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E-Book

Bekanntes und unbekanntes Judentum. Zweiter Teil

AutorEva Saunders
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl77 Seiten
ISBN9783656821458
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Judaistik, , Sprache: Deutsch, Abstract: Der zweite Teil von 'Bekanntes und unbekanntes Judentum' macht weiter mit dem Judentum bekannt und dient als weitere Einführung ins Judentum. Es werden viele interessante Themen beschrieben wie das Phänomen des 'Ostjuden', das Leben im Shtetl, jüdisches Schulwesen und Gebet, jüdische Philosophie, historische Hintergründe der Feiertage Purim und Pessach und mehr.

1958 in der Tschechischen Republik geboren. Universitätsdozentin, ehemalige Rektorin einer Hochschule, ehemalige Präsidentin der jüdischen Gemeinde in Ostrava.Sie arbeitete auch in einem Forschungsinstitut in Wien. Sie schreibt nicht nur wissenschaftliche Texte, sondern auch Belletristik (Geschichten über Katzen, regionale Krimigeschichten aus Wien). Sie lebt mit ihrem Ehemann und drei Katzen in Wien.

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Leseprobe

1. Das Phänomen „der Ostjude“


 

1.1 Geografische und demographische Charakteristik Galiziens


 

Galizien war nach der Teilung Polens ein Teil der Habsburger Monarchie.[1] Die rechtliche Lage der Juden in Galizien war schlimm, wenigstens bis zum Jahre 1867. Dies war die Konsequenz der Josefinischen Reformen. Die Lockerung des Regimes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass man immer öfter auf jüdische Gastwirte, Steuereinnehmer oder Hofmeister treffen konnte. Damit kamen aber wieder die alten, traditionellen Konflikte auf, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts zu Prozessen mit angeblichen Ritualmördern führten. Man hörte wieder, dass die jüdische Schenken die Bauern zum Alkoholismus trieben und jüdische Wucherer sie finanziell vernichteten.

 

Galizien war – mit der Ausnahme von Dalmatien – die am wenigsten industrialisierte Provinz Österreichs.[2]

 

Noch um das Jahr 1900 arbeiteten mehr als 80% der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Weil die Industrie nur langsam vorwärts kam, konnte auch der Sekundärbereich nicht genug Beschäftigung anbieten. Große Armut und die Verschlechterung der sozialen Lage der Bevölkerung auf dem Lande hatten auch Einfluss auf die Juden in ihrer Funktion als Geschäftsleute und Handwerker, da sie direkt auf die Kaufkraft der Bauern angewiesen waren. Der Modernisierungsprozess bedeutete für die meisten Juden wachsende Armut und die Verdrängung aus ihrer Beschäftigung. Dies betraf die Juden in größerem Ausmaß als den Rest Bevölkerung, weil die Zuwachsrate der Bevölkerung bei den Juden höher war als bei Polen und Ruthenen.

 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts betrug der Anteil der Juden an der Gesamtzahl der Bevölkerung mit 333 451 Personen 7,3 Prozent.

 

Übersicht der Explosion der jüdischen Bevölkerung in Galizien seit dem Jahre 1772:[3]

 

 

Eine große Zuwachsrate hätte für die Juden ein großes existenzielles Problem bedeuten, wenn dieses nicht teilweise durch Auswanderung gelöst worden wäre. Die Migrationsbewegung führte die Juden in Gebiete, wo sie leichter Arbeit finden und ihre Existenz sichern konnten.

 

Die Juden waren vor allem in der Gastwirtschaft und in der Textilindustrie tätig, die jüdischen Arbeiter arbeiteten vorwiegend in der Produktion von Streichhölzern und in der Erdölindustrie. Ihre ökonomische Position im Geschäft und in der Industrie wurde durch die Industrialisierung verschlechtert. Sie konnten dann aus wirtschaftlich-politischen Gründen keine Arbeit finden und wurden im Wirtschaftsleben Galiziens bewusst benachteiligt.

 

Der Anteil der Juden an der Gesamtzahl der Bevölkerung:[4]

 

 

Obwohl die Juden nur 10 bis 11 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, bildeten sie gleichzeitig 34 Prozent der Menschen, die in 40 Städten lebten. Beide Hauptstädte Westgaliziens (Krakau) und Ostgaliziens (Lemberg) waren zu einem Drittel jüdisch.

 

1.2 Die Phänome „Ostjude“ und „Shtetl“


 

Die assimilierten Juden der damaligen Zeit verstanden den „Ostjuden“ als Hindernis auf dem Weg zum Fortschritt.[5] Ihrer Meinung nach war der Ostjude schmutzig und unzivilisiert, hinterlistig und unterwürfig, trug abgetragene und schlotterige Kaftane, hatte Pejes bis zur Schulter, stank nach Zwiebel und Knoblauch. Diese Abneigung von Außen führte bei manchen Juden zum Hass gegen sich selbst und zum Zorn über ihre Herkunft. Es entstand ein sogenanntes „ostjüdisches Problem“. So, wie viele Westjuden durch die Zuwanderung der Ostjuden überrascht waren, so schauten auch die polnischen Juden mit Misstrauen und Abneigung auf die Juden aus Russland – die sogenannten „Litwaken“. Diese sprachen einen anderen jiddischen Dialekt, und in der Öffentlichkeit sprachen sie nicht Polnisch, sondern Russisch. Ihrem Aussehen und Verhalten nach entsprachen sie allen Vorurteilen. Die polnischen Juden sahen in ihnen die Ursache der wachsenden Feindschaft gegen die Juden.

 

Das Phänomen „des Ostjuden“ ist im 18. Jahrhundert entstanden, und zwar im Prozess des religiösen Suchens zwischen dem messianischen Erwarten des Weltendes und der frommen Fixierung in diesem Leben.[6] Der „Ostjude“ ist eine kulturell in sich geschlossene Persönlichkeit. Der Begriff setzte er sich erst im 19. und 20. Jahrhundert durch. Er bezeichnet mehr als nur die geografische Zugehörigkeit, denn die Ostjuden waren auch zahlreich außerhalb Osteuropas anzutreffen. Der Ostjude ist der Mensch, der sich bewusst zum Judentum bekennt, dessen Verständnis in ihm aber zum Konflikt ausgeartet ist. Die Tradition und die Erinnerungen sind dabei bestimmend. Er zieht sich meistens charakteristische Bekleidung an und hält die religiösen Vorschriften, Rituale, Sitten und Bräuche ein. Zum Ostjudentum gehört Jiddisch. Jiddisch wurde zur Muttersprache, Mameloschn, der Ostjuden. Die soziale und ökonomische Lage des Ostjudentums wurde dadurch erleichtert, dass die traditionelle Rolle der Juden als Vermittler zwischen Stadt und Land wieder einen Aufschwung erlebte. So wurden die Juden in Polen als Geschäftsleute zwischen dem Adel, den Bauern und den Bewohnern der Städte unersetzlich, und zwar als Hausierer, Pächter und Verwalter des adeligen Gutes und der Schenken. Sie waren eine Geldquelle und machten Geschäfte sowohl für den Adel als auch für die Bauern.

 

Das Shtetl bildete ein jüdisches Zentrum in der nichtjüdischen Welt.[7] Es herrschte hier oft sehr große Armut, die sich mit der Zeit noch vertiefte. Die Juden aus dem Shtetl waren sich aber ihres Judentums bewusst. Auch wenn sie arm waren, auch wenn sie beengt in kleinen Häusern wohnten, auch wenn sie sehr wenig Kleidung besaßen und oft hungern mussten – auf ihr Judentum waren sie stolz. Außerhalb des Shtetls kamen sie mit der nichtjüdischen Welt vor allem als Hausierer und Gastwirte in Kontakt. Die Hausierer boten den Bauern ihre Ware zum Kauf an und oft bekamen sie von ihren Kunden Aufträge, die sie in einem anderen Dorf oder auf dem Amt in der Bezirksstadt erledigen mussten. So diente ihre vermittelnde Tätigkeit nicht nur rein ökonomische Interessen, sondern sie konnten auch Nachrichten aus „der großen Welt“ mitbringen. Auf jeden Fall waren die Hausierer die Vermittler der Kultur zwischen Stadt und Land. Der jüdische Gastwirt war wiederum der typische Vermittler in den komplizierten Verhältnissen zwischen Adel, Bauern und Stadtbewohnern. Aber schon seit dem 18. Jahrhundert haben die katholischen Prediger die jüdischen Kneipen als „teuflische Höhle“ bezeichnet und die Wirte dienten als negatives Symbol des raffinierten, habsüchtigen und hinterlistigen Ostjuden.

 

Die Gelehrten bildeten die geistige und oft auch die soziale Elite des Ostjudentums.[8] Aber es gab unter ihnen sowohl materielle als auch Prestigeunterschiede.

 

Unter den zivilen Berufen kann man drei Kategorien unterscheiden:

 

1. Geschäftsleute (Einkäufer, Vermittler und Bankiers)

2. Handwerker

3. Vertreter der freien Berufe

 

Die Geschäftsleute standen in der Sozialhierarchie des Ostjudentums höher als Handwerker, sie gehörten meistens zum Mittelstand, den sogenannten balebatim (Hauswirten). Die Handwerker hatten als ungebildete, einfachere Leute eine ziemlich niedrige Position inne. Zu den Angehörigen der freien Berufe gehörten z. B. Ärzte, Anwälte usw.

 

1.3 Die chassidische Bewegung


 

Unter den Juden im Süden Polens und in der Ukraine wurde über jene Juden gesprochen, die sich beim Gebet ekstatisch verhielten.[9] Sie drückten sich aber nicht nur beim Gebet, sondern auch im Alltag sehr emotional aus. Ihre emotionalen Erlebnisse standen im Widerspruch dazu, was die rabbinischen Autoritäten über die emotionale Zurückhaltung gesagt hatten.

 

Ungefähr in der Hälfte der 30er Jahre des 18. Jahrhunderts kam aus den Bergen im Süden Polens ein jüdischer Mystiker und Heilpraktiker. Er dachte, er bringe den Juden, die sich dem Glauben ihrer Ahnen entfremdet hatten, neuen Einblick auf Gott, die Menschen und einen neuen Messianismus. Er gründete die jüdische Bewegung der Chassiden – der Frommen. Mit dieser Tat zerstörte er die Einheit der jüdischen Gesellschaft in der Ära des rabbinischen Judentums und die absolute Macht der rabbinischen Führer. Er war ein Waisenkind und hatte Probleme mit dem Lernen, flüchtete aus der Schule und bummelte durch die Wälder. Er wurde in der kleinen südpolnischen Stadt Okopy geboren. Alles, was wir über ihn wissen, wissen wir aus den Aufzeichnungen, die 50 Jahre nach seinem Tod entstanden sind, er selbst hat nichts geschrieben. Er wurde im Jahre 1700 geboren und hieß Israel ben Elieser. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, arbeitete er als Hilfslehrer. Er begleitete die Kinder zur Schule und holte sie nach dem Unterricht wieder ab. Viele seine...

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