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E-Book

Bayern und die Reichsgründung 1870/71

AutorAnnette Schießl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783638896122
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,0, Universität Regensburg (Institut für Geschichte), 131 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Die deutsche Einheit ist gemacht, und der Kaiser auch!' Bevor Bismarck unmittelbar nach der Unterzeichnung der Versailler Verträge am 23. November 1870 erleichtert darüber, dass er mit Bayern im Rahmen des Reichsgründungsprozesses endlich zu einem Abschluss gekommen war, diese Worte äußern konnte, waren im Vorfeld viele kleine Schritte notwendig, um das Königreich unter Ludwig II. zum Eintritt in das Deutsche Reich zu bewegen. Dem Entschluss Bayerns, sich dem Deutschen Kaiserreich anzuschließen, ging nämlich ein langwieriger, schwieriger Prozess voraus, in dem Bayern stets unbeirrt um den Erhalt seiner Souveränität bemüht war, während von preußischer Seite versucht wurde, den bayerischen Handlungsspielraum sukzessive derart zu beschränken, dass dem Königreich schlussendlich keine andere Möglichkeit blieb als der Reichsgründung zuzustimmen. Die Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, genau nachzuvollziehen, durch welche politischen Vorgänge dieser Spielraum Bayerns grundlegend beschnitten wurde, so dass Bayern in den Jahren 1870/71 letztlich keine Alternative zum Eintritt in das Deutsche Reich hatte. Wichtig erscheint dabei auch die Frage, wie sich die bayerischen Verantwortlichen in dieser entscheidenden Phase verhielten und ob sie Möglichkeiten gehabt hätten, den Prozess, durch den Bayern immer weiter in den Sog Preußens gezogen wurde, aufzuhalten. Außerdem soll nach der Analyse der entsprechenden politischen Vorgänge beurteilt werden, welche Konsequenzen sich für Bayern aus der Reichsgründung ergeben haben: Gelang es Bayern trotz des Eintritts in das Deutsche Reich seine Souveränität zu erhalten oder trat das von vielen befürchtete 'Finis Bavariae' - das Ende der bayerischen Eigenständigkeit - ein? Um angemessene Antworten auf diese Fragen zu finden und die Stellung Bayerns bei der Reichsgründung sorgfältig erfassen zu können, darf der Zeitraum, mit dem sich in dieser Arbeit beschäftigt werden soll, nicht auf die Jahre 1870 und 1871 beschränkt werden. Die entscheidenden Weichen für die Ereignisse dieser Jahre wurden nämlich schon früher gestellt. Dies brachte bereits der Zeitgenosse Heinrich von Sybel mit dem Ausspruch 'im Herbste des Jahres 1866 war das deutsche Reich gegründet' zum Ausdruck. Ein exakter Zeitpunkt, an dem die Reichsgründung letzten Endes in die Wege geleitet wurde, lässt sich allerdings nicht genau festmachen. Es erscheint aber sinnvoll, mit einer kurzen Skizzierung der politischen Lage im zweiten Ministerium von der Pfordtens zu beginnen, um daraufhin die Rolle Bayerns bei der Gasteiner Konvention - ein wichtiger Schritt auf dem Weg Bayerns ins Reich - näher beleuchten zu können.

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Leseprobe

IV.  Bayern im Angesicht des deutsch-französischen Krieges von 1870/71

 

1. Grundzüge der deutschen Politik Bray-Steinburgs

 

1.1 Zum Amtsantritt Bray-Steinburgs

 

Obwohl Hohenlohe sein Amt als leitender Minister abgeben musste, bemühte er sich weiterhin, Einfluss auf den Fortgang der bayerischen Politik auszuüben.[262] Dies gelang ihm insofern, als dass er seinen persönlichen Favoriten für seine Nachfolge durchsetzen konnte. Auf Rat Hohenlohes hin[263] ernannte König Ludwig II. Graf Otto von Bray-Steinburg zum neuen bayerischen leitenden Minister.

 

In Bezug auf die deutsche Politik Bayerns sicherte dies eine generelle Weiterführung der bisherigen politischen Linie Hohenlohes.[264] In seiner Antrittsrede vor der Kammer der Abgeordneten am 30. März 1870 machte er die Grundtendenzen seiner Politik, die im Großen und Ganzen an die der Regierung Hohenlohe anschlossen, deutlich. Genauso wie sein Vorgänger erachtete er die Zusammenarbeit mit Preußen, die durch die Verträge mit dem Norddeutschen Bund gesichert sei, als sehr wichtig.[265] In seiner Rede betonte er, dass eine Politik, die dies ignoriere, gar nicht möglich sei, da Bayern nur noch über einen engen Handlungsspielraum verfüge[266]. Mit dieser Einschätzung stellte Bray unter Beweis, dass er die politische Wirklichkeit realistisch einzuschätzen wusste. Dies stimmt auch mit dem Bild überein, das von Bray in der Forschung vorherrscht: Der leitende Minister wird einhellig als nüchterner Diplomat beschrieben, der sich von der nationalen Stimmung im Land nicht mitreißen ließ und stets das politisch Machbare im Auge behielt.[267] In seiner Antrittsrede ist dieser Realismus darin fassbar, dass er explizit darauf hinwies, sich ausschließlich auf das in der Wirklichkeit Durchführbare konzentrieren zu wollen.[268] So schätzte der neue leitende Minister es zum Beispiel als realistisch ein, den Status quo Bayerns, den Hohenlohe als gefährdet betrachtete[269], erhalten zu können, da die europäischen Großmächte einen preußischen Angriff auf Bayern nicht zulassen würden, so dass Bismarck einen solchen Angriff nicht riskieren werde.[270] Auch die Gefahr, die von Seiten der Patriotenpartei immer wieder geäußert wurde[271], das von Bray selbst mit unterzeichnete Schutz- und Trutzbündnis mit Preußen[272], sei ein offensives Bündnis, sah er nicht.[273]

 

Damit ergab sich für Bray-Steinburg insgesamt eine Politik, die einerseits auf den Erhalt der bayerischen Souveränität als auch auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Bismarck ausgerichtet war. Der Kernsatz seiner Rede brachte diese vorgesehene Marschrichtung pointiert zum Ausdruck: „Wir wollen Deutsche, aber auch Bayern sein“[274].

 

1.2 Bray-Steinburg zwischen Preußen und Österreich

 

Genauso wie sein Vorgänger Hohenlohe legte Bray also besonderen Wert auf die Kooperation mit Preußen. Welch große Bedeutung er dem Verhältnis mit dem Norden beimaß, drückt sich ganz unzweifelhaft darin aus, dass Bray sein Amt als leitender bayerischer Minister erst annahm, nachdem er sich dafür das Einverständnis des preußischen Ministerpräsidenten eingeholt hatte.[275] Rall hält es jedoch auch für denkbar, dass die Initiative dafür, sich Bismarcks Einvernehmen bezüglich der Neubesetzung des bayerischen leitenden Ministeramtes zu sichern, nicht alleine von Bray ausging, sondern auch von Ludwig II. getragen wurde.[276] Gleichgültig, ob der König nun wesentlich für das Einholen der Bismarckschen Meinung verantwortlich war oder nicht; dass Preußen von bayerischer Seite überhaupt um die Zustimmung zu Brays Amtsantritt gebeten wurde, führt wieder einmal deutlich vor Augen, wie stark Bayern inzwischen vom Willen Bismarcks abhing.

 

Trotz dieser auf Preußen abgestimmten Politik unterschied sich Bray-Steinburg aber deutlich von seinem Vorgänger. Im Gegensatz zu Hohenlohe pflegte er nicht nur ein gutes Verhältnis zu Preußen, sondern auch zu Österreich; er war „sowohl in Wien als auch in Berlin persona grata“[277]. Da er vor seiner dritten Berufung – er war bereits in den Jahren 1846/47 im Kabinett Abels und 1848/49 im Märzministerium als Minister des Äußeren tätig gewesen[278] – bayerischer Gesandter in Wien gewesen war und zudem gemeinsam mit dem österreichischen Außenminister Beust in Göttingen studiert hatte[279], stand er auch mit Österreich in gutem Kontakt.

 

Während Hohenlohes Politik durch die Diskrepanz zwischen seiner inneren nationalen Einstellung und den partikularistischen Erfordernissen, die die bayerische Situation an ihn stellte, zahlreiche Widersprüche in der politischen Praxis hervorbrachte, schaffte es Bray-Steinburg, eine in sich stimmige politische Linie zu finden, obwohl er zwischen Preußen und Österreich stand. Es gelang ihm sogar, sich diese Mittelstellung zunutze zu machen. So brachte er es zum Beispiel fertig, dass sich Österreich und Russland gegenüber Preußen eindeutig für die Bewahrung der Eigenständigkeit der süddeutschen Mittelstaaten ausgesprochen haben.[280] Mit diesem Einsatz versetzten die beiden europäischen Großmächte Bayern in eine günstigere Position für die Verhandlungen der Versailler Verträge, da Bismarck vor allem die Beziehung zu Russland nicht aufs Spiel setzen konnte. Ob diese Entwicklung allerdings – wie Weis es darstellt[281] – auf die persönliche Freundschaft zwischen Bray und Beust zurückzuführen ist, oder ob sie auch auf diplomatischem Wege hätte erreicht werden können, bleibt jedoch dahingestellt.

 

2. Entwicklungen im Vorfeld des deutsch-französischen Krieges 1870

 

2.1 Bayerns Rolle im Rahmen der sich zuspitzenden preußisch-französischen Auseinandersetzung

 

Während sich Ludwig II. zu Beginn des Jahres 1870 noch sicher war, dass die Souveränität Bayerns keinesfalls gefährdet sei – seine Thronrede im Rahmen der Eröffnung des Landtages am 17. Januar 1870 zeugt davon[282] – wurde Bayern wenige Monate später mit einer Konfliktsituation von europäischem Ausmaß konfrontiert, die letztlich zum Eintritt Bayerns ins Deutsche Reich führte.

 

Nachdem Bismarck die Kandidatur des Hohenzollern Leopold für den spanischen Thron vorangetrieben hatte[283] – Bismarck werden bezüglich dieses Engagements in der Forschung im Übrigen ganz unterschiedliche Motive unterstellt[284] –, fühlte sich Frankreich von preußischer Seite provoziert und erklärte, dass er den Antritt eines Hohenzollern auf dem spanischen Königsthron als Kriegsgrund betrachten werde.[285] Die überzogene Forderung des französischen Ministerpräsidenten Gramont, Wilhelm I. solle erklären, dass er endgültig von der Kandidatur des Hohenzollern Abstand nehme[286], und sich für das preußische Vorgehen in der spanischen Frage bei Frankreich entschuldigen, war für den preußischen König indiskutabel.[287] Das Schreiben an Frankreich, in dem Wilhelm I. die französischen Forderungen zurückwies, wurde von Bismarck so gekürzt und veröffentlicht, dass Frankreich der deutschen Öffentlichkeit als Aggressor erschien.

 

Diese so genannte Emser Depesche hatte zum Zweck, dass die deutsche Öffentlichkeit Preußen als Angegriffenen und nicht als Angreifer wahrnahm.[288] Durch dieses Vorgehen konnte Bismarck gewährleisten, dass die süddeutschen Mittelstaaten den Bündnisfall gemäß den Schutz- und Trutzbündnissen nicht von vornherein ablehnten. Dieser Schachzug war besonders vor dem Hintergrund wichtig, dass sich zu dieser Zeit in Bayern immer mehr eine antipreußische Gesinnung durchzusetzen drohte[289], in Bayern davon ausgegangen wurde, dass die Hohenzollern-Kandidatur von Bismarck bewusst in die Wege geleitet wurde, um einen Krieg zu provozieren,[290] und Ludwig II., sein leitender Minister, sowie die Mehrheit des bayerischen Volkes einen Krieg grundsätzlich ablehnten[291]. Dieser Haltung zum Trotz engagierte sich der bayerische König kaum, um eine friedliche Lösung herbeizuführen. So ließ er zum Beispiel die ihm sich bietende Gelegenheit ungenutzt, Russland zu einer friedenssichernden Initiative zu überreden.[292]

 

Bray-Steinburg hingegen versuchte aktiv, einen deutsch-französischen Krieg zu vermeiden. So bemühte er sich zum Beispiel mit Unterstützung des britischen Gesandten Howard, zwischen Frankreich und Preußen zu vermitteln.[293] Zwar fasste Bray auch österreichische Vermittlungsversuche zwischen Preußen und Frankreich ins Auge, jedoch war ihm bewusst, dass eine österreichische Intervention weniger Erfolg versprechend war als Vermittlungsversuche von britischer Seite[294], da der Einfluss Österreichs mit der Niederlage von 1866 und dem Ausscheiden aus dem deutschen Machtbereich deutlich schwächer geworden war. Brays Einsatz für den europäischen Frieden war jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt: Zu dem Zeitpunkt, als Bray die Vermittlung zwischen den feindseligen...

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