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Bankenregulierung als Cognitive Governance

Eine Studie zur gesellschaftlichen Verarbeitung von Komplexität und Nichtwissen

AutorSven Kette
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783531913759
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR


Dr. Sven Kette ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Organisationssoziologie, politische Soziologie und Risikosoziologie.

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Leseprobe
5 Die gesellschaftliche Verortung des Bankensystems (S. 113-114)

Wenn wir – wie in dieser Arbeit vorgeschlagen – die neuesten Entwicklungen im Bereich der Bankenaufsicht als kognitiven Steuerungsmodus interpretieren, der eine spezifische Form des gesellschaftlichen Umgangs mit Komplexität erlaubt, so ist es notwendig, einen Blick auf das Bankensystem und die dortigen Komplexitätsdynamiken zu werfen. Im vorliegenden Teil III wollen wir diese Analyse in zwei Schritten (Kapitel 5 und 6) vornehmen. Bisher haben wir vom Bankensystem gesprochen, ohne zu reflektieren, was damit im engeren Sinne gemeint ist, und worin die systemische Qualität des Bankensystems besteht. In diesem Kapitel wollen wir dieses nun nachholen und die gesellschaftliche Position des Bankensystems kennen lernen.

Über die Darstellung der Funktion und Operationsweise des Bankensystems werden wir einen Einblick in die Kopplungen zum Wirtschafts- und Finanzsystem gewinnen. Bevor wir uns systematisch mit dem Verhältnis von Bankensystem und Wirtschaft beschäftigen, können zwei Beispiele die Sensibilität für die relevanten Zusammenhänge wecken. Das erste Beispiel ist der Fall des ‚Baulöwen’ Jürgen Schneider, der ab April 1994 für großes öffentliches Aufsehen sorgte. Für Großprojekte wie die Restaurierung historischer Gebäude warb Schneider über Jahre hinweg in betrügerischer Weise Kredite ein und schuf sich ein System, das es ihm ermöglichte, sein persönliches Vermögen auszubauen.

Als seine falschen Geschäfte aufflogen und er am 4. April 1994 entschwand, hinterließ er sechs Milliarden DM Schulden. Die Konsequenzen für die Wirtschaft zeigten sich mit Blick auf zahlreiche Handwerksbetriebe, denen eine Gesamtschadenssumme von ca. 50 Millionen DM entstand, und von denen viele auf Grund der ‚Schneider- Pleite’ ihrerseits Konkurs anmelden mussten. Vor allem der Deutschen Bank als dem Hauptgläubiger von Jürgen Schneider wurde in der Folge vorgeworfen, für diese Entwicklung mitverantwortlich zu sein, da vernachlässigte Prüfungsverfahren im Rahmen der Kreditvergabe an Schneider dazu beigetragen hätten, dass dessen Praktiken nicht frühzeitiger durchschaut wurden (Frank/Thorn 1996: 267ff.).

Während dieses Beispiel einen sehr kleinen Ausschnitt eher indirekter Kopplungen zwischen Bankensystem und Wirtschaft veranschaulicht, macht ein zweites Beispiel auf größere Zusammenhänge aufmerksam. Es handelt sich dabei um die Rolle des Bankensystems in der Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929-1933, die mit einem Zusammenbruch des Banken systems in vielen Ländern verbunden, bzw. durch den Zusammenbruch des Bankensystems mitverursacht war (Blaich 1985: 84-87). Harold James notiert dazu: „Without the leveraging effect of financial intermediaries, the relative falls of agricultural and commodity prices would not have had such grave implications" (James 1993: 351).

Für Deutschland markiert der Sommer des Jahres 1931 den Höhepunkt der Bankenkrise. In der Folge des Zusammenbruchs der Österreichischen Creditanstalt – die angesehenste und größte Privatbank Österreichs, an der auch das Wiener Bankhaus Rothschild beteiligt war – gerieten auch deutsche Banken unter Druck. Sie waren in ihrer Geschäftsstruktur ähnlich aufgestellt und es mehrte sich das Misstrauen gegenüber ihrer Zahlungsfähigkeit (Born 1967: 64ff.).

Diese Zweifel führten dazu, dass über Wochen täglich 50 bis 100 Millionen Mark der deutschen Banken an Kunden und (ausländische) Gläubiger( banken) ausgezahlt werden mussten (Born 1967: 9f.). Schließlich musste die Darmstädter und Nationalbank (Danatbank) in der zweiten Julihälfte ihre Schalter schließen – nicht zuletzt, weil der Konzern ‚Nordwolle’, ein wichtiger Schuldner der Danatbank, sich an den Rohstoffbörsen verspekulierte (Born 1967: 73ff.). Daraufhin ruhten in Deutschland für zwei Werktage der Zahlungsverkehr und der Wertpapierhandel vollständig.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Verzeichnis der Abkürzungen und Akronyme9
Vorwort11
Teil I: Einleitung13
1 Bankenregulierung im Umbruch – Gouvernanz zwischen Macht und Wissen14
1.1 Cognitive Governance – eine erste Annäherung20
1.2 Fragestellung, theoretischer Rahmen und methodisches Vorgehen23
1.3 Verortung und Aufbau dieser Arbeit27
Teil II: Komplexität und Steuerung31
2 Komplexitätsbewältigung – ‚Dauerproblem’ moderner Gesellschaft33
2.1 Die systemtheoretische Beobachtung der Gesellschaft33
2.2 Die Komplexität der Gesellschaft43
2.3 Die Beobachtung von Komplexität: Risiko und Nichtwissen51
3 Komplexitätsverarbeitung durch Steuerung62
3.1 Klassische Perspektiven auf Steuerung64
3.2 Ein funktionaler Zugriff auf Steuerung75
4 Macht und Wissen als Medien der Steuerung92
4.1 Zur Logik der Macht98
4.2 Zur Logik des Wissens103
4.3 Zusammenfassung108
Teil III: Die Komplexität des Bankensystems110
5 Die gesellschaftliche Verortung des Bankensystems111
6 Komplexitätsdynamiken im Bankensystem127
6.1 Die neuen Freiheitsgrade: Globalisierung und Beschleunigung des Bankgeschäfts128
6.2 Wissensbasierte Techniken der Risikobearbeitung148
Teil IV: Entwicklungslinien der Gouvernanz des Bankensystems167
7 Bankenaufsicht im Medium der Macht169
7.1 Von der nationalstaatlichen Bankenregulierung zur vernetzten Bankenaufsicht170
7.2 Die Globalisierung der Bankenregulierung – Der Baseler Akkord (Basel I)177
8 Der ‚Cognitive Turn’ in der globalen Bankenaufsicht: Basel II186
8.1 Wissensbasierte Erwartungsbildung – Das Konsultationsverfahren zu Basel II187
8.2 Die Inkorporierung kognitiver Erwartungen – Die überarbeitete Rahmenvereinbarung198
8.3 Die Institutionalisierung von Kontingenz – Der Supervisory Review Process209
8.4 Zusammenfassung220
Teil V: Cognitive Governance224
9 Die gesellschaftliche Organisation kognitiver Gouvernanz225
9.1 Organisationen als entscheidende Einrichtungen der Politik226
9.2 Die organisationale Innenseite im Kontext kognitiver Gouvernanz239
10 Probleme kognitiver Gouvernanz250
10.1 Cognitive Governance und das Problem systemischer Risiken251
10.2 Die Paradoxie kognitiver Gouvernanz und die Unhintergehbarkeit von Nichtwissen258
Teil VI: Schlussbetrachtungen267
11 Fazit269
11.1 Cognitive Governance – eine Frage des Systemverstehens270
11.2 Regulierung in der Wissensgesellschaft – Die gesellschaftliche Verarbeitung von Komplexität und Nichtwissen ‚über’ cognitive governance276
12 Ausblick283
Literatur286

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