Wie bereits im Theorieteil erwähnt, wird der Alltag des Leistungssports durch hohe Trainings- und Wettkampfintensität charakterisiert (vgl. Vogel, 2001). Aus diesen Belastungen kann das Phänomen der Überbeanspruchung (overreaching) entstehen, dem viele Sportler ausgesetzt sind (vgl. Kellmann, 2001). Diese Problematik tritt verstärkt bei jungen Leistungssportlern auf. Sie sind vielfachen Belastungen ausgesetzt (vgl. Gustafsoon et al., 2007; Beckmann et al., 2008). Eine längerfristige Überbeanspruchung kann zu einem schwerwiegenden Übertrainings-Syndrom führen (vgl. Vogel, 2001), welches gravierende Folgen auf Gesundheits- und Leistungsebene haben kann (vgl. Kenttä & Hassmén, 1998; Kellmann, 2000, 2001).
Auch wenn die Trainingsbelastung nur ein Einflussfaktor des wahrgenommenen Beanspruchungs- und Erholungszustandes ist, stellt sie bei Leistungssportlern einen der Hauptbelastungsfaktoren dar, der im Vergleich zu außerhalb des Trainings liegenden Faktoren mithilfe des Trainingsprotokolls relativ einfach mess- und veränderbar ist (vgl. Vogel, 2001). Empirische Befunde zum Zusammenhang von Trainingsbelastung und wahrgenommenem Beanspruchungszustand im Leistungssport sind jedoch nicht eindeutig. Dies gilt sowohl hinsichtlich Untersuchungen, die sich allgemein auf Leistungssport beziehen (zum Beispiel Goodger et al., 2007; Coutts et al., 2007; Gustafsson et al., 2007), als auch für die wenigen Befunde im Nachwuchsleistungssport (zum Beispiel Kellmann, 2000; Hartwig et al., 2009). Aufgrund dessen wird zunächst untersucht, ob sich durch den Umfang der Trainingsbelastung Effekte in dem Beanspruchungs- und Erholungszustand von Nachwuchsleistungssportlern zeigen.
Aus diesen theoretischen Ansätzen leiten sich folgende Forschungsfragen und Hypothesen ab:
1. Welchen Effekt hat die Trainingsbelastung auf den wahrgenommenen Beanspruchungs- sowie Erholungszustand bei Nachwuchsleistungssportlern?
H 1: Die Trainingsbelastung hängt positiv mit dem wahrgenommenen Beanspruch-ungszustand zusammen.
H 2: Die Trainingsbelastung hängt negativ mit dem Erholungszustand zusammen.
Nicht nur die Trainingsbelastung spielt bezüglich Überbeanspruchung und deren negativen Konsequenzen eine Rolle. Im Weiteren soll die Gültigkeit des Belastungs-Beanspruchungs-Modells, wie es von Zier et al. (2010) formuliert wurde, in der Praxis überprüft werden. Dieses Modell wurde auf Basis des transaktionalen Modells von Stress (vgl. Lazarus, 1999) entwickelt. Nach diesen Modellen und einer Vielzahl von Studien kann angenommen werden, dass auch im Sport die Beziehung zwischen Belastung und Beanspruchung durch individuelle Voraussetzungen moderiert wird, da sie beeinflussen, wie Bewertungs- und Bewältigungsprozesse bezüglich der objektiven Belastungen verlaufen (vgl. Lazarus, 1999). Individuelle Voraussetzungen wie volitionale Strategien (vgl. Beckmann & Strang, 1991 Kuhl & Fuhrmann, 1998; Beckmann, 2002; Beckmann & Kellmann, 2004), Handlungsorientierung (vgl. Beckmann, 1994; Beckmann & Kellmann, 2004), Copingfähigkeit (vgl. Raedeke & Smith, 2004; Goodger et al., 2007), und Soziale Unterstützung (vgl. Richartz & Brettschneider, 1996; Goodger et al., 2007; Schwarzer & Knoll, 2007) wurden als signifikante Einflussfaktoren genannt. Je nach Ausprägung, können sie Schutz- oder Risikofaktoren in der Belastungsverarbeitung darstellen (vgl. Zier et al, 2010).
Die Effekte dieser Faktoren auf die Beziehung zwischen Trainingsbelastung und wahrgenommener Beanspruchung und Erholung werden folglich in dieser Studie für den Nachwuchsleistungsbereich überprüft.
Neben den oben genannten Hypothesen soll daher noch ermittelt werden, ob Handlungsorientierung, volitionale Strategien, Coping und soziale Unterstützung den Zusammenhang von Trainingsbelastung und wahrgenommener Beanspruchung und Erholung moderiert. Infolgedessen werden die folgenden Hypothesen aufgestellt:
2. Bestehen Moderationseffekte individueller psychischer Voraussetzungen auf die Beziehung von Trainingsbelastung und wahrgenommener Beanspruchung bei Nachwuchs-leistungssportlern?
H 3: Handlungsorientierung im Sport moderiert den Zusammenhang zwischen Trainingsbelastung und wahrgenommener Beanspruchung
H 4: Volitionale Strategien moderieren den Zusammenhang zwischen Trainingsbe-lastung und wahrgenommener Beanspruchung
H 5: Coping moderiert den Zusammenhang zwischen Trainingsbelastung und wahr-genommener Beanspruchung
H 6: Soziale Unterstützung moderiert den Zusammenhang zwischen Trainingsbe-lastung und wahrgenommener Beanspruchung
Des Weiteren kann auf Grundlage des Belastungs-Beanspruchungs-Modells (vgl. Zier et al., 2010) angenommen werden, dass nicht nur die wahrgenommene Beanspruchung sowie Erholung, ausschlaggebend für eine optimale Belastungssteuerung sind. Um eine optimale Belastungssteuerung im Rahmen der individuellen Belastbarkeit zu gewährleisten, muss sich vielmehr an den Beanspruchungsfolgen/Effekten, die aus Trainingsbelastung, individuellen Voraussetzungen sowie wahrgenommener Beanspruchung und Erholung entstehen, orientiert werden (zum Beispiel Kellmann et al.,1994; Kleinert & Steinbacher, 2009).
Folglich wird in der vorliegenden Studie die Infektanfälligkeit von Nachwuchsleistungs-sportlern als Beanspruchungsfolge betrachtet. Denn entsprechend dem momentanen Stand der Forschung ist bekannt, dass eine Korrelation besteht zwischen Trainingsbelastung und Infektanfälligkeit von Sportlern (u.a. Pedersen, Trede, Hansen et al., 1988; Gabriel & Kindermann, 1997; Niemann & Pedersen, 1999). Auf Grundlage des Belastungs-Beanspruchungs-Modells (vgl. Zier et al., 2010) und den vorherigen Ausführungen kann jedoch angenommen werden, dass nicht nur die Trainingsbelastung ausschlaggebend für die Infektanfälligkeit ist, sondern vielmehr der wahrgenommene Beanspruchungs- sowie Erholungszustand zwischen diesem Zusammenhang vermittelt (vgl. zum Beispiel König et al. 2000).
Daher ist ein weiteres Ziel der Studie, den Zusammenhang von wahrgenommener Beanspruchung und der Beanspruchungsfolge Infektanfälligkeit im Nachwuchsleistungssport zu untersuchen, sowie die Vorhersagemöglichkeit von Infektanfälligkeit mittels wahrgenommener Beanspruchung und Erholung zu prüfen. Infolgedessen werden folgende Forschungsfragen und Hypothesen aufgestellt:
3. Hat der wahrgenommene Beanspruchungszustand eines Nachwuchsleistungssportlers einen Einfluss auf dessen Infektanfälligkeit?
H 7: Der wahrgenommene Beanspruchungszustand hängt positiv mit der Infekt-anfälligkeit zusammen
H 8: Der wahrgenommene Erholungszustand hängt negativ mit der Infektanfälligkeit zusammen
4. Vermittelt der wahrgenommene Beanspruchungs- sowie Erholungszustand den Zu-sammenhang zwischen Trainingsbelastung und Infektanfälligkeit?
H 9: Der wahrgenommene Beanspruchungszustand vermittelt den Zusammenhang zwischen Trainingsbelastung und Infektanfälligkeit
H 10: Der wahrgenommene Erholungszustand vermittelt den Zusammenhang zwischen Trainingsbelastung und Infektanfälligkeit
Im folgenden Kapitel wird der Studienaufbau mit seinen verschiedenen Teilbereichen beschrieben. Die Teilbereiche I und II werden bezüglich der hier aufgeführten Hypothesen analysiert, in Teilbereich III werden die Hypothesen bezüglich Unterschiedsfragestellungen spezifiziert und beschrieben (siehe Kapitel 4.3).
Die aktuelle Studie teilt sich in drei Bereiche auf.
Teilbereich I: Zunächst einmal werden die Hypothesen, mit einer Gesamtstichprobe von N = 146 Nachwuchsathleten aus dem D - Kader verschiedener Sportarten geprüft.
Teilbereich II: In einer Teilstichprobe von N = 38 wird die Trainingsbelastung anhand des metabolischen Äquivalents (MET) operationalisiert, anders wie in den vorherigen Teilstudien, in denen sie anhand der zeitlichen Dimension Trainingsumfang (in Minuten) operationalisiert wurde. Damit soll eine mehrdimensionale und somit gründlichere Auseinandersetzung mit der Trainingsbelastung erfolgen und deren Auswirkungen in den Analysen überprüft werden.
Teilbereich III: Aus der Gesamtstichprobe werden Extremgruppen extrahiert. Diese sind in den Variablen Trainingsbelastung, wahrgenommene Beanspruchung und wahr-genommene Erholung extrem, als dass sie sich über beziehungsweise unter einer Standardabweichung des Mittelwertes der Gesamtstichprobe befinden (Vergleich der Werte der Extremgruppen und Gesamtstichprobe...