baum dieses Waldes krachen. All das ist unmittelbar lebensgefährlich, und die Reaktion, die Sie in dieser Situation brauchen, um zu überleben, ist, dass Sie das alles durch Ihre in Millisekunden mittels Adrenalin geweiteten Pupillen komplett visuell erfassen, mittels 130 Pulsfrequenz und auf 170 erhöhten Blutdruck so viel Sauerstoff in Ihr Gehirn bringen, dass Sie ganz rasch ausweichen können oder bremsen oder sonst irgendwie damit zurechtkommen. Im Übrigen werden Sie danach, wenn Sie das alles gut überlebt haben, das Warnschild »Achtung Wildwechsel« für einige Zeit intensiver wahrnehmen als je zuvor. Sie werden sogar in einer gewissen Angstbereitschaft oder zumindest erhöhten Reaktionsbereitschaft das nächste Mal entlang dieser Waldpassage fahren. Wahrscheinlich werden Sie überhaupt vorsichtiger unterwegs sein. Mit anderen Worten: Sie haben etwas dazugelernt, und möglicherweise sind Ihre Überlebenschancen dadurch sogar gestiegen. Biologisch ist das ein Erfolg.

Gelungen ist Ihnen diese Reaktion auf die akute Angst, die der auf die Straße springende Hirsch in Ihnen ausgelöst hat, infolge entwicklungsgeschichtlich uralter Hirnsysteme. Ihrem limbischen System, das sich wie ein Schaltelektrodennetz rund um Ihren Hirnstamm befindet, wurde über mehrere Verschaltungen in extrem kurzer Zeit das Ereignis Hirsch-Gefahr im Ansprung auf Ihr Auto mitgeteilt. Dieses limbische System mit seinen intensiven Verschaltungen zum darüberliegenden Neugehirn (Neocortex) und gleichzeitig zum darunterliegenden Hirnstamm hat entschieden, diese Situation als Gefahr aufzufassen und dem Hirnstamm die entsprechenden Befehle für körperliche Reaktionen wie beschleunigte Atmung und erhöhten Puls übermittelt. Ebenso die Notwendigkeit der Anspannung von Muskeln. Und letztlich hat der Neocortex entschieden: bremsen oder ausweichen.

Diese körperlichen Abläufe sind bei einem plötzlichen, heftigen Konflikt im Arbeitsbereich oder wenn Sie ein geschäftliches oder privates Ereignis bedrohlichen Ausmaßes akut belastet, nicht grundsätzlich anders. Der Anlass allerdings schon.

Was den Menschen von anderen Säugetieren, von sogenannten höheren Säugetieren wie Menschenaffen unterscheidet, ist nicht nur die besonders intensive Form des sozialen Austausches durch komplexe Sprache. Auch nicht das Gruppenlernen und gemeinsame Aktivitäten zwecks Erreichung kollektiver Ziele, denn das ist auch bei Schimpansen üblich. Es ist vor allem das Vorausdenken, die Antizipation. Diese Eigenschaft ist bei menschlichen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt, aber in Summe bei Menschen wesentlich höher als bei anderen Wesen. Selbstverständlich geht es dabei auch um das Vorausdenken von Gefahren, im Grunde geht es überhaupt um das Erkennen von möglichen Gefahren. Denn diese machen Angst. An sich ist das auch gut so. Entscheidend ist aber, ob diese Gefahreneinschätzung stimmt und ob die Reaktion darauf angemessen ist.

Sich aus einer Gefährdungssituation und daraus resultierender Angst durch Kampf, also Konfrontation mit dem, was Angst macht, zu befreien, ist eine Reaktionsform, die nicht weiter beschrieben werden muss. Diese Vorgangsweise klingt tapfer und entschlossen, ist oft genau die Richtige und verdient einen guten Ruf. Auch therapeutisch findet sie in gewisser Weise Verwendung, zum Beispiel bei allen konfrontativen Verfahren. Sogar zur Weiterentwicklung von Beziehungen, die sich verirren, ist sie im Sinne von Beziehungsklärung durch Konflikt brauchbar.

Es gibt allerdings Bedrohungsszenarien, bei denen der Kampf gegen die Bedrohung zumindest für den Einzelnen nicht die ideale Reaktionsform darstellt. Beispielsweise, wenn Sie als unbewaffneter Mensch in mäßiger Entfernung einen Löwen sehen, der hungrig wirkt und sich in Ihre Richtung bewegt. In der Savanne wird die Flucht nicht funktionieren. Von einem Kampf mit bloßen Händen ist jedenfalls abzuraten. Wenn Sie überhaupt eine Möglichkeit haben, dann wird es wahrscheinlich das Freezing sein, mit dem Ziel, durch Nichtbewegung so unauffällig, ja geradezu transparent zu werden, dass die Gefahr einfach vorüberzieht. Freezing kann also auch ein erfolgreicher Schutzmechanismus sein.

Im Umgang mit Gefährdungs-, Bedrohungs- und...

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