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Architekten der Arbeit

Positionen, Entwürfe, Kontroversen

AutorSven Rahner
Verlagedition Körber-Stiftung
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783896844637
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten werden, beschäftigt wohl jeden, der Arbeit nicht nur als Broterwerb begreift. Arbeit dient längst nicht mehr nur dem Lebensunterhalt, sie ist auch Teil der eigenen Identität. Arbeit soll sich wieder lohnen, Erfüllung bieten und den eigenen Wohlstand ebenso wie den des Landes mehren - ein hoher Anspruch, allzu selten eingelöst. Prekäre und entwürdigende Arbeitsverhältnisse sind auch in Deutschland keine Seltenheit. Das digitale Zeitalter verändert die Arbeitswelt radikal, schafft neue Freiheiten ebenso wie neue Zwänge: Burnout ist auch die Krankheit einer Gesellschaft, in der immer alles möglich sein muss. Sven Rahner wagt mit 18 Gesprächspartnern einen Blick in die Zukunft der Arbeit. Er hat die Architekten einer neuen Arbeitswelt getroffen, die beobachten, planen und gestalten, wie sich unsere Arbeit verändern wird: Vordenker aus dem In- und Ausland - wie Richard Sennett, Mercedes Bunz und Matthias Horx -, Praktiker - wie Thomas Sattelberger, Henning Kagermann und Detlef Wetzel - sowie Spitzenpolitiker aller Parteien stellen ihre Entwürfe der neuen Arbeitswelt vor. Der Wettbewerb um die besten Ideen ist eröffnet!

Sven Rahner studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Psychologie in Heidelberg und Toronto. Er bewegt sich seit Jahren zwischen den Welten von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Derzeit promoviert er an der Universität Kassel zum Thema Fachkräftesicherung. Zuvor war er mehrere Jahre als Fachreferent für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Deutschen Bundestag tätig. Seit 2010 ist er zudem Online-Redakteur in einer Berliner Internetagentur. Rahner ist Mitglied unterschiedlicher Forschungsgruppen und Expertengremien zu Fragen der Zukunft von Bildung und Arbeit sowie nachhaltigen Strategien für die Digitalisierung der Arbeitswelt. Er veröffentlicht zu diesen Themen regelmäßig in Fachzeitschriften, u.a. in »Aus Politik und Zeitgeschichte«.

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Leseprobe

Richard Sennett ist einer der bekanntesten und einflussreichsten Theoretiker der modernen Arbeits- und Lebenswelt. Die Bandbreite seiner Forschungsgebiete und Betätigungsfelder ist beeindruckend: Sennett sprengt mit seinem vielfältigen Wirken die traditionellen Grenzen der Fachdisziplinen. Der viel gefragte Intellektuelle und Kosmopolit bewegt sich dabei elegant zwischen der Soziologie, Philosophie, Geschichts- und Kulturwissenschaft.

Die Geschichte und Zukunft der Arbeit im »neuen Kapitalismus« bildet dabei seit mehr als 30 Jahren eines seiner Hauptthemen. Mit seinem Befund, dass an die Stelle der planbaren, kontinuierlichen Lebens- und Arbeitsbiografie der »flexible Mensch« tritt, hat er bereits Ende der 1990er Jahre eine der herausragenden Debatten der letzten Jahre angestoßen, die bis heute anhält. Richard Sennetts besonderes Talent zur Zuspitzung aktueller Themen und sein anschaulicher, essayistischer Schreibstil ließen ihn zu einem Bestsellerautor mit Weltruhm avancieren, dessen Sozial- und Gesellschaftsanalysen weit über die eigene Fachgemeinde hinausstrahlen und von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert werden. Die Titel seiner Veröffentlichungen wurden in diesem Zuge häufig zu Schlagwörtern in der öffentlichen Diskussion.

Richard Sennett wurde 1943 in Chicago geboren und studierte zunächst Musikwissenschaften und Violoncello, anschließend Soziologie und Geschichte, u.a. bei Talcott Parsons und Hannah Arendt. Heute lehrt er Soziologie und Geschichte sowie Sozial- und Kulturtheorie sowohl an der New York University als auch an der London School of Economics. Seine letzten viel beachteten Werke sind »Zusammenarbeit« (2012) und »Handwerk« (2008). Auch noch im fortgeschrittenen Alter treiben ihn die Fragen nach der Zukunft der Arbeit und einer humanen Vision für eine bessere Welt jenseits sozialer Schranken um. Wir treffen uns in unseren jeweiligen Wohnzimmern zum digitalen Video-Interview.

Rahner: Welche entscheidenden Entwicklungen prägen den europäischen Arbeitsmarkt, und welche zentralen Herausforderungen werden sich daraus ergeben?

Sennett: Die drängendste Herausforderung für Europa ist, dass es auf absehbare Zeit schlicht und einfach mehr Arbeitsuchende als Arbeit geben wird. Und das nicht, weil die meisten Leute auf Anhieb Familien mit zwölf oder 14 Kindern gründen. Die Frage ist also, wie wir die vorhandene Arbeit organisieren, um den Bürgern zumindest eine Teilzeitarbeit anbieten zu können. Meiner Auffassung nach wäre die Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens eine Erfolg versprechende Herangehensweise, die genau an diesem Punkt ansetzt. Man versucht, die vorhandene Arbeit zu bestimmen, um sie dann unter zwei oder drei Leuten zu verteilen. Diese werden als Teilzeitkräfte bezahlt. Der Staat gibt ihnen dann zusätzlich ein Grundeinkommen, um den Unterschied auszugleichen.

Ich denke, wir haben es in Europa weniger mit zyklischer Arbeitslosigkeit als mit einem strukturellen Mangel an Arbeit zu tun. In den 1980er und 1990er Jahren exportierten wir eine ganze Menge Arbeit in die Entwicklungsländer, und diese machten etwas aus relativ gering qualifizierten Arbeitskräften. Sie entwickelten die Arbeit weiter und machten sie anspruchsvoller. Diese werden sie uns aber nicht wieder zurückgeben. Nun gibt es die Wunschvorstellung, dass wir die guten Jobs behalten und die ganz schlechten exportieren können. Aber so funktioniert der Arbeitsmarkt einfach nicht. Das ist eine selbst zugefügte Wunde, und das Resultat ist der strukturelle Arbeitsmangel in Europa. Ich glaube, was wir jetzt brauchen, um mit diesem Problem fertigzuwerden, ist eine ziemlich starke Medizin.

Rahner: Welche Art der Medizin könnte das sein? Oder anders ausgedrückt: Wie können wir den Wert der Arbeit in einer flexiblen und dynamischen Arbeitswelt erneuern?

Sennett: Die Menschen brauchen institutionalisierte Formen der Unterstützung, die es ihnen ermöglichen, elementares Fachwissen aufzubauen. Ich glaube nicht, dass man ein permanentes Glück am Arbeitsplatz empfinden kann. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich das Gefühl einer grundlegenden Zufriedenheit einstellt, wenn man das Gefühl hat, seine Sache gut zu machen. Um das zu erreichen, müssen Menschen die Möglichkeit haben, über einen Zeitraum von 10.000 bis 12.000 Stunden hinweg gleiche oder sehr ähnliche Aufgaben zu bearbeiten. Das würde rund zwei bis drei Jahre dauern und gäbe ihnen die Chance, zentrale Kompetenzen aufzubauen. Das Flexibilitätspostulat im Personalmanagement der letzten Jahre steht dieser Erkenntnis diametral gegenüber: Die Leute werden permanent von einer Aufgabe zur anderen geschoben, um sie ständig auf einem Niveau der Einarbeitung und Unsicherheit zu halten. Damit wird letztlich das Gefühl der Genugtuung, das sich nach einer erfolgreich erledigten Aufgabe einstellt, zerstört. Genau hier liegt die Krux. Was wir also dringend benötigen, sind alternative Managementmodelle, die auf die kontinuierliche (Weiter-)Entwicklung der Menschen setzen. Das müssen nicht notwendigerweise Routinen sein.

Rahner: Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat gezeigt, dass Deutschland in der Lage ist, sehr schnell und effektiv Reformen umzusetzen, wenn alle relevanten politischen und gesellschaftlichen Akteure koordiniert vorgehen. Verhandlungen zwischen Unternehmensleitungen und Betriebsräten haben in Kombination mit der staatlichen Förderung von Kurzarbeit entscheidend zum im Ausland viel bestaunten »German Jobwunder« (The Economist) beigetragen. Die von Kurzarbeit betroffenen Beschäftigten konnten sich, durch staatliche Maßnahmen gefördert, weiterbilden und dadurch ihre Qualifikationen erneuern und erweitern. Als die Konjunktur sich erholte, waren sie wieder schnell in ihren Betrieben und Unternehmen einsetzbar. Kann das sozialpartnerschaftlich ausgerichtete deutsche Wirtschafts- und Sozialmodell auch auf andere Staaten Europas übertragen werden?

Sennett: Das deutsche Wirtschafts- und Sozialmodell kann von den anderen Staaten Europas nicht ohne Weiteres nachgeahmt werden, weil seine Kooperationsformen bereits in seinem hochentwickelten Ausbildungssystem angelegt sind. In Italien gibt es z.B. zwar ein gut entwickeltes Ausbildungssystem in sehr kleinen Fachbetrieben, es ist jedoch sehr schlecht in der Bauindustrie und im verarbeitenden Gewerbe entwickelt. Was in Deutschland eine Art Norm ist, d.h. Kooperation und insbesondere die sehr gute Ausbildung von Facharbeitern, ist im übrigen Europa viel weniger ausgeprägt.

Es gibt eine Vielzahl von Problemen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Großbritannien existiert eine Vielzahl von Plänen für Kooperationen zwischen Arbeiterschaft und Kapitalgebern und zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Diese scheinen aber bloße Erfindungen zu sein. Obwohl das Ausbildungsprogramm auf dem Papier riesig aussieht, ist es in Wirklichkeit winzig.

Wir brauchen also in erster Linie nicht mehr Konzepte. Wir brauchen vielmehr Wege, um das zu ermöglichen, was wir mit den Gesetzen nicht erreichen können. Italien hat z.B. theoretisch ein hervorragendes System für die Kooperation zwischen Gewerkschaften und Management. Es wurde aber nie implementiert. Wir haben in Bezug auf den Arbeitsmarkt offensichtlich keine einheitlichen sozialen Standards in Europa. Auf der einen Seite gibt es Deutschland und seine nordeuropäischen Nachbarn, auf der anderen die restlichen Länder, vor allem im Süden.

Rahner: Welche Chancen auf gute Arbeitsbedingungen, eine flexible Arbeitszeitgestaltung und beruflichen Aufstieg kann der Strukturwandel der Arbeit zukünftig für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland und Europa bieten?

Sennett: Ich mache mir keine großen Sorgen über das, was in Deutschland passieren wird. Ich mache mir viel größere Sorgen über das, was in Spanien, Italien, Griechenland und in Großbritannien außerhalb von London passieren wird. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt, aber das deutsche und die nordischen Wirtschafts- und Sozialsysteme haben sehr erfolgreiche und bewährte Methoden, mit denen man Arbeit klug organisieren kann. Dennoch lässt sich das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft nicht als Universalmedizin auf die anderen Länder Europas anwenden, die deutlich stärker von den Krisen getroffen wurden.

Wenn es um Ideen wie ein Grundeinkommen oder Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung geht, ist die unbeantwortete Frage, ob Nationalstaaten wie Spanien und Frankreich überhaupt in der Lage wären, diese zu finanzieren. Nun bin ich kein Wirtschaftswissenschaftler, aber Wirtschaftswissenschaftler, die ein Grundeinkommen befürworten, haben mich darauf hingewiesen, dass gewisse Formen von sozialer Umverteilung höchst komplexe Wirkungen haben können. Das bedeutet, dass die angesprochenen Staaten, Spanien und Frankreich, bei der Einführung von durchaus sinnvollen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten gegebenenfalls auch negative Nebenwirkungen in Kauf nehmen müssten, also beispielsweise die Arbeitslosenversicherung in ihrer derzeitigen Form abschaffen oder aber das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anheben müssen. Solche komplexen Rückwirkungen sind, je nachdem, wie die finanziellen Spielräume und Kontexte in den einzelnen Staaten beschaffen sind, sehr unterschiedlich und daher unbedingt zu berücksichtigen.

Rahner: Wie beeinflusst die Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben die Arbeitsbedingungen der arbeitenden Bevölkerung in OECD-Ländern wie Deutschland, Großbritannien oder Frankreich?

Sennett: Es gibt die Illusion, dass längere...

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