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E-Book

Aufopfern ist keine Lösung

Mut zu mehr Gelassenheit für Eltern psychisch erkrankter Kinder und Erwachsener

AutorJanine Berg-Peer
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641166908
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Ein Ratgeber für Angehörige von psychisch Erkrankten
Eltern von psychisch erkrankten Kindern und Erwachsenen sind extrem gefordert, und das meist über Jahre.

Janine Berg-Peer geht konkret auf die vielen Herausforderungen ein, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Das Wissen und die Gelassenheit, die sie nach zwanzig Jahren Erfahrung als selbst betroffene Mutter hat, möchte sie anderen Eltern weitergeben und ihnen helfen, ihre Situation und Lebensqualität zu verbessern.

Ihr Ratgeber zeigt: Trotz der großen Belastung ist es möglich, mit der Krankheit umzugehen, ohne sich dabei völlig aufzureiben. Wenn Eltern eine andere Einstellung zur Krankheit gewinnen und frühzeitig Weichen stellen, um Aufopferung, permanentes In-Sorge-Sein und eigene Erkrankung zu vermeiden, können sie wieder Lebensfreude zurück gewinnen.

Janine Berg-Peer, geb. 1944, ist selbst Mutter einer psychisch erkrankten Tochter. Sie ist aktiv im Verband der Angehörigen psychisch Kranker e.V., Mitglied von Bipolaris - Manie und Depression e.V., und deutsche Repräsentantin bei EUFAMI, dem europäischen Dachverband der Familien mit psychisch kranken Angehörigen. Sie hält zahlreiche Vorträge im In- und Ausland, moderiert Workshops zum Thema und berät Angehörige direkt.

Gemeinsam mit ihrer Tochter bietet Janine Berg-Peer regelmäßig eine kostenlose Online-Gruppe für Angehörige psychisch Erkrankter an.

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Leseprobe

Warum ich das Buch schreibe

»Sie machen ja den Eindruck einer sehr gelassenen Angehörigen«, sagt die junge Journalistin. »Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie Ihre Gelassenheit entwickelt haben?« »Nur sechzehn Jahre«, antworte ich. Wir müssen beide lachen.

Egal, ob fünf oder sechzehn Jahre oder ein ganzes Leben, es braucht viel Zeit, bis wir Eltern gelernt haben, mit der verstörenden Realität einer psychischen Krankheit in unserer Familie umzugehen.

Die Belastungen von Eltern psychisch Erkrankter sind hoch: Oft leiden sie unter finanziellen und zeitlichen Einschränkungen, erleben soziale Isolation, überdurchschnittlich häufig Trennungen von Partnern und eigene physische und psychische Erkrankungen. Sie sorgen sich um die Selbständigkeit ihrer Kinder und darum, wie lange sie sie im Alter betreuen können. Viele Eltern sind nach Jahren an ihrer Belastungsgrenze angelangt. Bei Leistungsträgern aus Politik, Sport und Wirtschaft spricht man von Burnout. Ihnen wird die Reduzierung aller belastenden Faktoren empfohlen. Eltern psychisch Kranker können die belastenden Faktoren nicht vermeiden, sie bleiben ihr Leben lang einer Situation ausgesetzt, die hohe Anforderungen an sie stellt.

Eine psychische Krankheit bricht wie ein Naturereignis in eine Familie ein und richtet dort Zerstörungen an. Plötzlich und unvorbereitet stehen Eltern vor kaum zu bewältigenden Herausforderungen. Wenn ein Kind dauerhaft psychotische Symptome zeigt oder unter intensiven Stimmungsschwankungen leidet, kann das die ganze Familie in eine Krise stürzen. Eltern müssen die Diagnose »psychische Krankheit« erst einmal verkraften. Die wenigsten haben sich vorher mit diesem Thema beschäftigt. Vielleicht haben sie beunruhigende Filme gesehen oder Bücher gelesen, in denen bizarre und bedrohliche Verhaltensweisen psychisch Kranker vorgeführt werden. Das dort Gezeigte ist aber oft so verzerrt und unwirklich, dass niemand sich vorstellen kann, jemals selbst mit derartigen Situationen konfrontiert zu werden. Obwohl die Szenen aus Filmen und Büchern mit dem Alltag unserer erkrankten Kinder oft wenig gemein haben, können diese erschreckenden Bilder nach der Diagnose wieder in unseren Köpfen auftauchen. Sie werden noch verstärkt, wenn wir abfällige Äußerungen hören wie: »Das ist doch schizophren« oder »Die sind völlig durchgedreht« oder »geistesgestört«, die immer dann benutzt werden, wenn ein sinnloses, bösartiges oder gar kriminelles Handeln bezeichnet werden soll.

Mit der psychischen Krankheit des eigenen Kindes beginnt für Eltern ein Leben, das sich vorwiegend auf den Erkrankten konzentriert. Viele von ihnen kümmern sich dann ihr Leben lang aufopferungsvoll um das betroffene Kind. In Gesprächsgruppen und in meinen Interviews zeigt sich, was zu den hohen Belastungen vieler Eltern beiträgt: die verwirrenden und angstauslösenden Symptome der Krankheit, daraus entstehende Konflikte innerhalb der Familie, die Hilflosigkeit gegenüber der Krankheit und die Unsicherheit über die richtige Therapie, der Verlust eigener Lebensentwürfe, Scham über auffällige Verhaltensweisen ebenso wie über die vermutete Abwertung durch die Umwelt.

Nicht nur die Krankheit selbst führt zu den Belastungen vieler Eltern, auch die unzureichende Hilfe durch das psychiatrische System und die fremde, oft als feindselig erlebte Welt der Psychiatrie trägt zu ihren Ängsten, Sorgen und ihrer Hilflosigkeit bei. Selten aber wird diskutiert, dass auch unsere Einstellungen zu der psychischen Krankheit und die daraus resultierenden, nicht immer angemessenen Verhaltensweisen unsere Belastungen verstärken können.

Wie in meinem ersten Buch beschrieben, reagierte auch ich vor neunzehn Jahren mit Verwirrung und Entsetzen auf den Satz »Ihre Tochter hat Schizophrenie!«. Ich hatte das Gefühl, dass sich der Boden unter mir auftut, und ich glaubte, mein Leben und das meiner Tochter sei zu Ende. In diesem Moment hätte ich mir Ärzte gewünscht, die mich über die Krankheit aufgeklärt hätten. Ich hätte mir Informationen über Medikamente, Psychotherapien und das sozialpsychiatrische Hilfsangebot gewünscht. Ich wäre dankbar gewesen für Hinweise, wie ich mich meiner Tochter gegenüber verhalten sollte: Wie oft sollte ich sie besuchen, wie sollte ich reagieren, wenn sie weinte, wenn sie mich anschrie oder wenn sie merkwürdige Dinge erzählte?

Ich hätte mich auch über kleine Zeichen von Mitgefühl und über Hilfe von Familie und Freunden gefreut. Stattdessen fühlte ich mich verunsichert, alleingelassen und im Krankenhaus unerwünscht. Auch über meine Existenz machte ich mir Sorgen: Ich hatte mich gerade selbständig gemacht und liebte meinen Beruf. Aber ich war auch darauf angewiesen, Geld zu verdienen, weil ich allein mit meiner Tochter lebte.

Mir ging es so wie vielen Eltern: Ich stieß auf Desinteresse bis Abwehr bei Ärzten und Pflegepersonal, Entsetzen und Rückzug bis Schuldzuweisung bei Familie, Freunden und dem weiteren Umfeld. Es folgten viele Jahre, in denen ich mir ständig Sorgen machte, oft ungeschickt reagierte, selbst krank wurde und immer wieder neue Krisen erlebte. Ich musste es aushalten, dass Lena immer wieder die Behandlung verweigerte. Ich erlebte sie in ihren Krisen als aggressiv und rücksichtslos, und ich befürchtete, dass sich ihre Persönlichkeit durch die Krankheit zum Schlechteren verändert hatte. Ich spürte, dass Psychiater Eltern, vor allem Mütter, als störend empfanden und sich hinter der Schweigepflicht oder für mich undurchschaubaren Zuständigkeiten verschanzten. Das sozialpsychiatrische Versorgungssystem, von dem ich mir Hilfe erhoffte, erwies sich für mich als ein kaum zu durchdringender Dschungel. Es war ein Schock für mich zu erkennen, dass es Gesetze gibt, die unter Umständen verhindern, dass Lena vor ihrer Krankheit geschützt wird: Niemand kann einen schwer psychisch gestörten Menschen gegen seinen Willen ins Krankenhaus bringen, wenn er nicht das eigene Leben oder das anderer Menschen gefährdet.

Damals hätte ich mir außer mehr Wissen über die Krankheit auch ein Buch gewünscht, das mir erklärt, wie sie sich im Alltag auswirkt und wie ich mich dazu verhalten könnte. Ich fand Fachbücher, in denen die Ursachen psychischer Störungen und deren Symptome geschildert werden. Aber wenn wir lesen, dass es bei Schizophrenie zu einer »Störung der Gedanken, Gefühle und Wahrnehmung« kommt, was heißt das? Wie genau sind die Gedanken gestört, woran erkenne ich, wann sie gestört sind, und wie sollte ich darauf in einer Form reagieren, die meinen Sohn oder meine Tochter nicht belastet, sondern unterstützt? Wie wirken sich die starken Gefühlsschwankungen eines bipolar Erkrankten im Alltag aus, und wie reagiere ich vernünftig und nicht mit ebenfalls schwankenden Gefühlen darauf?

Inzwischen hat sich das Angebot verbessert: Heute gibt es Beratung und Gesprächsgruppen in den Angehörigenverbänden und in Krankenhäusern, Seminare für Psychoedukation, trialogische Psychoseseminare, in denen Betroffene, Angehörige und Fachleute sich untereinander austauschen können, Bücher, in denen erklärt wird, wie wir uns einem Menschen in einer Psychose oder Depression gegenüber verhalten sollen. Diese Bücher und Beratungsangebote sind wichtig und nützlich. Aber nach meinem Eindruck sind die Hinweise in der Literatur und auch in den Seminaren weitgehend patientenzentriert: Es wird beschrieben, wie wir uns gegenüber unseren psychisch erkrankten Kindern verhalten sollen, damit es ihnen guttut. Nirgendwo bekommen wir Hinweise, wie wir diese Ratschläge umsetzen sollen, obwohl wir mit unseren eigenen verwirrten Gedanken und Gefühlen beschäftigt sind. Niemand sagt uns, wie wir uns verhalten können, damit es auch uns guttut.

Manche Hinweise für Angehörige klingen für mich schlicht realitätsfern. Im Magazin Stern vom 28. 1. 2015 lese ich »Tipps für Angehörige«: »Haben Sie Geduld, seien Sie zuversichtlich, nehmen Sie es nicht persönlich, achten Sie auf sich!«

Die amerikanische Angehörigenorganisation NAMI empfiehlt Eltern psychisch Kranker, gut für sich zu sorgen: täglicher Sport, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und Meditation, von Alkohol und Tabletten wird abgeraten. Der Blick auf das Positive im Alltag ebenso wie das Gespräch mit anderen Eltern sollen helfen, während Schuldgefühle nicht hilfreich sind. Das alles sind wunderbare »Tipps«.

Eine Studie aus Kanada zeigt einen anderen Aspekt, nämlich, dass etwa die Aufforderung, sich Hobbys zu suchen, die Belastung eher erhöht. Hingegen sollen eine Veränderung der Lebensziele und neue Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Krankheit vor Belastungen und Depressionen schützen. Das ist für mich ein lohnender Ansatz.

Sicher ist es vernünftig, ausreichend zu schlafen und nicht zu viel Alkohol und Tabletten zu nehmen. Was mir aber fehlt, ist ein »Tipp«, wie Eltern es trotz Angst und Aufregung schaffen können, immer geduldig und zuversichtlich zu bleiben und schwierige Verhaltensweisen nicht persönlich zu nehmen. Es ist nicht einfach, eine liebevolle und stabile »Umwelt« zu sein, wenn wir uns Sorgen machen und wenn kränkende Bemerkungen eben auch kränken. Bei all den Ratschlägen vermisse ich ein wirkliches Eingehen auf unsere Gefühle und unsere Situation. Bei Jaako Seikkula ist nachzulesen, dass Angehörige nun auch als Ressource für den Heilungsprozess bei psychisch Kranken angesehen werden. Das mag fortschrittlich klingen, aber wir sind Eltern, die ohne jede fachliche Ausbildung angemessen mit ihren erkrankten Kindern umgehen sollen und dabei in deren Interesse selbst nicht krank werden dürfen. Wie kann es uns...

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