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Antiker Reiseführer: Lieben, leben und sterben in Carnuntum

Die Kaiserstadt mit den Augen des Bersteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius

AutorImre Kusztrich
VerlagIGK-Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783955771188
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Antiker Reiseführer: Die römische Kaiserstadt an der Donau, mit den Augen des Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius. Drei Kaiser kommen in Carnuntum zu einer Konferenz zusammen. Sie beginnt am 11. November des Jahres 308. Es geht um nichts Geringeres als den Fortbestand des Römischen Reiches. Immer mehr Bürger wenden sich innerlich von Rom ab und der verbotenen Religion zu, dem Christentum. Bereits drei von vier Legionssoldaten stammen von außerhalb der Reichsgrenzen. Die Verweichlichung des Volkes ist nicht länger zu ignorieren. Die Moral, auch in sexueller Hinsicht, lässt zu wünschen übrig. Nach römischem Recht ist die Frau nicht Eigentümerin ihres Körpers. Aber so mancher Ehemann wirft ein blindes Auge auf ihr Verhalten. Ja, auch kritische Töne enthalten die alltäglichen Schilderungen des Bernsteinhändlers Livinius Cordinus Rutilius. Aus einer Epoche, die eine Grab-Inschrift so skizziert: 'Bäder, Weine, Liebe richten unseren Körper zugrunde, aber sie machen das Leben aus - Bäder, Weine, Liebe.'

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Leseprobe

 

Imperatoren, Carnuntum erwartet euch!


 

Am Morgen des elften Tages im Monat November des dritten Jahres nach dem Imperator Caesar Gaius Aurelius Valerius Diocletianus Pius Felix Invictus Augustus (308; Caesar Gaius Aurelius Valerius Diocletianus Pius Felix Invictus Augustus regierte bis 305) sehe ich den Ereignissen mit größerer Erregung als sonst entgegen. Es zieht mich zu dem bunten Treiben im Barackenrevier am Legionslager, mitten hinein in die Anhäufung von Schänken der Weinhändler, Verkaufsbuden der Bäcker, Schuppen der Schuhflicker, Vorratskammern der Krämer, Warenlagern der Großhändler und im Wind flatternder Zeltplanen. Dieser ausufernde Siedlungsraum lebt vom Lager und für das Lager. Von drei Seiten umschließen die canabae legionis (Barackenviertel am Legionslager) das castellum (Fort). Den Anblick prägen ohne Zweifel die Schankstuben mit ihren offenen Fronten und der verlockenden Auslage verführerischer Leckerbissen. Die meisten Ladentische sind aus Holz. Einzelne Theken sind gemauert. Feilgeboten werden an jeder Ecke gewürzte Getränke, Traubenmost mit Honig oder eingedickt.

Um die Aktivitäten der Soldaten nicht einzuschränken, stehen die ersten Buden etwa siebzig Doppelschritte von den mächtigen Festungsmauern entfernt.

Wahrlich, ich kann mich kaum satt sehen! Schier unübersehbar ist die Menge der Marktschreier und Handwerker, der Hausierer und Quacksalber, der Schwertschlucker und anderer Artisten, der Seher und Wanderprediger, aber auch der Köchinnen und Näherinnen, der Bäckersfrauen und – ja, auch der Gespielinnen unserer Soldaten. Von Tacitus wissen wir, dass schon das allererste römische Militärlager auf erobertem Boden, in Numantia, Tausende solcher Vertreterinnen käuflicher Lust anzog. Und Manneskraft lockt in Carnuntum nicht nur in der Gestalt des Legionärs. Auch unsere Gladiatoren gelten mit ihrem todesverachtenden Mut als beeindruckendes Sinnbild von Stärke.

Mir scheint, die Zahl all dieser Dienstleister zusammen wächst von Monat zu Monat. Hier findet sich das Passende für jeden Geldbeutel und Geschmack – tabernae (Läden mit Backofen), cauponae (Weinschänken) und reichlich thermopolia (Buden mit warmen Speisen). Ein jeder Händler strebt nach einer kleinen oder großen Rolle in der nie endenden Pflicht zur Betreuung der kämpfenden Truppe und zur Versorgung ihrer Pferde und Maultiere – über das ohnedies bestens organisierte Maß hinaus.

Ihr Ansehen in unserer Kommune ist gering, nicht besser als das der Sklaven, obwohl die allermeisten als Freie oder Freigelassene mehr Rechte besitzen als jene. Viele haben schon den einen oder anderen Feldzug der Grenzverteidiger miterlebt – als wandernde Nachhut, bewaffnet mit Handwerkszeug oder Kochgeschirr. Zu ihnen gesellt sich hier im Rahmen einer Art von stillschweigend geduldeter Familienzusammenführung eine immer größer werdende Schar von heimlichen Gattinnen mit ihren Kindern, die wenigstens eine entfernte Nähe zu diesem oder jenem Legionär anstreben.

Natürlich duldet jeder Bürger die Anwesenheit der Lebensgefährtinnen unserer Krieger. Zur Ehelosigkeit verpflichtet, trachten doch viele danach, selbst einen Hauch jener Lebensart zu erhaschen, die sie hier verteidigen. Hier verbringen sie zwanzig Dienstjahre jener bedeutenden Lebensphase, in der sie ihre Nachkommen zu zeugen haben - und auch das ist im Sinne des Reiches, das Soldaten braucht. Viele wählen mit Bedacht eines der Mädchen keltischer Abstammung aus der Region, und ihre Wahl kann ich meistens gut verstehen.

So finden sich zwischen den Schoppen, Buden, Stadeln, Weinschänken, Bäckereien, Werkstätten, Läden, Garküchen und Vorratslagern in großer Zahl auch die bescheidenen Behausungen für die Partnerinnen unserer Legionäre. Denn am Nachmittag haben die Männer ihre täglichen Verpflichtungen zu Drill und Exerzitien mit größter Ernsthaftigkeit absolviert. In Friedenszeiten ist jedem dann der Kontakt mit der Welt außerhalb der Legionsmauern und sinnliche Zerstreuung, vorzugsweise in einer der Thermen oder Arenen, gestattet.

Alle diese Menschen zusammen geben Zeugnis sowohl von der wachsenden Anziehungskraft unserer Stadt, wie von ihrer zunehmenden Zivilisierung. Ihre aus eigenem Antrieb angebotenen Waren und Dienste sind mit Umsicht an den Bedürfnissen der Soldaten ausgerichtet. Da werden Schuhe geflickt, da wird Nahrung zubereitet, da werden billige Schmuckstücke feilgeboten, die diesen Begriff kaum rechtfertigen. Und auch jene Frauen, deren Beschäftigung sich leicht ahnen lässt, da sie Beziehungen nicht abgeneigt sind, nehmen an Zahl zu.

Kein Wort gegen mercatores (Händler) und sequellae! (Gefolge). Es muss jedoch eingeräumt werden: Die Mehrzahl der Individuen in diesem Umfeld verdienen am ehesten ihre Zuordnung zu den lixae (Anhänger), die sich im Schatten jeder Legion des Reiches finden lassen. Es sind bestimmte Menschen – oft Angehörige von weit entfernt angesiedelten Stämmen. Im Endeffekt unterliegen sie der Befehlsgewalt des Legionskommandanten. Aber ihr gemeinsames Merkmal ist es, dass sie mit Vorliebe möglichst jedwede Anordnung ignorieren und vor allem darauf aus sind, mit der Truppe Handel zu betreiben oder ihr irgendwie zu Diensten zu sein. Nicht wenige, die hier im Budengewirr des Lagerdorfes ihr Dasein fristen, gelten den Befehlshabern als bedrohliches Gesindel, das zur Verweichlichung der Soldaten beiträgt.

Doch meinem Auge bietet sich hier ebenfalls Erfreuliches. Jede Ansiedlung im römischen Reich braucht ein gesellschaftliches Zentrum, so auch diese Lagervorstadt. Ich stehe jetzt im beeindruckenden Wandelgang, der ein wahrlich prächtiges Forum umgibt. Dieses Bauwerk – Marktplatz und Versammlungsort in einem, mit Rednertribüne und Porträtstatuen – bildet einen erstaunlichen Gegensatz zu dem eigentlich schäbigen Krämerdorf. Nicht nur das. Die Menschen hier haben am östlichen Rand ihrer Ansiedlung, neben dem Legionslager, ihre eigene therma (Bad), von Gönnern gestiftet. Und wenn ich meinen Blick zur Morgensonne richte, über die äußersten Wohnbauten hinweg, fällt er auf den ovalen Steinbau eines Amphitheaters. Errichtet wurde es vor allem wegen Darbietungen für die Soldaten. Aber seine Größe verrät, dass auch die Bewohner der canabae (Budenstadt am Lager) willkommen sind. Und auch der Götter wird durch diese Menschen ausreichend gedacht. Ein großflächiger Tempelbezirk ist Schutzheiligen aus der ägyptischen Stadt Heliopolis gewidmet. Viele Soldaten und ihre Angehörigen stammen von dort. Kein Problem, dass Kämpfer aus vielen Ecken des Reiches ihre eigenen Gottheiten vorziehen – solange die neuen Bürger auch für das Wohl des Römischen Reiches und des Kaisers beten. Mehrere breite Straßen mit jeweiligem Verlauf in östlicher, westlicher, südlicher oder südwestlicher Ausrichtung zerteilen diese Budenanhäufung. Wie eine langgestreckte Klammer umgibt sie das Lager. Wollte man die Strecke von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende abschreiten, benötigte man an die tausendvierhundert Doppelschritte. Nur das steil abfallende Erdreich zum Fluss hin, direkt vor der drei Meter hohen Nordmauer des Lagers, wird vom Krämerdorf nicht eingenommen und für immer verschont bleiben. Denn die Kastellumrandung verläuft unmittelbar entlang eines tiefen Abbruch des Geländes hinunter zu den Auen der Donau.

Ja, diese canabae (Budenstadt am Lager) von Carnuntum, jetzt schon durch mehr als zwei Jahrhunderte geduldet und gewachsen, bedecken mittlerweile ein gewaltiges Areal und übertreffen an Ausdehnung die im Westen gelegene zivile Stadt der weitaus angeseheneren Bürger. Auf jeden einzelnen Legionär – und es sind mehr als sechstausend – sollen schon drei derartige Personen geringeren Ranges und zweifelhafter Abstammung hier angesiedelt sein! Jedes große Lager zieht sie an. Aus ihnen bildete sich früher der Tross, der dem Heer folgt. Eine Schilderung von Cassus Dio beschreibt ein derartiges Spektakel so: „Die Soldaten führten viele Wagen und Lasttiere mit sich, dabei wurden sie von vielen Frauen und Kindern begleitet, sowie von einem stattlichen Sklavengefolge.“

Also in der Lagervorstadt diese viele tausend Köpfe umfassende selbstsüchtige und schwer zu kontrollierende Schar, vor allem am eigenen Vorteil interessiert, und im Lager selbst die überwiegende Mehrzahl der Soldaten unterschiedlicher Herkunft und Abstammung, durch Sold aus fernen Provinzen angelockt und durch Vertrag gebunden: Wahrlich, die damit zusammenhängenden Fragen und die daraus drohenden Probleme nicht nur für Carnuntum, sondern für die Sicherheit und den Fortbestand des ganzen Reiches, werden bei der Zusammenkunft heute keine untergeordnete Bedeutung haben!

Aber nicht dieser Trubel, mir bestens vertraut, lässt mich in dieser Stunde so angespannt sein. Ich, Livinius Cordinus Rutilius, warte darauf, jener Ankömmlinge ansichtig zu werden, die gerade heute ihren Fuß auf den Boden Carnuntums setzen. Ich sage voraus: Mit Sicherheit werden sie gehobenen Standes sein! Ich verstehe mich trefflich auf das Lesen ihrer Gesichter und das Deuten ihrer Gedanken. Nichts...

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