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E-Book

Aufstand der Matrosen

Tagebuch einer Revolution

AutorDirk Liesemer
Verlagmareverlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783866483477
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Es braut sich etwas zusammen in diesem Herbst 1918. Nach mehr als vier Jahren Krieg haben die Menschen es satt: das Kämpfen, das Hungern, das Sterben. Die alte Ordnung ist längst in Unordnung geraten. Der militärische Zusammenbruch steht unmittelbar bevor. Und doch flüstert man auf den großen Kriegsschiffen vor der deutschen Küste von einem letzten großen Plan, die deutsche Flotte in eine alles entscheidende Schlacht mit England zu schicken. Aber unter den Matrosen, die nun fürchten müssen, in einem sinnlosen Kampf verheizt zu werden, regt sich Widerstand. Dirk Liesemer führt dem Leser auf eindringliche Weise vor Augen, wie sich gehorsame Soldaten in 'Sturmvögel der Revolution' verwandelten, wie aus einem Matrosenaufstand eine landesweite Revolution wurde, die Deutschland für immer veränderte.

Dirk Liesemer, geboren 1977, studierte Politik und Philosophie in Münster und Rennes, Frankreich. Er besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und arbeitete als Redakteur in Berlin und München. Heute ist er als freiberuflicher Journalist für diverse Magazine tätig, auch für die Zeitschrift 'mare'.

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Leseprobe

Krieg – Revolution – Demokratie: Schicksalstage 1918


Ein Vorwort von Norbert Lammert


»Und dann sah ich deutsche Kraft verwesen, Dünger werden einer bessren Zeit.«

Joachim Ringelnatz, Leutnant zur See, hinterlassen mit Kohle an der Zimmerwand der Küstenbatterie Seeheim, 21. November 1918

Der Befehl, den die Admiralität am 24. Oktober 1918 erließ, war unmissverständlich: »Die Hochseeflotte erhält die Weisung, baldigst zum Angriff auf die englische Flotte vorzugehen. Dazu können alle verfügbaren Streitkräfte der Kaiserlichen Marine herangezogen werden.« Was mag den vom entsetzlich langen Krieg gezeichneten Matrosen durch den Kopf gegangen sein oder den der Schulbank gerade erst entwachsenen Rekruten, als sie Wind bekamen von dieser Order, die für jeden ersichtlich einem militärisch sinnlosen Himmelfahrtskommando gleichkam? Womöglich wanderten ihre Gedanken nach Hause, zu ihren Familien, sicher aber kreisten sie bei vielen um die Frage, ob es das wirklich noch wert war. Wie ließ sich der absehbare kollektive Untergang der Kaiserlichen Flotte mit der beschworenen soldatischen Ehre der Marine rechtfertigen? Wer wollte noch sein Leben für diesen Kaiser opfern, der Generationen seiner Untertanen in vier Kriegsjahren gnadenlos ›verheizt‹ hatte und, als er sich kurz darauf ins Exil zu gehen genötigt sah, das deutsche Volk als »Schweinebande« denunzierte? Und welchen Wert sollte es für ein erschöpftes, materiell ausgelaugtes, längst kriegsmüdes Land haben, den Kampf fortzusetzen – zumal aus dem fernen Berlin zu hören war, dass die Reichsleitung längst den ersehnten Frieden mit den Kriegsgegnern anstrebte? Die militärische Niederlage, von der Obersten Heeresleitung ebenso lange nicht eingestanden und vertuscht wie von einer von nationalistischer Hybris verblendeten Öffentlichkeit verdrängt, war unabwendbar, Vorverhandlungen zum Waffenstillstand deshalb bereits eingeleitet.

Es sind schicksalshafte Tage Ende Oktober und Anfang November 1918, nicht nur für Deutschland, sondern – wegen der zentralen Lage des Kaiserreichs, geografisch wie machtpolitisch – auch für Europa und die Welt. Was wir heute wissen, ahnten die Menschen bereits damals, fühlten sie geradezu körperlich: »Ich spüre bis ins Mark das Schauerlich-Historische«, notierte etwa Stefan Zweig Mitte Oktober in sein Tagebuch. »Jetzt sind wieder Sekunden von der grässlichen Spannung von 1914, nur dass in den Nerven nichts mehr zuckt; man ist lahm, ausgehofft, ausgeängstet. Man kann nicht mehr. … An ein Ende zu denken, wagt man gar nicht mehr, denn der Frieden ist ja nur ein neuer Unruheanfang.«

Die dramatischen Ereignisse, die in den Folgetagen als Reaktion auf den irrwitzigen Befehl der Marineführung von der Küste aus ihren Lauf nahmen und die in diesem Buch mit Zeugnissen zahlreicher Zeitgenossen aufregend verdichtet noch einmal aufleben, bestätigen Zweigs Zukunftsängste. Als Erstes widersetzten sich Matrosen auf Schiffen vor Wilhelmshaven, kurz darauf folgten Kameraden in Kiel und bald auch an anderen Marinestützpunkten des Reichs. Der Gehorsamsverweigerung der Soldaten schlossen sich Arbeiter an, die der Kriegsmaschinerie nicht weiter dienen wollten, zunächst in den Werften, dann sich rasch über das Reich ausbreitend – bis in die Hauptstadt. Der Aufstand an der Waterkant wurde zur Revolution im ganzen Land.

Orts- und Szenenwechsel: das politische Berlin, Reichstag und Wilhelmstraße im Oktober 1918. Während sich an der Küste der revolutionäre Sturm zusammenbraute, wehte auch hier der Wind längst aus einer anderen Richtung, vollzog sich eine für die deutsche Demokratie- und Parlamentsgeschichte folgenschwere Veränderung: Die Berufung des Prinzen Max von Baden am 3. Oktober an die Spitze einer parlamentarischen Regierung, der erstmals auch Abgeordnete der parlamentarischen Mehrheitsparteien, insbesondere Sozialdemokraten, angehörten, hatte bereits faktisch die Verfassung des Reichs vom Kopf auf die Füße gestellt – die Folge eines im Kriegsverlauf gewachsenen parlamentarischen Selbstbewusstseins, vor allem aber des Kalküls skrupelloser Militärs, die auf diese Weise die Verantwortung für die Niederlage und den Friedensschluss auf die politischen Instanzen abzuschieben trachteten. Mit den sogenannten Oktoberreformen, die die Reichstagsmehrheit am 25. und 26. Oktober verabschiedete und die einen Tag vor Beginn des Matrosenaufstands verkündet wurden, leitete die neue politische Führung auch die verfassungsrechtliche Parlamentarisierung des Kaiserreichs ein. Die obrigkeitsstaatliche Bürokratenregierung der Monarchie war Geschichte, der Reichskanzler fortan auf das Vertrauen der Reichstagsmehrheit angewiesen. Allerdings: Als sich Deutschland zur parlamentarischen Monarchie reformierte, war deren Verfallsdatum bereits erreicht. Mit der aus den Matrosenaufständen hervorgehenden Revolution rollten Anfang November – Friedrich Engels hatte es schon 1887 vorausgesagt – die Kronen in ganz Deutschland auf die Straßen, nicht nur die des Kaisers.

Dieses Buch taucht ein in die merkwürdigen Anfänge einer deutschen Revolution. »Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte«, soll Lenin angeblich gesagt haben. Selbst wenn sich dieser Ausspruch nicht verlässlich verifizieren lässt, so spiegelt sich darin eindrücklich die zeitgenössische Haltung in einem Land, in dem der Glaube an Temperament und Fähigkeit der Deutschen zur Revolution von jeher begrenzt war. Im Tagebuch des Dichters Friedrich Hebbel findet sich bereits 1836, zwölf Jahre vor den Barrikadenkämpfen in Berlin und Wien, der Satz: »Selbst im Fall einer Revolution würden die Deutschen sich nur Steuerfreiheit, nie Gedankenfreiheit zu erkämpfen suchen.« Nicht erst seit der Erfahrung des Scheiterns der Revolution von 1848/49 fand im Land der Reformation und der aufgeklärten Fürsten, in dem seit dem Dreißigjährigen Krieg das Trauma vom zügellosen Chaos in vielfältiger Weise nachwirkte, der gewaltsame Umbruch wenige Anhänger. Bezeichnend für die auch 1918 allgegenwärtige Sorge vor der Revolution als nicht allein politische, sondern zügellose Umwälzung der Gesellschaft ist die Warnung Friedrich Eberts an Max von Baden vom 7. November. Den blutigen Verlauf der Oktoberrevolution in Russland vor Augen, warnte der Sozialdemokrat eindringlich, die soziale Revolution sei, wenn der Kaiser nicht abdanke, auch in Deutschland unvermeidlich. Und er fügte hinzu: »Ich aber will sie nicht, ja, ich hasse sie wie die Sünde.«

In der Revolutionsskepsis kommt zum Tragen, was die Wissenschaft die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nennt, also sich parallel vollziehende Prozesse, die in unterschiedlichen Phasen der Geschichte wurzelten. Schon das Kaiserreich war ein Staat von erstaunlichen Widersprüchen gewesen. Dem monarchischen Prinzip verpflichtet, verfügte es auf Reichsebene über ein im europäischen Vergleich modernes allgemeines und gleiches Wahlrecht, allerdings nur für Männer. In Preußen blieb es mit dem Dreiklassenwahlrecht hingegen hartnäckig rückständig. Geistig und politisch dem 19. Jahrhundert verhaftet, war das Kaiserreich technisch, industriell, ökonomisch und sozial schon viel weiter – eine der konfliktreichen Ungleichzeitigkeiten, die von der Jahrhundertwende in die Revolutionsepoche am Ende des Krieges reichte und die für den Verlauf der Revolution entscheidend wurde. Denn weshalb sollte ein Volk, das seit Jahrzehnten in allgemeinen Wahlen seine Vertretung frei wählen durfte, der Diktatur des Proletariats das Wort reden? Als 1918 in Deutschland die Revolution der Arbeiter und Soldaten ausbrach, dominierte denn auch nicht der bolschewistisch befeuerte weltrevolutionäre Gedanke. Vielmehr setzte sich – begleitet freilich von gewaltsamen, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen und erst mit Auflösung zeitweiliger Soldaten- und Arbeiterräte im Reich – die parlamentarische Demokratie durch. Damit schien sich endlich der liberale Traum von Freiheit und nationaler Einheit des 19. Jahrhunderts zu vollenden – wesentlich getragen und mit den Oktoberreformen vorgezeichnet ausgerechnet von der Partei der Arbeiterbewegung, den Sozialdemokraten.

Unser Bild von der »Novemberrevolution« ist nachhaltig geprägt vom Scheitern der Republik, die aus ihr hervorging. Hatte denn die Revolution 1918/19 wirklich Schluss gemacht mit den alten Gewalten? Prominente Zeitgenossen Eberts, ob Walther Rathenau, Ernst Troeltsch oder Max Weber, waren sich in der Bewertung der Novemberereignisse einig: Sie bezeichneten sie als Revolution. Theodor Wolff, der einflussreiche Chefredakteur des Berliner Tageblatts, erkor sie gar zur »größten aller Revolutionen«, »weil niemals eine so fest gebaute, mit so soliden Mauern umgebene Bastille in einem Anlauf genommen worden« sei. Differenzierter fällt hingegen das Urteil der Wissenschaft aus, die gegenüber dem vollzogenen politischen Systemwechsel von der Monarchie zur Republik die fehlende, von Ebert so gefürchtete...

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