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Anton Stadler: Wirken und Lebensumfeld des 'Mozart-Klarinettisten'

Fakten, Daten und Hypothesen zu seiner Biographie

AutorHarald Strebel
VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl1392 Seiten
ISBN9783990123690
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis179,99 EUR
Der Wiener Klarinettist Anton Paul Stadler (1753-1812) ist den meisten Musikliebhabern nur im Kontext mit Mozarts singulären Klarinettenwerken ein Begriff. Wer aber war dieser ehemals berühmte, den Komponisten inspirierende und diesem freundschaftlich verbundene Virtuose und Freimaurerbruder? Geboren in Bruck an der Leitha als Sohn eines Schusters, verlief Stadlers Leben entlang einer in Wien kulturhistorisch faszinierenden, zugleich aber von napoleonischen Kriegswirren geprägten Epoche. Anton und sein nicht minder begabter Klarinettisten-Bruder Johann Nepomuk (1755-1804) dürfen für sich beanspruchen, sowohl zahlreiche Werke Mozarts als auch anderer Komponisten erstmals gespielt zu haben. Deren Namens-Galerie ist eindrücklich: Anfossi, Beethoven, Cartellieri, Cherubini, Cimarosa, Dittersdorf, Druschetzky, Eberl, Eybler, Gyrowetz, Haydn, Hoffmeister, Hummel, Ko?eluch, Krommer, Martín y Soler, Paër, Paisiello, Righini, Salieri, Seyfried, Spontini, Süßmayr, Vanhal, Weigl, Woelfl, Anton und Paul Wranitzky. Dass die Stadler-Brüder als Hof- und Theater-Musiker alle Genannten persönlich kannten, ist so faszinierend, da den heutigen Musikrezipienten nur indirekte Zeugnisse ein mehr oder minder 'wahres' Lebensbild der Zeitgenossen vermitteln. Auf der Grundlage jahrelanger Forschungsarbeit beleuchtet der Autor, selbst Klarinettist, ungewöhnlich kenntnisreich und kritisch das musikalische und persönliche Umfeld Anton Stadlers: Eine Vita, gleichermaßen geprägt von künstlerischen Höhepunkten und bitteren wirtschaftlichen Nöten. Eine Fülle bislang unbeachteten oder neu erschlossenen Quellenmaterials ermöglicht dabei unzählige Neuerkenntnisse und Richtigstellungen, unter anderem zu wichtigen Wiener Holzblasinstrumentenmachern, zur damaligen Wiener Konzert- und Theaterpraxis und den Musikerkollegen der Brüder Stadler.

Harald Strebel, geboren 1942, ist Klarinettist, Musikhistoriker, Dozent für Klarinette und Bläserkammermusik sowie Herausgeber und Autor zahlreicher musikwissenschaftlicher Publikationen. Im Jahr 2000 wurde ihm die 'Goldene Mozartnadel' für wissenschaftliche Verdienste um das Werk Mozarts durch die Internationale Stiftung Mozarteum in Salzburg verliehen.

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Leseprobe

HERKUNFT UND VORFAHREN


Die bisherigen im Schrifttum einhellig übernommenen Angaben über den frühesten bekannten Vorfahren der späteren „Mozart“-Klarinettisten Anton Paul und Johann Nepomuk Stadler gründen auf der Bekundung 1971 von Karl Maria Pisarowitz mit Bezug auf deren Grossvater Andreas Städler1. Demnach soll dieser aus der „unterennsisch-waldviertler Gemeinde Allentsteig“ entstammen.2 Diese Information ist insoweit zutreffend, als besagter Ahnherr zwar 1693 in dieser Ortschaft geboren wurde, dessen Eltern jedoch gemäss Forschungen des Autors vorliegender Publikation zuvor während mindestens sieben Jahren in der rund 20 km weiter nordwestlich gelegenen Marktgemeinde Kirchberg am Walde lebten, wo auch ihre ersten vier Kinder3 zur Welt kamen.

Am 11. Juli 1684 hatte sich der 34-jährige4 Andreas Städler, Sohn eines verstorbenen Matthiae Städler „zu Hörwarth“5 und der ebenfalls nicht mehr am Leben gewesenen Mutter unbekannten Namens mit der 23 Jahre alten Regina Prenner6 vermählt. Regina war eine Tochter des drei Jahre zuvor verschiedenen Paul Prenners, Doctoris und Marktrichter zu Kirchberg7, dessen Witwe Sophia und nunmehrige Schwiegermutter Andreas Städlers inzwischen wieder verheiratet war.8

An welchem Ort dieser nunmehr erste nachzuweisende „Altvordere“ und Urgrossvater der dereinstigen Wiener Hofklarinettisten Anton und Johann Stadler um 16509 geboren wurde, ist nicht belegbar. Dafür erhellt aus den Taufeinträgen der Pfarre Kirchberg am Walde dass Andreas Städler [I] zumindest bei der Geburt des vierten Kindes Ende Mai 1691 noch immer in dieser im niederösterreichischen Waldviertel (Bezirk Gmünd) gelegenen Gemeinde lebte, und seinem Broterwerb als Schuster nachging. Kirchberg, von einem mächtigen, erstmals 1172 genannten Schloss beherrscht, war 1580 unter den Herren von Sonderndorf zum Markt erhoben worden, der Ort wurde – allerdings nur bis 1623 – protestantisch.10 Aus der Zeit der Niederlassung Andreas Städlers hat sich an der Strasse nach Hirschbach noch die 1659 erbaute sogenannte Rote Kapelle erhalten.11

Abb. 2: Schloss Kirchberg am Walde. Kupferstich von Georg Matthäus Vischer, 1672. (St. Pölten, Niederösterreichische Landesbibliothek)

Irgendwann zwischen Juni 1691 und der am 2. Oktober 1693 in Allentsteig erfolgten Geburt des fünften, auf den Namen des Vaters getauften Kindes Andreas, war die Familie in diese rund 20 Kilometer südöstlich von Kirchberg entfernt gelegene Gemeinde gezogen.

Der damals dem Zisterzienserstift Zwettl am Kamp zugehörige, etwa 90 Kilometer nordwestlich von Wien gelegene Ort ist die älteste urkundlich erwähnte Siedlung des mittleren Waldviertels. Das Gebiet um Allentsteig gehörte ursprünglich zum Stammbesitz der Künringer, dessen Besiedlung um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert erfolgte. Bereits um 1100 entstand hier eine Festung, welche zusammen mit der Kirche St. Ulrich die nördliche Begrenzung der Anfang des 13. Jahrhunderts planmässig angelegten Burgstadt bilden. Allentsteig, um 1380 erstmals als Stadt genannt, war eine typische Ackerbürgerstadt, welche sich um 1800 zu einem wichtigen Handelsplatz entwickelte und 1851 Sitz des Bezirksgerichts wurde.12 Die zwischen 1544 bis 1570 von Sigmund Hager, einem der angesehensten Adligen Niederösterreichs, in ein Renaissanceschloss umgebaute Burg dürfte sich der Stadler-Familie dargestellt haben wie auf dem nachstehend abgebildeten Kupferstich von 1672, allerdings hatten zehn Jahre später Brände am Schloss schwere Schäden angerichtet.13

Regina Städler, deren Mann auch am neuen Wohnort als „sutor“ (Schuster) für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgte, schenkte ihrem Mann in Allentsteig bis 1705 noch drei weitere, in der Pfarrkirche St. Ulrich getaufte Kinder.14

Die weiteren Geschicke der Familie liegen im Dunkeln. Aufgrund des am 14. Dezember 1718 vermerkten Begräbniseintrages in den Matriken der Pfarre Allentsteig dürfte der 68 Jahre alt gewordene Andreas Städler als angesehener Bürger („civis“) der Gemeinde zwei Tage zuvor verstorben sein. Ob seine Gattin Regina zu diesem Zeitpunkt noch unter den Lebenden weilte, muss offen bleiben, ihr Name scheint jedenfalls weder in den Sterbematrikeln der Pfarre Allentsteig noch in jenen der Pfarre Kirchberg am Walde auf.

Abb. 3: Burg Allentsteig. Kupferstich von Georg Matthäus Vischer, 1672. (St. Pölten, Niederösterreichische Landesbibliothek)

Abb. 4: Ausschnitt aus der Niederösterreichkarte von Georg Matthäus Vischer 1670 mit den Ortschaften – Pfeile: Kirchberg, Allentsteig und Döllersheim (Töllersham). – (St. Pölten, Niederösterreichische Landesbibliothek)

Der am 2. Oktober 1693 geborene15 Sohn Andreas Städler [II] setzte gleich seinem Vater das Schuster-Handwerk fort. Schon als Zwanzigjähriger vermählt er sich am 30. Januar 1714 im rund 10 km südlich von Allentsteig gelegenen Döllersheim in der Pfarrkirche „Zu den heiligen Aposteln Petrus und Paulus“16 mit der verwitweten, acht Jahre älteren Susanne Gäyer17.

Vor ihrer Verbindung mit Andreas Städler war die geborene „Susanna Dietmäärin“ seit dem 21. Februar 1707 mit dem ortsansässigen Martin Gey[e]r18 verheiratet gewesen19, welchem sie bis zu dessen am 13. Dezember 171320 erfolgten Tode drei Kinder gebar.21 Die rasche, nur gerade sechs Wochen nach dem Hinschied ihres Mannes erfolgende Wiederverheiratung der Witwe mit dem jungen Andreas Städler dürfte im Zusammenhang mit der Versorgung ihrer zu diesem Zeitpunkt noch lebenden drei Kindern22 aus erster Ehe gesehen werden. Ihrem nunmehrigen Gatten brachte Susanne zwischen dem 12. Januar 1715 und 25. Dezember 1732 neun nachweisliche Kinder zur Welt23, von denen das dritte – ein am 7. März 1719 in der Pfarrkirche Döllersheim auf den Namen Josephus getaufter Knabe – Vater der berühmten Klarinettisten-Brüder werden sollte.

Das im mittleren Waldviertel an der Strasse von Zwettl nach Horn gelegene Dorf Döllersheim wird als eine der ältesten Siedlungen des Waldviertels bereits 1143, fünf Jahre nach der Gründung von Stift Zwettl, in einer Urkunde als „Tolersheim“ genannt. Seit 1606 im Besitz des Marktrechts, war Döllersheim mit Pfarrkirche, einer seit 1580 nachweisbaren Elementarschule sowie zahlreichen Gewerbetreibenden der zentrale Ort für die Versorgung der umliegenden Dörfer.24

Wie aus den Einträgen der Pfarrmatriken zu folgern ist, scheinen Andreas Städler und seine Angehörigen in Döllersheim vor allem mit der Familie des Müller-Meisters Hans Georg und der Anna Maria Fürnkrantz engen Umgang gepflegt zu haben. Jedenfalls stellte man sich bei den Geburten beiderseits regelmässig als „Gevatter“ und „Gevatterin“ zur Verfügung. Etliche Familien des Fürnkran[t]z-Geschlechts waren in Niederösterreich Mühlenbesitzer25. In den Pfarrakten Döllersheim wird das Domizil des Joannes Georg (Georgij) Fürnkrantz unterschiedlich vermerkt mit „von der Reinbrechts Prucksmühl“ oder „von der Reinbrechtsbrucksmill“, später mit „Stockfinstermüll“.

Die Erwähnungen der offensichtlich freundschaftlichen Verbindungen zwischen den Familien Städler und Fürnkrantz mögen von Interesse sein, zumal die urkundlich bereits 1345 erwähnte, am Kampfluss gelegene „Reinprechts Prucksmühl“ 1702 von Georg Fürnkrantz erworben wurde.26 Die nunmehrige Fürnkranzmühle stand unmittelbar neben der Brücke, über welche die alte Strasse von Zwettl nach Döllersheim und Horn den Kamp nahe der Ortschaften Mitterreith und Nieder Plöttbach überquerte. Als man in den 1950er-Jahren den Stausee Ottenstein anlegte, wurde das Anwesen entsiedelt und abgetragen.

Die alten Maurerreste dieser Gross-Mühle, in welcher die Städlers vor dreihundert Jahren öfters bei den Fürnkrantz Gastrecht genossen haben dürften, versanken 1957 samt anderen Gebäuden und dem kleinen Dorf Nieder Plöttbach27 unter den Fluten des im Oberlauf der Kamp errichteten Stausees Ottenstein.28 Unterbrochen wurde dadurch aber auch die einstige Hauptverbindung zwischen Zwettl und Horn, die bei der Fürnkranzmühle den Kamp überquerte und welchen Weg schon die Städlers von Döllersheim aus oft unter die Füsse genommen haben mochten.

Noch immer lebt die geschichtsträchtige Mühle im Bewusstsein heutiger Generationen weiter unter dem Namen des damaligen Besitzers als „Fürnkranzmühle“, allerdings nur noch „in Verbindung mit einer beliebten Badewiese am Stausee bei Mitterreith“29, ca. 4 km südwestlich von Döllersheim gelegen.

Abb. 5: Die Fürnkranz-Mühle am Kamp. Undatiertes Foto um 1890 von Eugen Leutner. Zwettler Stadtmuseum, Sonderausstellung „Frühe Zwettler Fotografen“ des Stadtmuseums Zwettl, 2012. Heute liegen ihre Reste am Grunde des Kamp-Stausees.

Nach zwanzig Ehejahren stirbt am 5. März 1734 Andreas Städlers Gattin Susanna im Alter von 49 Jahren.30 Der mit mehreren Kindern Hinterbliebene Witwer verheiratete sich noch im gleichen oder aber im folgenden Jahr31 mit einer 1710 geborenen, nicht näher zu identifizierenden „Catharina“, welche ihm am 7. November 1735 eine auf den Namen der Mutter getaufte Tochter schenkt.32 Der neue Ehestand war jedoch von kurzer Dauer, kaum ein Jahr später verstirbt Andreas Städler, der Grossvater der nachmaligen Klarinettisten-Brüder in dieser während des Dritten Reiches von traurigem Schicksal33 heimgesuchten Gemeinde Döllersheim. Am 17. September 1736 wird er auf dem örtlichen Friedhof...

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