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E-Book

Augustinus

Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen

AutorRobin Lane Fox
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl746 Seiten
ISBN9783608109771
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Mit großer Sprachkunst erzählt und deutet Robin Lane Fox die entscheidenden Lebensphasen des heiligen Augustinus. Einfühlsam porträtiert er den Menschen und genialen Denker, der Meisterwerke der Weltliteratur schuf. Zugleich lässt er die faszinierende geistige Welt der Spätantike lebendig werden. Augustinus von Hippo (354-430 n. Chr.), Redner, Philosoph und Kirchenlehrer, ist bis heute eine geistige Macht geblieben. Die Bürde des Schicksals und die Erfahrung der Freiheit, die Endlichkeit des Menschen und die Unendlichkeit Gottes - zwischen diesen Polen bewegt sich sein Leben. Robin Lane Fox zeigt ihn als einen Mann des späten römischen Reiches, dessen Denken von Anfang an von den intellektuellen Debatten seiner Zeit tief geprägt war und der sich ständig neu erfand. Mit großem Einfühlungsvermögen und Scharfsinn erzählt er die packende Geschichte Augustinus' vielfältiger Wandlungen. Anhand der »Bekenntnisse«, eines der größten autobiographischen Meisterwerke aller Zeiten, schildert der Historiker Leben, Charakter und Temperament einer ebenso leidenschaftlichen wie komplexen Persönlichkeit.

Robin Lane Fox, geboren 1946, ging in Eton zur Schule und studierte Alte Geschichte und Altertumswissenschaften an der niversität Oxford, wo er bis 2014 am New College lehrte. Für seine Biographie über Alexander den Großen ist er mit dem angesehenen Duff-Cooper-Preis ausgezeichnet worden. Für 'Augustinus' wurde er 2016 mit dem Wolfson History Prize geehrt.

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Leseprobe

1

Bekenntnis und Bekehrung


I


Gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. arbeitete ein Mann Anfang vierzig an einem innigen Gebet zu Gott. In einsamen Stunden entstand ein langer lateinischer Text, in dessen erster Hälfte er sich an das erinnerte, »was ich einst war«, an die Sünden und Irrtümer seiner frühen Jahre. Er berichtete von seinen Diebstählen als Junge, von seiner bemerkenswerten Mutter, seiner Konkubine, seiner Mitgliedschaft in einer geächteten religiösen Gruppe, seiner Sexbesessenheit, seinen weltlichen Ambitionen. Dann ging er daran, zu erklären, »was ich [jetzt] bin«, doch die autobiographischen Details verschwanden. Ausführlich dachte er über das Wesen der Erinnerung nach und über die Sünden, die ihn noch immer in Versuchung führten, sei es die Freude daran, Lobpreisungen der eigenen Person zu hören, sei es sein müßiges Vergnügen, eine Spinne zu beobachten, die gerade eine Fliege fängt. Danach begann er mit einer vielschichtigen Betrachtung der ersten beiden Kapitel der Genesis, einer Meditation über die Schöpfungsgeschichte. Er fand verborgene Bedeutungsebenen unter der Oberfläche vieler ihrer Verse. Er dachte über die Ewigkeit nach und erörterte unsere Wahrnehmung der Zeit so brillant, dass sein Text die Philosophen auch heute noch beeindruckt. Nach dreizehn Büchern, von denen nur neun behandeln, »was ich einst war«, endete er mit einem Lobpreis auf die Güte Gottes und der Hoffnung auf eine spätere Ruhe im Himmel für alle Menschen.

Dieses Werk, die Confessiones, ist ganz anders als jedes frühere oder spätere. Es ist ein christliches Meisterwerk, doch sein Zauber wirkte und wirkt weit über die christliche Kirche hinaus. Sein Autor Augustinus verfasste es als neuernannter Bischof in der nordafrikanischen Stadt Hippo Regius. Er war im November 354 als Kind eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter im Osten des heutigen Algerien, der damaligen Provinz Africa proconsularis, unter römischer Herrschaft zur Welt gekommen. Wie seine Familie war auch die Welt, in die er geboren wurde, nicht überwiegend christlich, auch etwa vierzig Jahre nach der unerwarteten Anerkennung der christlichen Minderheit durch Kaiser Konstantin nicht. Augustinus wurde am Ostertag des Jahres 387 in seinem dreiunddreißigsten Lebensjahr getauft und teilte von da an die Hoffnungen der Christen auf den Anbruch einer neuen, christlichen Zeit, die man in den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts sehnsüchtig erwartete. Als er im Jahr 397 an den Confessiones zu arbeiten begann, fielen gerade umherziehende Hunnen in Griechenland ein, doch dieses Ereignis lag weit außerhalb der Thematik seines Buches. Dreizehn Jahre später musste er dann dem zuvor Unvorstellbaren einen Sinn geben: der Plünderung Roms – jener Stadt, die Vergil, der geliebte Dichter seiner Jugend, als »ewig« bezeichnet hatte – durch barbarische Eindringlinge im Jahr 410. Und nach noch einmal zwanzig Jahren als Bischof sah Augustinus sich mit einer weiteren Krise konfrontiert: Die Vandalen hatten die Straße von Gibraltar überquert und belagerten jetzt Hippo, die Stadt seiner christlichen Gemeinde. Er starb dort im August 430 in einer kritischen Phase dessen, was noch heute als der Niedergang des Römischen Reiches im Westen gilt. Eine solche Entwicklung hätte er sich in seinen jungen Jahren nie träumen lassen.

Diese weltlichen Wechselfälle unterbrachen seinen beeindruckenden Schreibfluss nie. Er verfasste Abhandlungen zum richtigen christlichen Verhalten wie auch philosophische Dialoge und abstrakte theologische wie polemische Werke. Erhalten geblieben sind fast 600 seiner Predigten, von denen einige in der Kirche wohl mindestens zwei Stunden gedauert haben dürften, und doch ist das nur etwa ein Vierzehntel der rund 8000 Predigten, die er insgesamt hielt. Wir besitzen fast 300 seiner Briefe, doch auch sie sind nur ein Bruchteil seiner Korrespondenz. Erstaunlicherweise werden auch heute noch immer wieder Predigten und Briefe von ihm in späteren christlichen Abschriften seiner und anderer zeitgenössischer Werke gefunden: Vier solche Predigten tauchten zuletzt im Jahr 2007 auf.1 Seit den ersten hellenistischen Philosophen hatte niemand so viele Bücher geschrieben, weit mehr »Regalmeter« als die Professoren, die sich jetzt mit ihnen beschäftigen. Sie machen die letzten vierundvierzig Jahre des Augustinus zu dem am besten ausgeleuchteten Leben in der antiken Welt.

Und doch heben die Confessiones unser Wissen über ihn noch einmal auf eine neue Ebene, nicht zuletzt, indem sie auch seine frühen Jahre Revue passieren lassen, aus denen nichts von ihm oder über ihn Geschriebenes erhalten geblieben ist. Sie bieten autobiographische Einzelheiten, aber sie sind keine Autobiographie, obwohl Bücher über »das Selbst« oder über »biographisches Schreiben« sie immer noch gern so einordnen. Sie sind von Anfang bis Ende ein Gebet, das Augustinus an Gott richtet, das seine Leser jedoch mithören sollen.

Dieses ungewöhnlich lange Gebet verrät die Umstände seiner Entstehung nicht: Wurde es aufgeschrieben oder vielleicht diktiert? Gut zehn Jahre zuvor hatte Augustinus die Soliloquia (»Selbstgespräche«) verfasst, eine ganz neue Form von Dialog zwischen ihm und seiner eigenen Vernunft.2 Darin befahl ihm die Vernunft, seine Gedanken selbst niederzuschreiben und nicht zu diktieren, da derart vertrauliche Dinge »Alleinsein« erforderten. In den Confessiones geht es meist um noch intimere Angelegenheiten: Gehorchte Augustinus der Vernunft auch hier und schrieb sein Gebet selbst? Beherrschte er womöglich wie viele seiner Zeit eine Kurzschrift? In einem anderen Werk beschrieb Augustinus dies als nützliche Fähigkeit, solange sie die Gedanken des Schreibenden nicht von Gott ablenke. Vielleicht hatte er die Technik für seinen früheren Beruf als öffentlicher Redner gelernt. Er spricht auch von seiner »Feder«. Bei seiner Analyse, »was ich bin«, erzählt er Gott, wie dringlich er »die Wahrheit tun« will, »in meinem Herzen mit meinem Bekenntnis vor dir und mit meiner Feder, vor vielen Zeugen«. Er bekennt nicht, so sagt er, »mit sinnlichen Worten und Lauten, sondern mit den Worten der Seele und dem Aufschrei des Denkens«. Sein »Bekennen schweigt, was sinnlichen Klang angeht; aber es schreit laut aus innerer Erregung«.3 Schrieb er eine Kurzschriftfassung, ohne laut zu beten, und übergab sie dann einem Sekretär, dessen Abschrift er prüfen und überarbeiten konnte?

Diese Hinweise sind nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Augustinus spricht von dem, was »wir geschrieben haben«, doch in der Antike konnte auch das Diktat unter das »Schreiben« fallen. Er beschreibt sich selbst als Betenden »mit Mund und Griffel«, doch der »Griffel« kann eine Metapher sein: Die Aussage bezieht sich auf Psalm 45, dessen Verfasser seine Zunge den »Griffel des flinken Schreibers« nennt.4 Wenn Augustinus’ Gebet »schweigt, was den sinnlichen Klang angeht«, und in den »Worten der Seele« verfasst ist, so bezieht er sich damit vielleicht nur auf dessen stille Vorbereitung. Diese beiden Stufen beschreibt er selbst in seinen Predigten. »Ich habe gründlich über das nachgedacht, was ich sagen werde«, erklärt er seiner Gemeinde, »ich würde nicht reden, ohne es vorher im Kopf zurechtgelegt zu haben«. Die »Worte der Seele« in den Confessiones spielen womöglich auf diese erste, innere Stufe an, die treffend als der »stille Probelauf« beschrieben worden ist.5 Wie andere Autoren der Antike formulierte auch Augustinus seine Worte für sich und diktierte das Ergebnis dann einem Schreiber. Er war schon ein geübter Diktierer, hatte Psalmenauslegungen diktiert oder Predigten in der Kirche gehalten, die von Sekretären in Kurzschrift mitgeschrieben wurden. Als Bischof verfügte er in seinem Haushalt über erfahrene Sekretäre.

Wenn er sein langes Gebet nun diktierte, tat er dies im Stehen oder im Sitzen? Augustinus hatte die richtige Gebetshaltung knapp ein Jahr vor Beginn seiner Arbeit an den Confessiones behandelt und war zu dem Schluss gekommen, dass es keine eindeutige Antwort gab. Allerdings beteten Christen oft kniend mit emporgehobenen oder – gerade in Nordafrika – mit seitwärts ausgestreckten Händen: Schreiben war in dieser Haltung unmöglich.6 Falls Augustinus beim Gebet kniete, könnte er die Confessiones in vorher gedanklich vorformulierten Abschnitten einem im Zimmer anwesenden Sekretär diktiert haben, der sie in Kurzschrift festhielt.

Eine mündliche Methode...

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