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E-Book

Antihelden der Musikszene und ihre Bedeutung für jugendliche Fans

AutorDaniela Biermann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl114 Seiten
ISBN9783656055419
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Pädagogik - Medienpädagogik, Note: 1,0, Universität Bielefeld, Sprache: Deutsch, Abstract: Die musikalischen Antihelden der Gegenwart sind eine Fortentwicklung der frühen musikalischen Jugendidole. Ihre Düsterkeit und Aggressivität spiegelt meist gesellschaftliche Missstände und die aus ihnen erwachsenden Gefühle von Unzufriedenheit wieder. Oft sind sie sogar Konsequenz der unangenehmen bis traumatischen Lebenserfahrungen der Musiker/-innen. Es gibt sehr unterschiedliche Gründe, warum Jugendliche sich zu ihrer Musik (oder zu anderen Aspekten ihrer Kunst oder Persönlichkeit) hingezogen fühlen: Manche bewundern ihre Innovativität in Bezug auf Musikstil, Aussehen, Videotechnik oder in anderen Bereichen, andere sind schlicht von ihrem musikalischen Talent beeindruckt. Manche wollen sich durch die Musik, die sie hören, und durch ungewöhnliche Outfits, zu denen sie sich von den Antihelden inspirieren lassen, von ihren Eltern abnabeln und einen Schritt in Richtung Autonomie machen. Andere befassen sich intensiv mit den Aussagen und Texten der Musiker/-innen, weil sie das Gefühl haben, dass sie etwas Wichtiges über die Gesellschaft zu sagen haben. Wieder andere können sich mit ganz bestimmten Antihelden deshalb so gut identifizieren, weil sie gerade Probleme und Krisen bewältigen müssen, die denen ähneln, die diese Antihelden in ihren Songs beschreiben. Manche suchen in den Fangemeinden und Subkulturen oder den Phantasiewelten der Antihelden Ausgleich zum Alltag, oder soziale Bindungen, die sie an anderer Stelle nicht finden. Andere nutzen die Mitglieder der Fanwebsites als Publikum für ihre Gedichte, Bilder oder Kurzgeschichten. Manche wollen vielleicht bloß beweisen, dass sie sich ohne Angst mit den erschreckenden Bildern und Inhalten der Antihelden befassen können, oder dass sie die Wahrheit über die negativen Aspekte der Welt, die von Antihelden bevorzugt besungen werden, ertragen können (vgl. Bostic et al. (2003)) Es gibt für jugendliche Fans viele Möglichkeiten, Antihelden für sich positiv zu nutzen, und keinen Grund zu der Annahme, dass sich Jugendliche von ihnen zu gewalttätigem oder selbstzerstörerischem Verhalten verleiten lassen, ohne zusätzliche - von den Antihelden unabhängige - Gründe dafür zu haben. Unter Umständen können Antihelden und ihre Fangemeinden sogar als Rückhalt in problematischen Lebenssituationen dienen.

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Leseprobe

3. Die unterschiedlichen Fans


 

3.1. Der selektive Fan


 

Fan-Sein kann im Extremfall die Bekenntnis zu einer bestimmten Subkultur und die Übernahme bestimmter Weltanschauungen und Werturteile bedeuten (s. Kapitel 3.3, vgl. Kapitel 3.2 und 8.2). Es kann für andere Jugendliche schlicht bedeuten, dass sie eine bestimmte Musikrichtung oder einen bestimmten Interpreten im Vergleich zu den meisten anderen Musikstilen bzw. Musiker(inne)n, aus welchen Gründen auch immer, lieber und öfter hören.

 

         Die Aspekte der Antihelden, die am Häufigsten Mittelpunkt von Kritik sind – Inhalte von Songtexten, bestimmte Darstellungen in Videoclips und das Verhalten und/oder die Aufmachung der Musiker/-innen – werden also von manchen Fans wenig oder gar nicht beachtet.

 

    Beispiel: „Dazu muß ich sagen, daß ich mit den texten [von Exilia] nicht in erster linie beschäftigt habe... […] – nachdem ich selbst semi-pro musiker bin, beobachte ich in erster linie die ausführung sowie abfolge und dann erst die lyrics!“ (Matthias S., Österreich)

 

     Andere Fans sehen die kritisierten Aspekte sogar selbst als eher negativ oder zumindest suspekt an:

 

    „The music is cool, I like the original sound of it, the bandmembers [= Marilyn Manson] seem to be a little weird and I wouldn’t dress like them, but the effects they use in their songs are great!“ (Christopher F., Australia)

 

    „I like the drummer [von Marilyn Manson]. Although he’s a drug-addict and a wacko like the rest. Their sound is just awesome.“ (Alex P., USA)

 

         Ein Heavy-Metal-Fan machte in einer Szene-Zeitschrift folgende Aussage: „Es fragt sich, wie man Manowar ernst nehmen soll. Ich frage mich: Wer WILL Manowar ernst nehmen? Die sind nun mal saukomisch, und das wissen sie selbst auch.“ (Rock Hard, S. 93).

 

    Die Jugendpsychologen Bostic et al. bestätigen die Vielfalt des Fandaseins aus eigenen Erfahrungen mit Jugendlichen: “The adolescent may resonate with the persona of alienation, rage, or confusion depicted by an antihero, or with certain music or lyrics, or even with technical aspects such as videography or musical innovations.“ (Bostic et al. (2003))

 

Fan-Sein kann also völlig von den Texten und den Persönlichkeiten der Musiker unabhängig sein und beispielsweise einfach auf einer bestimmten emotionalen Klangqualität der Songs oder auf einer Bewunderung für die Innovativität der Musik oder für die Begabung der Musiker/-innen basieren.

 

         Ein Exilia-Fan aus meiner Umfrage – selbst Bassist in einer Band – war beispielsweise von den Fähigkeiten der Musiker und vor allem von der Technik des (ursprünglichen) Bassisten begeistert, und beschäftigte sich beinahe ausschließlich mit dem Klang: „Ob der neue Bassist Random ersetzten kann ist fraglich, weil Mata einen etwas anderen Stil spielt als Random was sicher auch auf den Rest der Band wirken wird. Das neue Album ist zwar sehr gut geworden, jedoch bezweifle ich noch immer ob Mata in das bisherige Konzept der Band passt.“ (Philipp K., Deutschland) (Vgl. Kapitel 5.4.)

 

Fan-Sein kann also etwas sehr Selektives sein. So kann sich sogar jemand als Fan eines Antihelden betrachten, für den die Musik zweitrangig ist:

 

    Eine junge Frau gab zu, dass sie vor allem deshalb Fan der Band ist, weil sie von der ungewöhnlichen Ästhetik der bildlichen Darstellungen und Musikvideos begeistert ist: „I think that Manson has discovered a different sense of beauty. His esthetic expresses inner qualities and feelings instead of remaining on the surface. I actually really like his videos and promo-shots better than his music.“ (Greta N., Finnland)

 

    In der Tat sind manche Antihelden sehr kreativ bei der Gestaltung ihrer Musikvideos und der Werbe- und Albenphotos (vgl. Kapitel 6.3.1, S. 79 f.). Ihre Ästhetik wendet sich oft gegen konventionelle Vorstellungen von Schönheit und repräsentiert deswegen für manche Fans eine – oft auch von den Musikern selbst intendierte – Kritik an Oberflächlichkeit und Schönheitsidealen sowie eine Werbung für Individualität (vgl. Kapitel 5.4 und 6.2.3).   

 

    Auch das in Kapitel 2.2 auf S. 10 erwähnte Video zu dem Titel „Rock DJ“ von Robbie Williams (s. Abb. 1, rechts), in dem der Sänger sich bei einem Disco-Besuch nicht nur die Kleidung, sondern gleich auch Haut und Fleisch von Leib reißt, ist nach eigenen Angaben eine Kritik an herrschenden, sexuell und körperlich orientierten, Schönheitsnormen (MTV – Making the video).

 

Jugendliche sind also aus ganz unterschiedlichen Gründen Fans von bestimmten Antihelden oder Musikrichtungen. Dementsprechend wird gar nicht alles, was von Kritikern als schlechter Einfluss gesehen wird, von allen Fans wahr- oder ernstgenommen.

 

Wer eine konkrete Antiheld-Fan-Beziehung verstehen will muss also nicht nur die Symbolkultur der Pop-Kultur im Allgemeinen (s. Kapitel 2.3) sowie die von den jeweiligen Musiker/-innen und Fangemeinden konstruierte Symbolkultur berücksichtigen, sondern ganz individuell feststellen, was genau den Fan überhaupt an seinen / seinem favorisierten Antihelden interessiert.

 

Außerdem kommt zu der kollektiven Bedeutung von Inhalten und Symbolen innerhalb der Jugendkultur und den Fangemeinden eventuell noch eine individuelle Interpretation hinzu.

 

    Spengler betont: „Ein Musikstück sagt nicht für alle Jugendliche das Gleiche aus, sondern wird im spezifischen Lebenszusammenghang gedeutet.“ (Spengler (1987), S. 138)

 

    Manche Antihelden zeichnen sich dadurch aus, dass einige ihrer Texte besonders vielseitig interpretierbar sind. Wer sich nicht intensiv mit ihnen befasst, wird Schwierigkeiten haben, überhaupt einen Sinn zu verstehen, wer fantasievoll ist, findet die Vielseitigkeit der Texte möglicherweise besonders reizvoll, um sie als Spiegel eigener Emotionen und Ansichten zu nutzen (vgl. Kapitel 5.1). Ein junges Mändchen schrieb zu Marilyn Manson innerhalb meiner Umfrage: „I love his lyrics because they are written in a way that everyone can take them differently and relate to them in their own way. And even if you feel like it says one thing you can always come back and listen to it again and get another message from it.“ (Jennifer T., Ontario, Canada)

 

    Auch visuelle Komponenten und die Persönlichkeit der Antihelden können für verschiedene Fans Unterschiedliches bedeuten. Manchmal werden Jugendliche beispielsweise von einem Teilaspekt der visuellen Darstellung oder der Musikerpersönlichkeiten angesprochen, weil sie bestimmte Gefühle, Erfahrungen oder Einstellungen mit ihnen assoziieren; über die intendierte Aussage bzw. über die restlichen Eigenschaften denken sie eventuell gar nicht weiter nach.

 

Sogar die Fans, die sich intensiv mit den Aussagen und Texten und den Musiker(inne)n befassen, machen dies häufig auf eine selektive Art und Weise.

 

     Jenkins hat festgestellt, dass sogar sogenannte Hardcore-Fans[11] in den seltensten Fällen mit den in der Pop-Kultur angebotenen Botschaften, ob nun aus Filmen, Songs, Comics oder anderen Quellen, völlig übereinstimmen: „I've observed in my research on media fandom that fan activity is born of a mixture of fascination and frustration. We are drawn to a particular media artifact because it seems to be the best available vehicle for exploring some issue that is deeply important to us, because it entertains us or provides us with pleasure in a way that most other available choices in the marketplace do not. If they did not fascinate us on some level, we would not devote so much of our attention and energy to them. But, if they did not frustrate us on some level, we would also not spend much time scrutinizing, critiquing, and rewriting them. These media artifacts don't fully meet our needs and so we're pushed towards a more intense and often a more critical engagement with them. […] And these competing feelings of fascination and frustration give rise to the fan websites that are becoming increasingly common on the web.“ (Jenkins (1999))

 

    Jugendliche befassen sich also dann intensiv mit bestimmten Medien oder Medienpersönlichkeiten, wenn diese ihrer Ansicht nach im Vergleich zu anderen besonders gut bestimmte Gefühle und/oder Einstellungen ausdrücken können. Dass Antihelden mit ihrer Unkonventionalität Blickweisen und Inspirationen zu bieten haben, die ansonsten schwer zu finden sind, lässt sich leicht nachvollziehen (vgl. Kapitel 2.3).

 

Die Diskussionen auf Fanwebsites von Antihelden zeigen unter den stark involvierten Fans drei verschiedene Phänomene in Bezug auf den Umgang mit ihren favorisierten Musiker/-innen:

 

1) Tatsächlich enthaltene negative Aspekte (wie bspw. echte Gewalttätigkeit im Privatleben der Antihelden, Drogensucht, etc.) werden von manchen Fans absichtlich nicht beachtet. Botschaften in Songs und Videos, die sie selbst als unangenehm empfinden werden entweder auch ignoriert oder ‚uminterpretiert’.

2) Andere Fans betrachten die ‚Messages’ und Persönlichkeiten der...

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