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Argumente am Stammtisch

Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus

AutorKlaus Peter Hufer
VerlagWochenschau Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl141 Seiten
ISBN9783734402791
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,00 EUR
Stammtischparolen: Sie kommen plötzlich und aus der Mitte des Alltags. Wer darauf reagieren will, fühlt sich häufig überrumpelt und überfordert. Was sind Stammtischparolen? Wie wirken sie? Warum gibt es sie überhaupt? Und was kann ihnen entgegen gesetzt werden? Klaus-Peter Hufer zeigt Merkmale, Muster und Handlungsmöglichkeiten bei der Konfrontation mit 'Stammtischparolen' auf und macht Mut, im Alltag couragiert aufzutreten, wenn man mit ihnen konfrontiert wird. Das Buch beruht auf der langjährigen Erfahrung des Autors mit seinem 'Argumentationstraining gegen Stammtischparolen'.

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer ist außerplanmäßiger Professor für Erwachsenenbildung an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen und war bis zu seiner Pensionierung Fachbereichsleiter Geistes- und Sozialwissenschaften der Kreisvolkshochschule Viersen.

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Leseprobe

2. Worum geht es bei den Stammtischparolen?


2.1 Wie Stammtischparolen beschrieben werden


Es sind Stammtischparolen, die als Sprüche und Gesinnungen wie die eingangs skizzierten geäußert werden. Das ist der passende, landauf, landab, im gesamten deutschen Sprachbereich bekannte Begriff.

Wenn ich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen meiner „Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen“ bitte, spontan und assoziativ Stammtischparolen zu charakterisieren, dann kommen in der Regel die folgenden Kennzeichen:

aggressiv, dogmatisch, verkürzt, pauschal, herabsetzend, diskriminierend, voller Vorurteile, selbstgerecht, Halbwahrheiten, Schwarz-Weiß-Malereien, ausgrenzend, kompromisslos, verallgemeinernd, rigoros, diffamierend, generalisierend, herabsetzend, negierend, emotional, menschenverachtend, „Wir-Gefühl“ erzeugend, einfach strukturiert, mit einem Schein-Wissen versehen ...

Stammtischparolen sind demzufolge drastische Behauptungen, die kein Wenn und Aber zulassen. Sie polarisieren in „wir sind gut“ und „die anderen sind schlecht“. Sie richten sich mit harten Urteilen gegen Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe, Lebensart, Religion oder sozialer Situation. Diese werden verächtlich dargestellt und am liebsten würde man ihnen die Rechte wegnehmen, welche die Verkünder und Verkünderinnen solcher Parolen für sich selbst beanspruchen. Wer Stammtischparolen von sich gibt, ist davon überzeugt, eine verbreitete Mehrheitsmeinung bzw. ein „gesundes Volksempfinden“ auszudrücken. Widersprüche werden mit Hohn quittiert – diejenigen, die sie einlegen, werden abgekanzelt.

Der Begriff „Stammtischparole“ ist eindeutig belegt, das zeigen die Erfahrungen aus der Begegnung mit ca. hundert Gruppen in der Bundesrepublik und in Österreich aus allen erdenklichen sozialen Schichten, kulturellen Milieus und Berufen. Unabhängig von der Region, dem beruflichen, sozialen und kulturellen Hintergrund der Gruppen habe ich immer im Spektrum der oben genannten Beschreibungen übereinstimmende Definitionen gefunden.

Aber es soll auch kein Missverständnis aufkommen: Nicht jeder Stammtischbesucher verkündet Stammtischparolen. Auch sind sie keineswegs eine Domäne der Männer. Die eingangs skizzierten Beispiele sollen zeigen, dass die Stammtischparole nicht an den Ort Stammtisch im Wirtshaus oder der Kneipe gebunden ist. Und es soll hier auch die Stammtischparole nicht umgedreht und dadurch eine neue verkündet werden, indem das Klischee des „Stammtisches“, nämlich ein Hort finstersten und reaktionärsten Flach- und Stumpfsinns zu sein, zur allgemein gültigen Realität erklärt wird.1 Es gab (und gibt) sehr bedeutende Stammtische: Waren nicht Platons „Gastmahl“, das letzte Abendmahl oder König Artus´ Tafelrunde auch eine Art Stammtische?2

Die Stammtischparole ist eine Metapher, eine Chiffre, ein Stellvertreterbegriff für eindeutige weltanschauliche, vorzugsweise politische Botschaften, für platte Sprüche und für aggressive Rechthabereien. Stammtischparolen sind plakativ und propagieren einfache – meistens auch harte – Lösungen. Stammtischparolen sind markant und bekannt. Und trotz der Schlichtheit ihres Gehalts ist es nicht einfach, sie spontan zu widerlegen. Die Stammtischparolen drücken auch immer eine Doppeldeutigkeit aus. Sie sind Mutmacher und Wutmacher. Diese Beschreibung einer Seminarteilnehmerin in Dresden bringt den Zwiespalt auf den Punkt, der sich bei der Einschätzung von Stammtischparolen einstellt. Sie werden geäußert, um sich Mut zu machen, aber gleichzeitig enthalten sie viel Wut. Und bei denjenigen, die mit ihnen unfreiwillig und wider Willen konfrontiert werden, lösen sie ebenfalls Wut aus ... und mobilisieren hoffentlich auch den Mut, ihnen etwas entgegen zu setzen.

Dieses Engagement soll mit diesem Buch gefördert werden; Stammtischparolen sind nämlich mit Misstrauen zu beobachten, denn mit ihnen kommt eine Gesinnung zum Ausdruck, die vorurteilsbeladen, emotionalisiert und aggressiv andere Menschen negativ bewertet, ausgrenzt und schmäht. Das ist mit den Ansprüchen einer liberalen Demokratie und einer solidarischen Bürger- bzw. Zivilgesellschaft nicht zu vereinbaren. Mehr noch: Mit den Parolen kommt nicht nur persönlicher Frust der Verkünder heraus, sondern deren Gesinnung kann auch politisch genutzt und hochgeputscht werden. Rechtsextremistische Parteien wie die NPD und DVU leben von diesen Ressentiments.

Tomicek

Stammtischparolen kennt man nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern gibt es vergleichbare und entsprechende Begriffe: In den Niederlanden beispielsweise ist das Wort „Borreipraat“ (Schnapsgerede) geläufig. Und in einigen lateinamerikanischen Ländern weiß man, was unter „Kantinengesprächen“ zu verstehen ist: „Dichos de cantina“ sind Sprüche von Männern in mexikanischen Bars, in die sich beispielsweise kein Homosexueller hineintrauen würde.

2.2 Streit um die Stammtischparolen


Hört man die öffentliche politische Debatte in der Bundesrepublik, dann fällt auf, dass die Meinungen geteilt sind. Die einen haben für die Stammtischparolen Verständnis, weil in ihnen die Meinung „des Volkes“ zum Ausdruck kommt: „Der Zeitgeist weht in unserer bundesdeutschen Demokratie mit unverhohlener Verachtung an Stammtischen vorbei und registriert mit Widerwillen, was dort meist frank und frei gesprochen wird. Und wehe dem Politiker, der wagt, mit halbem Ohr auch nur hinzuhören! Welche Torheit. Unser ganzes Volk sitzt mehr oder weniger an Stammtischen; von der Kneipe bis zum Nobelrestaurant, vom Rentnertreff bis zum Edelstammtisch der Rotarier wird in gemütlichen oder feinen Runden über das geredet, was bewegt. Wer hochmütig abtut, was Bürger mit Freunden in geselliger Runde bei einem Glas Bier oder Wein sich vom Herzen reden, verkennt das Wesen unserer Demokratie.“3 Wer das so sieht, der kann sich immerhin auf Martin Luther berufen. Denn dieser hatte 1530 im „Sendbrief vom Dolmetschen“ ausgeführt, man müsse „dem Volk aufs Maul schauen“.

Die anderen hingegen sehen in den Stammtischparolen eine Gefahr für die demokratische Kultur. Ein Beispiel: „Ich appelliere daran, aus dieser Frage (der Zuwanderung) keine vordergründig Stammtischdebatte werden zu lassen.“4 Möglicherweise steckt hinter einer solchen Warnung die Übereinstimmung mit der Einschätzung Kurt Tucholskys: „Der Stammtisch ist sonst das Blutrünstigste, was es gibt.“5

Bei genauer Hinsicht wird man feststellen, dass sich eine polarisierte Auseinandersetzung um die Bewertung von Stammtischparolen vollzieht. Ein paar Beispiele:

  • „Das eigentliche Problem spielt sich an den Stammtischen ab.“ (Matthias Platzeck als Oberbürgermeister von Potsdam6)
  • „Wer Stammtische diffamiert, diffamiert die Bevölkerung.“ (Edmund Stoiber, bayerischer Ministerpräsident 7)
  • „Wir müssen vor allem schauen, dass an den Stammtischen nicht heimliche Sympathie für die NPD aufkommt.“ (Fritz Kuhn, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen8)
  • „Wir müssen auch auf Familien und Stammtische hören.“ (Rita Süssmuth, CDU-Politikerin9)
  • „Der Stammtisch ist ein größeres Problem als die Brandsatzwerfer.“ (Michael Fürst, Vorsitzender der jüdischen Gemeinden Niedersachsens10)
  • „Straßen und Stammtische dürfen nicht dem braunen Pöbel überlassen werden.“ (Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland11)
  • „Wir müssen nicht alles nachreden, was an den Stammtischen gesprochen wird. Aber wir müssen an den Stammtischen verstanden werden.“ (Laurenz Meyer, ehemaliger Generalsekretär der CDU12)
  • „Die NPD ist auch an den Stammtischen präsent.“ (Udo Voigt, NPD-Vorsitzender13)
  • „Die SPD hat das Problem, dass sie bei den Wahlen Stimmen an rechtsradikale Parteien verloren hat. Sie übt im Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen bisweilen eine Zurückhaltung, die für die Bundesrepublik mittelfristig schädlich sein wird.“ (Renate Künast, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen14)

Diese gegensätzliche Sicht folgt einem Schema: Die einen sehen in den Stammtischparolen eher einen Hinweis auf vorhandene und vertretene Meinungen, die aufmerksam betrachtet und ernst genommen werden sollten. Die Bewertungen auf der anderen Seite fallen dagegen kritisch aus: Ihnen zufolge sind die Parolen problematisch, weil sie nicht mit einer aufgeklärten Demokratie und einer liberalen Kultur zu vereinbaren sind. Und für die von den Parolen Betroffenen stellen sie eine Bedrohung dar.

Diese Polarisierung erklärt auch, warum mitunter sehr heftig reagiert wird, wenn es um die kritische Bewertung von...

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