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Bedürfnisorientierte Wohnformen für junge Erwachsene mit körperlichen, geistigen oder mehrfachen Beeinträchtigungen

AutorErika Steinbruckner
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl142 Seiten
ISBN9783668532144
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die englische Sprache definiert das Wort 'Wohnen' mit 'to live' also 'leben' und ist damit unmittelbar mit menschlicher Existenz verbunden. ,,Wohnen' heißt auch, bleiben zu können. ,,Wohnen' definiert auch ein Grundbedürfnis nach Schutz und Hülle, nach einem Zuhause als einem sicheren Ort des Rückzugs und der Ruhe. Wohnen meint aber auch ein 'Dach über dem Kopf zu haben' und wird oftmals auch definiert mit 'mein Zuhause'. So unterschiedlich die Beschreibungen und Definitionen zu dem Begriff 'Wohnen' auch sind, gleich ist jedoch der Umstand, dass Wohnen ein menschliches Grundbedürfnis für alle Menschen - unabhängig mit oder ohne Beeinträchtigung - darstellt. Primäres Ziel im Rahmen des Dö. Chancengleichheitsgesetzes 2008 soll sein, Menschen mit Beeinträchtigungen, speziell junge Erwachsene, ein möglichstlanges selbstbestimmtes und selbstständiges Leben bzw. Wohnen zu ermöglichen. Die Autorin dieser Publikation gibt einen allgemeinen Überblick über die IST-Situation im Bereich der vorhandenen Wohnformen im Rahmen des Dö. Chancengleichheitsgesetzes 2008. Ihre Darstellung fußt auf einer Literaturanalyse sowie auf einer empirischen Untersuchung [qualitativ). Ihre Expertenauswahl konzentriert sich dabei auf unterschiedliche Zielgruppen wie z.B. beeinträchtigte Personen, Angehörige, Verwaltungsmitarbeiter, Trägerorganisation etc. Basierend auf den erhobenen Ergebnissen und deren Auswertungen leitet die Autorin Handlungsempfehlungen für Wohnformen für junge Erwachsene mit körperlichen, geistigen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen ab. Aus dem Inhalt: - Beeinträchtigung; - Behinderung; - Unterstützungsmodelle; - Handlungsempfehlungen; - Wohnmodelle

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Leseprobe

2 Einführung in das Thema der Beeinträchtigungen


 

Wie in der Einleitung unter Kapitel 1 bereits beschrieben, bilden Menschen mit einer Beeinträchtigung unterschiedlichen Ausmaßes eine hohe Anzahl der Bevölkerung in Österreich ab.

 

Vorweg stellt sich die Frage: „Was ist eine Beeinträchtigung? Wer beeinträchtigt wen? Wer ist beeinträchtigt?“ Wir alle glauben zu wissen, dass jemand, der z.B in einem Rollstuhl sitzt, beeinträchtigt ist. Aber ist jemand, der eine Brille zum Lesen braucht, damit zugleich auch als sehbeeinträchtigt einzustufen?

 

Die Definitionen von „Beeinträchtigungen“ eines Menschen sind als ein komplexer Prozess von Ursachen und Folgen, unmittelbaren Auswirkungen, oft auch individuellem Schicksal und sozialen Konsequenzen zu sehen.

 

Bevor auf die einzelnen Definitionen konkret eingegangen wird, erfolgt zu Beginn eine theoretische Auseinandersetzung mit der Entwicklungsgeschichte des Begriffes der Beeinträchtigung. Um die Weiterentwicklung dieses Begriffes zu verdeutlichen, wird nur für die Abschnitte 2.1 und 2.2 teilweise die ursprüngliche Definition „Behinderung“ übernommen und steht für die veraltete Formulierung einer „Behinderung“. In weiterer Folge wird sodann der Begriff der „Beeinträchtigung“ verwendet.

 

Weiterführend wird auf die unterschiedlichen Arten und Formen von Beeinträchtigungen (siehe Abschnitt 2.3) eingegangen, wobei speziell auf die Zielgruppe dieser Arbeit – der körperlichen, geistigen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen – der Fokus gerichtet wird.

 

2.1 Historische Entwicklung des Begriffes der Behinderung


 

Sowohl das Substantiv „Behinderung“ als auch das Verb „behindern“, können als relativ junge Formulierungen bezeichnet werden: Von zwei niederländischen Autoren des 18. Jahrhunderts verwendet, wurde der Begriff „behindert“ in einer Tübinger Ausgabe des gleichen Werkes noch durch „gehindert“ ersetzt. Das Wort, von dem es abgeleitet wurde („hindern“), hatte dabei ursprünglich die räumliche Bedeutung von „eine Sache nach hinten stellen“. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte eine Anwendung der Begrifflichkeiten auf seinen jetzigen Gegenstandsbereich als auch auf die Sonderpädagogik. So erfolgte im Jahr 1906 noch eine sogenannte „Krüppelzählung“, um alle von Geburt an mit körperlichen Mängeln Behafteten, erfassen zu können (vgl. Hensle/Vernooij 2002, 8ff).

 

Wesentlicher Anstoß für eine Neubestimmung des Begriffes, sind die Kriegsbeschädigten des 1. Weltkrieges (1914 – 1918), die die Bezeichnung „Krüppel“ nach ihrem Dienst am Vaterland als diskriminierend empfanden. Dieser Begriff deckte auch nicht alle auf dem Feld erlittenen Schädigungen wie z.B. Sinnesschädigungen ab. Ab diesem Zeitpunkt begann sich der Behinderungs-Begriff einzubürgern. 1938 war die „Schulpflicht geistig und körperlich behinderter Kinder“ im Paragraph 6 des Reichsschulpflichtgesetzes geregelt und verwies sie auf Hilfsschulen sowie auf Schulen für Blinde, Taubstumme, Krüppel und ähnliche Gruppen. Im Jahr 1957 wurde das Wort „Krüppel“ konsequent durch „Körperbehinderte“ im Körperbehindertengesetz verabschiedet (vgl. Hensle/Vernooij 2002, 8ff).

 

Die Behindertenpolitik Österreichs beschreibt, dass Menschen mit Beeinträchtigungen durch Jahrhunderte auf Almosen angewiesen waren. Erst durch die Konfrontation der Bilanz des 1. Weltkrieges festigte sich die Auffassung, dass es auch Aufgabe des Staates sei, beeinträchtigten Menschen Hilfe zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu leisten. Das Invalidenentschädigungsgesetz 1919 und das Invalidenbeschäftigungsgesetz 1920 sahen bereits Verpflichtungen von Betrieben zur Einstellung von beeinträchtigten Menschen – abhängig von der Anzahl der Arbeitnehmer – die Vorschreibung einer Ausgleichstaxe bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung, Schutzbestimmungen über Kündigung sowie Entlohnung als auch Vorschriften zur beruflichen Ausbildung vor (vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz 2003, 18ff).

 

Am 1. Oktober 1946 (nach Ende des 2. Weltkrieges) trat das Invalideneinstellungsgesetz in Kraft. Es hatte nunmehr außer für Kriegsgeschädigte auch für Opfer der politischen Verfolgung und Menschen, deren Beeinträchtigung auf bestimmte Ursachen (z.B. Arbeitsunfälle) zurückzuführen war, Gültigkeit. Das Invalidengesetz 1969 wurde kontinuierlich weiterentwickelt und brachte schließlich den Grundsatz zustande, dass die Begünstigungen dieses Gesetzes für alle Menschen mit Beeinträchtigungen Geltung hatten, unabhängig von der Ursache und Art deren Beeinträchtigungen. Rehabilitation und Integration beeinträchtigter Menschen waren somit wichtige Impulse in der Entwicklung der staatlichen Behindertenpolitik und des Rehabilitationskonzeptes 1977 (vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz 2003, 18ff).

 

Das Bundesbehindertengesetz 1990 brachte mit der Errichtung des Bundesbehindertenbeirates einen wichtigen Fortschritt bei der Mitsprache von Menschen mit Beeinträchtigungen. Ausgehend von der Integration in den Arbeitsbereich, setzte sich damit durch, dass Rehabilitation ein Prozess sein muss, der alle Lebensbereiche des Menschen umfasst. Diesem Grundsatz folgte das Behindertenkonzept der österreichischen Bundesregierung 1992 in der Weise, dass die umfassende Eingliederung von Menschen mit

 

Beeinträchtigungen in möglichst alle Lebensbereiche anzustreben ist. Das Konzept sieht die Behindertenpolitik als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an. In Österreich wurden spezielle Programme für Menschen mit Beeinträchtigungen geschaffen, wie z.B. das Bundesbehinderteneinstellungsgesetz etc. Im Jahr 1998 ist der Bundesbehindertenbeirat zu der Ansicht gelangt, dass spezielle Maßnahmen so lange notwendig sind, als die Gleichstellung beeinträchtigter und nichtbeeinträchtigter Menschen faktisch nicht zur Gänze erreicht ist (vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz 2003, 18ff).

 

Im Jahr 1993 erfolgte dazu eine Reform der Pflegevorsorge (Einführung eines bedarfsorientierten Pflegegeldes), auf deren Bezug – unabhängig von Einkommen sowie Vermögen und der Ursache der Pflegebedürftigkeit – ein Rechtsanspruch besteht. Durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union im Jahr 1995 erfolgte ein starker Impuls für die berufliche Integration. Zuletzt haben die Menschenrechte und die Gleichbehandlung von Menschen mit Beeinträchtigungen große Bedeutung in der Behindertenpolitik erlangt. Dazu beschloss der Nationalrat am 09. Juli 1997 die Aufnahme eines Diskriminierungsverbotes in Art. 7 der österreichischen Bundesverfassung (B-VG). Zusätzlich zu diesem verfassungsrechtlich verankerten Diskriminierungsschutz, wurde auch ein Bekenntnis der Republik zur Gleichbehandlung von beeinträchtigten und nichtbeeinträchtigten Menschen in allen Bereichen des alltäglichen Lebens mitaufgenommen (vgl. Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz 2003, 18ff).

 

2.2 Definitionen von Beeinträchtigungen


 

Die Bezeichnung von Beeinträchtigungen umfasst nicht nur eine einzelne Dimension, wie z.B. die Zuordnung zu einer bestimmten Beeinträchtigungsform, wie die der körperlichen, geistigen und/oder mehrfachen Beeinträchtigungen. Um eine Beeinträchtigung definieren zu können, ist es notwendig, unterschiedliche Ausprägungen und deren Komplexität explizit zu betrachten:

 

So definiert das österreichische Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG, BGBl. I Nr. 82/2005) in § 3: Beeinträchtigung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (vgl. BGStG 2005).

 

Das Wort „Beeinträchtigung“ kommt jedoch im engeren Sinne so nicht vor. Es wurde versucht, ein pragmatisches Begriffsverständnis festzusetzen: Als beeinträchtigt gelten Personen, die infolge einer Schädigung ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen so weit eingeschränkt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft erschwert oder/bzw. ihre unmittelbare Lebensverrichtungen erschwert werden (vgl. Bleidick 1998, 12ff). Die Komplexität einer Beeinträchtigung findet sich auch in dem Begriffverständnis der UN-Behindertenkonvention 2008 wieder (siehe Kapitel 3.1).

 

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt vier Bereiche, die eine Beeinträchtigung bedingen können (negative oder positive Abweichungen von Normzuständen):

 

 Körperfunktionen und Körperstrukturen: System des Körpers. Wenn Elemente dieses Systems beeinträchtigt sind, wird dies als eine Schädigung (engl.: impairment) bezeichnet.

 

 Aktivitäten: Durchführung einer Aufgabe oder Handlung. Wenn ein Mensch bei dieser Durchführung Schwierigkeiten hat, wird dies als Beeinträchtigung dieser Aktivität bezeichnet...

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