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Aventinus

Pionier der Geschichtsforschung

AutorChristine Riedl-Valder
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2015
Reihekleine bayerische biografien 
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783791760537
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Der Gastwirtssohn Johannes Turmair aus Abensberg, besser bekannt als Aventinus, machte eine erstaunliche Karriere: Er wirkte am Hofe Herzog Wilhelms IV. als ein einflussreicher Prinzenerzieher. Während seiner Tätigkeit als offizieller Landeshistoriograf leistete er eine immense Forschungsarbeit in den bayerischen Archiven und betrieb kritische Quellenstudien. Seine Werke waren wegweisend für die neuzeitliche Geschichtsschreibung in Deutschland. In ausdrucksstarker Umgangssprache machte er sein Wissen jedermann zugänglich und beschrieb Land und Leute so treffend, dass seine Texte noch heute aktuell sind. Die Biografie beleuchtet Lebenswerk und Schicksal dieses bedeutenden Humanisten, der als kritischer Freigeist nach Unabhängigkeit strebte, im katholischen Herzogtum aber einen schweren Stand hatte.

Christine Riedl-Valder, Dr. phil., geb. 1957, arbeitet als Kulturjournalistin und hat viele Beiträge zu Literatur, Kunst und Geschichte Bayerns veröffentlicht.

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Leseprobe

2   Ein humanistischer Bildungsweg (um 1490–1508)


Einige Umstände sprechen dafür, dass Johannes Turmair nach der Abensberger Lateinschule seine Ausbildung in der ersten Hälfte der 1490er-Jahre an der Domschule in Regensburg fortsetzte. Seine fundierten Mathematik- und Lateinkenntnisse sowie die enge Beziehung zu seinem späteren Mentor Konrad Celtis weisen darauf hin. Vielleicht hatten ihn die Eltern anfangs sogar für einen geistlichen Beruf bestimmt. Einer Angabe zufolge erhielt Turmair 1496 in Regensburg die Akolythenweihe, die höchste der vier niederen Weihen, die dazu berechtigte, dem Priester beim eucharistischen Opfer und bei der Spendung der Sakramente zu assistieren. Sie war Voraussetzung für die Priesterweihe. Doch der junge Abensberger sollte diese Laufbahn nicht weiter verfolgen. Schon die Wahl seines ersten Studienortes weist darauf hin.

Der damals schon berühmte Dichter Konrad Celtis, der für den jungen Johannes Turmair zum wichtigsten Lehrer und engen Berater werden sollte, hatte nach seinem Wanderleben durch die wichtigsten Bildungsstätten Europas im Winter 1492/93 für einige Monate die Leitung der Domschule in Regensburg übernommen. Seine Vermittlung auf diesen Posten erfolgte durch den Regensburger Kanoniker Johannes Tolhopf (1429–1503), einen der bedeutendsten Mathematiker im süddeutschen Raum, der später als Rektor an der Universität Ingolstadt agieren sollte.

Celtis war zeit seines Leben auf der Suche nach alten Handschriften antiker und mittelalterlicher Autoren. In Regensburg arbeitete er vor allem in der Bibliothek des Benediktinerklosters St. Emmeram. Sie besaß mit ihrem reichen Handschriftenbestand eine der bedeutendsten Sammlungen. Johann Tegernpeck, der 1471 zum Abt gewählt worden war, hatte den Bestand systematisch um eine große Anzahl gedruckter Werke erweitert. Der neue Abt Erasmus Münzer (Amtszeit 1493–1517) pflegte selbst enge Kontakte zu einzelnen Humanisten und förderte deren Forschungen.

 

Aventins Lehrer Konrad Celtis

Konrad Celtis (1459–1508; eigentlich Konrad Pickel/Bickel), Sohn eines Winzers aus Wipfeld bei Schweinfurt, studierte an der Artistenfakultät in Köln und erwarb in Heidelberg, wo er Schüler des Humanisten Rudolf Agricola war, den Magistergrad. Nach Studien in Rostock und Erfurt lehrte Celtis 1486 in Leipzig. Seine »Ars versificandi et carminum« (1486), die dort entstand, war das erste Poetik-Lehrbuch des deutschen Humanismus. 1487 wurde er auf Empfehlung Kurfürst Friedrichs von Sachsen auf dem Nürnberger Reichstag von Kaiser Friedrich III. als erster deutscher Dichter mit dem Titel »poeta laureatus« ausgezeichnet. Die anschließende Italienreise brachte ihn in Kontakt zu führenden Humanisten. Nach einem Abstecher nach Ungarn lehrte er 1489 in Krakau und reiste bis Danzig. Nach längeren Aufenthalten in Prag und Nürnberg sowie weiteren Stationen in Ingolstadt (ab 1591/92), Regensburg (ab 1592) und Heidelberg (1595/96) verbrachte er sein letztes Lebensjahrzehnt überwiegend in Wien, wo er ab 1497 einen Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik innehatte.

Celtis reformierte die universitären Lehrpläne, gründete und pflegte Netzwerke unter den Wissenschaftlern durch umfangreiche Korrespondenzen und die Förderung von literarischen Gesellschaften, sorgte für die Wiederbelebung antiker Dichtung, brachte die »Germania« von Tacitus und andere Werke heraus. Er initiierte und führte das Wiener Poetenkolleg (1502 eröffnet), leitete Theaterabende am Wiener Hof, schrieb Festspiele, Oden und Epigramme. Nach dem Vorbild Ovids entstanden seine »Quatuor libri amorum« (1502), die von Albrecht Dürer illustriert wurden. In seiner Generation bildete er den Mittelpunkt des süddeutschen Humanistenkreises. Aventin bezeichnete sich bei vielen Gelegenheiten stolz als Schüler von Konrad Celtis und betitelte ihn verehrungsvoll als »Homerus Germanicus«, als »deutschen Homer« (SW 1, S. 632).

 

 

Im Herbst 1493 entdeckte Celtis hier die verschollenen Dramen der adeligen Dichterin und Nonne Hrotsvith von Gandersheim, die um 930 geboren wurde und bis nach 973 lebte. Sie gilt als die erste deutsche Lyrikerin, deren Werke, die sie in Latein schrieb, überliefert sind. Celtis ließ von Albrecht Dürer Zeichnungen zu ihren Schriften anfertigen und brachte sie 1501 zusammen mit einem Vorwort aus seiner Feder in Nürnberg heraus. Die aufwendige Publikation war Kurfürst Friedrich III. von Sachsen gewidmet, der sie finanziert hatte. Die gelehrte Welt feierte die Entdeckung dieses Werks damals wie eine Sensation. Als Quellenedition wurde es zum Vorbild für viele nachfolgende Werke.

Studium in Ingolstadt


An der Schwelle zur Neuzeit stellte vor allem für den geistlichen Nachwuchs die Universität Leipzig das Bildungszentrum für den mittel- und süddeutschen Raum dar. Unter den landsmannschaftlich gegliederten Studentenschaften hatten dort die Bayern den stärksten Anteil. Der 18-jährige Johannes Turmair schrieb sich jedoch 1495 an der damals noch jungen Universität in Ingolstadt ein. Unter dem Datum des 21. Juni ist er im Matrikelbuch der Hochschule vermerkt: »Johannes Turmair ex Abensperg.« Die Lehranstalt befand sich in der Altstadt in einem Profanbau des 15. Jahrhunderts. Der mehrgeschossige Bau mit hohem Satteldach und einem mit Lisenen gegliederten Nordgiebel mit Dachreiter besteht noch heute.

Eine schwärmerische Beschreibung der Stadt und ihrer Vorzüge lieferte Herzog Ludwig der Reiche persönlich in einem Brief aus dem Jahr 1458 an Papst Pius II., als er um die Genehmigung seiner Gründung ersuchte: »Die Pest herrscht hier nur sehr selten […]. Es befinden sich daselbst auch Wälder um die Stadt, zu Spaziergängen einladend, wie auch zur Jagd. In der Stadt sind herrliche Kirchen, sonderbar der Tempel zur Unserer Lieben Frau, welcher zu großen akademischen Festen hinlänglich Raum bietet […]. Die Häuser sind geräumig, manche prachtvoll, sie enthalten Wohnungen für mehr als tausend Studenten […]. Der Wein ist etwas teuer, das Fleisch ist gut, das Brot vorzüglich und Fische liefert die Donau ebenso viel, als köstlich.«

 

Die erste bayerische Landesuniversität

1472 gründete Herzog Ludwig der Reiche von Niederbayern die Hohe Schule zu Ingolstadt. Sie war die elfte Universität im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, nachdem Kaiser Karl IV. 1348 in Prag die erste Studienanstalt begründet hatte. Ingolstadt wurde zum geistigen Mittelpunkt des Herzogtums erhoben, um es nach dem Aussterben der Ingolstädter Linie für den Verlust der Residenz zu entschädigen. Die Universität brachte Geld in die Stadt; die Studenten machten bald ein gutes Zehntel der Einwohnerzahl aus. Zugleich schuf der Herzog damit eine Bildungsstätte für seine Beamtenschaft. Als erster Rektor fungierte der Oberpfälzer Rechtsgelehrte Christoph Mendel von Steinfels. Es gab die vier Fakultäten Theologie, Jurisprudenz, Naturwissenschaften und Philosophie. Die bedeutendsten Persönlichkeiten, die hier wirkten, waren der Humanist Konrad Celtis, der Historiker Johannes Aventinus, der Theologe Johannes Eck, der Mathematiker Peter Apian und der Jesuit Petrus Canisius. Seit 1505 wurde in Ingolstadt auch das Hebräische, seit 1515 das Griechische gelehrt.

Wenige Jahrzehnte nach ihrer Gründung zählte die Hohe Schule von Ingolstadt schon die für damalige Zeiten enorme Zahl von 40 Magistern und Doktoren. 1520 versammelte allein der große Johannes Reuchlin, der Gräzist und Begründer der Hebraistik in Deutschland, bei seinen Vorlesungen 300 Studenten um sich. Bis zum Dreißigjährigen Krieg gehörte Ingolstadt zusammen mit Leipzig, Erfurt, Wittenberg und Köln zu den fünf großen deutschen Universitäten mit mehr als 400 Studenten. Junge Männer – Frauen durften damals noch nicht studieren – aus ganz Europa schrieben sich in Ingolstadt ein. Die Matrikel belegen, dass Franzosen, Spanier, Schweizer, Italiener und Engländer hier ihre Fortbildung absolvierten; etliche Ingolstädter Studenten stammten auch aus Osteuropa.

Von 1549 bis 1773 stand die Universität unter dem beherrschenden Einfluss der Jesuiten. Während der Gefährdung der Stadt durch Napoleon musste die Universität um 1800 nach Landshut umziehen. 1802 hat man die Studienanstalt nach ihrem Stifter Ludwig dem Reichen und dem damals amtierenden Kurfürsten Max IV. Joseph in Ludwig-Maximilians-Universität umbenannt. König Ludwig I. siedelte sie 1826 in seiner Residenzstadt München an.

 

 

Humanismus contra Scholastik


Der Studienbetrieb in Ingolstadt war in den ersten Jahrzehnten größtenteils noch durch die mittelalterliche Scholastik geprägt. Auf der Basis der Schriften des Aristoteles und weiterer Textgrundlagen versuchte man, die kirchlichen Dogmen des Katholizismus und ebenso Fragestellungen anderer Fachbereiche mit philosophischen Mitteln rational zu begründen. Ziel der Scholastik war daher nicht die Wahrheitsfindung, sondern die rationale Begründung, Deutung, Systematisierung und Verteidigung der bereits vorliegenden (Glaubens-)Wahrheit. Weitschweifige theoretische Erwägungen und Erörterungen bei einer Vielzahl von unterschiedlichen methodischen Ansätzen waren dabei kennzeichnend.

1492 lasen in Ingolstadt noch 33 Dozenten über Aristoteles und waren in ihren Meinungen völlig zersplittert. Ein konzentriertes wissenschaftliches Arbeiten war in dieser Umgebung unmöglich. Aventin beschrieb diese ausufernden Gelehrtendispute selbst eindrucksvoll in seiner »Chronica«: »… hat sich ein jeglicher auff eine besondere meinung und monir gelegt, dermassen, dass einer … anders nichts versteht, die andern all veracht, mit in zanket, greint, kriegt, hadert, demnach also durch einander greinen wie die Haberkatzen, einer ist Schotist,...

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