Seit dem Ende der achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts erlangten Prinzipien einer wertorientierten Unternehmensführung verstärkte Aufmerksamkeit in der Unternehmenspraxis. Der Unternehmenswert etablierte sich als eine zentrale betriebswirtschaftliche Zielgröße.[35]
Der Grundgedanke der wertorientierten Unternehmensführung als Zielkonzept des unternehmerischen Handelns ist aus einer Art Krisenstimmung geboren und beruht auf einer Reihe von Entwicklungen, die während der achtziger Jahre in den USA zu beobachten waren. Übernahmespezialisten erwarben zu dieser Zeit unterbewertete Unternehmen, gestalteten sie um und veräußerten sie anschließend mit hohen Gewinnen.[36] Der Anreiz, so genannte feindliche Übernahmen durchzuführen, wird aus ökonomischer Sicht dadurch erklärt, dass das Management des übernommenen Unternehmens sich einerseits vor der Übernahme nicht ausreichend an wertorientierter Unternehmensführung orientierte oder andererseits den Kapitalmarkt nicht von seinen Fähigkeiten einer solchen Unternehmensführung überzeugen konnte. Nach dem Kauf wird durch Restrukturierung oder Zerschlagung des Unternehmens der erzielbare Wert für diese Investition maximiert. Die Differenz zwischen diesem potentiellen Wert nach Durchführung dieser Maßnahme und der Bewertung des Unternehmens am Kapitalmarkt vor dem Kauf wird als Wertlücke bezeichnet.[37] Die Gefahr, die von drohenden Übernahmen ausgeht, zwingt die Unternehmen, diese Wertlücken abzubauen und effizient zu arbeiten. Der Wert der Unternehmung ist somit soweit zu steigern, dass ein Käufer mit dem Unternehmen keinen akzeptablen Gewinn mehr erzielen kann.[38]
Des Weiteren ergibt sich ein Erfordernis, eine am Unternehmenswert orientierte Unternehmenspolitik zu betreiben, daraus, dass Unternehmungen um die knappe Ressource Kapital konkurrieren. Ein niedriger Unternehmenswert stellt eine geringere Ertragserwartung an das Unternehmen dar. Wenn diese Erwartungen an ein Unternehmen nicht erfüllt werden, ziehen sich Kapitalgeber aus dem Investment zurück oder suchen alternative Anlagen.[39]
Auch für Kunden, Lieferanten und andere Interessensgruppen hat das Unternehmen adäquate Werte zu schaffen. Wenn dies nicht gelingt, werden beispielsweise Kunden bei Konkurrenzunternehmen kaufen, Lieferanten andere Kunden bedienen und Mitarbeiter für andere Arbeitgeber tätig werden. Eine langfristige Existenz des Unternehmens kann somit nicht gewährleistet werden.[40]
Zur Sicherung einer Unternehmung erscheint daher eine konsequente Verfolgung einer wertorientierten Unternehmensführung als elementares Unternehmensziel. Dabei liegt der Fokus der Unternehmensstrategie darauf, den Wert des Unternehmens langfristig und nachhaltig zu steigern.[41]
Unter dem Dach der Wertorientierung werden in der Literatur zwei grundsätzlich verschiedene Richtungen subsumiert. Die eine Perspektive orientiert sich an den Interessen aller Anspruchsgruppen einer Unternehmung. Dieser so genannte Stakeholder Value-Ansatz fordert daher, Wert für alle Anspruchsgruppen einer Unternehmung zu schaffen. Als Stakeholder werden diejenigen Gruppen oder Individuen eines Unternehmens betrachtet, welche die Zielerreichung des Unternehmens beeinflussen können oder von den Unternehmenszielen und dem daraus resultierenden Verhalten des Unternehmens betroffen sind.[42] Die Schaffung von Wert wird dabei gleichgesetzt mit dem Schaffen von Nutzen. Der Stakeholder-Ansatz postuliert somit eine Hinwendung auf die Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen, die mit dem Unternehmen in direkter oder indirekter Verbindung stehen. Dazu gehören neben den Anteilseignern z.B. Mitarbeiter des Unternehmens, Fremdkapitalgeber, Lieferanten und Kunden sowie Staat und Öffentlichkeit. Die Ansprüche dieser Gruppen sollen dabei möglichst gleichrangig erfüllt werden.[43] Abbildung 4 zeigt im Einzelnen die Verbindungen der Stakeholder mit einem Unternehmen.
Abbildung 4: Beiträge und Zielsetzung der mit einem Unternehmen in Verbindung stehenden Gruppen[44]
Der zweite Aspekt der wertorientierten Unternehmensführung räumt gegenüber dem oben genannten Stakeholder-Ansatz den Interessen einer der Anspruchsgruppen alleinige Priorität ein: den Interessen der Shareholder.[45] Der Begriff „Shareholder“ ist hierbei grundsätzlich nicht auf den Aktionär als Eigentümer der Unternehmung eingeschränkt, sondern bezieht sich auch auf Eigentümer von Unternehmen anderer Rechtsformen.[46] Ziel des so genannten Shareholder Value-Ansatzes ist die Ausrichtung der Aktivitäten der Unternehmung an den Interessen der Eigenkapitalgeber. Begründet wird dieser Ansatz vornehmlich damit, dass sich in einem marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem die Legitimation zur Vorgabe von Unternehmenszielen aus dem Eigentum am Unternehmen ableitet. Aufgabe der Unternehmensführung ist demnach die Ausschöpfung jeglicher unternehmerischer Potentiale zur Steigerung des Marktwertes des Eigenkapitals.
Die folgende Tabelle stellt den Stakeholder Value- und den Shareholder Value-Ansatz vergleichend gegenüber:
Abbildung 5: Vergleich von Stakeholder- und Shareholder-Ansatz[47]
Shareholder Value und Stakeholder Value werden in der Literatur mehrheitlich als konkurrierende Ansätze dargestellt.[48] Dieses ist insofern richtig, als das der Shareholder Value-Ansatz die Interessen anderer Stakeholder nur implizit berücksichtigt und auf eine Analyse derer Interessen verzichtet. Was das Selbstverständnis angeht, sind die USA und Großbritannien die entschiedenen Verfechter der Ansicht, dass Aktionäre die Eigentümer des Unternehmens sind und dass der Vorstand sie vertritt und von ihnen gewählt wird. Die Funktion der Unternehmung sollte daher die Maximierung des Shareholder Value sein. [49]
Eine breitere Auffassung von Unternehmenszielen wird dagegen auf dem europäischen Kontinent vertreten, wo die Gesellschaftssysteme auf einen Konsens ausgerichtet sind.[50] In der öffentlichen Diskussion wird zum Teil eine Abkehr vom Shareholder Value-Ansatz gefordert und stattdessen eine Orientierung am Stakeholder Value empfohlen. Die einseitige Orientierung am Shareholder – so das erste Argument der Kritiker – vernachlässige die Bedürfnisse anderer am Unternehmen beteiligter Gruppen und die Nichterfüllung der Stakeholder-Ansprüche bedrohe die Existenz der Unternehmung.[51] Im ersten Moment scheint dieser Ansatz durchaus plausibel und insbesondere sozial, das Handeln der Unternehmung auf alle Anspruchsgruppen gleichrangig auszurichten.[52] Gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter, langfristige Kundenbeziehungen und ein gutes Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit sind ohne Zweifel entscheidend, um das Ziel der langfristigen Wertmaximierung zu erreichen. Dem Stakeholder Value-Konzept fehlt jedoch eine klare Zielfunktion, die es dem Management erlaubt, zwischen bestimmten miteinander konkurrierenden Zielen abzuwägen oder die erzielte Performance eindeutig zu bestimmen und zu kontrollieren.[53] Dies bedeutet, dass als Maßstäbe für die Nutzengenerierung statt auf eindeutig quantifizierbare Indikatoren auf weniger konkrete Nutzenindikatoren zurückgegriffen werden muss.[54] Der Stakeholder Value-Ansatz ist deshalb für eine zielorientierte Unternehmensführung nicht geeignet.[55]
Es wird daher in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass die Ziele der Eigentümer die wesentliche Grundlage für die Ziele der Unternehmung sind und der Zweck der Unternehmung vorrangig darin gesehen wird, Wert für die Anteilseigner – den Shareholder Value - zu maximieren. Ein Folgen des Shareholder-Ansatzes bedeutet nicht, dass damit die Interessen anderer Anspruchsgruppen unberücksichtigt bleiben. Zwar scheint die Vorstellung, dass Profit nur zulasten anderer beteiligter Gruppen möglich ist, angesichts der populären Diskussionen des Shareholder Value als ausschließlich investorenorientiertes, kurzfristiges Managementkonzept besonders aktuell.[56] Tatsächlich steht bei diesem Konzept die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes im Mittelpunkt.[57] Auf lange Sicht kann eine Unternehmung nur dann bestehen und somit Werte für die Eigentümer schaffen, wenn den Interessen der übrigen Gruppen in genügendem Umfang entsprochen wird.[58] Wenn ein Unternehmen die Interessen der mit dem Unternehmen in Verbindung stehenden Anspruchsgruppen vernachlässigt, dann wird sich dieses in der Regel in einer Minderung des Unternehmenswertes niederschlagen. Die unter dem Deckmantel des Shareholder Value verfolgten, kurzfristig orientierten Gewinn-...