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Ausgewählte Methoden des produktionsorientierten Literaturunterrichts als Möglichkeit bei der Erschließung von Gedichten

Durchführung im Rahmen einer Unterrichtsreihe zu Großstadtgedichten des 20. Jahrhunderts in einem Wahlpflichtkurs des 10. Jahrgangs an einem Gymnasium

AutorThomas Mrotzek
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl49 Seiten
ISBN9783640502288
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Didaktik - Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1, Schulpraktisches Seminar Spandau , Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit untersucht exemplarisch den Einsatz produktiver Verfahren (vorwiegend nach Waldmann) im Deutschunterricht. Es wird untersucht und analysiert, welche dieser Verfahren sich eignen und wie die Schüler dies wahrgenommen haben. Dies wird mit Gedichten aus dem Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit sowie der Moderne realisiert. Autoren sind u.a. Brecht, Heym, Boldt. Die Darstellung bietet darüber hinaus eine Reihe von ca. 9 Unterrichtsstunden mit einzelnen Themenschwerpunkten. Somit genügt die vorliegende Untersuchung nicht nur wissenschaftlichen Ansprüchen und fachdidaktischen, sondern ebenso praktischen Anforderungen des Schulalltages.

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Leseprobe

2. Produktionsorientierter Literaturunterricht

 

In den nachfolgenden Abschnitten werden die theoretischen Grundlagen produktionsorientierter Verfahren betrachtet. Einzelne Methoden, die in dieser Reihe angewandt und schließlich in der Praxis untersucht werden sollen, erfahren eine knappe theoretische Skizzierung. Parallel sollen erste Überlegungen mit Blick auf den Unterricht vorgenommen werden.

 

2.1 Theoretische Grundlagen produktiver Verfahren

 

Diese Verfahren, welches seit den 1980er Jahren Anwendung im Deutschunterricht finden, zeichnen sich sowohl durch eine Ganzheitlichkeit als auch eine verstärkte Selbsttätigkeit aus: Ganzheitlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass neben einer rationalen Dimension des Lernens bzw. der Bewältigung eines Problems affektive und psychomotorische Faktoren berücksichtigt werden. Neben dem Lernen mit Herz, Kopf und Hand ist die Selbsttätigkeit der Lernenden von zentraler Relevanz.[25] Produktionsorientierung bedeutet in der praktischen Umsetzung zumeist, dass schreibende Verfahren (Verfassen eigener Texte, Veränderung von Texten etc.) im Unterricht angewandt werden. Auch im Bereich des Lesens gibt es Möglichkeiten, sich mit Texten auseinanderzusetzen. Hierunter fällt u.a. das szenische Lesen. Dabei knüpfen entsprechende Aufgabenformate verstärkt an die Lebenspraxis der Schüler an und bewirken eine deutlichere Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen. Ursprünglich entwickelte sich dieses Verfahren als Gegenposition zum reinen Unterrichtsgespräch, das auf Basis von Textanalyse und Textinterpretation stattfand.[26] Der Begriff des produktionsorientierten Unterrichts geht parallel einher mit der Handlungsorientierung. Beide Termini werden oftmals synonym gebraucht. Sie sind eng miteinander verknüpft und bedingen sich nicht selten gegenseitig: Handlungsorientierung zeichnet sich dadurch aus, in einen Text verändernd einzugreifen, wohingegen in einer Produktionsorientierung der Text Ausgangspunkt für weitere neue Texte wird. Gerade produktive Verfahren sollen eine (textverpflichtete) Interpretation nicht ersetzen, sondern diese vielmehr mit anderen Mitteln forcieren.[27] Die literaturtheoretischen Ursprünge handlungs- und produktionsorientierter Verfahren lassen sich auf zwei Bereiche festlegen: erstens die Rezeptionsästhetik. Der Leser, als dritte Kraft neben Autor und Werk, hat nicht mehr die bloße Aufnahmefunktion inne, sondern er überführt einen literarischen Text überhaupt erst in eine vollständig schaffende Rolle: Der Leser ist produktiv an der Sinnbildung beteiligt. Ausgehend von Isers Leerstellenkonzept[28] muss der Leser, um den Text zu verstehen, Leerstellen auffüllen. Diese Tätigkeit, durchaus die Position des Lesenden stärkend, wird in der Literaturdidaktik als Basisargument dafür genommen, dass ein Text lediglich eine Partitur sei: Der Leser gibt diesem mit Hilfe produktions- und handlungsorientierter Verfahren eine Gestalt in schriftlicher, bildlicher, akustischer oder szenischer Form.[29]

 

Eine zweite Grundlage bilden die differenztheoretischen Ansätze Waldmanns, die gewissermaßen als Weiterentwicklung des rezeptionsästhetischen Konzeptes angesehen werden können. Insbesondere Differenzerfahrungen stehen im Mittelpunkt: So wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass zwischen Alltagssprache und literarischer Sprache signifikante Unterschiede (v.a. Stil, Klang, Satzbau, Rhythmus, Reim etc.) bestehen. Während Alltagssprache zumeist vereinfacht, verallgemeinert und schematisiert[30] und damit sprachökonomische Tendenzen aufweist, unterscheidet sich lyrische Sprache deutlich davon. Ein wesentliches Kennzeichen ist die sprachliche Überstrukturiertheit in den Bereichen der Phonologie (Metrum, Rhythmus, Reim etc.), Semantik (Wortwiederholung, Metapher, Leitmotiv) und in der Syntax (Enjambement, Parallelismus etc.).[31] Gerade diese Andersartigkeit lyrischer Sprache, bedingt durch Abweichungen vom „normalen“[32] Sprachgebrauch, lässt zwischen beiden Bereichen eine Differenz entstehen. Leser sollen diesen Kontrast wahrnehmen. Es gilt hierbei jedoch, dass eine fruchtbringende Beziehung zwischen Rezipient und Text nur hergestellt werden kann, sofern der Leser ihn wahrnimmt und nicht mehr als befremdend ansieht. Realisierung kann diese Entwicklung erfahren, wenn sich der Leser aktiv mit einem Text beschäftigt.[33] In diesem Kontext wird weiterhin von der sozialen Fantasie des Lesenden gesprochen, erlaubt sie ihm schließlich, neue Erfahrungsbereiche zu erkunden. Waldmann versuchte mit seinem Konzept, die Position des Leser zu stärken: Kritisches Lesen sollte nicht nur auf analytischer Ebene, sondern auch schreiben-produktiv stattfinden.[34] Ziel des Verfahrens schließlich ist, dass die Schüler selbst produktiv tätig werden und sich aktiv[35] mit Texten jeglicher Art auseinandersetzen: Im Einzelnen bedeutet dies, Texte zu ergänzen, imitieren, antizipieren, umzuschreiben oder in andere Medien zu transformieren. Letztlich soll mit den veränderten Texten dahingehend gearbeitet werden, als dass sie eine Basis für eine Interpretation liefern. Überdies können Schüler fremde Erfahrungsperspektiven und Interaktionszusammenhänge differenzierter beurteilen und diese im Unterricht auch zur Entfaltung bringen.[36]

 

Obwohl sich das Verfahren in der schulischen Praxis (Aufnahme in Curricula) sowie universitären Seminaren etabliert hat, ist es weiterhin von Kritik begleitet worden. Produktionsorientierte Verfahren bilden eine sinnvolle Alternative zum traditionellen Lyrikunterricht, stärken sie überdies die Position des Lesers und binden ihn aktiv ein. Des Weiteren wird die Motivation gefördert, da die methodische Vielfalt ein breites Spektrum an Möglichkeiten für unterschiedliche Lerntypen bereitstellt. Ein wesentliches Kennzeichen produktiver Verfahren ist, neben einem Einsatz in der Sekundarstufe I und II, die Anregung der Schüler zum Denken: So können Gedichte nicht planlos modifiziert werden.[37] Methode und Arbeitsauftrag müssen sich ergänzen. Soll beispielsweise ein lyrischer Text in Hinblick auf seine Sprachwirkung untersucht werden, eignen sich kaum die Veränderung des Klanges oder der Reime. Die wissenschaftliche Kritik gegen diese Verfahren wirft insbesondere Waldmann vor, dass es im Unterricht zu einer Überproduktivität komme und ein Verstehensprozess überhaupt nicht erreicht werde.[38] Diese Kritik wäre jedoch nur berechtigt, wenn die von den Schülern hergestellten Produkte nicht für den weiteren Unterricht von Bedeutung wären. Sofern produktionsorientierte Methoden als interpretatorische Vorleistungen für literarische Analysen herangezogen werden, scheint dieser Kritikpunkt kaum haltbar, wenn das Produkt sinnvoll verwertet ist und nicht zur Unterhaltung der Lernenden dient. Kügler sieht darüber hinaus die Gefahr, dass Autor und Schüler einander gleichgesetzt werden. In diesem Kontext spricht er sogar von parasitären Tendenzen, da der Schüler mit vorgefertigten Materialien arbeite und sich somit spielend an einer Textproduktion beteilige.[39]  

 

Ein weiterer Punkt fokussiert besonders die Autoren lyrischer Werke: Ihre Fassungen, Ideen und künstlerischen Leistungen würden durch unsachgemäße und unerfahrene Schüler herabgewürdigt. Die Autonomie künstlerischer Werke geriete in Gefahr: Nahezu bedenkenlos werde die vom Künstler geschaffene Geschlossenheit aufgelöst, wenn Lernende Texte umschreiben, ergänzen und somit Varianten schaffen. In diesem Punkt kollidieren unterschiedliche Einstellungen. Während Skeptiker handlungs- und produktionsorientierte Verfahren eher als massiven Eingriff in die literarische Kunst sehen und traditionelle Analysen favorisieren, berufen sich Befürworter verstärkt auf avantgardistische Traditionen.[40] Letztlich wird in dieser Diskussion weiterhin angeführt, der Unterricht geriete zur Spaßkultur[41], indem ein gefühlsmäßiger und unreflektierter Umgang mit literarischen Texten stattfinde. Es bleibt zu konstatieren, dass, trotz aller Kritik, produktionsorientierte Verfahren Teil des Literaturunterrichtes geworden sind und diesen seit immerhin 20 Jahren kennzeichnen.[42]

 

2.2 Vorstellung einzelner Methoden

 

Es existiert eine Vielzahl von Verfahren[43], um produktiv mit Lyrik im Unterricht zu arbeiten. Im Rahmen der vorliegenden Reihe sind nur einige Verfahren ausgewählt worden, da diese sich nicht für jedes Themenfeld der Lyrik eignen. In diesem Zusammenhang spricht Maiwald von einem Komplexitätsschock[44], der auf Grund vielfacher Rezeptionsmöglichkeiten bei den Schülern einsetzen kann. Es muss, in Anlehnung an Spinner, festgehalten werden, dass die Lernenden nicht in beliebiger Weise mit Methoden konfrontiert werden sollen[45]: Ihnen muss ebenso verständlich gemacht werden, warum eine Methode Anwendung finden und welche Erkenntnisse damit erreicht werden sollen. Weiterhin muss in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die verschiedenen Verfahren eine Basis für ein anschließendes Interpretationsgespräch schaffen sollen – ein bloßes Anwenden der Methoden, ohne anschließende Reflexion reicht nicht aus.

 

a) Textreduktion

 

Diese Methode konzentriert sich vorwiegend auf den syntaktischen Bereich der Sprache. Es...

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