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E-Book

Bartók

Leben und Werk

AutorTadeusz A. Zielinski
VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl404 Seiten
ISBN9783795785468
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Béla Bartók gilt als die bedeutendste ungarische Musikerpersönlichkeit und gleichzeitig als einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Zieli?skis Buch ist ein kenntnisreicher Wegweiser durch das Leben und Werk des Ausnahmekünstlers. Erstmals stehen auch die wichtigen Jugendjahre und die damals entstandenen Frühwerke im Fokus - ein Schlüssel zum späteren Schaffen Bartóks. Zieli?ski versteht es, seine tiefgreifenden Analysen vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte anschaulich und allgemeinverständlich zu vermitteln.

Tadeusz A. Zielinski ist 1931 in Warschau geboren und studierte an der dortigen Universität Musikwissenschaft. Seit 1961 ist er Mitredaktor einer musikologischen Zeitschrift und hat sich mit einer Reihe von gewichtigen Aufsätzen und kleineren Publikationen einen Namen gemacht. Seine gründliche Auseinandersetzung mit Bartók führte zu einer ersten großen Arbeit, die er vorlegt. Die 1969 erschiene polnische Ausgabe ist in Fachkreisen gleich auf größtes Interesse gestoßen.

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GENESIS


Die Merkwürdigkeit der Natur, der wir das Auftreten genialer Schöpfer verdanken, könnte zu weitschweifigen Betrachtungen Veranlassung geben. Am Ende dieses Aktes steht das Werk von ungewöhnlicher Gestalt, mit der Kraft, ganze Generationen zu faszinieren. Der Anfang ist eine geheimnisvolle Verkettung von Umständen, die Zeit und Ort der Geburt eines Menschen bestimmen, dessen Lebenslauf unzertrennlich mit der Entstehung des Werkes verbunden ist.

So fiel die Wahl der kapriziösen Natur auf eine kleine, einige tausend Einwohner zählende Ortschaft in der ungarischen Ebene, die den Namen Nagyszentmiklós trug und machte, daß sie zum Geburtsort eines der größten Schöpfer des 20. Jahrhunderts wurde. Der Ort liegt etwa vierzig Kilometer südöstlich der Stadt Szeged und gehörte damals zum Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie; nach 1920 wurde er Rumänien einverleibt und nahm den Namen Sînnicolau Mare an. Seine Bedeutung als eine Art kultureller Mittelpunkt verdankte Nagyszentmiklós der landwirtschaftlichen Schule, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der ehrgeizige Wirtschaftler und Sozialreformer János Bartók geleitet und ausgebaut hatte. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Béla diese Stellung, dessen Interesse sich jedoch nicht nur auf Agrarwissenschaft und Probleme der Landwirtschaft beschränkte, obzwar er auf diesem Gebiet als Publizist und Redakteur der lokalen Zeitung tätig war. Seine Leidenschaft war die Musik. Er betrieb sie mit jener unbekümmerten Sorglosigkeit, die vielen edlen Dilettanten eigen ist: Er spielte auf dem Klavier Polkas, Walzer und populäre Lieder, komponierte zum Tanz und organisierte schließlich ein Amateurorchester im Städtchen, um selbst als Cellist auftreten zu können.

Jener Béla Bartók heiratete die junge und distinguierte Lehrerin Paula Voit aus Preßburg, für die die Musik mehr als nur Zeitvertreib war: Sie hatte eine gewisse Ausbildung im Klavierspiel genossen, und wenn es auch übertrieben wäre, hier von einem besonderen Talent zu sprechen, so spielte sie doch vornehmlich Salonstücke und populäre Werke sehr gut und ließ dabei einige Kultur und Musikalität erkennen. Ein Jahr nach der Trauung, am 25. März 1881, gebar Frau Paula einen Sohn, der auf den Namen seines Vaters, Béla, getauft wurde. Die Persönlichkeit, die diesem Namen so viel Ehre einbringen sollte, hatte von Anfang an mit mißlichen Umständen zu kämpfen. Im Alter von drei Monaten erkrankte das Kind an einem schlimmen Ekzem. Körperliches Leiden und das beschwerliche, unerträgliche Jucken waren die ersten Erfahrungen des kleinen Béla, und sie verfolgten ihn bis zu seinem fünften Lebensjahr. Bis zur vollständigen Heilung war das Aussehen des Jungen derart, daß die Eltern ihn vor den Menschen versteckten und in einem Zimmer einschlossen, sobald jemand zu Gaste erschien. Der Kleine war sehr empfindlich und ehrgeizig, und sobald er sich über seine Lage im klaren war, vermied er selbst jede Begegnung mit Fremden. Dieser Komplex aus seiner Kindheit hinterließ dauernde Spuren in seiner Psyche, denn auch in den späteren Jahren blieb er meist einsam und war - trotz seines lebendigen, spontanen Charakters – zur Anknüpfung näherer Kontakte wenig geneigt.

Die Welt der Klänge faszinierte ihn von Anfang an. Eines Tages – Béla war damals anderthalb Jahre alt – bemerkte die Mutter, daß das Kind seine Beschäftigung unterbrach und ihrem Spiel mit sichtlichem Interesse zuhörte. Am nächsten Tag machte sich der Kleine am Flügel zu schaffen, war unruhig und ließ deutlich erkennen, daß es ihm um Musik ging ; er gab sich jedoch nicht zufrieden, bis ihm Paula dieselbe Melodie wie beim erstenmal vorspielte, er lächelte und nickte erst dann voll Zufriedenheit mit dem Kopf. Nach einigen Versuchen war es klar, daß das Kind die Melodie erkannte, daß ihm irgendein Motiv oder eine rhythmische Wendung gefiel und daß er sich jedesmal freute, wenn er das Werk hörte. Bald danach nahm die Musikalität des Jungen aktive Formen an. Mit drei Jahren erhielt er eine Trommel, die sein Lieblingsspielzeug wurde. Sobald sich die Mutter an den Flügel setzte, rückte er sein Taburett heran, setzte sich und begleitete sie mit ernster Miene auf der Trommel, indem er den Rhythmus des Stückes genau mitschlug. Beim Übergang auf ein anderes Metrum (Paula machte absichtlich solche Experimente) hielt er eine Sekunde inne und setzte dann sein Spiel im richtigen Rhythmus fort.

Die Bekanntschaft mit dem Klavier machte er selbst, ohne Mithilfe und Zureden seitens der Eltern. Auf eigene Faust untersuchte er die Möglichkeiten, die sich aus dem Niederdrücken der verschiedenen Tasten ergeben, und suchte darin Motive aus ihm bekannten Melodien. Im Alter von vier Jahren fand er mühelos jeden gesuchten Ton und spielte nach dem Gehör einige Dutzend Lieder, die er auf Verlangen fehlerlos vortragen konnte. Seine Musikalität war nicht nur auf eine einfache physiologische Fähigkeit beschränkt, sondern ging Hand in Hand mit einem sehr deutlichen ästhetischen Empfinden. Kennzeichnend dafür ist ein Vorfall aus dem Jahre 1885, während des ersten Konzertes des Orchesters, in welchem Bartók senior spielte. Es fand in der Gastwirtschaft bei gedeckten Tischen statt, und die Gesellschaft war wie üblich sehr laut, ohne der Musik mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es gewöhnlich beim Essen und Trinken der Fall ist. Als das Orchester ein ernsteres Werk zu spielen begann, hörte der kleine Béla zu essen auf, lauschte gespannt der Melodie und sagte, auf die belustigten Tischnachbarn weisend, mit höchstem kindlichem Unwillen : ‹Schau, Mama, die hören diesem schönen Stück gar nicht zu!› Das Stück war die Ouvertüre zur Semiramis von Rossini.

Angesichts so deutlicher Neigungen zur Musik und der nicht alltäglichen Fähigkeiten in dieser Richtung beschloß die Mutter, mit dem Klavierunterricht zu beginnen, obschon Béla noch so klein war. An seinem fünften Geburtstag fand die erste richtige Klavierstunde statt, und knapp einen Monat danach, anläßlich der Familienfeier zum Namenstag des Vaters wie auch des Sohnes, wurde dem Vater eine angenehme Überraschung bereitet: Der Junge spielte mit der Mutter vierhändig ein leichtes klassisches Stück.

Der Direktor der provinziellen landwirtschaftlichen Schule konnte mit den überdurchschnittlichen Fähigkeiten und guten Fortschritten seines Sohnes zufrieden sein. Doch wohin diese führen sollten, hat er nie erfahren. Sein Tod am 4. August 1888, nach einer langdauernden Blutkrankheit, kam nicht überraschend, aber für den siebenjährigen Béla, der von Kindheit an eine große Empfindlichkeit und emotionale Erregbarkeit zeigte, war es ein Schock. Sicherlich schon damals, als er gespannt in das leblose Gesicht des Vaters starrte, begann er sich mit dem schwierigen Problem des Lebens und des Todes auseinanderzusetzen, einem Problem, das ihn in den frühen Jugendjahren stark beschäftigen wird.

Für Paula Bartók war der Tod des Mannes weit mehr als eine persönliche Tragödie. Der Verstorbene war der einzige Ernährer der Familie. Der jungen Witwe fiel die nicht leichte Aufgabe zu, ihre beiden Kinder, Béla und sein dreijähriges Schwesterchen Erzsébet, zu ernähren und zu erziehen. Eine schwere Pflicht, denn in Nagyszentmiklós gab es keinen Platz für die Beschäftigung einer neuen Lehrerin, und Paula hatte sich seit der Verheiratung und der Ankunft im Städtchen nur mit dem Haushalt beschäftigt und beruflich nirgends gearbeitet. Kurze Zeit hegte sie die Hoffnung, eine Anstellung in der Privatschule zu finden, die in Nagyszentmiklós eröffnet werden sollte. Dieses Projekt scheiterte jedoch, und so begann sie Klavierstunden zu erteilen, was ihr – übrigens unter ausgiebiger Hilfe der Freunde ihres Mannes – erlaubte, einige Monate lang ein kümmerliches Leben zu fristen. Doch die Anforderungen wuchsen ; Béla mußte zur Schule. Als sich im Jahr 1889 die Möglichkeit bot, eine Anstellung als Lehrerin in dem entfernten Nagyszöllös zu finden, packte Frau Paula ihre Koffer und reiste mit ihren Kindern und ihrer Schwester Irma Voit (die seit dem Tod des Schwagers bei Paula wohnte und den Haushalt führte) dorthin.

Nagyszöllös, ein malerisch am Fuße der Berge in Karpatenrußland gelegenes Städtchen (jetzt Winogradow in der UdSSR), war der Ort, in welchem Béla die heitersten, sorglosen Monate seiner Kindheit verbrachte. In der Schule lernte er gut, ohne sich dabei besonders anzustrengen. Wenn er auch das geräuschvolle Spiel seiner Kollegen nicht immer mitmachte und in der Klasse etwas abseits stand, so fand er doch einen Kameraden namens Endre, mit dem er sich bald sehr gut verstand ; die künstlerischen Neigungen beider Jungen waren sicherlich ein Faktor, der ihre Freundschaft förderte. An warmen, sonnigen Tagen zogen sie hinaus zu den nahen Anhöhen, wo Endre seine Farben zurechtlegte und Landschaftsbilder malte, während Béla im Gras lag und den Stimmen der Vögel lauschte oder mit großer Aufmerksamkeit dem Treiben der Ameisen, Raupen und Insekten zusah.

Das Interesse für die Natur war seine Liebhaberei, die ihm bis zu seinem Lebensende blieb. Später, als er...

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