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E-Book

Augustinus

AutorUwe Neumann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644403697
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Augustinus (354-430), der gelernte Rhetor aus dem nordafrikanischen Tagaste, ist eine der interessantesten Gestalten der Spätantike. Auch nach seinem Übertritt zum Christentum löst sich seine Verankerung in der «heidnischen» Geisteswelt nicht, sie durchsetzt noch sein Schlüsselwerk, die «Bekenntnisse». Trotzdem bereitet er das «christliche Mittelalter' vor: «Über den Gottesstaat» schlägt von der christlichen Geschichtstheorie bis zu Fragen der Organisation der Kirche und ihres Verhältnisses zum Staat eine Fülle historisch bedeutsamer Themen an. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Dr. Uwe Neumann, 1964 geboren, hat Klassische Philologie und Germanistik in Freiburg i. Br. und in Kiel studiert. Er wurde mit einer Arbeit zur griechischen Tragödie («Gegenwart und mythische Vergangenheit bei Euripides») 1994 promoviert. Von 1993 bis 1997 war er Assistent am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen. Seit 1998 unterrichtet er an einem Stuttgarter Gymnasium und ist außerdem seit einigen Jahren in der Lehrerausbildung für Alte Sprachen tätig. Für die Reihe 'rowohlts monographien' schrieb er die Bände über Augustinus (rm 50617, 1998) und Platon (rm 50533, 2001).

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Leseprobe

Die «Bekehrung»


Auch wenn sich das Denken Augustins in dieser Zeit schnell entwickelt, so hat er sich für sein Leben noch nicht endgültig entschieden. Immer noch ist er hin- und hergerissen zwischen Ehre, beruflichem Erfolg und einer prestigeträchtigen Eheschließung auf der einen Seite, einer Entscheidung für Gott und den daraus folgenden Konsequenzen für seine Lebensführung auf der anderen. Wenn er eine reiche Frau geheiratet hätte, wäre es ihm sogar möglich gewesen, ein hohes Präsidialamt zu erreichen, schreibt Augustinus. Auch seine Mutter drängt ihn jetzt zur Eheschließung, jedoch nicht mit der Frau, mit der er schon lange Zeit zusammenlebt und mit der er immerhin einen Sohn hat. Über die Kälte, mit der Monnica die dafür notwendige Trennung ihres Sohnes von dieser Frau betreibt, möglicherweise sogar unverhohlen fordert, über das Motiv (Ehrgeiz, Prestige), das für die Mutter ausschlaggebend ist, vor allem über die passive Duldsamkeit Augustins, der alles mit sich geschehen lässt, als ginge ihn das nichts an, kann man mit Recht erstaunt sein. Endlich findet sich jedoch ein Mädchen, das allerdings erst in zwei Jahren heiratsfähig ist, erzählt Augustinus. Inzwischen häuften sich meine Sünden, und als man die Gefährtin, mit der ich sonst mein Lager teilte, als Ehehindernis gewaltsam von mir trennte, zerriß es mir das Herz, das an ihr hing, und es blutete mir ob der tiefen Wunde. Sie war nach Afrika zurückgekehrt und legte vor dir das Gelübde ab, sie wolle von keinem anderen Mann mehr etwas wissen; den natürlichen Sohn, den ich von ihr besaß, hatte sie bei mir zurückgelassen. Aber ich Unglückseliger, der ich nicht einmal eine Frau nachahmen konnte, empfand den Aufschub, dem gemäß ich erst nach Ablauf von zwei Jahren die Braut heimführen sollte, als unerträglich, denn ich war nicht so sehr ein Freund der Ehe als vielmehr ein Sklave meiner Lust; ich verschaffte mir daher eine andere, natürlich nicht als Gattin, um dadurch den krankhaften Zustand meiner Seele unvermindert oder gar noch gesteigert gleichsam anhalten zu lassen vermittels der Stütze ununterbrochen fortdauernder Gewohnheit und ihn so ins eheliche Reich hinüberzuretten.

Aus dem Bericht der Bekenntnisse wird deutlich, dass die innere Unruhe Augustins immer weiter wuchs und zu einem unerträglichen, auf eine Entscheidung drängenden Zustand führte. In seiner Not wendet sich Augustinus an Simplician, den späteren Nachfolger des Ambrosius. Ein Gespräch mit Ponticinus, in dem dieser von der Konversion eines kaiserlichen Beamten erzählt, wühlt ihn zudem auf. Er macht sich selbst Vorwürfe, dass er nicht in der Lage sei, sein Schwanken zu beenden: Denn viele Jahre meines Lebens waren nun schon zerronnen, zwölf Jahre etwa, seit Ciceros Hortensius in meinem neunzehnten Lebensjahr die Weisheitsliebe in mir entfacht hatte, aber ich verschob es immer, das irdische Glück zu verachten und mich ganz freizumachen für die Suche nach der Weisheit, bei der doch schon das bloße Suchen und nicht erst das Finden mehr wert ist als alle Schätze und Königreiche dieser Welt und als die Befriedigung üppiger Lüste des Körpers, selbst wenn sie auf einen Wink hin sich einstellten. Und ich, elend schon als junger Mann und besonders elend in meinen ersten Jahren als junger Mann, ich hatte dich wohl schon um Keuschheit gebeten und dabei gesagt: «Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber bitte nicht sofort!» Ich fürchtete, du könntest mich schnell erhören und mich schnell befreien von der Krankheit der Begierde, die ich lieber auskosten als auslöschen wollte.

Schließlich kommt es zur Bekehrung, die Augustinus in einem ebenso spannenden wie kunstreichen Bericht erzählt: Dann, in dem großen Aufruhr meines inneren Menschen, den ich mit meiner Seele so heftig entfacht hatte in der Kammer meines Herzens, stürzte ich, verstört im Gesicht und im Geist, zu Alypius und rufe ihm zu: «Wie halten wir das aus? Was bedeutet das? Hast du es gehört? Ungelehrte stehen auf und reißen das Himmelreich an sich, und wir mit unserer herzlosen Wissenschaft, sieh, wir wälzen uns in Fleisch und Blut. Schämen wir uns, ihnen zu folgen, weil sie die ersten waren, oder müssen wir uns nicht eher schämen, daß wir ihnen nicht einmal folgen?» So ungefähr sprach ich zu ihm, dann riß mich meine Erregung von ihm los, denn er stand wie vom Blitz getroffen schweigend da und starrte mich an. Das waren ja auch ungewohnte Töne. Und mehr als die Worte, die ich hervorstieß, drückten Stirn und Wangen, Augen, Gesichtsfarbe und Stimmlage meinen geistigen Zustand aus. Zu unserem Haus gehörte ein kleiner Garten, den wir benutzen durften wie das ganze Haus, denn unser Gastgeber, der Hausherr, wohnte selbst nicht da. Dorthin trieb mich der Kampf in meiner Brust; niemand sollte dazwischentreten. […] Ich wußte, wie krank ich war, aber ich ahnte nicht das Gute, das bald auf mich zukommen sollte. […] Als dann aber ein tieferes Nachdenken mein ganzes Elend aus dem verborgenen Grund meines Herzens hervorzog und vor meinem inneren Auge ausbreitete, da brach ein ungeheurer Sturm in mir los, mit einem Wolkenbruch von Tränen. Um ihn ganz aus mir herauszulassen – mit den Stimmen, die dazugehörten –, sprang ich auf, weg von Alypius. Ich brauchte die Einsamkeit für das Werk der Tränen. Ich zog mich ziemlich weit zurück, so daß mich nicht einmal die Gegenwart des Alypius stören konnte. So stand es um mich, und er ahnte es. Ich glaube auch, ich hatte irgend etwas zu ihm gesagt, schon mit tränenschwerer Stimme, und war dann aufgestanden. Er blieb zurück, wo wir gesessen hatten, tief erschüttert. Ich warf mich unter einem Feigenbaum zur Erde, ich weiß nicht, wie. Ich unterdrückte nicht länger meine Tränen. Ströme brachen hervor aus meinen Augen: ein Opfer, das du gern annimmst. Und dann redete ich lange mit dir, nicht genau mit diesen Worten, wohl aber in diesem Sinn: «Und du, Herr, wie lange noch? Wann, Herr, wird dein Zorn ein Ende haben? Vergiß jetzt unsere alten Sünden!» Denn ich spürte: Nur sie hielten mich auf. Bemitleidenswerte Worte stieß ich aus: «Wie lange noch, wie lange noch, dieses ‹Morgen, ja morgen›? Warum nicht sofort? Warum soll meine Schande nicht in dieser Stunde enden?» Dies sagte ich und weinte, bittere Zerknirschung im Herzen. Und da, plötzlich, höre ich die Stimme aus dem Nachbarhaus, wie die eines Kindes, ich weiß nicht, ob eines Jungen oder eines Mädchens, die im Singsang ausruft und oft wiederholt: «Nimm und lies, nimm und lies!» Sofort änderte sich mein Gesicht, und ich überlegte gespannt, ob es etwa ein Kinderspiel gebe, bei dem sie einen solchen Vers trällern; aber ich konnte mich nicht erinnern, das irgendwo gehört zu haben. Ich hemmte den Lauf der Tränen und stand auf, denn ich konnte das nur so deuten, Gott befehle mir, ein Buch aufzuschlagen und die Stelle zu lesen, auf die als erste mein Blick fallen werde. Denn von Antonius hatte ich gehört, daß er einmal zufällig dazukam, als das Evangelium verlesen wurde. Der Text habe ihn aufgerüttelt, als sei, was verlesen wurde, für ihn gesagt: Geh, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen! So wirst du einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach! Dieser Spruch habe ihn sofort zu dir bekehrt. Deswegen eilte ich erregt zu dem Platz zurück, wo Alypius saß, denn dort hatte ich das Buch mit den Paulusbriefen hingelegt, als ich aufstand. Ich riß es an mich, schlug es auf und las still für mich den Abschnitt, auf den zuerst mein Auge fiel: Nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und im Bett, nicht in Streit und Neid, sondern zieht den Herrn Jesus Christus an und sorgt euch nicht um das Fleisch und seine Begierden. Weiter wollte ich nicht lesen; es war nicht nötig. Denn sofort, als ich den Satz zu Ende gelesen hatte, strömte das Licht der Gewißheit in mein Herz; jegliche Finsternis des Zweifels war verschwunden.

Dann schloß ich das Buch, nachdem ich den Finger oder sonst ein Zeichen an die Stelle gelegt hatte. Mit einem Gesicht, in das Ruhe zurückgekehrt war, erklärte ich mich dem Alypius. Und er erklärte mir, was jetzt in ihm vorging und was ich nicht wußte: Er wollte die Stelle sehen, die ich gelesen hatte. Ich zeigte sie ihm, und er las aufmerksam, sogar über die Stelle hinaus, die ich gelesen hatte. Ich wußte nicht, was danach kam. Es stand da aber: Des Schwachen im Glauben aber nehmt euch an. Diese Stelle bezog er auf sich, und er sagte mir das. Diese Mahnung stärkte ihn nur in seinem heiligen Vorsatz, der voll übereinstimmte mit seiner Lebensführung, die schon lange soviel besser war als meine; er schloß sich mir an, ohne Zaudern und ohne innere Wirren. Von da gehen wir hinein zur Mutter. Wir sagen es ihr; sie freut sich. Wir erzählen ihr, wie alles gekommen ist; sie jubelt und triumphiert. Sie pries dich, daß du mächtig bist, mehr zu tun, als wir erbitten und erkennen können. Denn sie sah, daß du ihr für mich mehr gewährt hast, als was sie weinend und jammernd zu erbitten pflegte. Denn du hast mich so zu dir bekehrt, daß ich weder eine Gattin suchte noch irgendeine Hoffnung dieser Welt. Jetzt stand ich auf jener Regel des Glaubens, auf der du mich ihr vor Jahren im Traum gezeigt hattest. Du hattest ihre Trauer in Freude verwandelt, viel überschwenglicher, als sie es gewünscht hatte, eine Freude, viel wertvoller und keuscher als die, die sie erwartet hatte von Enkeln aus meinem Fleisch. Augustinus berichtet anschließend, dass er nach seiner Bekehrung das Lehramt für Rhetorik aufgegeben habe, er erwähnt hierbei auch ausdrücklich gesundheitliche Probleme, die ihn ohnehin zu einer zumindest zeitweisen Unterbrechung...

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