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E-Book

Atlas der unentdeckten Länder

AutorDennis Gastmann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783644121713
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Piratennester, verbotene Berge und versinkende Inseln - mit Dennis Gastmann auf einer einzigartigen Abenteuerreise Nach Marco Polo, Kolumbus und Vasco da Gama geht der nächste große Entdecker auf Reisen. Dennis Gastmann erkundet die letzten unentdeckten Länder dieser Welt: Akhzivland, Karakalpakstan, R'as al-Chaima - magische Orte, fern, unbekannt oder vergessen. So steuert Gastmann an Bord eines Seelenverkäufers auf Pitcairn zu, einen Felsen in der Südsee, auf dem die Nachfahren der Meuterer von der Bounty leben. Sie bitten ihn, für immer zu bleiben - es fehlt an jungen Leuten. Er wandert durch die tausendjährige Mönchsrepublik auf dem Berg Athos, in der Touristen unerwünscht sind, Frauen ein Skandal - die bärtigen heiligen Männer wollen unter sich bleiben. Gastmann taucht mit einem Rudel Haie in Palau, der weltweit ersten Haischutzzone, und sucht nach Liebe in Transnistrien, einem Mafiastaat, der Besuchern rät: 'Fahren Sie lieber nach Spanien!' Er gerät in Wüstenstürme, strandet tagelang in einem Flughafenterminal und wird zum letzten Kaiser von Ladonien gekrönt ... Dennis Gastmann begibt sich auf eine Reise zu den Ausläufern unserer Zivilisation. Wie sieht es dort aus? Wie lebt man dort? Und was sagt das über den Rest unserer durchorganisierten Erde? Eine aufregende Mischung aus Douglas Adams und Herodot - und ein einzigartiges Reiseabenteuer.

Dennis Gastmann, geboren 1978, war Autor der Satiresendung 'extra 3', bevor er begann, als Auslandsreporter um den Globus zu reisen. 2011 erschien sein vielgelobter Band 'Mit 80.000 Fragen um die Welt', danach wanderte er von Deutschland über die Alpen nach Italien, um seine Sünden zu büßen ('Gang nach Canossa', 2012). Zuletzt erschienen 'Geschlossene Gesellschaft' (2014), eine Exkursion in die Welt der Reichen, und 'Atlas der unentdeckten Länder' (2016), eine Entdeckungsreise zu den letzten unbekannten Orten unserer Erde.

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Leseprobe

Ritt auf dem Wal


Irgendwo in der Südsee

«This is a nasty piece of water», knurrte Nigel, als wir Mangareva verließen und der Wind jäh von Backbord blies, «jetzt reiten wir den Wal.» Der Abend schmeckte nach Diesel, Messer und Gabeln klirrten über das Deck, und die Claymore legte sich so verflucht auf die Seite, dass uns war, als könnten wir durch ihre Luken direkt in den Schlund der Ungetüme blicken, die in den Wogen lauerten. Allein darum bemüht, die Mahlzeit bei uns zu behalten, klammerten wir uns mit Händen und Füßen an den Esstisch. Und Nigel? Er saß da wie ein Buddha, nur mit einem Handtuch bekleidet, wischte sich Reste aus dem Bart und erzählte von dem Berber, der sich auf einer Antarktis-Expedition selbst den Blinddarm entfernte.

Manchmal frage ich mich, zu welcher Spezies der Reeder gehörte. War Nigel wirklich für ein Leben an Land geschaffen? Oder musste man ihn zu den Seewesen zählen, weil Meerwasser in seinen Pupillen schwappte? Die Furchen in seinem Gesicht – Zeichen des Alters oder Spuren der Kämpfe mit Netzen und Harpunen – verrieten viel über einen Mann, der schon jedes Gefühl erlebt hatte, das Mensch und Tier kannten. Bis auf eines.

Niemand außer Nigel wagte die Passage: Das Ziel unserer Reise lag dort, wo Götter und Dämonen ungestört bleiben wollen. Wir steuerten auf eine Insel an den fernen Ausläufern unserer Zivilisation zu, einen Felsen, der so weit von allen Erdteilen liegt, dass es absurd wäre, ihn irgendeinem Kontinent zuzuordnen. Dort, so sagen Schwärmer, ziemlich genau in der Mitte des Pazifischen Ozeans, werden die Träume der Menschheit geboren. Und dort, so sagen Spötter, werden sie auch wieder begraben. Es ist der entlegenste Ort auf dem Globus. Die Mutter aller unentdeckten Länder. Wer noch weiter reisen will, muss in eine Mondrakete steigen.

 

Vor den halbblinden Fenstern der Claymore, die im Seitenwind ächzte und aufjaulte wie eine sterbende Kreatur, wechselten Himmel und Wasser im Takt weniger Sekunden, so sehr wand sich der kleine Frachter in den Wellen. Auf den Horizont zu blicken soll das beste Mittel gegen Seekrankheit sein, doch was, wenn er wie ein Pendel durch das Sichtfeld schwingt?

Unter den Passagieren war keine glückliche Seele mehr. Nur Nigel lächelte ab und an, und verzog sich seine Miene sogar zu einem Lachen, dann funkelte und blitzte es im Schein der Neonröhren. Sein Boot ist für gerade ein Dutzend Gäste ausgelegt, aber hätte er sich je an Regeln gehalten, er hätte sich niemals beide Zahnreihen vergolden lassen können.

Zweiundzwanzig Frauen und Männer hatte er an Bord genommen, fast doppelt so viel, wie ihm erlaubt war, und obwohl wir uns zwängten, quetschten und drängten, verlangte er den vollen Preis – fünftausend Dollar für die Überfahrt auf einem Kahn, der sich leidlich über Wasser hielt. Dafür hätte jeder von uns einen ganzen Monat quer durch die Karibik kreuzen können, Champagnerpyramide und Lavakuchen inklusive. Wir hätten zehn Pfund zugenommen, mit betuchten Witwen, Gentlemen Hosts und anderen Scheintoten «Bingo!» gerufen, wären nach der Polonaise, sieben Planter’s Punch und einer zweifelhaften Cats-Interpretation auf dem Shuffleboard ausgerutscht und zur Krönung der Nacht in unseren geliehenen Smokings arschlings in den frisch gechlorten Kinderpool gestürzt. Es hätten vier wundervolle Wochen werden können.

Stattdessen bekamen wir eine fensterlose Kabine, die wir uns mit Fremden teilten, einen Eimer, den wir uns ebenfalls mit Fremden teilten, und pünktlich zum Morgengrauen weckte uns längst Verflossenes, das in den Waschbecken der Räume aufstieg und sich auf den Teppich ergoss. Das einzige Abendentertainment bescherte der Schiffskoch, wenn er versuchte zu servieren. Sobald die Claymore in ein Tal fiel, hastete er herbei, um einen Teller Suppe abzusetzen, bevor uns die nächste Welle erwischte. Die Kunst bestand darin, See- und Suppengang so zu synchronisieren, dass man a) nichts verschüttete und b) sich nicht den Hals brach. Manchmal allerdings erreichte er unseren Tisch nicht rechtzeitig, und Neptun schleuderte den armen Kerl mit vollen Tellern zurück in die Kombüse.

Das amüsierte besonders die drei mit den Nikons und den auberginefarbenen Fleecejacken, die eigentlich zu viert waren. Andy, der Hagerste von allen, hatte nur einen eiligen Blick auf seine Mahlzeit geworfen, sich danach genauso eilig in seine Koje verzogen und dabei nicht den Anschein erweckt, als würde man ihn heute noch wiedersehen. Die drei lustigen vier sahen aus wie britische Ornithologen.

«Wir sind britische Ornithologen», sagte Sarah, die einzige Lady zwischen Andy, Neil und Paul, und natürlich war das eine Lüge. Jeder von ihnen hätte abgestritten, dass er in Wirklichkeit einer international operierenden Spezialeinheit angehörte. Sarah war die Späherin. Tagsüber, wenn uns Delfine und fliegende Fische begleiteten, verbarg sie sich im Schatten eines Kühlaggregats auf dem Achterdeck und nahm Fregattvögel ins Visier, die hungrig über dem Gischtwasser segelten. Entweder waren diese Geschöpfe lebensmüde oder vom Glück behütet. Obwohl sie mit ihren verkürzten Beinen und den grotesken, übergroßen Schwingen niemals hätten schwimmen können, jagten sie über dem offenen Meer, Hunderte Kilometer fernab jeden Festlands, ohne von der See gefangen und verschluckt zu werden.

Neil saß in der Mannschaftsmesse, las Henry Miller und ließ die Zeit vergehen. Er war auf vielen Schiffen gereist. «Ich besitze nichts, was nicht in einen Rucksack passt», sagte er von sich selbst, und auch eine Familie kann man leider nicht auf dem Rücken tragen. So seien seine letzten vier Freundinnen «Teil seiner Projekte» gewesen, Kolleginnen mit gewissen Vorzügen, mehr nicht. Er gab vor, ein harmloser Inselbiologe zu sein, und wollte als solcher gerade das Ökosystem von Tristan da Cunha studiert haben, der Spitze eines Vulkans im Atlantik, auf der eine Minute Überseegespräch ein Monatsgehalt koste.

Tatsächlich war Neil ein Richter über Leben und Tod. Wenn er eine Insel betrat, folgten ihm Stille und Dunkelheit. Dann dauerte es wenige Tage, bis er darüber entschied, welchem Tier zuerst das Schlaflied gesungen werden sollte. Den Mäusen? Den Ratten? Den Kaninchen? Manchmal beschloss er, alle gleichzeitig liquidieren zu lassen, und es war Zeit für Paul, den Vollstrecker. Wenn die Nager deine Insel überrennen, wenn sie Nester zerwühlen und Eier stehlen, und wenn du dich nicht mehr an das letzte Quaken einer Augenbrauenente oder den Ruf eines Pazifischen Goldregenpfeifers erinnern kannst, then you better call Paul.

Bis dahin dachte ich, Missionare und Kolonialherren hätten die Biester eingeschleppt, weil kein Schiff ohne Ratten ist, auch nicht die Claymore. Doch Paul glaubte nicht an blinde Passagiere. Polynesische Seefahrer hätten sie mitgebracht und freigelassen, als sie die Inseln erkundeten.

«Weißt du, Ratten sind die perfekte Mahlzeit für den Notfall. Du setzt sie einmal aus und hast immer einen Snack.»

«Und wie erledigst du sie?», fragte ich.

«Das ist nicht so leicht. Mäuse sind schwerer totzukriegen als Ratten, weil sie kleiner sind, und Kaninchen sind schwerer zu killen als Mäuse, weil sie sich tiefer eingraben. Mal bringe ich Katzen mit, um die Ratten loszuwerden, und dann bringe ich Hunde mit, um die Katzen loszuwerden.»

«Und wie wirst du die Hunde wieder los?»

«Gar nicht, aber was ist dir lieber: Hund oder Ratte?»

 

Ein Hund reiste auch auf der Claymore. Allerdings kein richtiger, der bellt und beißt und Katzen frisst. Murphy, wie ihn Stella, sein Frauchen, rief, war ein nackter, schlotternder Strich von einem Lebewesen, das den Schwanz einzog und wohl an Morbus Basedow litt – es schien, als könnten seine Augäpfel jeden Moment aus ihren Höhlen ploppen. Sie saßen wie Tischtennisbälle auf dem schmalen Hundeköpfchen, das in seiner liebenswerten Komik an die Simpsons erinnerte.

Stella, die ähnlich aussah, war mit ihm schon dreimal um die Welt gereist, auch wenn Murphy wohl lieber zu Hause geblieben wäre. Der arme Kerl hatte sein halbes Leben in Transportboxen, Frachträumen und Quarantänestationen verbracht, und wenn man ihn endlich in die Freiheit entließ, auf Galapagos oder den Weihnachtsinseln, schnappten Riesenkrabben nach seinen Beinchen, und Drachen erschreckten sein Hasenherz. Stella entführte ihn sogar in ein kantonesisches Toilettenrestaurant, wo sie Geld dafür bezahlte, Nudelsuppe aus einer Kloschlüssel schlürfen zu dürfen, und natürlich hatte sie nicht versäumt, all diese bedeutenden Momente der Zeitgeschichte für die Ewigkeit festzuhalten.

«Ihr müsst wissen, dass mein Murphy kein gewöhnlicher Hund ist», piepste Stella. «Immer wenn mein Insulinspiegel sinkt, wirft er mir einen besorgten Blick zu.»

Ich sah hinunter zu Murphy. Er warf mir einen besorgten Blick zu. Genauer gesagt, warf er allen besorgte Blicke zu, seit wir den Hafen verlassen hatten. Entweder breitete sich mit der See- auch die Zuckerkrankheit an Bord aus, oder der gute Murphy war doch nur ein gewöhnlicher Windhundmischling, der sich berechtigte Sorgen um die Claymore machte, die jetzt in den Wellen rollte und dabei so knarzte, als werde sie noch vor dem Dessert auseinanderbrechen.

Der alte Seelenverkäufer war eindeutig überladen. Er hing bedenklich tief im Wasser und schien sich durchzubiegen unter all der Fracht, die er auf die Insel brachte. Über die Kisten und Fässer, die mit Seilen im Bug verzurrt waren, ragte ein gewaltiger, rostender Arm. Der ehemalige Tonnenleger war dreißig Jahre lang unter dem Namen «Konrad Meisel» gefahren, ausgerechnet über den...

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